Wahlen und Wählerschaft der NSDAP

Quelle: Reader AK Asche-Prozeß, S. 13
Die Mehrheit der Kieler Bevölkerung lebte im inneren Stadtgebiet bzw. auf dem Ostufer. Die Stadtrandgebiete wie Wik, Pries, Gaarden waren nur besiedelt. Die bürgerliche Mittel- und Oberschicht lebte mehrheitlich auf dem Westufer, die Arbeiterschaft mehrheitlich auf dem Ostufer und im angrenzenden Stadtteil um den Südfriedhof herum. In den Mietskasernen von Gaarden-Ost und Ellerbek wohnten viele ungelernte Arbeiter und Industriearbeiter, die größtenteils auf den Werften tätig waren. Das zweite große Arbeiterviertel lag um den Südfriedhof herum, und die hier lebenden Arbeiterfamilien wohnten in Mietshäusern.

Weiter nördlich nahm der Anteil der bürgerlich geprägten Bevölkerung zu: In der Vorstadt gab es zwar noch einen gröszlig;eren Anteil von Industriearbeitern, aber ähnlich wie um der Exer und Damperhof waren dies eher bürgerliche Stadtviertel. Die Altstadt war geprägt durch die Vielzahl von öffentlichen Gebäuden sowie die kleineren und größeren Geschäfte um den alten Markt. Hier lebten nur wenige Arbeiterfamilien, aber viele Selbständige wie Kaufleute und Handwerksmeister, ähnlich wie in der Brunswik. Wer betuchter war, wohnte in großen Etagenwohnungen um den Schreventeich oder im Villenviertel Düsternbrook. Dort lebte die Kieler Oberschicht: hohe Beamte der Marine, Universitätsprofessoren, Ärzte, Juristen und reichere Kaufleute. In der Gegend um den Blücherplatz und zum Teil am Ravensberg wohnten neben vielen Marineangehörigen mittlere Beamte, Angestellte und mittelständische Gewerbetreibende mit ihren Familien.

Reichstagswahlen

Die Reichstagswahl 1930 brachte in Kiel für die NSDAP den Durchbruch: Mit fast 30.000 Stimmen erreichte sie ein über dem Reichsdurchschnitt liegendes Ergebnis, wobei viele ehemalige Wähler und Wählerinnen der DNVP für die NSDAP stimmten. Hochburgen waren die Altstadt (35.5%) und der Blücherplatz (31.8%) sowie die bürgerlichen Wohngegenden vom Schreventeich über den Exer und die Vorstadt bis hin zum Kanal. Die einzige Ausnahme stellte Düsternbrook dar: Hier wurde eine Abspaltung von der DNVP überdurchschnittlich oft gewählt, DNVP und NSDAP erhielten unterdurchschnittlich viele Stimmen.

Die Tendenzen der Reichstagswahl 1930 setzten sich in den Folgejahren fort: Zwar konnte die DNVP im November 1932 nochmals Stimmen von der NSDAP zurückgewinnen, doch löste sich der restliche bürgerlich-liberale Block zugunsten der NSDAP auf. Die beiden Arbeiterparteien verloren ebenfalls Wähler und Wählerinnen an die NSDAP. Während aber die SPD größe Teile ihrer Wählerschaft aus den Arbeitervierteln halten konnte, verlor die KPD (anders als reichsweit, wo dies nicht der Fall war), im Juli 1932 einige Wähler an die Nazis.

Zusammenfassend kann gesagt werden, daß in Kiel das Westufer nördlich des Hasseldieksdamms überdurchschnittlich die NSDAP wählte, wohingegen in den Arbeitervierteln nur unterdurchschnittlich für sie gestimmt wurde. Die Hochburgen der NSDAP waren in Kiel Viertel mit hohem Selbständigenanteil, doch gelang es ihr von allen Parteien am ehesten, Wählerinnen und Wähler aus allen Schichten anzusprechen und auch Stimmen von Angestellten, Arbeitern und Beamten zu bekommen.

