Untersuchungen zur Kulturpolitik im Nationalsozialismus haben fast ausschließlich die Ideologisierung von Produktions- bzw. Rezeptionsbedingungen in Literatur und Kunst, Musik oder Presse zum Gegenstand, daneben die ideologischen Veränderungen in Schule und Universität und am Rande auch in der Volkskunde. Doch erst das vorliegende Buch trägt zur Schließung einer Lücke bei, die bei näherem Hinsehen verwunderlich ist: der Umgang mit dem kulturellen "Erbe" in Form von "Altertümern", d.h. mit den baulichen Zeugnissen früherer Epochen mußte der veränderten Kulturpolitik ab 1933 ein willkommener Bereich gewesen sein, um ideologische Forderungen nach Schaffung einer wie auch immer ausgeprägten deutsch-arisch-nordischen Identität umzusetzen.
Thomas Scheck bettet seine Analyse des sich wandelnden Umganges der entsprechenden Denkmalschutzbehörden - in Schleswig-Holstein: des Provinzialkonservators - mit ihren Objekten in einen größeren institutionsgeschichtlichen Abriß zur Entwicklung der Denkmalpflege ein. Lange Zeit war in Preußen diese Arbeit - Inventarisierung und Instandsetzung bedeutsamer historischer Bausubstanz - durch mangelnde Finanzen und eine Rechtslage gehemmt, die Einwirkungen auf im Privatbesitz befindliche Bauten erschwerte. Auch vor 1933 erfolgte die Arbeit der Denkmalpflege in "vaterländischem" bzw. nationalem Geist. Allgemein läßt sich eine konservative Haltung beobachten.
Die im Rahmen der administrativen Gleichschaltung Schleswig-Holsteins erfolgenden Maßnahmen wirkten sich auch im Bereich der Denkmalpflege aus; die hierfür zuständige Kommission für Bildung und Heimatpflege wurde aufgelöst, jüdische oder "politisch unzuverlässige" Mitarbeiter des Denkmalamtes entlassen. Provinzialkonservator Ernst Sauermann sah sich mit neuen Vorgesetzten konfrontiert.
Am Beispiel der Denkmalpflege beschreibt Scheck, wie sowohl der Kampfbund für deutsche Kultur als auch der Reichsbund Volkstum und Heimat (RVH) Einfluß auf diesen Bereich der Kulturpolitik zu gewinnen trachteten. Gaukulturwart Friedrich Knolle übte als Leiter der NS-Kulturgemeinde (sie entstand Mitte 1934 aus dem Kampfbund) bei der Zentralisierung und ideologischen Gleichschaltung der Kulturpolitik großen Einfluß aus. Scheck rückt hier eine historische Figur aus dem schleswig-holsteinischen NS-Funktionärsapparat in den Blick, deren Handeln bislang kaum angemessen eingeschätzt werden kann; Knolle zeichnete sich weniger durch öffentlichkeitswirksame Aktivitäten aus, verfolgte aber zielstrebig seine persönliche Politik der Machtgewinnung. Anfangs mußte er sich noch um zentralere Bereiche des Kulturlebens kümmern, und der Landeskonservator Sauermann hielt sowohl vom Kampfbund als auch dem Reichsbund nur wenig. Doch unweigerlich war er ab 1934 mit der ganzen Machtfülle Knolles konfrontiert; es gelang ihm trotzdem, den Landesverein für Heimatschutz bis 1938 der politischen Kontrolle weitgehend zu entziehen. Das Bild von der vermeintlich reibungslosen und homogen verlaufenden kulturpolitischen Gleichschaltung des Landes Schleswig-Holstein gewinnt in der Darstellung dieser Auseinandersetzungen differenzierte Züge.
Thomas Scheck stellt die spezifisch schleswig-holsteinischen Entwicklungen auch in der Projektion auf die nationalen Verhältnisse dar. In einem weiteren Schritt untersucht er an konkreten Beispielen, welche Elemente der veränderten Denkmalpflege deutlich "nationalsozialistische" Prägung hatten. Der Umgang mit den verschiedenen Gegenstandsbereichen der Denkmalpflege - wie vor- und frühgeschichtlichen Objekten, Kirchenbauten und dem Erscheinungsbild der Dörfer - macht signifikant, wie hieran die forcierten ideologischen Ansprüche in unterschiedlichem Maße umgesetzt wurden.
Naheliegend war die Uminterpretaion archäologischer Funde und Erkenntnisse in Sinne der Ideologie; vereinzelt mischte sich die SS in einzelne Grabungsprojekte ein. In der Abgrenzung der Zuständigkeiten zur Denkmalpflege gab es offene Konflikte. In anderen Bereichen schien die Politisierung des Denkmalschutzes zu älteren Zielsetzungen zu passen. Altstadtsanierung stand unter der Prämisse der "Altstadtgesundung", die deutsche Heimat sollte "entschandelt" werden, und die Pflege des Erscheinungsbildes der Dörfer realisierte Konzepte von Ordnung und Sauberkeit.
Gleichwohl wäre es falsch, zu simpel von der generellen Ideologisierung der Denkmalpflege auszugehen. "Eine totale Durchdringung der fachlichen Arbeit mit nationalsozialistischen Prinzipien hat nicht stattgefunden. Viele Vorgänge waren auffällig unpolitisch und beweisen nur allzu deutlich die oftmals erschreckende Normalität und Alltäglichkeit wissenschaftlicher Tätigkeit im NS-Staat." (S. 201) Doch wie immer ist auch hier der Blck auf die Divergenzen produktiv.
Thomas Schecks Arbeit liefert wichtige Bausteine für eine noch zu schreibende Kulturgeschichte des Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein und zeigt, daß auch in bisher vernachlässigten Objektbereichen der historischen Forschung prägnante Erkennisse zu erzielen sind. Mit seiner ersten Skizzierung und Differenzierung der kulturpolitischen Gleichschaltung Schleswig-Holsteins gibt er der künftigen landeshistorischen Forschung eine notwendige Perspektive vor.
Im Anhang zu seinem Buch sind eine Reihe zentraler Dokumente abgdruckt; zudem ist es ausgiebig und vorzüglich bebildert.
Veröffentlicht in den Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte (Kiel) Heft 29 (Juni 1996) S. 71-72.
Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte Heft 29