"Es kommt alles viel zu spät jetzt", sagte mir die Zeitzeugin Annemarie Grundler aus Itzehoe in einem Gespräch. Und natürlich hatte sie recht. Ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende Spuren jüdischer Familien im Kreis Steinburg zu suchen, das schien fast ein aussichtsloses Unterfangen zu sein. Während in fast allen Bundesländern bis Ende der 80er Jahre Dokumentationen zur Geschichte der Juden und ihrer Verfolgung entstanden, bildete Schleswig-Holstein lange eine Ausnahme. [1]
Klaus Bästlein zählt zu den Ursachen u. a. die Versäumnisse beim Sammeln von Akten und Lebenszeugnissen und die Tatsache, daß sich das Land nach 1945 zu einem Refugium für NS-Täter entwickelt habe, von denen einige in führende Positionen gelangt seien. Und diese hatten "aus naheliegenden Gründen kein besonderes Interesse daran, für die Erforschung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu sorgen". [2]
Es gibt keine eindeutigen Informationen darüber, wieviele jüdische Einwohner - oder sagen wir besser: solche Bürger, die in der nationalsozialistischen Rassenterminologie in diese Kategorie fielen - aus dem Kreis Steinburg emigrierten oder deportiert und ermordet wurden. [3] Es mangelt sogar an genauen Daten, wieviele Juden überhaupt Anfang der 30er Jahre hier lebten. Die meisten jüdischen Familien waren assimiliert und integriert, und nicht einmal in Itzehoe wohnten genügend gläubige jüdische Männer, um eine Gemeinde zu bilden wie z. B. in Glückstadt - der einzigen Gemeinde im Kreis. [4]
Es gab auch keine Synagoge wie in Elmshorn, [5] Friedrichstadt, Kiel, Lübeck oder Rendsburg. [6] Da über die wenigsten jüdischen Einwohner des Kreises Steinburg bisher bekannt war, was aus ihnen geworden ist, soll dieser Aufsatz dazu beitragen, wenigstens einige Schicksale zu erhellen. [7] Durch eine breitangelegte Recherche [8] mit zahlreichen Aufrufen, Briefen an Zeitzeugen und Überlebenden-Organisationen in Israel, Suchanzeigen und Archivermittlungen konnte tatsächlich noch einiges ans Tageslicht gebracht werden. [9]
Es gibt nur einen einzigen Hinweis auf Juden in Itzehoe vor dem 19. Jahrhundert. 1634 mietete der Jude Lewin für ein halbes Jahr eine "Bude" in der Feldschmiede Nr. 28. [10] Die nächste Angabe aus dem damaligen Grundstücks- und Eigentümerverzeichnis stammt aus dem Jahre 1818: Damals kaufte Peter Samuel Schönfeldt das Haus am Sandberg Nr. 24. Schönfeldt war Herausgeber des angesehenen und vielgelesenen Itzehoer Wochenblatts (ab 1857 Itzehoer Nachrichten). Bereits ein Jahr später ging das Gebäude in den Besitz von Samuel Jo-
nas über und dann an dessen Erben.
Die ehemaligen Klosterländereien um die Brunnen- und Hermannstraße gingen durch viele Hände, bis sie schließlich 1867 von Donat Ruben übernommen wurden. Ruben ließ auf dem Gelände eine Eisengießerei errichten, die von 1872 bis 1877 in Betrieb war. Die einflußreiche Stellung des Unternehmers war für den Stadtgeschichtsschreiber Rudolf Krohn willkommener Anlaß, seinem Unmut freien Lauf zu lassen:
"Dem genannten Herrn Ruben war es in den siebziger Jahren um Ansehen und Einfluß nach außen zu tun. Um beides zu gewinnen, erachtete er es für zweckmäßig, in die Stadtvertretung gewählt zu werden. [...] Kaum im Stadtverordnetenkollegium, hatte die Vertretung nichts eiligeres zu tun, als Herrn Ruben, den einzigen Juden in der Stadtvertretung, auf dessen eifrigstes Betreiben in das evangelische Schulkollegium zu wählen! Eine Wahl, die vermuten läßt, daß, falls es hier einen Mohammedaner gegeben hätte, man auch diesen in das evangelische Schulkollegium gewählt haben würde! Aber es gab hier keinen Mohammedaner. Herr Ruben machte von seinem Mandat im Schulkollegium rücksichtslosen Gebrauch." [11]
Diese Äußerungen, so irritierend sie heute auch erscheinen mögen, sind jedoch nicht vorschnell als Antisemitismus zu werten. Hauptärgernis für Krohn war wohl die Tatsache, daß jemand in das Gremium gewählt worden war, der kein evangelischer Christ war. Seine Ablehung Rubens beruht offenbar auf persönlichen Erfahrungen mit dem Unternehmer. Andere Passagen seiner "Stadtspaziergänge", die neben fundierten Sachkenntnissen auch zahlreiche Anekdoten enthalten und reichlich Lob und Tadel verteilen, deuten darauf hin, daß Krohn die Tüchtigkeit jüdischer Mitbürger durchaus zu würdigen wußte. [12]
1894 verzeichnet das Adreßbuch die Witwe Marianne Ruben und den Sohn G. J. Ruben in der Feldstraße 1. 18 Jahre später finden sich die Namen Marianne und Sophie Ruben mit der Berufsbezeichnung "Rentiere" - nach heutigem Sprachgebrauch Rentnerinnen - unter der Adresse Breitenburger Straße 9. Sophie Ruben, vermutlich eine Schwester des Firmengründers Donat Ruben, muß damals - 1912 - 56 Jahre alt gewesen sein.
Dieser Name begegnet uns noch einmal, nämlich auf einer Volkszählungsliste der Nationalsozialisten von 1939. [13] Eine Zeitzeugin, die 1993 im 96. Lebensjahr starb, war 1924 Untermieterin bei Sophie Ruben. Sie erinnert sich an "Fräulein Ruben" als eine "alte, sehr freundliche Dame, die nach und nach ihre alten, wertvollen Möbel verkaufte". [14] Ebenfalls 1894 wohnte ganz in der Nähe (Breitenburger Straße 38) der Prokurist Leopold Lazarus. [15] Die Akten geben für das 19. Jahrhundert nicht viel mehr her als die Namen und Berufe einiger jüdischer Männer. Über das Leben der Familien ist nichts Näheres bekannt.
Bei der Volkszählung von 1925 lebten unter 19.637 Itzehoern lediglich 17 Einwohner jüdischen Glaubens ("Israeliten"). Kinder jüdischen Glaubens machten in den 20er Jahren lediglich auf der Kaiser Karl-Schule (KKS) ein Prozent der Gesamtschülerzahl aus - in den anderen Schulen lag der Anteil deutlich darunter. [16] Wenn die Juden aktiv am Geschäftsleben der Stadt beteiligt waren, müssen sie relativ bekannt gewesen sein. Das gilt z. B. für das Kaufhaus von John Scharfenstein, Ecke Krämer- und Reichenstraße, der sein Unternehmen ab
1910 in den Itzehoer Nachrichten als "beste und billigste Bezugsquelle für Herren- und Knaben-Garderoben sowie Schuhwaren" anpries. [17] Zwei Jahre später findet sich im Adreßbuch das Miederwarengeschäft von Dorothea Ferdinand; als Inhaber wird ihr Mann Leo Feist angegeben. [18] Wenig später wurde dieses Geschäft in das Haus Feldschmiede 17 - 21 verlegt. [19]
Von den rund 500.000 deutschen Juden, die vor 1933 auf deutschem Staatsgebiet lebten (0.76 Prozent der Bevölkerung) konnten etwa 278.000 emigrieren. Ermordet wurden zwischen 160.000 und 195.000 Menschen. 15.000 Juden konnten als Partner in sogenannten Mischehen überleben, weniger als 6.000 überstanden die nationalsozialistischen Vernichtungslager; die meisten von ihnen wurden in Theresienstadt befreit. [20]
Dieser geringe Prozentsatz spiegelt sich auch in der jüdischen Bevölkerung Schleswig-Holsteins wider; hier wie überall im Reich arbeiteten die meisten Angehörigen dieser Minorität im Handel, als Ärzte, Rechtsanwälte und in künstlerischen und kulturwissenschaftlichen Berufen. Im nördlichsten der Länder bildeten Juden einen verschwindend geringen Anteil an der Gesamtbevölkerung, und ihre Zahl nahm auch nach den Emanzipationsgesetzen Mitte des 19. Jahrhunderts nur langsam zu.
Die anfangs genannten nüchternen Zahlen sagen nichts aus über das jüdische Leben in Schleswig-Holstein. Juden haben auch hier "ihre Gemeinden gegründet, ihre Synagogen gebaut, ihre Friedhöfe angelegt und ihre Gottesdienste abgehalten, auch wenn dies am Anfang nur an wenigen Orten zugelassen war". [21]
Nachfolgend finden sich biographische Notizen zu einigen Steinburger jüdischen Familien.
"Ich war frei, konnte wieder frei atmen, ohne diese ewige Angst, in ein Konzentrationslager gebracht zu werden." Mit diesen Worten beschreibt der heute 84jährige Rolf Hallenstein aus Krempe seine Empfindungen, als er im Sommer 1937 das englische Southampton erreichte. [22] "Ich brach zusammen und weinte voller Erleichterung, als ich endlich britischen Boden erreicht hatte. Diesen Moment werde ich mein Leben lang nicht vergessen." Zu diesem Zeitpunkt hatte der 25jährige bereits eine Odyssee hinter sich. Die wohlhabende und angesehene Familie Hallenstein, Besitzerin der "Kremper Lederwerke", hatte ein Jahr zuvor den jüngsten der drei Söhne, Rolf, zu Freunden der Hallensteins nach Nürnberg geschickt, damit er seine Kenntnisse in deren Gerberei vervollkommnen konnte. Doch nach kurzer Zeit wurde Rolf in Nürnberg denunziert und wegen "Rassenschande" nach zwei Monaten Untersuchungshaft zu zwölf Monaten Steinbruch-Arbeit im Amberger Zuchthaus verurteilt. Nach seiner Entlassung im Juni 1937 beantragte Rolf Hallenstein in Windeseile alle notwendigen Papiere und verließ Deutschland mit zehn Reichsmark in der Tasche.
"Meine Briefmarken-Sammlung, die ich mehr als alles andere liebte, durfte ich nicht mitnehmen."
