Im Folgenden finden sich Informationen zu einer Haftstätte der schleswig-holsteinischen Gestapo, die diese von Sommer 1944 bis Mai 1945 in Kiel am Russee unterhalten hat. Am authentischen Ort des Geschehens wurden in den Nachkriegsjahren verschiedene Gedenksteine errichtet und im Jahr 2003 ein Gedenkort eingeweiht. Der Akens ist zusammen mit dem Kieler Arbeitskreis Asche-Prozeß für die Konzeption und inhaltliche Gestaltung verantwortlich gewesen und veranstaltet vor Ort regelmäßig Rundgänge zur Lagergeschichte.
Karte des Lagergeländes, März 1945
Direkt neben einem Fußballplatz, Tennisanlagen, einem Gewerbegebiet sowie dem idyllischen Wanderweg um den Kieler Russee besteht seit dem 27. Januar bzw. 4. Mai 2003 der Gedenkort "Arbeitserziehungslager Nordmark". Er erinnert durch drei Informationstafeln sowie einen Gedenkstein an die Geschehnisse in einer KZ-ähnlichen Haftstätte der schleswig-holsteinischen Gestapo für überwiegend ausländische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, in der mindestens 578 Menschen zu Tode kamen.[1] Dort, wo die letzten sichtbar gemachten Spuren des Lagers zu finden sind – die Grundmauern des ehemaligen SS-Gästehauses am Russee im Kieler Stadtteil Hassee –, wird ausführlich über die Geschichte des Lager, das von Sommer 1944 bis Mai 1945 bestand, das Leben der Häftlinge und die mörderischen Taten der Wachmannschaften informiert. Bis zur Errichtung des Gedenkortes hatte die Stadt Kiel durch zwei Gedenksteine auf die Existenz des Lagers hingewiesen. Zum einen wurde1971 auf Initiative des Russeer Pastors Uwe Jacobsen ein Findling aufgestellt, der in der Tradition der Gedenk- und Erinnerungskultur der 1950er-Jahre zu verorten ist. Damals wurden Grabmale in sogenannten "elysischen Landschaften" als Parkfriedhöfe zur Erinnerung an die "Opfer der Gewaltherrschaft" errichtet. Dieser Stein, dessen Inschrift leider weder korrekt über das Lager informiert noch dessen Geschichte reflektiert, steht unter einer Doppeleiche an der Rendsburger Landstraße/Ecke Seekoppelweg. Der zweite Gedenkstein, 1985 etwas weiter westlich aufgestellt, beruht auf der Initiative einer kirchlichen Jugendgruppe und versucht, durch eine kartografische Darstellung sowie einen vier Sätze umfassenden Text die Lagergeschichte darzustellen. Bezeichnenderweise konnte sich die Stadt Kiel nicht dazu durchringen, einen abschließenden und in die Zukunft weisenden kritischen Satz auf der Tafel zuzulassen.[2] Das eigentliche inhaltliche Erinnern leisteten Geschichtsinitiativen vor Ort: So legte der Kieler Geschichtsarbeitskreis Arbeitskreis Asche-Prozeß (AKAP) im Herbst 1982 die Grundmauern des SS-Gästehauses frei, fuhr regelmäßig auf seinen Stadtrundfahrten das ehemalige Lagergelände an und informierte zu dessen Geschichte. Mit Detlef Korte nahm sich ein Mitglied des AKAP der Erforschung des "AEL Nordmark" an und publizierte dazu 1991 seine Dissertation.[3] Ein Jahr später errichteten arbeitslose Frauen im Rahmen eines ABM-Projekts das Stelenfeld "Appell", das nach Zerstörungen im September 1992 abgebaut werden musste. Und 1995 – im Rahmen des 50-jährigen Gedenkens an den Tag der Befreiung der Häftlinge des Lagers durch britische Truppen am 4. Mai 1945 – fand die von einem linken Bündnis getragene Aktion "Spurensuche – Spurenlegen. Gedenkzug KZ am Russee" statt. Neben Sachinformationen an verschiedenen Stationen eines Gedenkzugs vom ehemaligen Lagergelände in die Kieler Innenstadt, wurde auf dem Weg durch beschriftete Bänder an das Lager erinnert und der Rathausmarkt mit namentlichen Gedenksteinen an die Opfer "gepflastert". Die Erinnerungskultur der Stadt Kiel wurde dagegen durch das Engagement von Einzelpersonen bestimmt: So ist insbesondere die damalige Stadtpräsidentin, Silke Reyer, zu erwähnen, die sich im Gegensatz zur Ratsversammlung für das Gedenken an den Nationalsozialismus einsetzte. Im Kommunalparlament gab es zwar einmütige Beschlüsse (u.a. Erarbeitung eines Konzeptes einer Dokumentations- und Gedenkstätte, Schaffung einer Sonderausstellung "Kiel unter dem Hakenkreuz", Einrichtung eines Spendenkontos zum Bau einer Dokumentationsstätte), doch zur Umsetzung in die Praxis kam es nicht. Eckhard Colmorgen, langjähriges Mitglied im AKAP und damaliger Vorsitzender des Arbeitskreises zur Erforschung des Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein (AKENS), fasste dies in seiner Eröffnungsrede zum Gedenkort kritisch so zusammen: "Es gibt wohl keine andere Landeshauptstadt, in der sich die verantwortlichen Politiker so wenig um die Geschichte ihrer Stadt und insbesondere die Geschichte der Nazi-Zeit ihrer Stadt gekümmert haben. Die in unserer Stadt eher beliebigen Gedenksteine zur Geschichte des NS-Regimes sind eher zufällig entstanden. Es fehlt ein umfassendes Konzept zum Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit."