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Frank Omland

Ian Buruma: Erbschaft der Schuld. Vergangenheitsbewältigung in Deutschland und Japan.

München/Wien: Carl Hanser Verlag 1994. 404 S.

Auf knapp 400 Seiten versucht der Autor, eine Antwort darauf zu geben, wie die Japaner und Deutschen nach 1945 mit ihrer Vergangenheit umgingen. Zu diesem Zweck nimmt er mehrere Blickwinkel ein: Welche Situation herrschte in den Ländern während des Golfkrieges? (Stichwort: Pazifismus/Militarismus) Wie gehen sie mit dem Gedenken/Erinnern/ Erforschen um? Was steht in Schulbüchern, und was passierte in Prozessen gegen Kriegsverbrecher?

Diese vergleichende (aber nicht gleichsetzende) Perspektive führt zu einigen interessanten Thesen des Autors, wobei er deutlich die Unterschiede in den Regimen hervorhebt (bspw. NS-Diktatur vs. militarisierten Kaiserkult, Absetzung der NS-Führung nach 1945 vs. Aufrechterhaltung des Kaisertums u.ä.m.) und trotzdem manche Ähnlichkeiten in der "Strategie" der Vergangenheits"bewältigung" konstatieren kann.

Eingangs geht Buruma auf den für ihn grundsätzlichen Unterschied in der Vergangenheits"bewältigung" der beiden Länder ein: "Ich verbrachte einen großen Teil der siebziger und achtziger Jahre in Japan und Südostasien, [...] ich war neugierig zu erfahren, wie die Japaner den Krieg sahen, wie sie sich daran erinnerten [...] Man erinnerte sich kaum an die Behandlung der westlichen Kriegsgefangenen [...] Aber die Leiden der Japaner in China, in der Mandschurei, auf den Philippinen und besonders in Hiroshima und Nagasaki hatte man in lebhafter Erinnerung, desgleichen die Gefangenschaft japanischer Soldaten in Sibirien nach dem Krieg." (S. 14)

Und über Deutschland schreibt er: "An den Krieg in Deutschland erinnerte man nicht nur im Fernsehen, in Rundfunksendungen, Gemeindehallen, Schulen und Museen, sondern man setzte sich auch aktiv bis ins letzte damit auseinander und übte sich im Erinnern. Manchmal, und besonders in Berlin, konnte man den Eindruck gewinnen, als sei das deutsche Gedächtnis eine riesige Zunge, die rastlos nach einem schmerzenden Zahn tastet." (S. 15f.).

Für Japan konstatiert der Autor, daß hier keine klare Trennung zwischen dem System vor und nach 1945 stattgefunden hat (Stichwort: Kontinuität des Kaiserreichs) und im Gegensatz zu Deutschland politische Veränderungen vermehrt von Außen (durch die Amerikaner) durchgesetzt wurden. So nennt er als Beispiel, daß die japanische Verfassung von den US-Amerikanern geschrieben wurde, die bundesdeutsche hingegen durch den parlamentarischen Rat.

Für die japanische Gesellschaft benennt Buruma zudem ein weiteres Grunddilemma: Die Widersprüchlichkeit der amerikanischen Besatzungspolitik - zuerst die Durchsetzung des Verzichts auf Kriegsführung in der japanischen Verfassung, später dann die Durchsetzung der Wiederaufrüstung im Kalten Krieg - habe die Unfähigkeit der Japaner zur Aufarbeitung ihrer Vergangenheit erst ausgelöst:


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"Kameis Falken (Die Rechten) sind zornig auf die Amerikaner, weil sie Japan in ihren Augen kastriert haben; Odas Tauben (die Pazifisten) verwünschen die Amerikaner dafür, daß sie die 'Friedensverfassung' kastriert haben. Beide Seiten hassen es, zur Mittäterschaft gezwungen zu sein, und beide fühlen sich als Opfer. Das ist der Grund, warum es den Japanern soviel schwerer fällt als den Deutschen, ihre Kriegsvergangenheit aufzuarbeiten." (S. 62f.)

Solche Positionen Burumas regen zum Nachdenken an und zum konstruktiven Streit. Für einen Teil der kritischen deutschen Leserschaft regt sich mit Sicherheit auch Widerspruch, wenn Buruma sehr kritisch mit dem Gedenkstätten-Konzept von Buchenwald zu DDR-Zeiten umgeht (S. 267ff.) oder an anderer Stelle die deutsche Seite scheinbar wieder sehr gut wegkommt: "Anders als die Deutschen, die immer wieder ermahnt werden, den Nationalsozialismus und den Holocaust nicht zu vergessen, denken junge Japaner an Hiroshima und Nagasaki - vielleicht auch an Nanking, aber nur dann, wenn sie von liberalen Lehrern und Journalisten dazu angehalten werden. An den Krieg in Südostasien denkt kaum jemand." (S. 86)

Im Großen und Ganzen kommt Buruma zu interessanten Ergebnissen: So kritisiert er u. a. die religiöse Mystifizierung von Auschwitz und Hiroshima, die seiner Meinung nach die Reflexion über das Geschehene stark beeinträchtigt: "Der Geist von Hiroshima hat tatsächlich mit der Geschichte des Kriegs, ja mit Geschichte überhaupt, so gut wie nichts zu tun. Deswegen wird von offizieller Seite allein der Vergleich mit Auschwitz geduldet. Alles andere ist zu kontrovers, zu sehr in den 'Fluß der Geschichte' eingebettet." (S. 141). Und an anderer Stelle: "Man kann den Holocaust mit künstlerischen Mitteln, mit Zermonien oder mit Analyse und Diskurs gedenken, aber man kann nicht alles zur gleichen Zeit oder am gleichen Ort tun. [...] Erinnerungen können religiöser oder weltlicher Natur sein. Beides sind gültige Formen. Aber man muß beide auseinanderhalten. Den Deutschen ist es kaum besser gelungen als den Japanern, hier eine Vermengung zu vermeiden. Der religiöse Geist geht in beiden Ländern wohl noch gleich stark um." (S. 301). Buruma fordert deshalb eine klarere Trennung von Mahnmal und Museum, als sie derzeit üblich ist.

Ian Buruma hat ein Buch geschrieben, das durch seine Außensicht gerade für Japaner und Deutsche interessant ist und - da es virulente Fragen berührt - für manche Diskussionen sorgen wird, die endlich mal wieder fernab von ausgetretenen Pfaden verlaufen könnten.


Veröffentlicht in den Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte (Kiel) Heft 28 (Dezember 1995) S. 78-79.


Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte Heft 28

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