Der junge Mann aus Krempe hatte trotz allem das Glück auf seiner Seite: In England unterstützte ihn sein älterer Bruder Erik (geb. 1909). Der mittlere der drei Hallenstein-Brüder war 1928 nach seinem Abitur an der Kaiser-Karl-Schule, das er mit Auszeichnung bestanden hatte, nach Oxford gegangen, um dort moderne Sprachen zu studieren. Erik hatte dann 1935 eine Engländerin geheiratet und blieb in seiner neuen Heimat. Lange Jahre arbeitete Erik, der mittlere der Hallenstein-Brüder, im Foreign Office; aber er soll zeitweise auch ein Textilgeschäft betrieben haben. [23] Erik Hallenstein starb 1975 in Großbritannien im Alter von 66 Jahren. Nachdem Erik nach dem Abitur und Rolf mit Mittlerer Reife 1928 von der KKS abgegangen waren, verzeichnet die Schulstatistik keine Schüler mehr mit "jüdischem Bekenntnis". Die Mutter der Familie, Hilda Hallenstein, Großmutter Julia, der älteste Bruder Ernst (später Ernest) und die Hamburger Verwandten der Hallensteins schafften es, Deutschland nach dem Münchner Abkommen 1938 zu verlassen, und gelangten nach England.
Ernest Hallenstein, der älteste Bruder (geb. 1907), holte am 28. September 1938 seinen Paß vom Itzehoer Landratsamt in der Bahnhofstraße ab und verließ Deutschland am Nachmittag des gleichen Tages. [24] Wie sein Bruder Rolf reiste auch er weiter nach Australien. Der Vater Harold Hallenstein - Kriegsfreiwilliger im I. Weltkrieg - , der übrigens in England aufgewachsen war, verstarb bereits 1922 in Krempe. Nach seinem Tod verließ der älteste Sohn Ernst die KKS, machte eine Gerber-Lehre, und er stieg anschließend als Meister und technischer Direktor in das Familienunternehmen ein. Die Lederwerke waren 1896
in das Handelsregister eingetragen worden; zuletzt hatte das Unternehmen rund 200 Mitarbeiter.
Für Rolf Hallenstein war die Reise in Großbritannien noch nicht zu Ende. Am 30. September 1937 erreichte er den Hafen von Melbourne. Verwandte der Familie, die er nie zuvor getroffen hatte, besaßen in Australien eine Gerberei, in der Rolf dann 40 Jahre lang arbeitete. Der junge Jude aus Krempe heiratete noch während des Krieges, in australischer Uniform, die Tochter eines bekannten Melbourner Architekten, und er lernte seine neue Heimat zu lieben. Nach der Pensionierung war das Ehepaar viel unterwegs; auch Deutschland besuchte Rolf Hallenstein einige Male, und er verbrachte jedesmal einen Tag mit seinem Schulfreund Harald Bolten in Krempe.
"Gleichwohl, ich habe mich in Deutschland niemals wohl gefühlt. Ich nehme an, das rührt von den zahlreichen nicht so glücklichen Erinnerungen her, und ich war jedesmal froh, wenn ich die deutsche Grenze überschritten hatte. Es war mir niemals möglich, all' das zu vergessen, was die Nazis uns angetan hatten." [25]
Drei Monate, nachdem Rolf Hallenstein Deutschland verlassen hatte, wurden alle Juden, die zuvor eingesperrt worden waren, in Konzentrationslager deportiert, in denen die meisten ermordet wurden oder an den Folgen der Lagerhaft starben. "So hatte ich Glück, trotz allem."
Die Kremper Hallensteins waren nicht religiös, und die Familie gehörte keiner jüdischen Gemeinde oder Organisation an. "Wir waren uns gleichwohl unseres Judentums sehr wohl bewußt und hätten es sicher niemals verleugnet." Rolf Hallenstein, der seine Heimat 1937 verlassen mußte, erinnert sich nicht daran, daß sich die Kremper Bevölkerung jemals gegenüber seiner Familie antisemitisch gezeigt hätte.
"Mein Bruder Ernest und mein Cousin
Ronald waren bei Aktivitäten in Krempe immer dabei, wie zum Beispiel beim berühmten 'Kremper Scheibenschießen'. Während der Nazi-Jahre konnten sie das nicht länger."
Die ganze Familie mußte Deutschland ohne Geld verlassen. Sie hatte in Krempe immerhin eine Fabrik, ein großes Wohnhaus mit Garten und drei weitere Häuser besessen. Ein Fellhändler aus Hamburg, Wilhelm Meyenburg, übernahm den Besitz in einem "freundlichen Arrangement", wie es Rolf Hallenstein ausdrückt, über das Einzelheiten nicht bekannt sind. "1962 erhielten wir alle eine kleine Entschädigung, mein Anteil waren damals lausige 2.000 australische Pfund. Ich hatte niemals überhaupt etwas erwartet, so war es eine freudige Überraschung."
26 Jahre später, im Mai 1988, überreichte der deutsche Konsul in Australien Rolf Hallenstein eine Urkunde mit der Inschrift: "Die Stadt Krempe verleiht dem ehemaligen Besitzer der Kremper Lederwerke Henry Hallenstein & Co. Krempe, Herrn Rolf William Hallenstein, das Ehrenbürgerrecht in Würdigung seiner besonderen Verdienste um das Wohl seiner Heimatstadt Krempe und ihrer Einwohner." [26]
Der älteste Bruder, Ernest Hallenstein, meinte, diese Ehrung käme 50 Jahre zu spät. Doch er akzeptierte schließlich die Ehrenbürgerschaft ebenso wie sein Bruder Rolf: "Natürlich war ich viel zu jung, um irgend etwas für Krempe zu tun. Aber ich nahm sie an, weil ich die Ehrung als Anerkennung all' dessen ansah, was meine Familie für Krempe getan hat."
Ernest Hallenstein hatte schon Jahre zuvor Kontakt nach Itzehoe gesucht. Bereits 1966, nachdem er in seinen Papieren ein altes Zeugnis gefunden hatte, schrieb Ernest einen Brief an den damaligen KKS-Direktor Ehlers. Er bekam Antwort und auch ein Buch über "100 Jahre KKS", das damals gerade erschienen war. Doch diese Verbindung schlief rasch ein. Zwölf Jahre später unternahm Ernest Hallenstein einen weiteren Versuch, indem er an die "Vereinigung ehemaliger Kaiser-Karl-Schüler Itzehoe e.V." schrieb. [27]
Eine KKS-Schülerin, Ines Gripp, deren Großvater in den Kremper Lederwerken gearbeitet hatte, nahm daraufhin Kontakt zu Ernest Hallenstein auf; ebenso sein ehemaliger Mitschüler Heinrich Cehak. Cehak besuchte seinen Schulkameraden 1988 in Australien. Auf Initiative von Cehak wurde Ernest Hallenstein Ehrenmitglied in der Vereinigung der früheren KKS-Schüler, worüber sich der so Geehrte sehr freute und versprach, "zuweilen in Verbindung zu bleiben". [28]
Dieses Versprechen hielt er auch; es entwickelte sich ein reger Briefwechsel und ab 1990 auch Telefonkontakt zwischen Ernest Hallenstein und Ernst-Otto Friese, dem Vorsitzenden der Ex-Schüler-Vereinigung. Am 4. Oktober 1990 um sieben Uhr morgens rief Hallenstein zum ersten Mal an - er wollte Friese zur wiedererlangten deutschen Einheit gratulieren. [29] Der letzte Anruf erreichte Friese im Januar 1993, kurz vor dem Tod Ernest Hallensteins. "Und in diesem Gespräch sagte er wörtlich: 'Ich habe Heimweh'", erzählt Ernst-Otto Friese. In der Traueranzeige der KKS und der ehemaligen Schüler am 10. Juli 1993 in der Norddeutschen Rundschau heißt es:
"Als Opfer des Rassenwahns aus der Heimat vertrieben, fand er 1938 Zuflucht in Australien. [...] Die vielen Briefe, die er uns schrieb, bezeugen ergrei-
fend seine Liebe zur Heimat und die tiefe Anteilnahme an der Entwicklung in Deutschland. Er hat dieses Land nicht wiedergesehen, ihm blieb nur das Heimweh."
In zahlreichen Briefen berichtete der älteste der Hallenstein-Söhne über seinen Lebensweg, aber über Antisemitismus oder antijüdische Ausschreitungen in Krempe verlor auch er wie sein Bruder Rolf kein Wort. "Einmal", sagt Ernst-Otto Friese, "da klang in einer Formulierung so etwas an. Ernest schrieb mir: 'Es gab schöne, aber auch schwere Tage.'"
Am 11. November 1991 heißt es in einem Brief an Friese: "Krempe und unsere Lederfabrik waren für mich ja alles. Und so werden meine Gedanken bis an mein Lebensende dorthin gelenkt, und ich denke immer mit Freuden an das alte Krempe und was dazu gehörte."
Doch im Gegensatz zu seinem Bruder Rolf fand Ernest nie den Weg zurück in seine alte Heimatstadt. In seinen Briefen begründet er das immer wieder mit seinem hohen Alter. Sein Brieffreund Ernst-Otto Friese ist der Meinung, daß Ernest Hallenstein keine alten Wunden aufreißen wollte. Hallensteins Frau bestätigte diese Vermutung, als sie nach dem Tod ihres Mannes an Friese schrieb, sie habe ihren Mann trotz zahlreicher Versuche nie bewegen können, Krempe noch einmal zu besuchen. Auch der jüngste Sohn der Familie hatte immer wieder große Sehnsucht nach seiner Vaterstadt. Den ersten Brief an die Autorin schloß Rolf Hallenstein mit den Worten: "Trotz meiner bitteren Empfindungen - Krempe ist und wird immer meine Heimatstadt bleiben."
