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Heidemarie Kugler-Weiemann, Jan Kalsow, Martin Harnisch

Stefan Romey: Ein KZ in Wandsbek. Zwangsarbeit im Hamburger Drägerwerk

Hamburg: VSA-Verlag 1994, 151 S.

In diesem Buch, gefördert von der Hansestadt Hamburg und den Drägerwerken AG in Lübeck, berichtet Stefan Romey über das Außenlager Drägerwerk des KZ Neuengamme. Der Betriebsteil Wandsbek des in Lübeck ansässigen Drägerwerks wurde 1944 zum Außenlager des KZ Neuengamme mit über 500 weiblichen Häftlingen, die hier zur Steigerung der Gasmaskenproduktion eingesetzt wurden.

Das Buch beginnt mit einer Kurzdarstellung des KZ-Systems, beschreibt die Vorgeschichte des KZ-Außenlagers Drägerwerk, das Leben und die Arbeit im Lager in vielen Aspekten, und versucht auch - fast 50 Jahre danach - darzustellen, was nach der Befreiung aus den ehemaligen Häftlingen und ihren Peinigern wurde.

Wer allerdings das Buch kauft, um etwas über die Verantwortung der heutigen Drägerwerke AG und ihres verstorbenen Besitzers Heinrich Dräger zu erfahren, wird enttäuscht: Bereits in den Vorbemerkungen wird der Blickwinkel des Verfassers auf die Drägerwerke deutlich: "Gerade die Gespräche mit Dr. Welf Böttcher, dem Pressesprecher der Dräger-Werke AG in Lübeck, und seine Anstrengungen, über die Befragung ehemaliger Betriebsangehöriger die Geschichte des Werkes in der NS-Zeit zu erhellen, haben dazu beigetragen, ein möglichst detailliertes und umfassendes Bild der Lebens- und Arbeitsbedingungen im Wandsbeker KZ-Außenlager zu zeichnen. Die Dräger-Werke AG hat diese Arbeit auch finanziell gefördert und wünscht Nachahmung mit der Maßgabe [sic!], eine Basis für eine offene Diskussion über Vorgänge in der NS-Zeit zu schaffen." (S. 9f.)

Die dem Unternehmen entgegengebrachte Dankbarkeit beruht nicht etwa auf wertvollen Einblicken ins Firmenarchiv, denn "Firmenunterlagen (waren) nicht einsehbar" (S. 142, Anm. 55), "Unterlagen des Drägerwerks [...] lagen nur bruchstückhaft vor" (S. 7), soweit sie 1981 auf einen Aufruf des Dokumentenhauses Neuengamme hin zur


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Verfügung gestellt wurden. Zu letzteren gehörten offensichtlich drei in Faksimile wiedergegebene Aktenstücke, die dem Drägerwerk vermutlich geeignet schienen, die Rolle des damaligen, inzwischen verstorbenen Firmenchefs Heinrich Dräger (H.D.) in günstigem Licht erscheinen zu lassen:

a) eine Aktennotiz von Heinrich Dräger über ein Telefongespräch mit dem KZ Oranienburg am 28. Febebruar 1944, bei dem H.D. die Zuweisung von 1500 KZ-Häftlingen für die Volksgasmaskenfertigung in Lübeck angekündigt wurde, er jedoch auf die mangelnde Einsatzmöglichkeit hinwies, da die Fertigung der VG aus Lübeck verlagert war. (S. 40) Dabei bleibt unklar, welcher Zweck mit der Vorlage dieser Aktennotiz verfolgt wird. Sie kann nicht belegen, daß die Drägerwerke gegen den Einsatz von KZ-Häftlingen in Wandsbek waren. Denn wie Romey unmittelbar darauf feststellt, wurde vom Drägerwerk in Wandsbek bereits zwei Wochen später der Bau der Baracken für die KZ-Häftlinge und die SS-Aufseherinnen sowie eine Stacheldrahtumzäunung beantragt. (S. 42f.)