Es ist zwar zu vermuten, daß viele ehemalige Nichtwähler/innen der NSDAP ihre Stimme gaben; für Kiel läßt sich dies mangels Quellen aber nicht belegen. Ein eher indirekter Beweis belegt, daß die Kieler Arbeitslosen eher unterdurchschnittlich die NSDAP wählten: Die Arbeitslosigkeit war in den Arbeitervierteln am höchsten, und dort hatte die SPD ihre Hochburgen und konnte viele ihrer Wähler und Wählerinnen halten.


Wahlergebnisse für Kiel 1928 - 1933

Quelle: Reader AK Asche-Prozeß, S. 16
Preuß. Landtagsw.
20. 05. 1928
Reichstagswahl
20. 05. 1928
Reichstagswahl
14. 09. 1930
Preuß. Landtagsw.
24. 04. 1932
Wahlbeteiligung: 85 % 121.279 86.4 % 123.322 89.2 % 130.362 89 % 137.634
KPD 8.862 (7.31 %) 9.302 (7.54 %) 13.524 (10.36 %) 11.658 (8.47 %)
SPD 50.911 (41.98 %) 51.131 (41.46 %) 48.709 (37.29 %) 45.136 (32.79 %)
DDP/DStP 5.179 (4.27 %) 5.136 (4.17 %) 3.679 (2.82 %) 1.552 (1.13 %)
Zentrum 2.017 (1.66 %) 2.018 (1.64 %) 2.093 (1.61 %) 2.004 (1.46 %)
DVP 16.008 (13.20 %) 16.179 (12.12 %) 10.697 (8.19 %) 2.211 (1.61 %)
DNVP 32.905 (27.13 %) 33.270 (26.98 %) 11.784 (9.03 %) 5.963 (4.14 %)
NSDAP 2.432 (2.01 %) 3.358 (2.72 %) 29.732 (22.77 %) 67.558 (49.09 %)
Sonstige** 2.965 (2.45 %) 2.928 (2.37 %) 10.414 (7.98 %) 1.522 (1.13 %)
Reichstagswahl
31. 07. 1932
Reichstagswahl
06. 11. 1932
Preuß. Landtagsw.
05. 03. 1933
Reichstagswahl
05. 03. 1933
Wahlbeteiligung: 88.8 % 136.400 90.1 % 137.592 ? 143.208 94.8 % 145.122
KPD 15.532 (11.39 %) 18.578 (13.50 %) 15.635 (10.92 %) 16.013 (11.03 %)
SPD 45.219 (33.15 %) 41.590 (30.23 %) 40.040 (27.96 %) 41.719 (28.78 %)
DDP/DStP 1.165 (0.85 %) 1.014 (0.74 %) 956 (0.67 %) 951 (0.66 %)
Zentrum 2.193 (1.61 %) 2.151 (1.56 %) 2.119 (1.48 %) 2.183 (1.50 %)
DVP 1.588 (1.16 %) 2.389 (1.73 %) 1.536 (1.07 %) 1.495 (1.03 %)
DNVP 7.255 (5.32 %) 13.173 (9.57 %) 12.308 (8.59 %) 12.833* (8.84 %)
NSDAP 62.830 (46.06 %) 57.425 (41.74 %) 67.810 (47.35 %) 69.225 (47.70 %)
Sonstige** 618 (0.46 %) 1.272 (0.93 %) 2.804 (1.96 %) 703 (0.49 %)

Tabelle erstellt nach Daten aus den "Statistischen Monatsberichten der Stadt Kiel. Bearbeitet und herausgegeben vom Statistischen und Wahlamt. Jg. XXV. No. 3. März 1933", dem Verwaltungsbericht der Stadt Kiel, 1930, sowie der Tagespresse (vgl. hierzu Silke Hansen, S.91ff).
Fußnoten:
* Die DNVP trat 1933 in Kiel und Schleswig-Holstein als "Kampffront Schwarz-Weiß-Rot" an.
** In der Regel bürgerliche Interessenparteien (u.a.: Konservative und Wirtschaftspartei, Reichspartei des deutschen Mittelstandes).


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