"... dann waren sie einfach weg". Antijüdische NS-Propaganda und die Gleichgültigkeit der Steinburger Bürger
Ernst-Otto Friese ist einer der wenigen Itzehoer, die zu einem Juden aus dem Kreis noch lange - zumindest brieflichen - Kontakt hatten. Er hat am Schicksal der Familie Hallenstein sehr großen Anteil genommen und faßt seine Empfindungen so zusammen:
"Eigentlich ist das doch ein sehr bewegendes Beispiel dafür, was Menschen angetan worden ist durch solche rassistischen Ausgrenzungen und Vertreibungen unter diesem Vorwand, das seien 'Volksschädlinge'. Es ist ein Aderlaß an Menschlichkeit, an geistiger Potenz unserem ganzen Volk angetan worden damit, daß man die Juden in dieser Weise verteufelt und vernichtet hat." [30] Bei meinen Recherchen traf ich nur auf wenige Zeitzeugen, die 50 Jahre nach Kriegsende ähnlich intensiv empfinden. Häufig hörte ich allgemeine Aussagen wie: "Es gab keine Animositäten. Wir wußten, daß das Juden waren, aber das war nichts Besonderes." [31] Dr. Johannes Grabener schrieb: "Natürlich ist mir das Kaufhaus von Sternberg und vor allem das Schuhhaus Eichwald ein Begriff. [...] Daß sie Juden waren, wußte man, aber in erster Linie waren sie doch Itzehoer." [32]
Karl Rodewoldt, dessen Frau im Schuhhaus Eichwald gelernt hatte und die später bei Rieders im Geschäft arbeitete, erinnert sich: "Die Juden waren sehr angesehen und fleißig. [...] durch die Stürmer-Zeit wurden die Leute denn ja aufgewiegelt." [33]
In Itzehoe und im Kreis Steinburg leb-
ten nur wenige Juden, und wenn auch einige von ihnen Geschäftsleute waren, so lebten sie wohl recht zurückgezogen, oder ihr Judentum spielte für sie selbst und damit für andere einfach keine Rolle. [34] Zahlreiche Zeitzeugen erinnern sich an die Firmen und "tüchtige, freundliche Geschäftsleute", einige haben vage Erinnerungen an ihre Mitschüler Hallenstein auf der KKS. [35] Man kannte Ilse Gortatowski, [36] Alice und Benno Eichwald, [37] die Sternberg-Söhne [38], oder man erinnerte sich sogar an Besuche nach dem Krieg. Doch in fünf Jahrzehnten ist vieles aus dem Gedächtnis entschwunden und verwischt, oder es hat sich mit späterem Wissen vermengt.
Die Itzehoer kauften ihre Schuhe bei Rieders oder Eichwalds, Textilien im "Kaufhaus Sternberg" und Kleinwaren im "Kaufhaus Union". Die Juden waren Nachbarn, Geschäftsleute, Mitschüler, Kegelbrüder, Kunden, Bekannte und Freunde. Doch was mit ihnen geschah, das interessierte nur die wenigsten Itzehoer und Steinburger. Bei meiner Spurensuche bekomme ich immer wieder den Satz zu hören: "Dann waren sie einfach weg." Und in einigen Fällen hält sich noch heute hartnäckig das Gerücht, die jüdischen Familien seien "wohl nach Amerika oder Palästina ausgewandert".
Nicht immer, wie noch zu zeigen ist, stimmt diese Annahme mit der Wahrheit überein. Annemarie Grundler, die wie ihr Mann mit Michael Rieder befreundet war, versuchte in einem Gespräch eine Erklärung zu geben:
"Es hieß, die Juden sind verschwunden, keiner hat weiter etwas gesagt. Man hielt ja den Mund damals. Das waren die 30er Jahre. Man wußte, daß es Konzentrationslager gab, aber in welchem Ausmaß, davon hatte man keine Ahnung. Da stellte man auch keine Fragen, denn sonst wurde man gleich verdächtigt. Einer hatte vorm anderen Angst." [39]
Der Repressionsapparat der Nazis funktionierte eben auch in Itzehoe und im Kreis Steinburg. Selbst wenn bisher nichts über antisemitische Ausschreitungen der "deutschen Bürger" hier bekannt ist, so gab es offenbar aber auch nur wenige, die den jüdischen Familien halfen oder die sich überhaupt für ihr Schicksal interessierten.
Elga Voss, deren Vater als Handwerker heimlich der Familie Eichwald half [40] , beschreibt die Situation nach dem Krieg so: "Es war die allerschlimmste Zeit, es gab praktisch nichts mehr, alles lief über den Schwarzmarkt, und jeder mußte sehen, wie er sich von einem Tag zum anderen durchbrachte." [41]
Während des Krieges wird es kaum anders gewesen sein - fast jeder kümmerte sich nur um sich und seine Familie, und diese Beschränkung auf sich selbst schloß Toleranz nur selten ein. Annemarie Grundler war in den 30er Jahren schon erwachsen. Sie beschreibt sich als unpolitisch und meint: "Es war mir eben wurscht, was der Mensch glaubt. Ich halte es da mit dem Alten Fritz: 'Jeder soll nach seiner Façon selig werden!'" [42]
Ernst-Otto Friese erinnert sich, daß er als Kind auf seine Frage nach den "bösen Juden" von der Großmutter wie im Kindergottesdienst den Vorwurf hörte: "Die Juden haben unseren Herrn ans Kreuz geschlagen." Als Pimpf las er dann am Schaukasten des Streicher-Blattes Der Stürmer immer wieder den Satz: "Die Juden sind unser Unglück." Abgesehen von "christlicher" Propaganda war die staatliche also überall prä-
sent. In den Lokalzeitungen - am frühesten in der Schleswig-Holsteinischen Tageszeitung - prangten zwischen den Anzeigen Sätze wie etwa "Deutsche! Kauft nur bei Deutschen!" oder "Meidet die jüdischen Warenhäuser!"
Und auch in Itzehoe wurde im Sommer 1941 zweimal täglich "Der ewige Jude" gezeigt. In der Ankündigung des Burg-Theaters ist zu lesen: "Hinter der großen militärischen Auseinandersetzung steht das internationale Judentum, dem dieser Film schonungslos die Maske herunterreißt." [43] Und die Film"kritik" von Horst Schnabel läßt an schamloser Lügen-Propaganda nichts vermissen:
"Selbst wenn man nichts wüßte von Geschichte und Schuld des Judentums - die Gesichter dieses Films würden alles verraten in ihrer Abgründigkeit und finsteren Dämonie, in ihrer hämischen Hinterlist, gefährlichen Verschlagenheit und ihrem frechen Zynismus. Im Zwielicht östlicher Ghettogassen huschen und ge-
spenstern sie vorbei. [...] Trickaufnahmen zeigen die Ausbreitung des Weltjudentums, die im Tierreich eine unheimliche Parallele in den Wanderungen der Ratte hat." [44]
Die Propaganda zeitigte Wirkung: Man schien nahezu zwangsläufig zu dem Schluß zu kommen: Da muß doch etwas dran sein! Antisemitismus ohne Juden hat in Deutschland eine lange Tradition.
"Aaron Rieder fühlte deutsch; ich sah ihn eines Tages weinen, als er meinen Vater besuchte, weil er Itzehoe und Deutschland nicht verlassen wollte." Das berichtet Ilse Meyer, geborene Frahm, deren Vater ein Feinkostgeschäft in der Feldschmiede führte. August Frahm und Aaron (Arthur) Rieder waren beide Offiziere im I. Weltkrieg gewesen - eine Kameradschaft, die offenbar zusammenschweißte und nicht zwischen "Juden" und "Deutschen" unterschied. Die Männer waren auch zusammen mit anderen Weltkriegsoffizieren Kegelbrüder in einem Itzehoer Kegelklub.
"Die Rieders waren doch integriert, wir haben sie nicht als fremd angesehen", sagt Ilse Meyer. "Die Rieders kauften bei uns, und wir kauften bei ihnen." Ilse Meyer war fest davon überzeugt, daß es die Rieders "geschafft" hatten, daß sie noch vor dem Krieg nach Palästina ausgewandert waren. [45] Doch diese Itzehoer Familie überlebte die Judenvernichtung der Nationalsozialisten nicht.
1923 waren Aaron und seine Frau Giska (geb. Schreiber) nach Itzehoe gezogen. Am Sandberg 11 gründeten sie ihr Schuhgeschäft. Die Familie Jacob Rieder - dem Vater von Aaron - war ursprünglich aus Michailovce in der Tschechoslowakei nach Deutschland gekommen; Familie Schreiber stammte aus Humenné (Slowakei oder Ungarn). Aaron Rieder war der dritte Sohn aus einer großen Familie (Eltern: Jacob und Hanie Rieder, geb. Kaufman) mit insgesamt sechs Kindern.
Sein jüngster Bruder Michael, der zeitweise auch in Itzehoe wohnte und im Geschäft von Aaron mitarbeitete, konnte nach Palästina emigrieren. Der älteste Bruder, Simon Rieder, der in Hamburg ein Schuhgeschäft in der Fruchtallee 45 besaß, betrieb schon früh die Auswanderung seiner Familie - er schaffte es schließlich, 1937 in die USA zu gelangen. [46] Die anderen drei Geschwister und Aaron Rieder sind mit insgesamt
acht Kindern in Konzentrationslagern umgekommen.
Nach Informationen einer Nichte Aaron Rieders [47] verließ die Itzehoer Familie im November 1936 ihre Heimatstadt und ging in die Tschechoslowakei. Dort kamen Aaron, Giska und die beiden Töchter Hannelore und Erika (genannt "Hansi" und "Puschi") zunächst ins Ghetto Uzhgorod; dann folgte die Deportation nach Auschwitz. Am 5. August 1945 wurde die Familie des Aaron Rieder für tot erklärt.
Einer der wenigen Überlebenden der Familie Jacob Rieders war der jüngste Sohn Michael (geb. 1906). Weil die Eltern früh verstarben, wohnte er bei seinem neun Jahre älteren Bruder Aaron in Itzehoe. Später machte er sich in Hamburg selbständig. Michael Rieder war mit Annemarie und Robert Grundler befreundet, die nach ihrer Heirat 1930 in Itzehoe ein Lebensmittelgeschäft betrieben.
Annemarie Grundler stammte ursprünglich aus Halle/Saale und war als Kind und Jugendliche zur Erholung zu ihren Verwandten Blankenstein "verschickt" worden, die am Sandberg Nr. 7 ein Obstgeschäft hatten - nahe dem Schuhgeschäft der Rieders. Durch die nachbarliche Nähe und ihren späteren Mann Robert lernte Annemarie Grundler Michael Rieder kennen. Die Freundschaft zwischen den Grundlers und Michael Rieder hielt auch über die Entfernung zwischen Hamburg und Itzehoe, nachdem Rieder dort ein eigenes Geschäft hatte.
