Viele Kunstinteressierte in Schleswig-Holstein werden lange auf ein solches Buch gewartet haben, war doch die Frage nach der Rolle künstlerischer Produktion während der nationalsozialistischen Zeit bisher in Sammelbänden, Regionalstudien und Vortragsreihen allenfalls am Rande berücksichtigt worden. Nun liegt ein erster Titel zu diesem Themenkomplex vor; Bärbel Manitz und Thomas Greifeld präsentieren "Beiträge zur Kunst in Schleswig-Holstein 1933 - 1945". Und der Untertitel dieses eigenartigen Bandes wird aus guten Gründen hier ausdrücklich betont.
Die Idee zum vorliegenden Buch entstammt einer auch überregional geführten Diskussion, ob und wie nationalsozialistische Kunst in Museen ausgestellt werden kann/soll. Die Kieler Arbeitsgruppe "Bildende Kunst in der NS-Zeit" hatte im Herbst 1989 eine vorher in Bonn gezeigte Ausstellung "NS-Kunst ins Museum - wie?" ins Kommunikationszentrum DIE PUMPE geholt und in einer öffentlichen Diskussion zum Meinungsaustausch eingeladen. Die dort vertretenen Positionen - im Anhang des Bandes dokumentiert - wurden dann teilweise in näheren Ausführungen, eben den Aufsätzen dieses Buches, weiter ausgeleuchtet.
Das Resultat ist eine in Methode, Stil und Erkenntniswert höchst unterschiedliche Sammlung von Beiträgen, die - das sei gleich vorweggenommen - einen insgesamt unbefriedigenden Eindruck machen. Worum geht es im Einzelnen? Bärbel Manitz versucht in ihrem Aufsatz "Von der Landschaft zur Scholle", die NS-konforme Ideologisierung der schleswig-holsteinischen Kunstproduk-
tion am Beispiel von Grafik und Malerei aufzuzeigen. Elisabeth Vorderwülbecke liefert eine präzise Einzelstudie zum "Altar der Arbeit" des Heider und später Bremer Künstlers Hans Groß. Ute Beckmann gibt einen ersten Überblick zur Bildhauerkunst, Jörn Barfod spricht Fragen nationalsozialistischen Kunsthandwerks an, und in einem zweiten Aufsatz diskutiert Bärbel Manitz - ausgehend von einer Wandbildserie - die Annäherung A. Paul Webers an nationalsozialistische Kunstmaximen. Zwei Beiträge schließlich sind Aspekten der Architektur gewidmet: Frank Trende beschreibt die nationalsozialistische Symbolik der Neulandhalle im Dieksanderkoog (dem ehemaligen Adolf-Hitler-Koog), und Hans-Günther Andresen skizziert in einer überproportional langen Abhandlung - auf dem Umschlag eigens als Sonderbeitrag vermerkt - das schleswig-holsteinische Bauwesen zwischen norddeutschen Traditionen und "offiziellem Bauwillen".
Man erfährt viel über Bilder, Plastiken, Bauwerke aus schleswig-holsteinischer, aus "nordelbischer" Künstlerhand (aber leider nur selten aus Künstlerinnenhand); dafür sind die AutorInnen des Bandes schließlich kompetent. Ausführlich wird das Bemühen demonstriert, die in Frage stehenden Objekte mit dem Instrumentarium einer fast formelhaften Fachsprache möglichst exakt, "objektiv" zu beschreiben, was letzlich aber nur dann gelingt, wenn ein Bild, ein Haus, ein Gegenstand dem Laien auch im Foto gezeigt wird (denn was soll man sich etwa unter "Die Backstein-Plattenrustika an den etwas stumpf-steilen Eingangsrisaliten nur noch harte Reduktionsformen der traditionellen barocken Querrustika" (S. 160) vorstellen?). Fast immer nebulös bleiben aber ideologische Charakteristika, wohlgemerkt vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund. Zwar werden mit großer verbaler Geste immer wieder Verbindungen zur Weltanschauung jener Zeit unterstellt, doch kommt der Nachweis nicht zustande, da der konkrete Reflex auf die Kultur und Kulturpolitik während der nationalsozialistischen Herrschaft trotz vereinzelter Nennung von Namen oder Ereignissen meist zu kurz kommt.