b) ein Persilschein des Wandsbeker Betriebsleiters der Drägerwerke, Herdemann, für H.D. vom 14. August 1945 (S.107). "Sehr geehrter Herr Doktor Dräger! Sie veranlaßten gelegentlich der Einrichtung eines Arbeitslagers im Dräger-Gummiwerk in Hamburg, eine den damaligen Vorschriften durch Gewährung besonders günstiger Bedingungen entgegenstehende bessere Behandlung der in den von mir geleiteten Werkstätten beschäftigten weiblichen KZ-Häftlinge. Dieselben haben mir für die ihnen im Dräger-Gummiwerk zuteil gewordene gute Behandlung ein Dankschreiben geschickt, welches ich als Anlage beifüge. Hochachtungsvoll Herdemann". Dazu stellt Romey fest: "Nach den vorliegenden Berichten ehemaliger Häftlinge ist es eher unwahrscheinlich, daß es im Wandsbeker Aussenlager im Vergleich zu anderen Aussenlagern eine generelle, noch eine auf die Volksgruppe der Sloweninnen beschränkte 'Gewährung besonders günstiger Bedingungen' im Hinblick auf Verpflegung, Arbeitszeit, Arbeitskleidung, Schutzvorschriften usw. tatsächlich gegeben hat." (S. 105f.)

c) In dem erwähnten handschriftlichen Dankschreiben wird Herdemann auf dessen Wunsch nur in allgemeinen Worten "für Ihre [des H.] Liebenswürdigkeit" gedankt. "Nun, da wir endlich wieder freie Menschen wurden, denken wir oft daran, daß Sie uns gegen den Sadismus und die Grausamkeit der SS-Aufseherinnen beistanden." (S. 106)

Wie das Drägerwerk, ohne selbst freie Akteneinsicht zu gewähren, unkommentiert als Gewährsträger für "offene Diskussion über Vorgänge in der NS-Zeit" zitiert werden kann, bleibt ebenso unverständlich wie der Wert einer Befragung ehemaliger Betriebsangehöriger von seiten des Pressesprechers. Diese Befragung wurde weder von einem unabhängigen Außenstehenden durchgeführt, noch enthält das Literaturverzeichnis Hinweise, wo die Ergebnisse eingesehen werden können.

Die von Stefan Romey empfundene Dankbarkeit gegenüber den Drägerwerken verhindert offensichtlich, daß die Frage nach der Verstrickung Heinrich Drägers und der Drägerwerke in die Entstehungsbedingungen des Außenlagers und die bleibende Verantwortung gegenüber den Häftlingen klar formu-


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liert wird. Eher beiläufig (S. 32) erfährt der Leser, daß H.D. bereits 1932 die Schrift "Arbeitsbeschaffung durch produktive Kreditschöpfung" ausgerechnet als Heft 41 der "Nationalsozialistischen Bibliothek" veröffentlicht hat, als wäre es für einen deutschen Unternehmer 1932 das natürlichste auf der Welt gewesen, seine Ideen zur Wirtschaftsbelebung in einer solchen Reihe zu publizieren.

Ebenso beiläufig wird erwähnt, wie der Betriebsteil Wandsbek zum Drägerkonzern kam: "Einerseits aus Kapazitätsgründen, andererseits aus Gründen einer 'drohenden Luftgefahr' [Hervorhebung im Original] wurde vor allem die Massenfertigung in Zweigwerke abgegeben... Noch vor Kriegsbeginn wurden Betriebe wie die Skara-Gummiwerke in Hamburg-Wandsbek von den jüdischen Vorbesitzern 1937 übernommen." Darunter befindet sich unkommentiert als Illustration ein Ausriß aus einem Flugblatt der NSDAP: "Der Jude als Mittel zur Ausbeutung anderer Völker" - "Welche jüdischen Unternehmen bestehen in Wandsbek?" wird dort gefragt und u.a. die Skara-Gummiwerke GmbH, Ahrensburger Str. 158 (Adresse des KZ Wandsbek), aufgelistet. (S. 32) Der Gedanke, daß es sich bei der "Übernahme" offensichtlich um die damals übliche Arisierung handelte, scheint dem Verfasser fremd zu sein; für ihn waren es eben "Kapazitätsgründe".

Unklar bleibt die Rolle der Neumann-Reichard-Werke, ebenfalls in Hamburg-Wandsbek unter der Regie der Dräger-Werke; es ist lediglich zu erfahren, daß dort eine Montageabteilung eingerichtet wurde (S. 33). Eine klarere Darstellung der Zusammenhänge sowie die Aufarbeitung der Geschichte auch dieses Werksteils wäre wünschenswert.

Der Verfasser thematisiert im Untertitel zwar die "Zwangsarbeit im Hamburger Drägerwerk", beschränkt sich dann aber auf die KZ-Häftlinge im letzten Jahr vor Kriegsende, obwohl erwähnt wird, daß schon ab 1941 "auch zwangsverpflichtete Polinnen in den beiden [!] Wandsbeker Werken beschäftigt (wurden). Ab Juni 1942 kamen knapp 1000 'Ostarbeiter' hinzu." (S. 34). Über deren Schicksal wird im vorliegenden Buch nicht berichtet.