"Eines Tages war Michael verschwunden, und wir haben gedacht: 'Den haben sie abgeholt!' Aber von seinem Bruder Aaron in Itzehoe erfuhren wir dann, daß Michael ausgerückt war; ein Kunde hatte ihn auf dem Weg zu seiner Bank in Hamburg gewarnt, daß er auf der Liste stünde. Der Kunde hatte wohl etwas mit den Deportationen zu tun. Michael hat sein Geld dann gar nicht mehr weggebracht, sondern ist gleich zum Bahnhof und mit seinem tschechischen Paß dann in die Tschechoslowakei." [48]
Von Michael Rieder gab es lange Zeit keine Nachricht. Erst Jahre später erfuhr Annemarie Grundler, daß er sich tatsächlich über die Tschechoslowakei nach Palästina hatte durchschlagen können: "Und 1958 steht er plötzlich vor mir. Wir haben nie etwas von ihm gehört die ganze Zeit. Ich sagte: 'Michael, ich denke, du bist tot!' Können Sie sich so etwas vorstellen? Das war einfach nicht zu fassen. 'Nein', sagt er, 'Ich lebe!' Wir sind uns in die Arme gefallen, das war so eine Jugendfreundschaft." [49]
Annemarie Grundler brachte sich mit ihren drei Kindern so durch, der Mann war an der Front. Was in Itzehoe passierte, bekam sie gar nicht mit, allen NS-Verbindungen blieb sie in ihrer "unpolitischen Art" fern, und außerdem hatte sie, wie sie erzählt, mit den Kindern und dem Lebensmittelladen genug zu tun. Zweimal bekam sie "Besuch" von der Gestapo. Das erste Mal, weil ihr Mann angeblich fahnenflüchtig war; das zweite Mal, weil die Butterverteilung im Grundlerschen Lebensmittelgeschäft, die damals grammweise vorgenommen wurde, nicht gestimmt haben soll.
Robert Grundler war nicht fahnenflüchtig; wegen Fliegerangriffen auf seinen Zug konnte er seine Einheit, die am Peipussee stationiert war, nicht rechtzeitig erreichen. Doch das erfuhr seine Ehefrau erst viel später durch einen Brief ihres Mannes. Die Gestapo hatte es nicht für nötig befunden, sie zu in-
formieren. Als der Gestapo-Mann nach einer kurzen Zeit zum zweiten Mal auftauchte, explodierte die junge Mutter:
"Ich habe geschimpft und ihm gesagt, daß ich mit meinem dritten Kind schwanger bin, und daß es keineswegs einfach war, die Butter grammweise abzuwiegen. Außerdem war mein Mann an der Front, und ich mußte alles alleine machen. Und als er das Wort 'schwanger' hörte - das war interessant, die brauchten damals doch Kanonenfutter - , da kam nichts mehr danach." [50]
Nachdem Michael Rieder zunächst auf dem Bau arbeiten mußte, konnte er später mit seiner Frau Kate (geb. Levy) in Haifa ein Herrenartikelgeschäft eröffnen. Kate Rieder hatte Schwestern in Hamburg und Kiel, die das Ehepaar 1958 besuchte. "Und in Kiel hat Michael das Itzehoer Telefonbuch genommen und darin geblättert. Da hat seine Frau zu ihm gesagt: 'Wen suchst Du denn, du kennst doch hier niemanden mehr.' Da hat er geantwortet: 'Doch, ich habe meine Freunde gefunden, die leben noch, die stehen im Telefonbuch.' Und das waren wir. Dadurch kam er zu uns." [51]
Es entwickelte sich ein intensiver schriftlicher Austausch zwischen den alten Freunden, und Michael Rieder kam acht Jahre später - 1966 - noch einmal nach Itzehoe. Er traf sich mit dem Bruder seiner Schwägerin Giska Rieder (geb. Schreiber). Alex Schreiber war bereits Ende der 20er Jahre nach Los Angeles ausgewandert. Jahrelang schickte er Geld nach Elmshorn für die Pflege des Grabes seines Vaters, der dort auf dem jüdischen Friedhof begraben liegt. Annemarie Grundler und ihr Mann fuhren einige Male nach Elmshorn, holten sich den Schlüssel des Friedhofes bei der Polizei ab und kontrollierten, ob das Grab auch tatsächlich gepflegt wurde.
Michael Rieder starb 1976 in Haifa im Alter von 71 Jahren. Annemarie Grundler wurde immer wieder von den Rieders nach Israel eingeladen. Doch sie schaffte es nie. "Zuerst habe ich meine Mutter und meinen Vater zwölf Jahre gepflegt, dann meinen Mann. Und als der 1989 starb, war ich für die Reise viel zu gebrechlich."
Schon 1937 wurde das Riedersche Schuhgeschäft von Walter Armbruster übernommen. Hermann Bollhardt überliefert, daß es nach dem Krieg um das Grundstück einen Rechtsstreit gegeben haben soll. Der Kaufpreis hätte noch einmal entrichtet werden müssen. Sollte dies den Tatsachen entsprechen, so liegt hier ein Hinweis auf eine Zwangsarisierung vor. Bei diesen "Maßnahmen" wurde der Wert der Immobilien durchweg extrem niedrig angesetzt, so daß der "arische" Neubesitzer stets sehr günstig in den Besitz von Grundstücken, Wohnhäusern und Geschäften kam. Wenn überhaupt Prozesse um eine "Wiedergutmachung" stattfanden, entschieden die Gerichte manchmal auf eine Nachtragszahlung. [52] Nicht immer müssen die an einer Zwangsarisierung beteiligten Käufer niedere Beweggründe gehabt haben, zumal die Taxierung des Verkaufswertes von dritter Seite vorgenommen wurde. [53]
Die wirtschaftliche Repression setzte mit dem Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 ein und führte über zahlreiche juristische, geschäftliche und
persönliche Einschränkungen zur totalen Rechtlosigkeit. [54] Die Juden, die für ihren Besitz nach der "Arisierung" eine minimale "Entschädigung" erhalten hatten, mußten bei ihrer Emigration für ihr Hab und Gut, das sie mitnehmen wollten, auch noch die sogenannte Reichsfluchtsteuer entrichten - eine Abgabe in Höhe des ursprünglichen Kaufpreises eines Gegenstandes, ungeachtet seines Gebrauchszustandes.
Aufgrund der "Verordnung über die Anmeldung des Vermögens der Juden" veröffentlichte der Nordische Kurier eine statistische Aufstellung. Angeblich hätten 233 Juden in Schleswig-Holstein die "stattliche Gesamtsumme" von 14.558.532 Reichsmark angemeldet. Nach Schulden- und Lastenabzug entfiel nach dieser kruden Rechnung auf jeden Juden ein Vermögensanteil von 51.900 RM. [55] "Daß die Juden in Schleswig-Holstein ausgeplündert dastehen nach fünf Jahren nationalsozialistischem Regime, wird nach den vorstehenden Angaben über Eigenvermögen der Juden nun wohl niemand mehr behaupten wollen." [56]
Zum Boykott hieß es am 1. April 1933 in den Itzehoer Nachrichten: "Wie im ganzen Reich, setzte auch in Itzehoe pünktlich um 10 Uhr die Abwehrbewegung gegen die jüdische Greuelhetze ein. Eine Gruppe SS und SA marschierte in geschlossenem Zuge durch die Straßen und nahm dann vor dem Gebäude der 'Union' Aufstellung. Es wurden Schilder mit der Aufschrift 'Kauft nicht in jüdischen Warenhäusern!' aufgestellt. [...] Auch vor einigen anderen jüdischen Geschäften, so bei der Firma Rieder im Sandberg, Eichwald und Kaufhaus Holstein in der Breiten Straße wurden die oben erwähnten Plakate aufgestellt. Die Geschäfte haben ihre Türen geschlossen. Zu ernsten Zwischenfällen ist es nicht gekommen."
Allerdings zeigte sich die "christliche Bevölkerung" in Schleswig-Holstein recht unbelehrbar, nicht "beim Juden" zu kaufen. [57] An den Boykott erinnert sich der Zeitzeuge Karl Rodewoldt, dessen Frau im Schuhgeschäft der Familie Rieder als Verkäuferin arbeitete. Einige Häuser weiter - im Sandberg Nr. 5 - wohnte der NSDAP-Stadtrat Glasermeister Struwe. Sein Sohn, ein SA-Mann, war mit Michael Rieder, dem Bruder des Geschäftsbesitzers Aaron Rieder, eng befreudet.
Auch vor dem Riederschen Geschäft nahmen SA- und SS-Gruppen mit ihren antisemitischen Schildern Aufstellung. "Daraufhin ging der Sohn sofort zu seinem Vater, wie er die SA-Leute sah, und sagte 'Vater, sofort müssen die Leute da weg, das lasse ich nicht zu, oder ich trete aus der SA aus.' Und er drohte, wenn die Leute da blieben, dann packt er seine Koffer, dann würde sein Vater ihn nicht wiedersehen. Und so wurden die SA-Leute bei Rieder tatsächlich abgezogen, vom Stadtrat Struwe, von der NSDAP. So war das hier am Sandberg." [58]
Über Ausschreitungen in der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 nach dem Attentat von Herschel Gryszpan auf den Legationsrat Ernst von Rath in Paris ist in Itzehoe und im Kreis bisher nichts bekannt. [59] Aber von den Geschäftsleuten war ja auch niemand mehr in Itzehoe. Im übrigen Reichsgebiet mußten die Juden selbst für die vandalistischen Zerstörungen bezahlen. Der Staat beschlagnahmte die Versicherungsentschädigungen und verhängte eine "Buße" von 20 Millionen Reichsmark. [60]
Im Bundesarchiv (Abt. Potsdam) sind von der Volkszählung vom 17. Mai 1939 für das Gebiet des Kreises Steinburg 23 Erhebungsbögen erhalten geblieben. Die Daten beziehen sich auf die Orte Dägeling, Edendorf, Glückstadt, Itzehoe, Kiebitzreihe, Krempe und Lockstedter Lager. In der Terminologie der Nazis sind dort Namen von 29 Männern, Frauen und Kindern als "Voll-, Halb- und Vierteljuden" aufgeführt; in einigen Fällen konnten offenbar selbst die fanatischen Rassenforscher keine "richtige" Einteilung vornehmen. Angesichts des Datums der Volkszählung - 1939 - und der großen Lücken muß man davon ausgehen, daß im Kreis sehr viel mehr Juden gelebt hatten, die entweder vorher emigriert oder bereits deportiert worden waren.
Über die wenigsten dieser 29 Personen von "Hermann Claußen" bis "Helene Wülfken" ist überhaupt etwas bekannt. Im Gedenkbuch [61] tauchen lediglich die Gortatowskis [62] und ein Franz Grünfeld (geb. 23.6.1900 in Berlin) aus Kiebitzreihe auf. Sein Leidensweg führte ihn nach Minsk; hinter seinem Namen steht "verschollen" - wie hinter so vielen Namen in dieser bedrückendsten Sammlung der Namen deutscher Juden. Theodor Gripp (geb. am 20.8.1878 in Itzehoe) wurde auch von der Volkszählung erfaßt. Zwei Itzehoer Zeitzeugen [63] erinnern sich daran, daß er das "Ballhaus Gripp" in der Brückenstraße betrieben haben soll. Was aus ihm nach 1939 wurde, ist nicht bekannt.