Und hier liegt denn auch das Hauptdilemma des Bandes: überwiegend wird ahistorisch argumentiert, fehlt die konkrete Einbettung in die politischen Geschehnisse. Kunst in Schleswig-Holstein - war das wirklich eine "reine", schöpferische, ideologie- und politikfreie Betätigung, über die 1933 gnadenlos die Nazis herfielen? Dieser Eindruck wird nicht nur einmal, er wird fast durchgehend erweckt, allen voran von Bärbel Manitz, die einmal vom "traditionelle[n] deutsche[n] Gedankengut aus Kultur und Politik" spricht, "das sich die nationalsozialistische Propagandawalze aneignete, neuauflegte und schließlich durch Mißbrauch seiner historischen, unvoreingenommen Bewertung beraubte." (S. 128). Hierin zeigt sich ein Nicht-Verstehen der tatsächlichen ideologiegeschichtlichen Entwicklungen auch und gerade vor 1933.
Leider ist die Mitherausgeberin mit dieser Haltung nicht allein: niemand fragt systematisch und umfassend nach den konkreten Maßnahmen, mit denen die Nationalsozialisten den Bereich künstlerischer Produktion und des künstlerischen Marktes vereinnahmten bzw. teils erst schufen, mit neuen Gesetzen und Vorschriften regelten, durch
Zensur, Kontrolle, Beschlagnahme und Produktionsverbote lenkten, mittels Ämtervergabe, Ausschreibungen, dem Ausloben von Preisen oder gezielter öffentlicher Kauf- bzw. Ausstellungstätigkeit beeinflußten. Alles dies, der Zugriff der Politik auf die Kunst, wird nur vereinzelt, eher zufällig erwähnt (am ausführlichsten bei Jörn Barfod), aber nicht als wichtige Komponente der Zeitgeschichte verstanden. Und kaum ein Blick fällt auf die Rolle der Künstler im tatsächlichen Leben; sie treten fast nur in Gestalt ihrer Kunstwerke auf, in denen fleißig heruminterpretiert wird - die aktive politische Betätigung, die Kooperation mit "den Nazis" oder die Verweigerung, diese Aspekte finden viel zu wenig Beachtung (die Ausnahme bildet Elisabeth Vorderwülbeckes Aufsatz).
Und so treten die politische und die Kulturgeschichte nur selten hervor, jener Hintergrund, auf den die Diskussion der sich wandelnden Formen, Motive, Techniken doch projiziert werden müßte, wenn die hier präsentierten Ausführungen ein Beitrag zur Erhellung historischer Vorgänge und Zusammenhänge sein sollten. Aber alles bleibt seltsam ungeschichtlich, wird aus der engen Perspektive der kunstimmanenten Entwicklung, der Motiv- und Formentradition beschrieben, aber eben nicht im Zusammenhang mit der Tagespolitik analysiert. Man klebt am Konkreten, am Gegenstand; Geschichte zerfällt in zwei Phasen, die gute vor und die fragwürdige nach dem Machtantritt der NSDAP. Ideologiekritik scheint erst mit dem Stichjahr 1933 nötig: für alle früheren weltanschaulichen Implikationen in den erwähnten Kunstwerken erweisen sich einige AutorInnen des Bandes blind oder doch unsensibel.
Am problematischsten ist hier der einleitende Aufsatz der Herausgeberin. In scheinbar souveräner Weise zitiert sie Bilder schleswig-holsteinischer Künstler und bewegt sich in einem engen Geflecht von Stich- und Schlagworten. Vom "Nordischen" ist da die Rede, vom "Niederdeutschen", von "Heimatkunst", vom "Urgermanischen" und eben von der "Scholle". Gewiß alles Faktoren, die in einer solchen Überblicksdarstellung wichtig sind, nur erkennt Manitz nirgends deren eminent ideologischen Charakter; sie beschreibt diese Leitgedanken aus dem Verständnis damaliger, vor-nationalsozialistischer Zeit, nimmt für gegeben an, was unbedingt differenzierter Ideologie-Kritik bedürfte. Vieles davon, so ihre Meinung, sei gut und stark, und erst mit dem Schicksalsjahr 1933 geschah auf "irrationalistische und mythologisierende Weise" in der "Erfüllung 'neuer Weltanschauung'" die NS-ideologische 'Verseuchung' (S. 13).
An anderer Stelle spricht sie von "nationalsozialistisch kontaminierte[r] Kunst" (S. 30) oder auch wieder unkonkret-pauschalisierend vom "Zeitgewünschten" (S. 8 u. ö.). Welch merkwürdiges, welch naives und unpräzises Bild der historischen Vorgänge mag hier zugrundeliegen - es zählt doch zu den mittlerweile allgemein bekannten Grundtatsachen, daß "die" NS-Ideologie nicht erst mit dem Glockenschlag des 30. Januar 1933 wie ein Unheil über Deutschland kam, sondern schon weit länger in unterschiedlichsten Einzelelementen in den Köpfen präsent war, maßgeblich auch bei jenen, die Denkmuster wie das von Manitz angesprochene "Niederdeutsche", "Nordische", "Urgermanische" hervorbrachten
und einflußreich propagierten.