Widersprüchlich ist auch das Kapitel über die Menschenversuche an weiblichen Drägerhäftlingen noch kurz vor Kriegsende. (S. 78ff.) Stefan Romey meint, "offensichtlich sollten die Versuche vor allem Antwort auf die Frage geben, wielange Menschen in einem gasdichten Luftschutzraum ohne Belüftungsanlage verbringen können." Anschließend zitiert er den früheren Drägermitarbeiter Dr. Knapp; ihm schien "nicht einsehbar, daß dieses technisch überhaupt notwendig war". Hier wäre wichtig zu erfahren, wer die Versuche veranlaßt und verantwortet hat - was wahrscheinlich ohne größere Kooperation seitens des Drägerwerks heute nicht mehr zu beantworten ist. Unerklärt bleibt die Unschuldsvermutung von Romey, wenn er schreibt, "unklar ist, ob es im Zusammenhang mit den Auswirkungen der Bunkerversuche auch zu medizinischen Eingriffen gekommen ist. Vermutlich sind die von den Häftlingen geschilderten schmerzhaften Einspritzungen in die Brust, die zu Kopfschmerzen, Schwindel, Fieber und eitrigen Schwellungen führten, in Zusammenhang mit einer zeitgleich aufgetretenen Infektionskrankheit (Typhus?) zu sehen."

Der Hauptmangel der Schrift ist je-


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doch das Versäumnis, überhaupt die Frage nach der Rolle der wirtschaftlichen Nutznießer unmißverständlich zu stellen. Dabei liegt die Verbindung zwischen unternehmerischem Gewinninteresse und Rüstungsproduktion bei Dräger auf der Hand. Hatte das Unternehmen bereits im 1. Weltkrieg erst mit seinen Produkten den ersten Gaskrieg der Geschichte ermöglicht, wurde später in der Vorbereitung ganz Deutschlands auf den kommenden Gaskrieg die Zukunft des Unternehmens gesehen. Zu diesem Zweck hatte auch H.D. seine "Stadt der Zukunft" entworfen, mit deren Bau er in ganz Deutschland "Arbeitsbeschaffung durch produktive Kreditschöpfung" betreiben wollte. Der Anstieg von etwa 250 Beschäftigten im Jahre 1933 auf ca. 5200 bei Kriegsende, davon ein Drittel ausländischer Herkunft (S. 34), war der entscheidende Schritt zur heutigen Bedeutung des Drägerwerks als größtem privatem Arbeitgeber in Schleswig-Holstein. Die Gewinne aus der Rüstungsproduktion auch unter Verwendung billiger Zwangsarbeiter und von KZ-Häftlingen finanzierten den Aufbau eines Unternehmens, das - kaum im Krieg beschädigt - bald wieder zum Aufbau des "Wirtschaftswunders" benötigt wurde.

In Lübeck wurde Heinrich Dräger 1982 zum Ehrenbürger ernannt, 1995 soll eine Straße nach ihm benannt werden. Daß auch heute noch das Drägerwerk nicht bereit ist, Entschädigungen an ehemalige Häftlinge zu zahlen, wird von Romey zwar festgestellt, sogleich aber beschönigt: "Seit einigen Jahren hat es jedoch die historische Forschung zu diesem Thema unterstützt und hat Kosten für Fahrt und Aufenthalt ehemaliger Häftlinge übernommen, die noch einmal an die Stätte ihres und ihrer Kameradinnen Leid zum Gedenken zurückzukehren wünschten."

Das sollte zuwenig sein! Dem Drägerwerk ist so ohne Eingeständnis seiner Schuld, ohne Wiedergutmachung, mit relativ geringem finanziellem Aufwand gelungen, sich als beispielhaft darzustellen. Eine Spende an das Dokumentenhaus in Neuengamme, die Einladung an ehemalige Gefangene, die finanzielle Unterstützung dieses Buches genügen dem Autor, die Forderung nach Wiedergutmachung sowie Öffnung der Firmenarchive nicht mehr zu erheben.


Veröffentlicht in den Informationen der Schlewig-Holsteinischen Zeitgeschichte (Kiel) Heft 27 (Juli 1995) S. 81-84.


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