Die Volkszählungsliste führt auch eine Minna Petersen (geb. Hertz) auf. Über ihr Schicksal und das ihres "arischen" Mannes geben eidesstattliche Versicherungen des Ehepaars in sehr kurzer und trockener Form Auskunft. [64] Doch sie sagen in ihrer Dürftigkeit genug über das aus, was Minna Petersen und ihr Mann Nikolai erdulden mußten.
Noch im Februar 1945 wurde die Glückstädterin Minna Petersen "aus rassischen Gründen" festgenommen und über Hamburg-Grindelhof in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Vermutlich war sie wegen ihres Mannes, der kurz nach Kriegsbeginn eingezogen wurde, in dieser "Mischehe" solange vor Verfolgung verschont worden, und der Kürze der Lagerhaft unmittelbar vor Kriegsende verdankt sie wahrscheinlich ihr Leben. Nikolai Petersen, von Beruf Bankvorsteher, wurde wegen seiner jüdischen Frau aus der Wehrmacht entlassen.
Hinter der Denunziation beim Wehrmeldeamt in Itzehoe (die sofort an die Gestapo weitergegeben wurde) steckte der Kommissarische Ortsgruppenleiter und Glückstädter Bürgermeister Wilhelm Vogt, der überhaupt eine sehr unrühmliche Rolle gespielt hat. [65] Vogt erreichte nicht nur die Entlassung Petersens aus der Wehrmacht; in der Folge mußte der Bankvorsteher einen Tag nach der Festnahme seiner Frau als "Zivil-Hilfsarbeiter" für die Organisation Todt auf dem Flugplatz Zerbst-Lindau/ Gau Magdeburg-Anhalt arbeiten. Nur an zwei Stellen der eidesstattlichen Erklärung Petersens wird seine persönliche Bedrückung deutlich:
"Von meiner Frau hatte ich die ganze Zeit keine Nachricht [...] Ich muß noch bemerken, daß in meiner Arbeitsgruppe nur jüdische Mischlinge oder Männer, die mit Jüdinnen verheiratet waren, be-
schäftigt waren. Wir wurden nicht als deutsche Männer, sondern als Juden [...] und dementsprechend behandelt."
Martin Hein (geb. 1868) war zum Zeitpunkt der Volkszählung 71 Jahre alt. Es muß sich um den in Glückstadt gebürtigen Mann handeln, der zusammen mit seiner Frau in der Reichenstraße ein Fischgeschäft betrieb. [66] Elga Voss war mit der Enkelin der Heins, Anneliese Hein, befreundet, deren Eltern ebenfalls ein Fischgeschäft am Sandberg besessen haben sollen. Die Zeitzeugin berichtet, die alten Heins seien eines natürlichen Todes gestorben, und sie habe noch nach dem Krieg einmal Kontakt zur Enkelin, ihrer Freundin gehabt.
Elga Voss ist bisher auch die einzige, die mit einem weiteren Namen auf der Volkszählungsliste etwas anfangen konnte. Christine Stettnisch, geborene Hein, soll eine Schwester von Martin Hein gewesen sein. [67]
Erich Kinder (geb. 1925) und seine Mutter Hermine (geb. 1891 als Hermine Zaum in Hamburg) werden auf der Volkszählungsliste mit dem Wohnort Krempe verzeichnet. Nach den Angaben war Hermine Kinder, verheiratet mit dem Polizeimeister Wilhem Kinder (geb. 1889 in Hamburg), "Halbjüdin" und ihr Sohn der Nazi-Terminologie folgend "Vierteljude". Harald Bolten aus Krempe, der die Familie sehr gut gekannt hat, bestätigt diese Angaben. Nach seinen Informationen ist die Familie Ende Mai 1939 nach Rellingen gezogen. Erich Kinder soll dort eine Gastwirtschaft betrieben haben. [68]
Eugen Meyer (II) ist in der Liste mit einem jüdischen Großelternteil und dem Geburtsdatum 21. Januar 1886 in Itzehoe verzeichnet. Aus den Recherchen ergab sich eine verwickelte und nicht in allen Einzelheiten geklärte Familiengeschichte: Am 30. August 1856 entband Lätitia Jäger (geb. 1829/Konfession ev.) in Flensburg ihren unehelichen Sohn Eugen (I). Sie hatte damals eine Anstellung auf dem Gut Grünholz in Schwansen. Aus den dänischen Akten gibt es keine Auskünfte über den Vater des unehelichen Kindes. Als der Sohn zwölf Jahre alt war, heiratete Lätitia Jäger Burchardt Meyer. Dieser Burchardt Meyer, Adoptivvater von Eugen Jäger, so geht es aus Familienaufzeichnungen hervor, soll ein von Juden angenommenes Kind gewesen sein. Er wurde auf dem ev. Friedhof in Flensburg beigesetzt. Der Adoptivsohn Eugen (I, geb. 1856) heiratete wiederum eine Helene Koopmann. Aus dieser Ehe gingen drei Söhne hervor: Ludwig, Max und Eugen (II, geb. 1886 / von der o.g. Liste). Aus allen vorliegenden Unterlagen, die der Enkel von Eugen Meyer (II) durchgesehen hat, geht eine jüdische Verwandtschaft nicht hervor.
Die Nationalsozialisten konnten die Verwicklungen offenbar nicht durchschauen. Es ist anzunehmen, daß ihnen häufiger vergleichbare Fehler unterliefen. In jedem Fall hat Eugen Meyer (II) das "Dritte Reich" überlebt. Sein Enkel schreibt:
"Es ist dokumentarisch nicht geklärt, ob mein Urgroßvater nun Jude war oder nicht, weil zu viele Ungereimtheiten aufgedeckt wurden. [...] Mir persönlich macht das kein Problem, aber was bedeutete das in den bürgerlichen Kreisen
vor 139 Jahren, wenn ein uneheliches Kind auf die Welt kam? [...] Für meinen Großvater [Eugen Meyer II, geb. 1886] und auch für meinen Vater und seine Geschwister war das eine sehr belastende Zeit, weil die Nazis keine andere Lesart zulassen wollten. Aber sie wurden, Gott sei Dank, nicht das Opfer dieses Verfolgungswahnsinns, sie wurden nur am Rande mit Diskriminierungen davon berührt, was ja schon belastend genug sein kann." [69]
In vielen Briefen und Gesprächen mit Zeitzeugen aus dem Kreis wurden im Rahmen dieser Recherche noch einige andere Personen genannt, die die Itzehoer und Steinburger für "Juden" gehalten haben. [70]
Die Informationen über die Itzehoer Familie Gortatowski sind nur spärlich. 1910 gab es in der Breiten Straße 29 (heute das Lichtspielhaus) das "Kaufhaus Holstein", ein "Spezialhaus für Herrenkonfektion und Schuhwaren sowie sämtl. Arbeitergarderobe mit enormer Auswahl zu billigen Preisen", wie es in einem Zeitungsinserat aus der Zeit heißt. Der Besitzer, Heiman (Heinrich?) Gortatowski, verstarb 1933 im Alter von 51 Jahren, und seine Frau Erna führte das Geschäft weiter. Ein Foto zeigt das Ehepaar mit Tochter Ilse und dem befreundeten Ehepaar Nofer, vermutlich am Elbdeich in Brunsbüttel. Über andere Kontakte der Gortatowskis in Itzehoe ist bisher nichts bekannt.
1939 wurde das Geschäft an den Kinobesitzer Kuno Lau verkauft. Die Volkszählungsliste von 1939 verzeichnet unter dem Namen Gortatowski drei Personen: Erna, Ilse und Wally. Wally war eine Nichte von Heiman Gortatowski, die Tochter seines Bruders Bernhard, der um die Jahrhundertwende in Rendsburg ein Bekleidungsgeschäft übernommen hatte. Ilse war die Tochter der Itzehoer Gortatowskis, 1916 in Kiel geboren. Sie besuchte in Itzehoe die Schule von Emma Schmidt und wechselte später zur Delftorschule. Ihre Mitschülerin auf der sogenannten "Tante Emma Schule", Ilse Meyer, geb. Frahm, erinnert sich daran, "daß Ilse immer frei hatte, wenn wir anderen im Religionsunterricht waren."
Über diese karge Auskunft hinaus scheinen die Spuren der Familie aus Itzehoe verloren. Es kursierten in Itzehoe vage Grüchte, Erna Gortatowski sei nach Israel ausgewandert - eine Annahme, die sich nicht bestätigt. Es ist aber
auffallend, daß zahlreiche Zeitzeugen auch für andere Itzehoer Juden standhaft darauf beharren, sie hätten noch vor dem Krieg emigrieren können.
Erna, Ilse und Wally Gortatowski verlassen Itzehoe und gehen zu Verwandten nach Berlin. Möglicherweise wollten sie dort noch versuchen, aus Deutschland auszuwandern. Doch für Mutter und Tochter kommt es nicht mehr dazu. Zuletzt waren Erna und Ilse Gortatowski in der Sächsischen Straße 2 in Berlin gemeldet. Zusammen mit ihrem Mann, Georg Engel, und ihrer Mutter Erna wurde Ilse Engel, geb. Gortatowski, mit dem 29. Osttransport am 15. Februar 1943 von Berlin nach Auschwitz deportiert. Ilse war damals 26 Jahre alt. [71]
Allein ihre Cousine Wally aus Rendsburg (geb. 1910), die neben Erna und Ilse Gortatowski auf der Itzehoer Volkszählungsliste von 1939 stand, hat überlebt. Sie entging der Deportation, weil ihr späterer Ehemann, Erich Mahrt, sie
jahrelang unter schwierigsten und gefährlichsten Bedingungen in einer Berliner Laubenkolonie versteckte.
