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Kay Dohnke

Die braune Armee, jubelnd von der Menge begrüßt...?

Der 30. Januar 1933 und die Folgetage - Szenen der politischen Unruhe in Schleswig-Holstein. Eine Dokumentation zeitgenössischer Pressetexte.

Schleswig-Holstein war schon lange vor 1933 eine Hochburg der Nationalsozialisten. Außer eindeutigen Wahlergebnissen belegen vielfältige Beobachtungen, daß es bereits seit dem Ende der zwanziger Jahre in manchen Regionen, Städten und Dörfern große Sympathie für die politisch-ideologischen Ziele Hitlers und seiner Agitatoren gab. Nach dem 30. Januar sei dann, so der naheliegende Schluß, natürlich das ganze Land auf Anhieb braun gewesen. Eine solche Folgerung könnte durch historisches Material leicht Bestätigung finden - vordergründig jedenfalls; positive Reaktionen auf die Machtübergabe an Hitler hat es im Norden tatsächlich nahezu überall gegeben, und sie sind in der Tagespresse ausführlich dokumentiert. Die Durchsicht der gleichen Quellen jedoch fördert zugleich auch Belege für eine kaum erwartete Vielfältigkeit in den politischen Ereignissen nach dem 30. Januar zutage. Nicht nur für die größeren Städte mit organisierter Arbeiterbewegung, sondern auch für kleinere Orte der Provinz läßt sich allein schon mit Hilfe dieser Zeitungsberichte ein differenziertes Bild von den ersten Tagen des "Dritten Reiches" zeichnen: es gab Protestdemonstrationen, Aufrufe zum Widerstand, Flugblätter wurden verteilt, sogar Barrikaden errichtet. Der Streit zwischen Rechts und Links eskalierte schnell, und häufig kam es zu Gewaltanwendung. Anläßlich des fünfzigsten Jahrestages der Machtübertragung an die Nationalsozialisten sind 1983 auch für Schleswig-Holstein eine Reihe regional- bzw. lokalgeschichtlicher Studien vorgelegt worden, welche die bis dahin oft nur dürftige Kenntnis über die NS-Zeit verbesserten. Den allerersten Tagen nach dem 30. Januar, in denen sich der beginnende politische Umschwung vielfach in den Straßen manifestierte, ist in kaum einer dieser Veröffentlichungen breiterer Raum gewidmet - verständlich, galt es doch zumeist, die 12 Jahre der Diktatur darzustellen; für die politische Neuorganisierung und das Etablieren anderer Herrschaftsverhältnisse waren Vorgänge auf kommunaler und Verwaltungsebene sowie die Ereignisse um die Wahlen vom 5. März 1933 zweifellos bedeutsamer als die Turbulenzen in den letzten Januar- und frühen Februartagen. Nach nunmehr sechzig Jahren zeigt ein erneuter Blick auf den unmittelbaren Beginn des "Dritten Reiches", daß im Grunde noch kaum differenzierte Kenntnisse über die spontanen Stellungnahmen der Bevölkerung zur "Machtergreifung" existieren. Allein schon anhand der damaligen Pressemeldungen läßt sich aber illustrieren, wie vielschichtig auf der einen Seite und zugleich wie stereotyp auf der anderen Seite die Reaktionen auf die Verschiebung und Neuorganisation staatlicher Macht in den Städten und Dörfern Schleswig-Holsteins verlaufen sind. Zwar ist noch in Archiven wesentliche Forschung zu leisten; die hier vorgestellten Dokumente veranschaulichen aber schon jetzt neben breiter Zustimmung eine hohe Oppositionsbereitschaft; beides manifestierte sich in wiederkehrenden Ritualen und spontanen Aktionen. Bei der Zusammenstellung der Pressetexte lag ein Augenmerk auf größtmöglicher Breite der Darstellung - im regionalen wie im politischen Sinn. Da der beschränkte Raum eine Auswahl unvermeidlich machte, wurden Texte aus nationalsozialistischer Sicht, obwohl zahlenmäßig am häufigsten, nur in reduziertem Maße berücksichtigt; wichtiger schienen eher
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jene Artikel und Berichte, die Unentschlossenheit gegenüber der neuen Situation verraten und darüber hinaus vielfältige Formen des Protestes, des Widerstandes oder ganz einfach der Ablehnung dokumentieren - auch und gerade außerhalb der größeren Städte. Vielfach ähneln sich die vorgestellten Texte hinsichtlich ihrer Wortwahl, ihrer Bewertungsperspektiven und oftmals auch ihrer Inhalte. Kein Wunder: nationalsozialistische Jubelbekundungen etwa liefen oft nach dem gleichen Schema ab; die Redner bedienten sich sattsam bekannter Agitationsstrategien und verwendeten stereotyp die schon lange eingeübten ideologischen Versatzstücke teils religiöser, teils militaristisch-aggressiver Prägung. Ungeachtet vordergründiger Entsprechungen lassen diese Berichte aber erkennen, wer an den Veranstaltungen beteiligt war, welche historische bzw. politische Legitimation bemüht wurde und wie schon früh die Diktion von Gewalt und Drohungen geprägt war. Auch das Umfeld der nationalsozialistischen Selbstdarstellungen in Form von Deutschen Abenden oder massenwirksam angelegten Aufmärschen tritt deutlicher in den Blick. Und immer wieder sind es konkrete Namen und Orte, die genannt werden - gerade die damit erreichte Aufhebung der Anonymität, mit der übergreifende historische Darstellungen meist arbeiten müssen, weist diesem Quellentext besondere Wirkung zu. Manchmal lesen sich die Berichte von den Aktivitäten gegen die neue Regierung in Berlin ähnlich stereotyp wie jene über die Zustimmung. Aber hier mag das auch daran liegen, daß die jeweiligen Redakteure ihre politische Einstellung offener durchscheinen lassen, als es bei anderen Themen der Fall ist. Selbst vermeintlich bürgerlich-liberale Blätter gefielen sich in einer abfälligen Haltung gegenüber Sozialdemokraten und mehr noch Kommunisten, und auch sozialdemokratisch orientierte Zeitungen hegten kaum Sympathien für die KPD. Besonders die negativen Kommentare der SPD-nahen Schleswig-Holsteinischen Volks-Zeitung aus Kiel veranschaulichen so noch einmal die tiefe Feindschaft zwischen den Linksparteien und lassen deutlich werden, warum es zu der (vor allem später) oft überlegten Volksfront gegen die Nazis nicht gekommen ist. - Insgesamt ermöglichen die hier zusammengetragenen Dokumente also auch einen Einblick in die politische Struktur eines Teils der damaligen Presselandschaft Schleswig-Holsteins.

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Kay Dohnke


Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte Heft 24

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