Rechtzeitig zum "Superwahljahr" hat Jürgen W. Falter ein Taschenbuch veröffentlicht, das sich mit der Frage beschäftigt, aus welchen geographischen und sozialen Kontexten rechtsextreme Wähler/innen kommen, welche sozialen und psychischen Faktoren die Wahl beeinflußen und "ob es sich in erster Linie um ideologisch nicht motivierte Protest- oder um rechtsextremistisch eingestellte Überzeugungswähler handelt" (S. 8). Dazu hat Falter hauptsächlich auf die Auswertung von Umfrageergebnissen (u.a. Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen, Umfragen der Konrad- Adenauer-Stiftung zum rechtsextremen Weltbild) und offizielle Wahlstatistiken zurückgreifen lassen. "Zurückgreifen lassen" meint, daß Falter drei namentlich genannte Hilfskräfte hatte, die jedoch alle nicht auf dem Umschlag erscheinen, einer von ihnen aber wenigstens auf der Innenseite genannt wird. Das scheint im Wissenschaftsbetrieb so üblich zu sein...
In sieben Kapiteln erfährt die Leserschaft etwas "zur Biographie rechtsextremer Parteien in Deutschland" und zur "Demographie", "Wahlgeographie", "Soziographie" und "Psychographie" von Rechtswähler/innen. Im Kern stützt die Auswertung der Wahlforschung laut Falter die These von den "Modernisierungsverlierern", die besagt, daß objektive soziale Probleme zu subjektiven Deprivationsgefühlen führen, die wiederum
Politikverdrossenheit, politische Protesthaltung und rechtsextremistische Denkmuster fördern (was bei einer Minderheit der Betroffenen zu rechtsextremen Wahlentscheidungen führt). Wobei die Entscheidung für eine rechtsextreme Partei zwar häufig aus einem Protestmotiv heraus gefällt wird, die Wähler/innen in der Regel aber über ein rechtsradikales bzw. rechtextremes Weltbild verfügen. So gut wie niemand wählt rechtsextrem, ohne dieser Gesinnung zu sein!
In diesem Licht betrachtet, verwundert es nicht, daß entsprechende Parteien überdurchschnittlich von Menschen gewählt werden, die sich selbst als rechts einstufen, einen starken Nationalstolz haben und/oder eine massive Ablehnung bis hin zu Haß gegenüber Ausländern/innen hegen. Politische Entfremdung, private Isolierung sowie Angst vor dem sozialen Abstieg fördern mithin die rechtsextreme Wahlentscheidung. Überdurchschnittlich oft wählen diejenigen rechtsextrem, die sich für sozial benachteiligt halten, ein Gefühl der Bedrohtheit durch Ausländer/innen empfinden, sich von der Gesellschaft ungerecht behandelt fühlen und eine wirtschaftliche Verschlechterung erwarten.
"Zufriedene Rechtsextreme wählen hingegen die CDU oder SPD bzw. gehen nicht zur Wahl. (Der Anteil von Wähler/innen mit einer rechtsextremen Einstellung liegt hier zwischen 20% und 14%). "Am geringsten ist der Anteil von Personen mit rechtsradikalen Einstellungen bei FDP, PDS und Grünen." (S. 158). Nur am Rande sei hier vermerkt, daß unter der sehr kleinen Minderheit derjenigen, die sich nicht benachteiligt fühlen, nicht politikverdrossen sind, aber ein rechtsextremes Weltbild haben, 71 % CDU wählen.
Falter bestätigt, daß REP, DVU und NPD Männerparteien sind. Beim Altersprofil sind die Ergebnisse aber regional so unterschiedlich, daß weder von einer Jungwählerwelle noch von einer zwangsläufigen Unterstützung durch die über 45jährigen gesprochen werden kann. Deutliche Differenzen zeigt hingegen der Ost-West-Vergleich. Dies spiegelt sich auch im gesamtdeutschen Bild von der Stärke der sozialen Gruppen in der Wählerschaft wieder: "Bei dem idealtypischen Rechtswähler handelt es sich um einen verheirateten Mann über 45, der in einer Klein- oder Mittelstadt lebt, einer christlichen Kirche angehört, aber selten oder nie zur Kirche geht, Volks- oder Hauptschulabschluß besitzt, als Arbeiter oder einfacher Angestellter in einem festen Arbeitsverhältnis steht, sich (bisher) um seinen Arbeitsplatz nicht unmittelbar sorgt und weder selbst noch über ein anderes Mitglied seines Haushalts mit der Gewerkschaftsbewegung verbunden ist."
Aufgrund des Überhangs an Menschen in der westdeutschen Bevölkerung ist dies gleichzeitig fast auch der idealtyische westdeutsche rechtsextreme Wähler. "Der ostdeutsche Idealtypus des Rechtswählers weicht davon deutlich ab. Bei ihm handelt es sich um einen jüngeren, alleine lebenden Mann aus einer eher kleinen Gemeinde, der einen mittleren Schulabschluß aufzuweisen hat, Arbeiter, und zwar öfter Facharbeiter als an- oder ungelernter Arbeiter ist, der seinen Arbeitsplatz häufiger als sein westdeutsches Pendant als gefährdet ansieht, im Gegensatz zu diesem keiner Konfession angehört und außerdem, wie sein Gegenpart aus den alten Bundesländern, kein Gewerkschaftsmitglied ist." (S. 105f.).