In den siebziger Jahren schließlich kehrte das Ehepaar Mahrt aus Argentinien noch einmal in seine Heimatstadt Rendsburg zurück. Doch außer wenigen Freunden nahm dort niemand von Erich und Wally Mahrt, geborene Gortatowski, Notiz. [72]
Von einem Tag auf den anderen verließ die Familie Abraham mit ihrer dreijährigen Tochter Daisy (später Diane) im Dezember 1938 Itzehoe - sie hatten dort fünf Jahre gewohnt. [73] Vermutlich bestand gegen Hermann Abraham, den Besitzer bzw. Pächter des "Kaufhauses Union" in der Viktoriastraße 2, ein Haftbefehl. Offenbar wurde Abraham von loyalen Angestellten gewarnt. Das Geschäft, in dem vorwiegend Billigware unterschiedlichster Art verkauft wurde, betrieb er erst seit 1933. Er hatte die Genehmigung, Waren der Firma GROHAG zu verkaufen. [74] Bereits am 1. April jenes Jahres, dem Tag des Boykotts jüdischer Geschäfte, sammelten sich SA-Männer vor dem Kaufhaus, die Schilder mit der Aufschrift "Deutsche kaufen keinen jüdischen Ramsch" trugen. Aber am gleichen Tag gab es auch eine Gegendemonstration von ca. 500 Menschen, vermutlich auf Initiative der SPD. [75] Zeitzeugen berichten, daß Kunden des "Kaufhauses Union" und auch des Schuhgeschäftes Rieder am Sandberg wiederholt von SA-Männern photographiert wurden. Diese Bilder wurden dann öffentlich ausgestellt. In einem Artikel des Nordischen Kuriers von 1935 heißt es:
"Seit Sonnabend sah man, besonders in den Nachmittagsstunden, politische Leiter in Uniform mit Schildern vor den jüdischen Geschäften, von denen es in unserer Stadt nur ganz wenige gibt. Die Schilder trugen Inschriften wie "Kauft nicht in jüdischen Geschäften" oder "Die Juden sind unser Unglück". Vor einem größeren Geschäft Ecke Viktoriastraße und Feldschmiede [Kaufhaus Union, R. K.] stand außerdem auch ein Photograph, der Besucher, die das Geschäft betraten, knipste." [76]
Die Familie Abraham flüchtete nach Shanghai, das damals von den Japanern besetzt war, die noch Emigranten ins Land ließen. Die Auswahl eines Auswanderungsziels war 1938 für Juden nicht mehr groß. Die Tochter der Familie berichtet, daß ihre Eltern - anders als die meisten Emigranten in China, die durch verschiedene Flüchtlingsprogramme überlebten - ihr Schicksal selbst in die Hand nahmen; sie gründeten ein Kinderbekleidungsgeschäft. [77]
Die treibende Kraft war dabei Elisabeth Abraham, geborene Ludwig, die aus einer christlichen Familie mit Lübecker Wurzeln stammte. Hermann Abraham war nach Auskunft seiner Tochter durch die überstürzte Flucht, das Schicksal seiner Familie und den Verlust seines Lebenswerkes zu zerstört, um jemals wieder seinen Geschäftssinn zu erlangen. Im Gegensatz zu seiner Frau hat er Deutschland auch nie wieder besucht. Doch Zeit seines Lebens war Hermann Abraham stolz auf seinen Dienst in der kaiserlichen Armee im Ersten Weltkrieg und auf sein Eisernes Kreuz. [78]
Die Familie Hermann Abrahams lebte bereits seit einigen Generationen in Hamburg und besaß dort eine Druckerei. Ein Bruder emigrierte in die USA, ein weiterer ebenfalls nach Shanghai, eine Schwester nach Palästina. Zwei andere Schwestern Hermann Abrahams und seine alte Mutter flohen mit den Familien nach Holland. Der Teil der Familie, der Sicherheit in den benachbarten Niederlanden gesucht hatte, kam in Konzentrationslagern ums Leben.
Nachdem die Kommunisten in China die Macht übernahmen, wanderte Familie Abraham 1949 wieder aus - diesmal gelangte sie über San Francisco schließlich nach Los Angeles und nannte sich dort Abrams. In den USA gab es verwandtschaftliche Bindungen; die beiden überlebenden Brüder Hermann Abrahams lebten inzwischen dort.
Daisy Abraham, heute Diane Kendy, hat natürlich keine Erinnerungen an Deutschland. Als die Familie Deutschland verlassen mußte, war sie gerade drei Jahre alt. Aber sie erinnert sich daran, daß immer über die alte Heimat gesprochen wurde, und Deutsch war auch die Sprache ihrer Kindheit.
Erst im Alter von 21 Jahren, bei ihrer us-amerikanischen Einbürgerung 1956, erfuhr Diane Kendy, daß sie nicht das leibliche Kind der Abrahams ist. Ihre leibliche Mutter war eine junge Lettin, bei der Geburt des Kindes erst 16 oder 17 Jahre alt. Sie entband im Berliner Frauengefängnis - über die Gründe der Verhaftung gibt es keine Informationen. Daisy (Diane) wurde ins jüdische Waisenhaus gebracht. Durch nicht geklärte Beziehungen bekam das kinderlose Ehepaar Abraham Kontakt zum Waisenhaus und adoptierte das inzwischen 1 1/2 Jahre alte Kind. Die leibliche Mutter kehrte nach Lettland zurück; sie hinterließ ihrer Tochter einen letzten Brief. Diane Kendy konnte trotz vielfältiger Versuche (einschließlich eines Besuches in Riga) nichts Näheres über ihre Mutter, geschweige denn über ihren Vater, erfahren.
Wie die Hallensteins gehörte auch Hermann Abraham keiner jüdischen Gemeinde oder einer jüdischen Organisation an, aber, wie seine Tochter schreibt: "My father believed in the
Jewish faith." Doch mit tieferen Bindungen an die Religion hätte er wohl kaum eine Christin geheiratet. Er starb 1966 im Exil, ein gebrochener Mann von fast siebzig Jahren. Die Mutter, Elisabeth Abrams, die sich mit großer Energie bei ihren Deutschlandbesuchen für eine "Wiedergutmachung" einsetzte und tatsächlich Erfolg hatte, lebt seit einem Jahr in einem Heim.
Ein Schreiben des Regierungspräsidenten in Schleswig über die "Genehmigung der Entjudung von Warenhäusern, Kaufhäusern usw." vom Dezember 1938 gibt Auskunft über die "Zwangsarisierung" des Geschäftes der Abrahams:
"Von diesen Firmen [es werden zwei weitere Geschäfte in Lübeck und Flensburg aufgeführt, R. K.] ist das Kleinpreisgeschäft "Union" von dem Herrn Landrat in Itzehoe arisiert worden; die Erwerber Willi Hein und Konsul Anthony in Hamburg haben am 31.8.1938 die Genehmigung zur Übernahme erhalten, jedoch ist die Vielzahl der bis dahin geführten Warengruppen von dem Landrat etwas eingeschränkt worden." [79]
Wie Michael Rieder hat auch Elisabeth Abraham ihre Heimatstadt aufgesucht, einmal auf Einladung des Hamburger Senates. Sie besuchte allerdings weder Freunde noch Bekannte. Die Abrahams, die lange in der Liliencronstraße wohnten, hatten zu den Kunden des Lebensmittelgeschäftes Grundler gehört. Eines Tages waren auch sie "verschwunden", wie Annemarie Grundler sich erinnert. Aber immerhin wußte man in Itzehoe soviel, daß die Abrahams nach Shanghai ausgewandert waren.
"Und eines Tages, es muß in den sechziger Jahren gewesen sein, kommt eine Frau die Hebbelstraße 'runter, sehr attraktiv, große Sonnenbrille auf mit Riesengläsern. Und da sagte ich zu meinem Mann: 'Guck 'mal, das ist sicher keine Itzehoerin, die kommt bestimmt aus Amerika.' Und frech wie er war, geht er vor die Tür und tut so, als ob er den Zigarettenautomaten kontrollieren wollte. Die Dame überquert die Straße, tritt auf ihn zu und sagt: 'Herr Grundler, Sie kennen mich sicher nicht mehr.' Da höre ich die Stimme und sage: 'Frau Abraham!' 'Nein', sagt sie, 'Wie haben sie mich erkannt? Ich habe mich so getarnt'. Und dann habe ich sie mit in die Wohnung genommen, und wir haben uns unterhalten. Ich habe ihr dann noch die Adresse des Schwagers von Giska Rieder, Alex Schreiber, gegeben. Die Rieders und die Abrahams kannten sich ja." [80]
Oscar Eichwald war ein angesehener Bürger der Stadt. Der Geschäftsmann, Mitbegründer der "Itzehoer Bürgerlichen Wasserwerke", verkaufte schon 1894 in der Krämerstaße Herren- und Knaben-Garderobe und hatte ein Schuhwarenlager. Seine Witwe Sophie (geb. Marcus) [81] eröffnete im April 1910 "Eichwalds Schuhwarengeschäft" in der Feldschmiede. In einer Anzeige wandte sie sich an das "geehrte Publikum" mit dem Hinweis, es werde das "aufrichtige Bestreben sein, nur erstklassige Erzeugnisse der deutschen Schuhwaren-Industrie, vereint mit gefälligen, bequemen Formen, und die billigsten, dem Fabrikat angemessenen Preise meiner werten Kundschaft bieten zu können". [82]
Es scheint, als ob die Familie Eichwald in den ersten Jahren der neuen Machthaber
versuchte, sich mit ihnen zu arrangieren. Im Itzehoer Stadtarchiv belegt ein Dokument, daß das Geschäft eine Sondergenehmigung besaß, Marschstiefel an die SA zu verkaufen. Nach Angaben von Zeitzeugen sollen sich die Eichwalds bei Spendenaufrufen immer sehr großzügig gezeigt haben. Doch mit einem Schreiben des damaligen Landrates von Lamprecht vom 1. November 1938 wurde die Annahme "jüdischer Spenden" untersagt, weil dies mit "den rassischen Grundsätzen des nationalsozialistischen Staates" nicht zu vereinbaren sei. [83]
Der Boykott jüdischer Geschäfte vom April 1933 war nur ein frühes Signal, wie das neue Regime künftig mit den Juden in Deutschland umzugehen gedachte. In der Folge gab es unzählige amtliche Schreiben, Verordnungen und Gesetze, die sich ab und zu auch der öffentlichen Kenntnis entzogen. So protestierte im Oktober 1934 die Itzehoer Ortsgruppe des Reichsverbandes deutscher Schuhwarenhändler e.V. beim Bürgermeister dagegen, daß Bedarfsdeckungsscheine des Winterhilfswerks womöglich auch in jüdischen Geschäften eingelöst werden könnten. Genannt wurden ausdrücklich die Firmen Rieder, Eichwald, Gortatowski und Abraham. Der Protest hatte Erfolg. Der Brief wurde mit einem Vermerk versehen: "Den genannten Firmen ist die Erlaubnis nicht erteilt bezw. wieder entzogen worden." [84] (vgl. Abb. 15).
