Weiter nördlich nahm der Anteil der bürgerlich geprägten Bevölkerung zu: In der Vorstadt gab es zwar noch einen gröszlig;eren Anteil von Industriearbeitern, aber ähnlich wie um der Exer und Damperhof waren dies eher bürgerliche Stadtviertel. Die Altstadt war geprägt durch die Vielzahl von öffentlichen Gebäuden sowie die kleineren und größeren Geschäfte um den alten Markt. Hier lebten nur wenige Arbeiterfamilien, aber viele Selbständige wie Kaufleute und Handwerksmeister, ähnlich wie in der Brunswik. Wer betuchter war, wohnte in großen Etagenwohnungen um den Schreventeich oder im Villenviertel Düsternbrook. Dort lebte die Kieler Oberschicht: hohe Beamte der Marine, Universitätsprofessoren, Ärzte, Juristen und reichere Kaufleute. In der Gegend um den Blücherplatz und zum Teil am Ravensberg wohnten neben vielen Marineangehörigen mittlere Beamte, Angestellte und mittelständische Gewerbetreibende mit ihren Familien.
Die Tendenzen der Reichstagswahl 1930 setzten sich in den Folgejahren fort: Zwar konnte die DNVP im November 1932 nochmals Stimmen von der NSDAP zurückgewinnen, doch löste sich der restliche bürgerlich-liberale Block zugunsten der NSDAP auf. Die beiden Arbeiterparteien verloren ebenfalls Wähler und Wählerinnen an die NSDAP. Während aber die SPD größe Teile ihrer Wählerschaft aus den Arbeitervierteln halten konnte, verlor die KPD (anders als reichsweit, wo dies nicht der Fall war), im Juli 1932 einige Wähler an die Nazis.
Zusammenfassend kann gesagt werden, daß in Kiel das Westufer nördlich des Hasseldieksdamms überdurchschnittlich die NSDAP wählte, wohingegen in den Arbeitervierteln nur unterdurchschnittlich für sie gestimmt wurde. Die Hochburgen der NSDAP waren in Kiel Viertel mit hohem Selbständigenanteil, doch gelang es ihr von allen Parteien am ehesten, Wählerinnen und Wähler aus allen Schichten anzusprechen und auch Stimmen von Angestellten, Arbeitern und Beamten zu bekommen.
Es ist zwar zu vermuten, daß viele ehemalige Nichtwähler/innen der NSDAP ihre Stimme gaben; für Kiel läßt sich dies mangels Quellen aber nicht belegen. Ein eher indirekter Beweis belegt, daß die Kieler Arbeitslosen eher unterdurchschnittlich die NSDAP wählten: Die Arbeitslosigkeit war in den Arbeitervierteln am höchsten, und dort hatte die SPD ihre Hochburgen und konnte viele ihrer Wähler und Wählerinnen halten.
Preuß. Landtagsw. 20. 05. 1928 | Reichstagswahl 20. 05. 1928 | Reichstagswahl 14. 09. 1930 | Preuß. Landtagsw. 24. 04. 1932 | |
Wahlbeteiligung: | 85 % 121.279 | 86.4 % 123.322 | 89.2 % 130.362 | 89 % 137.634 |
KPD | 8.862 (7.31 %) | 9.302 (7.54 %) | 13.524 (10.36 %) | 11.658 (8.47 %) |
SPD | 50.911 (41.98 %) | 51.131 (41.46 %) | 48.709 (37.29 %) | 45.136 (32.79 %) |
DDP/DStP | 5.179 (4.27 %) | 5.136 (4.17 %) | 3.679 (2.82 %) | 1.552 (1.13 %) |
Zentrum | 2.017 (1.66 %) | 2.018 (1.64 %) | 2.093 (1.61 %) | 2.004 (1.46 %) |
DVP | 16.008 (13.20 %) | 16.179 (12.12 %) | 10.697 (8.19 %) | 2.211 (1.61 %) |
DNVP | 32.905 (27.13 %) | 33.270 (26.98 %) | 11.784 (9.03 %) | 5.963 (4.14 %) |
NSDAP | 2.432 (2.01 %) | 3.358 (2.72 %) | 29.732 (22.77 %) | 67.558 (49.09 %) |
Sonstige** | 2.965 (2.45 %) | 2.928 (2.37 %) | 10.414 (7.98 %) | 1.522 (1.13 %) |
Reichstagswahl 31. 07. 1932 | Reichstagswahl 06. 11. 1932 | Preuß. Landtagsw. 05. 03. 1933 | Reichstagswahl 05. 03. 1933 | |
Wahlbeteiligung: | 88.8 % 136.400 | 90.1 % 137.592 | ? 143.208 | 94.8 % 145.122 |
KPD | 15.532 (11.39 %) | 18.578 (13.50 %) | 15.635 (10.92 %) | 16.013 (11.03 %) |
SPD | 45.219 (33.15 %) | 41.590 (30.23 %) | 40.040 (27.96 %) | 41.719 (28.78 %) |
DDP/DStP | 1.165 (0.85 %) | 1.014 (0.74 %) | 956 (0.67 %) | 951 (0.66 %) |
Zentrum | 2.193 (1.61 %) | 2.151 (1.56 %) | 2.119 (1.48 %) | 2.183 (1.50 %) |
DVP | 1.588 (1.16 %) | 2.389 (1.73 %) | 1.536 (1.07 %) | 1.495 (1.03 %) |
DNVP | 7.255 (5.32 %) | 13.173 (9.57 %) | 12.308 (8.59 %) | 12.833* (8.84 %) |
NSDAP | 62.830 (46.06 %) | 57.425 (41.74 %) | 67.810 (47.35 %) | 69.225 (47.70 %) |
Sonstige** | 618 (0.46 %) | 1.272 (0.93 %) | 2.804 (1.96 %) | 703 (0.49 %) |