[4] Umso mehr ist es zu begrüßen, dass der Gedenkort "Arbeitserziehungslager Nordmark" tatsächlich auch mit Unterstützung der Stadt Kiel entstanden ist: Im November 2000 wurde auf dem ehemaligen Lagergelände der Überrest eines wahrscheinlich direkt in der Nachkriegszeit von polnischen Zwangsarbeitern aufgestellten Gedenksteins für die Opfer des Faschismus gefunden. Dies führte dazu, dass der Kulturausschuss sich um eine Neugestaltung des Geländes unter Einbeziehung dieses Gedenksteinüberrestes Gedanken machte. Angestoßen durch den Kulturausschussvorsitzenden Ulrich Erdmann (SPD) beantragte im Frühjahr 2002 der AKENS Finanzmittel der Europäischen Union für eine Neugestaltung des Gedenkens an das ehemalige "Arbeitserziehungslager Nordmark" und konnte zusammen mit Mitteln der Stadt Kiel die Umgestaltung vor Ort beginnen, die im Mai 2003 abgeschlossen wurde. Seitdem findet neben den bisherigen ritualisierten Gedenkfeierlichkeiten der Stadt Kiel und der Kirchengemeinde am 27. Januar, am 8. Mai und am Volkstrauertag regelmäßig am Tag der Befreiung des Lagers ein Rundgang um das ehemalige Lagergelände statt. Neben der inhaltlichen Vermittlung der Geschehnisse steht dabei insbesondere die Visualisierung der sich heute nicht mehr erschließenden Lagertopografie sowie der Umgang mit diesem Ort in der Nachkriegszeit im Vordergrund. Neben dem Rundgang treten mit der Verlesung der Namen der Toten, einer Dokumentation zur Lagergeschichte sowie einer Präsenz im Internet weitere Formen des Erinnerns, die es unterschiedlichen Zielgruppen ermöglichen sollen, sich der Geschichte des Lagers und der Geschehnisse im "Arbeitserziehungslager Nordmark" anzunähern. Der Geschichte einer KZ-ähnlichen Haftstätte der schleswig-holsteinischen Gestapo, in der von Sommer 1944 bis Mai 1945 vermutlich 5000–6000 Häftlinge inhaftiert waren und von denen mindestens 578 während der Haft starben. Frank Omland Weitere Informationen zum "AEL Nordmark" finden sich
Einen Überblick der Aktivitäten und Initiativen im Bereich der Gedenkstätten in Schleswig-Holstein findet sich im "Forum: Gedenken" in der ISHZ 47 sowie im Schwerpunkt "Forum: Zeitgeschichtsforschung, Gedenken, Erinnerung" in der ISHZ 39. |
Gedenkstein 1971
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Abb. 1:
Der Gedenkstein von 1971 an der Rendsburger Landstraße/Ecke Seekoppelweg
am Ort des ehemaligen Nebeneingangs des Lagers.
Abb. 2:
Der Gedenkstein von 1985 an der Rendsburger Landstraße,
ungefähr in Höhe des ehemaligen Haupteingangs des Lagers.
Abb. 3:
Der neue Gedenkstein, die erste Informationstafel sowie die Grundmauern des SS-Gästehauses.
Adresse des Gedenkortes: Rendsburger Landstraße, Höhe Achterwehrer Straße bzw. Struckdieks Au Gelände direkt am östlichen Russee (Wanderweg am Sportplatz des TSV Russee)
Das Gelände ist frei zugänglich. Führungen können nur sehr eingeschränkt und nach Vereinbarung mit dem Arbeitskreis Asche-Prozeß (Eckhard Colmorgen, Tel.: 0431 739 49 73) angeboten werden.
[1] "Arbeitserziehungslager" waren Straflager für sogenannte "Arbeitsverweigerer" bzw. "Bummelanten". Bei tatsächlichen und
vermeintlichen Verstößen gegen die Arbeitsdisziplin konnte die Gestapo eine mehrwöchige Haft anordnen, deren Zweck es war,
einen allgemeinen Abschreckungseffekt in den Betrieben zu erreichen. In der Regel sollten die Häftlinge nach der Maßnahme
in die Betriebe zurückkehren und aufgrund ihres körperlichen und psychischen Zustandes dazu beitragen, dass niemand gegen
das NS-Regime aufbegehren würde.
[2] Im ursprünglichen Textvorschlag hieß es: "Dieses Lager mahnt uns, jedem Ansatz von Brutalität und Terror zu widerstehen und für eine menschenwürdige Zukunft einzutreten."
[3] Detlef Korte: "Erziehung" ins Massengrab. Die Geschichte des "Arbeitserziehungslagers Nordmark" Kiel Russee 1944–1945, Kiel 1991.
[4] Eckhard Colmorgen: Gedenkort "Arbeitserziehungslager Nordmark". Rede zur Einweihung des Gedenkortes
"Arbeitserziehungslager Nordmark" in Kiel am 27.1.2003, in: Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte
(2004), Nr. 43, S. 90–96.
(Dieser Text entspricht dem Bericht von Frank Omland: Der Gedenkort "Arbeitserziehungslager Nordmark". In: Hilfe oder Handel? Rettungsbemühungen für NS-Verfolgte. Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland, Heft 10, Bremen 2007, S. 182-185).