Und auch unter den schleswig-holsteinischen Künstlern gab es manche, die mit ihrer "heimatverbundenen", "niederdeutschen" Formensprache die Basis für das schufen, was später von der NSDAP eingesammelt, funktionalisiert, zur Maxime ausgegeben wurde. Aber wie sieht das in Manitz' Sicht aus? Sie meint, "die Kunst, gleich ob Malerei, Graphik, Plakatkunst, Plastik oder Architektur", sei "als massenwirksames Propagandamittel ideologisch beschlagnahmt", "in ihrer Botschaft sozusagen auf Gefolgschaftstreue zu den nationalsozialistischen Machthabern eingeschworen" worden (S. 13). Hier zeigt sich nicht nur ein seltsames Verständnis von der "Kunst an sich", die offenbar im politikfreien, nicht-gesellschaftlichen Raum gedeiht und erst nach dem Übergriff der Herrschenden ideologisch wird; hier offenbart sich dazu die zu enge Sicht, die auch den Künstler als ungeschichtliches Wesen versteht und übersieht, daß jegliche kulturelle Produktion stets eine Stellungnahme im politischen Diskurs der Zeit ist.
Besonders problematisch wird diese beschränkte Perspektive auf die kulturelle Vorgeschichte der norddeutschen Kunstproduktion, weil sich Bärbel Manitz bei ihren streckenweise undifferenzierten Ausführungen einer pathosgeladenen, weihevollen und zuweilen unerträglich schwülstigen Sprache bedient: naiv und unsensibel zugleich verschüttet sie ihre möglichen Ergebnisse unter Floskeln, fragwürdigen Wortgebilden, Präzisionsmangel: da ist die Rede von der "sittsam-haargeknotete[n] deutsche[n] Gebärmutter" (S. 14), von "'Heil-Sieg-Familie' auf nordischem Boden" (S. 34), von "postjugendstiliger Unschuld" (S. 39), von einer "schollen-nordischen Theorie" (S. 42) - was soll das heißen, oder elementarer: was soll das? Nicht selten handelt es sich dabei um verbales Herumgeeiere, das die mangelnde Sachkenntnis in historischen, ideen- und kulturgeschichtlichen Bezügen unfreiwillig nur noch deutlicher betont. Und manchmal werden Gedanken aus jener Zeit übernommen, ohne deren einseitig-ideologischer Charakter zu erkennen, etwa wenn Manitz von der "nervöse[n] Umtriebigkeit und Oberflächlichkeit des Lebens in den Städten" (S. 122) während der Weimarer Republik spricht - das ist sattsam bekannte konservative Abwertung der Moderne im Originalton.
Bärbel Manitz spricht selbst aus, wie problematisch die Beschäftigung mit dem Thema, mit der Kunst in "jenen politisch schwer überschatteten Jahren" (S. 135) für sie gewesen ist. Und fast entschuldigt sie den Erkenntnismangel ihrer Ausführungen, wenn sie sagt: "es ist schließlich nicht so einfach, einer regionalen Kunstszene ohne wirkliches Kunstzentrum unter schwierigen politischen Verhältnissen gerecht werden zu wollen, die aufgrund ihrer geographischen Lage, im Norden, und der agrarischen Struktur des Landes - Blut und Boden, Schollenmystik - prädestiniert gewesen zu sein scheint, rassistische und völkische und auch nationalistische - Stichwort: Nordschleswig - Denkraster aufzunehmen." (S. 18). Das mag vielleicht stimmen - nur daß solche ideologischen Elemente nicht nur von der "regionalen Kunstszene" aufgenommen, sondern auch sehr aktiv mit hervorgebracht wurden!
Als ernsthafter Beitrag zur Diskussion um die Rolle schleswig-holsteinischer
Kunst im Nationalsozialismus kann dieser Aufsatz jedoch nicht mehr angesehen werden, wenn man sein dubioses Fazit liest, in dem Manitz die "historische Verantwortung" anspricht: "möglicherweise", so ihre Vermutung, "gibt es - zumindest im künstlerischen Bereich - so etwas ähnliches wie eine 'Ungnade der zu frühen Geburt' für jene Künstlergeneration, die um 1880 bis 1900 geboren wurde." (S. 45) Diese These bedeutet in letzter Konsequenz nichts Geringeres als die Entmündigung der Künstler hinsichtlich ihrer politisch-ideologische Beiträge - mit solchen Phrasen wird die Verantwortung der historisch Handelnden endgültig aufgehoben, Geschichte entpersonalisiert, zum Schicksal mystifiziert.