Kirchenverbundenheit, tiefe Religiosität sowie eine starke Verbundenheit mit der Gewerkschaft sind hingegen immunisierende Faktoren. Dabei ist aber zu beachten, daß sich dies nur auf der Verhaltensebene auswirkt. Unter denselben Menschen, die deshalb nicht rechtsextrem wählen, denken einige ohne weiteres rechtsextrem...
Am interessantesten ist das Buch an den Stellen, wo Falter (bewußt?) bestimmte Ergebnisse ausblendet oder bagatellisiert, die nicht so eindeutig ins Bild der "Modernisierungsverlierer"-These passen. So kann man aus seinen Ergebnissen auch Hinweise darauf entnehmen, daß die von Held und anderen aufgestellte These vom "Wohlstandschauvinismus" ebenfalls stimmig ist. Diese besagt u. a., daß nicht nur die "Modernisierungsverlierer" rechtsextrem wählen, sondern auch ein Teil derjenigen, die sich nicht benachteiligt fühlen, über ein gutes Einkommen verfügen u.ä.m.
So reicht beispielsweise bei immerhin 12% eine starke Ablehnung von Ausländern - gekoppelt mit einem Protestmotiv - aus, um zu einer rechtsextremen Wahlentscheidung zu gelangen. Die beiden anderen unterstützenden Faktoren, die die Ergebnisse auf 11 - 30% ansteigen lassen (rechte Einstellung, soziale und wirtschaftliche Benachteiligung), spielen also nicht für alle eine Rolle. Hierzu paßt ebenfalls, daß es nicht wenige rechtsextreme Wähler/innen mit einem relativ hohen Einkommen (3.000 - 4.000 DM netto) gibt und sich kein eindeutiger Zusammenhang zwischen Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit und rechtsextremen Wahlsiegern herstellen läßt. Falter kann ebenfalls keinen Zusammenhang zwischen der eher anonymen Großstadt und der Neigung zu rechtsextremem Wahlverhalten herstellen.
Auch so irritierende Ergebnisse wie jenes, daß ostdeutsche Hausfrauen mit einem hohen Bildungsabschluß zu 9% rechtsextrem wählen, läßt Falter außer acht, obwohl doch ansonsten eine niedrige Schulbildung zum Bild der rechtsextremen Wählerschaft zu gehören scheint. Ebensowenig geht er darauf ein, warum ostdeutsche Frauen, die ihren Arbeitsplatz gefährdet sehen und über eine niedrige Schulbildung verfügen, nur zu 2% rechtsextrem wählen, während dies bei Männern (Ost/West: 17/12 %) und westdeutschen Frauen (12%) zu deutlich überdurchschnittlichen Werten führt.
Dies mag genügen, um anzudeuten, daß Falter nicht genau genug alle Ergebnisse auswertet und daß es Phänomene gibt, die die These vom "Wohlstandschauvinismus" stützen.
Sehr problematisch sind die praktisch-politischen Konsequenzen, die Falter vorschlägt: "Durch weltanschauliche Umarmung oder Anpassung sind die Wähler der rechten Flügelparteien angesichts ihrer festgefügten Weltanschauung wohl kaum zurückzugewinnen. Eher schon erscheint der Versuch erfolgversprechend, gegen den zweiten Faktor, die aus Politikverdrossenheit und dem Gefühl sozialer und wirtschaftlicher Benachteiligung gespeiste politische Protesthaltung anzugehen." (S. 158). Falter will also die unzufriedenen zu "zufriedenen" Rechtsextremen machen, damit deren Wahlentscheidung anders ausfällt als bisher...
Als Mittel hierzu schlägt er den Parteien den Nachweis von politischer Handlungsfähigkeit, die Reform verkrusteter Organisationsstrukturen, die Herstellung von größerer politischer Mitbestim-
mung und ihren Rückzug aus dem vorpolitischen Raum (sprich: Entfilzung) vor - Forderungen, die unabhängig vom Rechtsextremismus aufgestellt werden können.
Fazit: Das Buch gibt jedem und jeder Rüstzeug für die zwangsläufige Debatte darum, wie mit der Wählerschaft der rechtsextremen Parteien umgegangen werden sollte. Eben nicht mit einem "Schmusekurs", wie ihn gerade die Volksparteien immer wieder fordern, um diese Wählerschaft nicht zu verprellen, sondern mit klarer Bekämpfung und Ächtung seitens aller antifaschistischen Demokraten. Wer wählt rechts? kann als lohnenswerte Lektüre für alle diejenigen gelten, die sich mit dem Thema beschäftigen, auch und gerade wegen der uneindeutigen Ergebnisse, die es für die aufmerksame Leserschaft bereithält.
Veröffentlicht in den Informationen der Schlewig-Holsteinischen Zeitgeschichte (Kiel) Heft 27 (Juli 1995) S. 78-81.
Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte Heft 27