Einige Itzehoer erinnern sich noch immer an das Geschäft der Familie Eichwald und ihre freundliche Bedienung. Dr. Johannes Grabener ist auch heute noch deutlich vor Augen, "daß man dort immer von Frau Eichwald bedient wurde, die mir als liebenswürdige ältere Dame in Erinnerung ist." [85] Und ein anderer Zeitzeuge ergänzt: "Ich weiß, daß meine Mutter dort die gesamten Schuhe unserer Familie zu ihrer Zufriedenheit gekauft hat, und ich erinnere mich an ein bedauerndes Gespräch meiner Eltern, als die Inhaberin meiner Mutter bei einem Einkauf mitgeteilt hat, daß sie schließen müsse." [86]
Und Dr. Günther Frahm erinnert sich daran, daß er als Junge mit Benno Eichwald in der Badeanstalt war, und "dort hat er uns gezeigt, wo er "anders" [d.h. beschnitten] aussieht". Ilse Fiedler wußte, daß Benno Eichwald in die USA ausgewandert war; er habe Itzehoe in den 70er Jahren besucht und sei ein "ganz ruhiger, netter Mensch gewesen". [87]
Elga Voss (Jg. 1924), die heute in Schenefeld lebt, kann aus ihrer Familiengeschichte einen ungewöhlichen Beitrag leisten: "Ich erinnere mich an das Schuhgeschäft Eichwald, wo meine Eltern sehr gute Kunden waren. Wir wurden dort höflich, freundlich, zuvor- und entgegenkommend bedient. Nachdem man auch ihnen die Schaufensterscheiben eingeworfen hatte, wurde es kritisch, das Geschäft zu betreten, da man von den Parteimitgliedern der Nazis fotografiert wurde und diese Bilder im "Stürmer" abgebildet und öffentlich in einem Schaukasten ausgehängt wurden.
Nun wurde es auch für meine Familie problematisch. Da mein Vater und Großvater beide in städtischen Diensten waren, das SPD-Parteibuch besaßen und nicht gewillt waren, es zurückzugeben, hatte man sie ganz besonders aufs Korn genommen, und es sind ihnen auch sehr unangenehme Folgen entstanden. Zudem war mein Vater den Eichwalds auch handwerklich behilflich, nachdem sich kein Handwerksbetrieb öffentlich
mehr zu den Juden traute. Mein Vater schlich sich buchstäblich im Schutze der Dunkelheit durch Seiten-, Neben- und Hinterein- und -ausgänge zu den Eichwalds, um Reparaturen auszuführen. Als Gegenleistung bekam er dann mehrere, verschiedene Schuhe mit, die wir dann zu Haus anprobierten und das 'Gewünschte' behalten konnten. Am nächsten Tag wurde der Rest in der Dunkelheit wieder zurückgetragen. Soweit mir bekannt ist, hatten die Eichwalds Verwandte in Amerika und sind auch nach dorthin entkommen." [88]
Und auch bei Grabeners hieß es zu Hause: "Eichwalds werden wohl ins Ausland gegangen sein." In der Tat, es scheint, als ob Sophie Eichwald und ihre Tochter Alice emigrieren konnten - allerdings nach Südafrika. Dem Melderegister der Stadt Itzehoe zufolge wanderte Alice bereits 1934 aus, ihre Mutter folgte vier Jahrte später. Dr. Siegfried Garbuny aus Arlington/USA berichtet jedoch, er habe Alice Eichwald 1934/35 in Berlin kennengelernt, als sie im Haushalt ihres Schwagers Dr. John Wolfsohn arbeitete. [89]
Eine Nachfrage sowohl bei der südafrikanischen "Jewish Family and Community" als auch bei den "Jewish Affairs" brachte jedoch keine Aufklärung; auch in den Telefonbüchern von Kapstadt und Johannesburg ist der Name Eichwald nicht zu finden. Eine Anzeige im Aufbau, der einzigen deutschsprachigen jüdischen Zeitung der USA, führte auf die richtige Spur. Eine entfernte Verwandte - Gertrud Speer-Sommerfeld aus Raleigh/USA - meldete sich und berichtete, Alice Eichwald, die mit ihrer Mutter nach Kapstadt gegangen sei, habe geheiratet und danach den Namen "Siebner" getragen. [90] Doch weitere Nachforschungen blieben hier trotz Hinweises auf eine Adresse erfolglos; es kam keine Antwort. Ein Brief der Autorin an mögliche Nachkommen Benno Eichwalds in Detroit/Michigan, dem Bruder von Alice, kam im Juni 1995 als unzustellbar zurück. Die Familie Sommerfeld hatte noch bis in die 50er Jahre Briefkontakt mit Benno Eichwald in Detroit und seiner Schwester Alice in Kapstadt. Nach Angaben des Stadthistorikers Hermann Bollhardt und zweier Zeitzeuginnen soll Benno Itzehoe nach dem Krieg noch mehrfach besucht haben. Doch ebenso wie bei Elisabeth Abraham gibt es keine Angaben darüber, wen er aufgesucht haben könnte.
Erst ein halbes Jahr, nachdem im März 1995 eine Suchanzeige im Berliner Mitteilungsblatt Aktuell erschienen war, das an rund 17.000 Familien ehemaliger Berliner in aller Welt verschickt wird, kam eine Nachricht aus Israel. Es meldete sich Gavriel Wolfsohn, wahrscheinlich der letzte lebende Enkel von Sophie Eichwald. [91] Aus seinem Brief geht hervor, daß Sophie Eichwald nicht nur zwei, sondern fünf Kinder hatte: Benno starb ca. 1955 in den USA; seine Schwester Alice 1986 in Südafrika. Beide hinterließen keine Nachkommen.
Trude Eichwald (verheiratete Wolfsohn, Mutter von Gavriel) starb schon 1932 in Berlin. Die dritte Tochter hieß Erna (verheiratete Dobromilsky), ist nach Angaben des überlebenden Enkels in Deutschland geblieben und wahrscheinlich mit ihrer ganzen Familie umgekommen. Und dann gab es noch einen zweiten Sohn, dessen Name nicht bekannt ist. Er soll schon nach dem 1. Weltkrieg in die USA ausgewandert sein und wurde nach Angaben von Gavriel Wolfsohn von der Familie versto-
ßen, weil er eine Christin geheiratet hatte. Die Mutter Sophie Eichwald starb etwa 1956 in Südafrika. Es scheint demnach aber sicher zu sein, daß Sophie, Alice und Benno Eichwald den Holocaust überlebt haben.
Nur wenige Itzehoer wie z.B. die beiden ehemaligen KKS-Schüler Dr. Friedrich Rüllmann (jetzt Hamburg) oder Dr. Johannes Grabener (jetzt Kiel) erinnern sich überhaupt noch an das Mode- und Manufakturgeschäft der Familie Sternberg. Ilse Fiedler (geb. 1910 als Ilse Buck) und vor allem ihr Bruder Walter waren mit den beiden Söhnen der Sternbergs befreundet. Sie beschreibt das Haus als sehr vornehm, und die Familie sei "ganz ausgezeichnet" zu ihrem Personal gewesen. Und Annemarie Grundler weiß, daß die Sternbergs gern bei ihrem Onkel im Obstgeschäft Hugo Blankenstein am Sandberg 7 einkauften. "Rosa Sternberg war eine große, sehr freundliche Frau", erzählt Frau Grundler.
Bereits 1876 erwarb der in Wilster geborene Kaufmann Julius Sternberg den Gebäudekomplex Breite Straße 1 / Sandberg 2 und gründete dort sein Unternehmen. Mit einem Jugenstilmotiv warb er für Itzehoes "Ältestes und größtes Kaufhaus für sämtliche Manufaktur- und Modewaren". Sternberg starb 1893, seine Frau über 30 Jahre nach ihm im Jahr 1925. Nach Umbauten übernahm 1920 der Sohn Karl das Unternehmen, verkaufte es aber bereits sieben Jahre später an die Firma Karstadt. Bald darauf wurden die Gebäude abgerissen - ein geplanter Neubau kam nicht zustande. [92] Im gleichen Jahr meldete sich Karl zusammen mit seinem Bruder Alfred nach Berlin ab - seitdem fehlt jede Spur. Die Brüder Sternberg waren also schon Jahre vor der "Machtergreifung" nicht mehr im Kreis Steinburg.
Es hat sich gelohnt, nach Spuren der jüdischen Familien im Kreis Steinburg zu suchen, auch wenn viele Fragen ungeklärt bleiben müssen. Es war, auch nach einem halben Jahrhundert, noch nicht zu spät.
Geschichte, das sind eben nicht nur Zahlen, Daten und Fakten, sondern es ist vor allem das einzelne Schicksal, das berührt und nachdenklich macht. Geschichte, das sind auch persönliche Erfahrungen, Freundschaft und Entfremdung, Mut und Angst, Anteilnahme und Ignoranz im Alltag. Trotz Ausgrenzung, Verachtung und der Massenvernichtung durch die Nationalsozialisten sind ein paar Verbindungen zwischen Steinburgern und emigrierten Juden aus dem Kreis erhalten geblieben oder neu belebt worden. Freundschaften haben die "Zeitenwende" überstanden, weil einige wenige sich interessierten, trotz eigener Probleme Kontakt suchten und Anteil nahmen. Die Repression durch den nationalsozialistischen Staat zeigte auch im Kreis Steinburg Wirkung. Es gab Denunziationen und Verrat, Verdrängung und Gleichgültigkeit in hohem Ausmaß. Widerstand, ja auch nur beharrliche Menschlichkeit, Mut und Zivil-
courage waren für die meisten Fremdwörter. Die "Schlußstrich-Mentalität" hatte nach dem Zweiten Weltkrieg auch im Kreis Steinburg Konjunktur.
Die Erfahrungen aller Beteiligten lehren uns vor allem eines: Daß es sich lohnt, auf das eigene Gewissen zu hören und wenn nicht zu widerstehen, so doch wenigstens im Sinne der Gerechtigkeit zu widersprechen. Jüdische Familien auch aus dem Kreis Steinburg mußten schweren Herzens aus ihrer Heimat flüchten, verloren die Existenzgrundlage und ihre sozialen Kontakte, andere wurden deportiert und ermordet.
Wir sind ihnen die Erinnerung schuldig.
1. Die ergreifenden Erinnerungen jüdischer Schleswig-Holsteiner erschienen unter dem Titel: Zwischen gestern und heute. Erinnerungen jüdischen Lebens ehemaliger Schleswig-Holsteiner, zusammengestellt und eingeleitet von Gerd Stolz, Westholsteinische Verlagsanstalt Boyens & Co., Heide 1991. Hintergrundinformationen in: 50 Jahre nach den Judenpogromen. Reden zum 9./10. November 1988 in Schleswig-Holstein, Uwe Danker und Andreas M. Rink (Red.), hrsg. v. Beirat für Geschichte der Arbeiterbewegung und Demokratie in Schleswig-Holstein und der Pressestelle der Landesregierung, Kiel 1989.