Auch der Beitrag von Ute Beckmann läßt die politische Geschichte zwischen 1933 und 1945 unbeachtet oder streift sie allenfalls am Rande. Aber die Autorin erhebt nicht den Anspruch, eine umfassende Analyse leisten zu wollen, sondern konzentriert sich auf eine simple Kategorisierung der Bildhauerkunst besagten Zeitraumes; als positivistischer Aufriß des Materials mag es gelten.
Jörn Barfod weist eingangs ausdrücklich darauf hin, daß sein Abriß zum Kunsthandwerk nur als erste Skizzierung des Themas verstanden werden darf, nimmt aber bei der Beschreibung einzelner Gegenstände auch die Biographie der Künstler und die näheren Umstände der Produktion in den Blick; hier zeigt sich der bei Bärbel Manitz so sehr vermißte Ansatz umfassenderer Betrachtung.
Elisabeth Vorderwülbecke und Frank Trende sehen ihre Gegenstände - Hans Groß' "Altar der Arbeit" bzw. die Neulandhalle - im historisch-politischen Zusammenhang; man liest diese Aufsätze mit Gewinn, denn die darin präsentierten Erkenntnisse sind auch für kunsthistorische Laien mit allgemeinem Geschichtwissen verknüpfbar. Hans-Günther Andresens Darstellung ist zwar kenntnisreich; auch hier wären aber eine engere Einbeziehung der historischen Abläufe zusammen mit einer Beschränkung der schwer überschaubaren Beispielfülle und vor allem eine nüchternere Sprache im Interesse der Leser gewesen.
Neben der dargelegten Sachkritik bleibt ein letzter Aspekt anzusprechen. Der Band präsentiert im Anhang die Ergebnisse der Diskussion zur Frage "NS-Kunst ins Museum - wie?". Eine Antwort darauf gibt er jedoch nicht, was zu weiten Teilen daran liegt, daß alle AutorInnen wie auch die Teilnehmer der Diskussion mit einem nicht definierten Kunstbegriff argumentieren. Einigen geht es dabei zu sehr um die Qualität, andere schrecken vor dem politischen Gehalt der Objekte zurück oder wollen/können ihn nicht sehen. So undifferenziert läßt sich eine solche wichtige Diskussion natürlich nicht führen, denn es bedarf dazu schon der momentanen Einigung, wie der zu debattierende Gegenstand zumindest im Rahmen der gemeinsamen Diskussion verstanden werden soll. Und da wäre wohl ein definitorischer Zugriff von außerhalb der Kunsthistoriker-Szene sinnvoll, wie etwa jener aus der Kultursoziologie, der "Kunst" als ein Produkt versteht, das in einem spezifischen Raum von besonderen Kräften hergestellt, gehandelt und bewertet wird. Die Frage nach der Kunst im Nationalsozialismus könnte in dieser Perspektive
nicht nur den Objekten, sondern auch der Prozeßhaftigkeit des Kunstbetriebes unter immanenten wie gleichermaßen politisch-ideologischen Gesichtpunkten gerecht werden.
KuNSt ohne Museum - dieser Band ist ein zwar wohlgemeinter, aber letztendlich unzulänglicher Versuch, die künstlerische Produktion in Schleswig-Holstein während des "Dritten Reiches" näher zu untersuchen. Zwar wird nirgends das Ziel einer umfassenden "Aufarbeitung" genannt - die angesprochenen Mängel einiger der Beiträge ließen aber einen solchen Anspruch auch keinesfalls zu. Und so erweist sich der Untertitel in der darin enthaltenen einschränkenden Lesart als zutreffend: Beiträge zur Kunst liegen hier in der Tat vor, die nicht zuletzt wegen der dargebotenen Fülle von Einzelinformationen durchaus einer Beachtung wert sind - bleibt zu hoffen, daß die dadurch möglicherweise ausgelöste kontroverse Einschätzung die lange überfällige gründlichere Diskussion um das Zusammenwirken von Kunst und Politik in Schleswig-Holstein während des Nationalsozialismus endlich in Gang setzt.
Veröffentlicht in den Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte (Kiel) Heft 26 (November 1994) S. 104-109.
Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte Heft 26