"Machtergreifung"

im Rathaus

Quelle: Reader AK Asche-Prozeß, S. 18
In den Monaten Februar und März 1933 schufen die Nationalsozialisten auf Reichsebene und in Kiel Fakten für die Eroberung der politischen Macht. Hintergrund für die Ereignisse in der Provinzhauptstadt war die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar in Berlin und die Reichstagswahlen am 5. März 1933. In diesen Wochen gelang es den Nationalsozialisten auch in Kiel, vereint mit zu "Hilfspolizisten" ernannten SA-Männern und der regulären Polizei, ihre politischen Gegner auszuschalten. Verhaftungen von Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschaftern waren an der Tagesordnung.

In Kiel bekam die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) und die Deutsch-Nationale Volkspartei (DNVP) die meisten Stimmen bei den Reichstagswahlen. Bereits in den frühen Morgenstunden des Wahlsonntags hatten Nationalsozialisten die Hakenkreuzfahne auf dem Rathaus und anderen öffentlichen Gebäuden gehißt. Sie wurden auf Anordnung der Stadtverwaltung wieder abgenommen. Zwei Tage vor den Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung (Kommunalwahlen in Preußen am 12. März 1933) forderte die in Kiel erscheinende nationalsozialistische Zeitung "Volkskampf" den Rücktritt von Oberbürgermeister Lueken und drohte mit der Besetzung des Rathauses.

Besetzung des Rathauses

Einen Tag vor den Kommunalwahlen besetzten Angehörige von SA und SS sowie des "Stahlhelm" der DNVP das Kieler Rathaus. Der amtierende Oberbürgermeister Dr. Emil Lueken, der als Mitglied der Deutschen Volkspartei (DVP) gerade ein Jahr zuvor für zwölf weitere Jahre wiedergewählt worden war, und die sozialdemokratischen Magistratsmitglieder wurden für abgesetzt erklärt. Die Geschäfte des Oberbürgermeisters übernahm der Kieler Kreisleiter der NSDAP, der Kaufmann Walter Behrens. Dieser wurde zum Staatskommissar ernannt. Zu seinem Stellvertreter wurde der Rechtsanwalt und Parteigenosse Walter Menzel bestellt. In dem später verfaßten Verwaltungsbericht der Stadt hieß es zu diesen Ereignissen: "Die volks- und staatsschädigenden Elemente wurden unverzüglich aus dem Magistrat entfernt."

Kommunalwahlen

Die Wahlen am 12. März 1933 brachten dann folgendes Ergebnis: Die NSDAP wurde von über 43 % aller Kieler gewählt und errang 28 Sitze in er Stadtverordnetenversammlung. Gemeinsam mit der deutschnationalen "Kampffront Schwarz-Weiß-Rot" (8,8 % und 5 Sitze) und der "Nationalen Einheitsliste" der Vororte Holtenau, Pries und Friedrichsort (1,7 % und 3 Sitze) hatten die Nationalsozialisten die absolute Mehrheit der 64 Sitze im Kieler Stadtparlament. Die oppositionellen Sozialdemokraten (SPD) erhielten über 28 % der Stimmen (20 Sitze) und die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) wurde mit 7.6 % er Stimmen (4 Sitze gewählt. Hinzu kamen 4 Sitze (7,2 % der Stimmen) der Partei der Mieter, Siedler und Bodenreformer, "Volkswohl".

Bereits Ende März 1933 wurden aufgrund des "Vorläufigen Gesetzes zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich" die Zuteilung von Sitzen auf Wahlvorschläge der KPD für unwirksam erklärt. Die vier Sitze der KPD in der Stadtverordnetenversammlung fielen ersatzlos weg. Die gewählten Stadtverordneten dieser bereits reichsweit verbotenen Partei hätten ihre Sitze auch nicht wahrnehmen können. So wurde zum Beispiel der gewählte Christian Heuck, KPD-Bezirkssekretär, schon im Februar verhaftet.

Die Stadtverordneten der SPD konnten formal ihre Tätigkeit noch ausüben; jedoch nahmen aufgrund des Terrors der Nationalsozialisten nur 11 der 20 gewählten Sozialdemokraten an der ersten Sitzung teil. Die Stadtverordnetenversammlung wählte sogar noch am 12. April 1933 einen Sozialdemokraten als unbesoldeten Stadtrat in den Magistrat der Stadt. Doch als nach dem Verbot der SPD durch einen Erlaß des Preußischen Innenministers vom 23. Juni 1933 die sozialdemokratischen Stadtverordneten mit sofortiger Wirkung von der weiteren Ausübung ihrer Mandate ausgeschlossen wurden, versagte der Regierungspräsident in Schleswig Anfang August auch dessen Amtseinweisung. Der Versuch einiger SPD-Mitglieder durch Austritt aus der Partei einen politischen Einfluß in den Gremien der Stadt zu behalten, blieb letztlich erfolglos.

Ende der Demokratie

Am 28. April 1933 "wählte" die Stadtverordnetenversammlung den Staatskommissar Behrenz zum Oberbürgermeister und Rechtsanwalt Menzel zum Bürgermeister der Stadt Kiel. Sie wurden vom Preußischen Innenminister bzw. dem Regierungspräsidenten bestätigt. Mit dem Gesetz gegen die Neubildung von Parteien vom 14. Juli 1933 wurden alle anderen Parteien außer der NSDAP verboten. Mit dem Ablauf des Jahres 1933 standen der Stadtverordnetenversammlung nach dem preußischen Gemeindeverfassungsgesetz vom 15. Dezember 1933 keine Beschlußrechte mehr zu. Oberbürgermeister und Stadträte wurden eingesetzt und nicht mehr gewählt. Ihre Tätigkeit wurde vom Gauleiter überwacht. Das "Führerprinzip" war in der Stadtverwaltung eingeführt worden.

Am 20. Juli 1933 beschlossen die Stadtkollegien einstimmig, dem "Führer" Adolf Hitler das Ehrenbürgerrecht der Stadt Kiel zu verleihen. Gleichzeitig wurde auch Reichspräsident Paul von Hindenburg zum Ehrenbürger ernannt.


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