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Bettina Kray

Frank Bajohr/Joachim Szodrzynski (Hg.): Hamburg in der NS-Zeit. Ergebnisse neuerer Forschungen, hrsg. von der Forschungsstelle für die Geschichte des Nationalsozialismus in Hamburg.

Hamburg: Ergebnisse Verlag 1995 (= Forum Zeitgeschichte Band 5). 312 S.

In der Reihe Forum Zeitgeschichte ist mit dem fünften Band eine Aufsatzsammlung zur Geschichte Hamburgs im Nationalsozialismus erschienen, die bisher eher wenig erforschte Bereiche aufgreift. Entstanden ist sie als Ergebnis einer Vorlesungsreihe an der Universität Hamburg im Wintersemester 1993/94. Hierin ist auch die thematische Spannweite der zehn Beiträge begründet, die sich aus ganz verschiedenen Perspektiven mit einzelnen Aspekten der Geschichte Hamburgs im Nationalsozialismus befassen.

In der Einleitung legen die Herausgeber Bajohr und Szodrzynski Ziel und Ansatz des Bandes dar. Die einzelnen Aufsätze sind trotz ihrer Verschiedenheit durch zwei Entwicklungstrends verbunden: sie setzen an Defiziten der empirischen Forschung an, die auch in zentralen Bereichen der Forschung zur Geschichte Hamburgs im Nationalsozialismus noch bestehen, und sie zeigen eine stärkere Historisierung der NS-Geschichte, womit gemeint ist, daß im Laufe der Zeit in der Erforschung der Geschichte des Nationalsozialismus eine analytisch und empirisch fundierte Geschichtswissenschaft - frei von politischen Motivationen - an Bedeutung gewonnen hat. Dies und die breite Streuung der Themen ist dann auch der Verdienst des Bandes.

Essentielle Bereiche der Geschichte Hamburgs im Nationalsozialismus werden sachlich und informativ dargestellt, so daß ein Verstehen auch ohne spezielle Vorkenntnisse gut möglich ist; gleichzeitig erfolgen aber weitergehende Hinweise. Gezielt gehen die Herausgeber noch einmal auf die These des sogenannten liberalen Sonderweges Hamburgs in der Zeit des Nationalsozialismus ein, die lange Zeit bewußt und vielleicht noch länger


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unbewußt die Rückblicke auf die Stadtgeschichte bestimmte, deren Legendencharakter mittlerweile jedoch nicht mehr in Frage gestellt werden kann. "Das Trugbild einer dem Nationalsozialismus entgegengesetzten Hamburger Tradition ersparte einerseits die kritische Selbstbesinnung und ermöglichte andererseits die geräuschlose (Wieder-)Aneignung des politischen Liberalismus insbesondere in den traditionellen Hamburger Führungsschichten."

Das aus dieser Legende entstehende Bild des Nationalsozialismus in Hamburg wird in den einzelnen Aufsätzen schnell korrigiert. Dieser Hinweis im Vorwort ist ein Plädoyer für einen wissenschaftlichen Umgang mit der Geschichte des Nationalsozialismus, der frei ist von vorher schon feststehenden Zielen und Ergebnissen.

Der Umgang mit Geschichte und das Verständnis der eigenen Rolle als Historiker ist dann auch Thema des ersten Aufsatzes. Joist Grolle setzt sich mit dem Hamburger Historiker Heinrich Reincke auseinander. Im Mittelpunkt steht die "Verfügbarkeit" der Person des Historikers in Abhängig von den zeitgeschichtlichen Anforderungen.

Karl Kaufmann - der "Führer" Hamburgs - ist Gegenstand der Forschungen Frank Bajohrs. Person und Tätigkeit Kaufmanns werden dargestellt und an dessen Karriere und Weltanschauung schlüssig gezeigt, wie wenig sich der Mythos des liberalen Sonderweges der Stadt mit Kaufmanns Zielen und Handeln in Übereinstimmung bringen läßt.

Ein weiterer hoher Funktionär des NS-Regimes - der Hamburger Gestapochef Bruno Streckenbach - steht im Blickpunkt des Aufsatzes von Michael Wildt. Die Rekonstruktion von Streckenbachs Lebenslauf zeigt dessen Beteiligung an der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik, die weit über seine Tätigkeit in Hamburg hinausging.

Einer zahlenmäßig eher kleinen Verfolgtengruppe wendet sich Beate Meyer in ihrem Aufsatz über die sogenannten "Halbjuden" in Hamburg zu. Die Auswertung lebensgeschichtlicher Interviews mit Betroffenen zeigt besonders die psychologische Situation der als "Halbjuden" bezeichneten Menschen auf eindringliche Weise und ist so eine wichtige Ergänzung der klassischen Forschungsarbeit.

Das Schicksal von Roma und Sinti im nationalsozialistischen Hamburg greift Michael Zimmermanns in seiner exemplarischen Untersuchung eines Transportes von 2330 Sinti und Roma - viele von ihnen aus Hamburg - nach Polen im Frühjahr 1940 heraus. Wildt zeigt daran Strukturen und Mechanismen nationalsozialistischer "Zigeunerpolitik".

Friederike Littmann analysiert die Bedeutung ausländischer Zwangsarbeiter für die Kriegswirtschaft Hamburgs und macht dabei die ambivalente Haltung der NS-Führung einerseits und der Industrie andererseits deutlich. Der rassistischen Ideologie stand die wachsende Bedeutung der Ausländerbeschäftigung für die Hamburger Wirtschaft gegenüber.

Die Entwicklung von NSBO zur DAF untersucht Tobias Mulot. Das eigentliche Ziel des nationalsozialistischen Regimes, durch die Schaffung einer "Volksgemeinschaft" - für die die DAF ein Zeichen sein sollte - den Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit aufzulösen scheiterte. Auch die DAF konnte den von ihr erwarteten Beitrag hierzu nicht leisten.

Uwe Lohalm befaßt sich mit der Fürsorgepolitik und dem öffentlichen Um-


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gang mit Armut in Hamburg während der Zeit von 1933 - 39. Die in den ersten Jahren nach 1933 noch sichtbare Kontinuität im Bereich der hamburgischen Fürsorgepolitik zeigt sehr deutlich die fehlende wohlfahrtspolitische Gesamtkonzeption des NS-Regimes. Dennoch gelang es immer mehr, die Fürsorgepolitik für die Verwirklichung der Ziele des Nationalsozialismus zu nutzen. Nicht mehr der einzelne Mensch sondern die "völkische Leistungsgemeinschaft" stand im Mittelpunkt der öffentlichen Fürsorge. Präzise wurden Kriterien wie soziale Wertigkeit z.B. im Bereich des Arbeitsmarktes und biologische Wertigkeit bestimmt, um die "völkische Leistungsgemeinschaft" zu stärken. Gezielt wurden "wertvolle" Personen gefördert, um die wirtschaftliche Leistungskraft und die rassische Gesundheit des Volkes zu sichern, ebenso gezielt wurden "minderwertige" Menschen marginalisiert. Der ehemals geltende Ansatz an der Hilfsbedürftigkeit des einzelnen verschwand.

Lohalm beschreibt die öffentliche Fürsorge in Hamburg in der Zeit von 1933 - 39 aus verschiedenen Perspektiven. Gerade diese kurzen Einblicke in Bereiche wie Verwaltung, Lebenssituationen der Hilfsbedürftigen, Arbeitsfürsorge und Durchführung von Zwangssterilisationen machen besonders darauf aufmerksam, daß hier noch wesentlich mehr Wissen nötig wäre, um einen Gesamtüberblick zu erhalten. Lohalms Verdienst ist es jedoch, schon einen Schritt in diese Richtung getan zu haben.

Mit einem ganz persönlichen Bericht, einer biographischen Skizze über den Lehrer Jürgen Schmidt und seine Zeit als Lehrer in Hamburg während des Nationalsozialismus, ermöglicht Reiner Lehberger einen bewußt subjektiven Eindruck von der Situation der Schulen im nationalsozialistischen Hamburg. Das individuelle Beispiel zeigt die verschiedensten "Grauzonen", die zwischen den im nationalsozialistischen Sinne organisierten Lehrerinnen und Lehrern und den ausgegrenzten Kolleginnen und Kollegen zu finden waren und ihre große Bedeutung im Schulalltag während des Nationalsozialismus. Lehberger gelingt es überzeugend - nicht zuletzt durch die klare Gliederung des Aufsatzes - , die biographische Skizze des "Junglehrers" Jürgen Schmidt in den allgemeinen Forschungszusammenhang einzubeziehen.

Mit Hilfe der Erlebnisse eines Hamburger Lehrers während des Nationalsozialismus zeigt Lehberger anhand der Methode der "fallnahen Theoriebildung" das Nebeneinander von Distanz und Anpassung an das NS-Regime, die Möglichkeit, Kontinuität in der pädagogischen Arbeit zu wahren, die Personalpolitik der Nationalsozialisten und die Bedeutung des Nationalsozialistischen Lehrerbundes. Die noch in den 1960er Jahren gängige These einer "linientreuen Lehrerschaft" läßt sich heute nicht mehr aufrecht erhalten. Der Aufsatz Lehbergers macht sehr gut deutlich, wie historische Erkenntnisse durch gezielte alltags- und sozialgeschichtliche Forschung wertvoll ergänzt werden können.

Joachim Szodrzynski untersucht den Bedeutungswandel des Begriffes "Volksgemeinschaft" in Hamburg nach den verheerenden Bombenangriffen auf die Stadt im Sommer 1943. Anschaulich beschreibt der Autor den Wandel der Hamburgerinnen und Hamburger von "Herrenmenschen" zu einer notgedrungenen "Luftschutzgemeinschaft". Im Gegensatz zwischen dem ideologischen Anspruch des nationalsozialistischen Regimes und dem


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Druck des Alltags gewann Letzteres die Oberhand. Die Bevölkerung nahm das offensichtliche Scheitern des Regimes, die eigenen Ansprüche zu erfüllen, wohl zur Kenntnis, wandte sich aber nicht offen dagegen, sondern suchte den Rückzug ins Private.

Der vorliegende Sammelband bringt viel Licht in noch immer nicht erforschte Bereiche der Geschichte Hamburgs im Nationalsozialismus. Es ist schon erstaunlich festzustellen, welche zentralen Aspekte dieser Zeit für Hamburg erst in Anfängen erforscht sind. Gerade diese Defizite zeigen, wie nötig ein Ansatz wie der des vorliegenden Bandes ist. Die einzelnen Aufsätze stellen einen guten Einstieg in das jeweilige Thema dar, zeigen aber auch gleichzeitig, wieviele Fragen noch offen sind.


Veröffentlicht in den Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte (Kiel) Heft 28 (Dezember 1995) S. 82-85.


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