Während der Drucklegung dieses Beitrages erschien das "Memorbuch zum Gedenken an die jüdischen, in der Schoa umgekommenen Schleswig-Holsteiner und Schleswig-Holsteinerinnen", hrg. von Miriam Gillis-Carlebach, Dölling und Galitz Verlag, Hamburg 1996. Keine der ermordeten Angehörigen der hier genannten Familien sind darin verzeichnet; andere dort mit Verbindung zum Kreis Steinburg aufgeführte Personen - Dr. Julius Jonas aus Itzehoe, Magda Levy aus Glückstadt, Max Moddel und Lea Laura Selcke aus Glückstadt haben nach bisherigen Kenntnissen länger im Kreisgebiet gelebt.
2. Bästlein, Klaus: Die Judenpogrome am 9./10. November 1938 in Schleswig-Holstein. Eine organisationsgeschichtliche Studie, in: Jüdisches Leben und die Novemberpogrome 1938 in Schleswig-Holstein. Aufsätze, hrsg. vom Grenzfriedensbund, Flensburg 1988, S. 9 - 53, hier S. 10.
3. Im Schleswig-Holsteinischen Landesarchiv Schleswig liegen lediglich Listen über den vermutlichen Verbleib jüdischer Bewohner der Städte Kiel und Lübeck vor sowie in geringem Umfang aus anderen Orten Schleswig-Holsteins.
4. Vgl. Lorenzen-Schmidt, Klaus J. (Hrg.): "Bei uns...1933 - 1945", Engelbrechtsche Wildnis 1983.
5. Vgl. Kirschninck, Harald: Die Juden in Elmshorn während des Dritten Reiches, in: Jahrbuch für den Kreis Pinneberg 1984, S. 33 - 49.
6. Nach jüdischer Religion und Tradition bedarf es zehn erwachsener Männer, damit eine Gemeinde zustande kommt. - Vgl. u.a. Wulf, Peter: Die Verfolgung der schleswig-holsteinischen Juden im November 1938, in: Die Juden in Schleswig-Holstein, hrsg. v. d. Landeszentrale für politische Bildung (Gegenwartsfragen 58), Kiel 1988, S. 25 - 38, hier S. 28. In diesem Heft finden sich auch grundlegende Informationen zum Thema. - Der Elmshorner Forscher Harald Kirschninck berichtet, daß einige Itzehoer Juden wie z.B. Erna Gortatowski Verbindungen zur dortigen Gemeinde hatten. Vgl. Anm. 5.
7. Wenn nicht anders angegeben, stammen die Zitate und Informationen aus Briefen und Gesprächen von den im Text genannten Zeitzeugen und Angehörigen.
8. Aufrufe und Anzeigen erschienen u.a. in: Norddeutsche Rundschau v. 31.12.1994; Aktuell Berlin, 55/1994; Aufbau/New York v. 17.3.1995. - Von den Archiven werden im folgenden nur die wesentlich genutzten genannt: Archiv der VVN/Hamburg; Bundesarchiv/Abt. Potsdam; Institut für die Geschichte der deutschen Juden/Hamburg; Landesarchiv Schleswig; Museum of the Jewish Diaspora/Tel Aviv; Stadtarchiv Itzehoe; Yad Vashem/Jerusalem. - Eine Briefaktion mit Schreiben an rund 40 ehemalige KKS-Schüler erbrachte viele Informationen. Zu danken ist in diesem Zusammenhang besonders dem Vorsitzenden Ernst-Otto Friese.
9. Nicht nur sind zahlreiche Einzelschicksale nach wie vor ungeklärt, es gibt auch immer noch keine Untersuchung über die wirtschaftliche Ausbeutung der Juden des Kreises, die im Rahmen dieser Recherche nicht hinreichend geleistet werden konnte.
10. Laut "Catastrum" 1739, einem früheren Grundstücks- und Einwohnerverzeichnis, Nr. 278/Quartier Nr. VI.36. Stadtarchiv Itzehoe, Abt. D, Nr. 83, Informationen, gesammelt vom Stadthistoriker Hermann Bollhardt.
11. Krohn, Rudolf: Spaziergänge durch Alt-Itzehoe, Verlag G. J. Pfingsten, Itzehoe 1926, S. 192.
12. Vgl. die Neuausgabe der "Spaziergänge", Verlag Hansen & Hansen,Münsterdorf 1981, und hier die "Kulturgeschichtlichen Nachbemerkungen" des Schweizer Soziologen Hans Rudolf Hilty, S. 341 - 349, bes. S. 344.
13. Siehe Einzelheiten zu der Liste weiter unten.
14. Angaben aus einem Brief von Dr. Onno Buurmann a.d. Autorin v. 2.2.1995.
15. Alle nicht näher erläuterten Angaben aus den Adreßbüchern der Stadt Itzehoe.
16. Vgl. die Schulstatistiken im Verwaltungsbericht für die Stadt Itzehoe für die Jahre 1918 - 1929, Stadtarchiv Itzehoe.
17. Stadtarchiv Itzehoe, Abt. D, Nr. 83.
18. Die Zeitzeugin Ilse Fiedler (Jg. 1910) erinnert sich an das Geschäft der Familie Feist in der Feldschmiede; allerdings bezeichnet sie es als "Manufakturgeschäft" (Telefongespräch m.d. Autorin v. 10.2.1995).
19. Alle bekannten jüdischen Familien und Geschäftsleute, die bis in die Zeit des Nationalsozialismus im Kreis ansässig waren, werden weiter unten ausführlich beschrieben.
20. Vgl. Benz, Wolfgang: Geschichte der Juden in Deutschland in der nationalsozialistischen Zeit, in: Ausgegrenzt - Verachtet - Vernichtet. Zur Geschichte der Juden in Schleswig-Holstein, Landeszentrale für Politische Bildung Schleswig-Holstein (Gegenwartsfragen 74), Kiel 1994, S. 83 - 94, hier S. 93.
21. Ausgegrenzt - Verachtet - Vernichtet, a.a.O., Vorwort, S. 7.
22. Alle Informationen über Rolf Hallenstein und die wörtlichen Zitate stammen aus Briefen a.d. Autorin aus dem Jahr 1995. Übersetzung aus dem Englischen R. König.
23. Ernest (Ernst) Hallenstein in einem Brief v. 4.11.1990 an den früheren KKS-Lehrer und stellvertretenden Schulleiter Ernst-Otto Friese. Alle Informationen über Ernest und Erik Hallenstein stammen aus Briefen und Telefonaten von Ernest Hallenstein an/mit Friese bzw. an den Direktor der KKS Klaus Lange sowie aus einem Interview der Autorin mit Friese v. 9.1.1995.
24. Ernest Hallenstein in einem Brief, abgedruckt in: Mitteilungsblatt der "Vereinigung ehemaliger Kaiser-Karl-Schüler e.V." [zit. Mitteilungsblatt], Nr. 130, S. 9 - 12, hier S. 9.
25. In einem Brief v. 10.2.1995.
26. Eine Kopie der Urkunde liegt der Autorin vor.
27. Vgl. Mitteilungsblatt, Nr. 118, S. 18f.
28. Mitteilungsblatt, Nr. 123, S. 43.
29. Vgl. das Vorwort im Mitteilungsblatt, Nr. 131, S. 3.
30. In einem Interview mit der Autorin v. 8.1.1995.
31. Dr. Günther Frahm/Kiel in einem Telefonat mit der Autorin v. 3.2.1995.
32. In einem Brief a.d. Autorin v. 2.2.1995.
33. Abgedruckt in: Dohnke, Kay: Die unbekannten Itzehoer, in: Programmheft der Theater-Gruppe der Kaiser-Karl-Schule Itzehoe zu dem Theaterstück "Ab heute heißt du Sara" nach dem Lebensbericht von Inge Deutschkron, Itzehoe 1994, Eigendruck, S. 52 - 65, hier S. 59.
34. So berichtet Ilse Fiedler (geb. Buck) am 10.2.1995 in einem Telefonat mit der Autorin.
35. U.a. Georg Hartmann (Brief a.d. Autorin v. 30.1. 1995), Dr. Günther Frahm (Telefonat v. 3.2.1995), Dr. Friedrich Rüllmann (Telefonat v. 31.1.1995).
36. Ilse Meyer, geb. Frahm in einem Telefonat v. 12.1.1995.
37. Dr. Günther Frahm (Telefonat a. 3.2.1995), Hans Kolbe (Brief v. 30.1.1995), Annemarie Grundler (Int. v. 9.1.1995).
38. Ilse Fiedler und ihr Bruder Walter Buck (Telefonat m. Ilse Fiedler v. 10.2.1995).
39. Int. v. 9.1.1995.
40. Vgl. unten.
41. In einem Brief v. 15.3.1995.
42. Int. v. 9.1.1995.
43. Schleswig-Holsteinische Tageszeitung, 11./12.1.1941 und 14.1.1941.
44. Schleswig-Holsteinische Tageszeitung, 11./12.1.1941.
45. Auch Max Thies schreibt in einem Brief a.d. Autorin v. 29.1.1995: "Die Rieders sollen nach Amerika gegangen sein."
46. Vgl. "Wo Wurzeln waren ..." Juden in Hamburg-Eimsbüttel 1933 bis 1945, Sybille Baumbach u.a., hrsg. v. d. Galerie Morgenland, Dölling und Galitz Verlag, Hamburg 1993, S. 116.
47. Lilo Feinschil (geb. Lieselotte Rieder), Tochter von Simon Rieder aus Hamburg, i.e. Brief a.d. Autorin v. 30.12.1994. Vgl. auch: "Wo Wurzeln waren ...", a.a.O., S. 114 - 117.
48. Int. v. 9.1.1995.
49. Int. v. 9.1.1995.
50. Int. v. 9.1.1995.
51. Int. v. 9.1.1995.
52. Genauere Informationen sind in diesem Fall wie in fast allen anderen, die Steinburger Juden betreffen, bisher nicht recherchiert. Annemarie Grundler berichtet, Frau Armbruster sei "sehr böse" auf die Rieders gewesen, weil die Armbrusters für das Haus zweimal hätten bezahlen müssen.
53. Harald Kirschninck beschreibt für Elmshorn den Fall, daß der Einheitswert einer Lederfabrik einschließlich Wohnhaus nur dem Betrag entsprach, für den vorher das Wohnhaus versichert war! Vgl. Kirschninck, a.a.O., S. 39 und S. 48, Anm. 38.
54. Über die Wirksamkeit der NS-Enteignungspolitik schreibt der Großvater der Hamburger Familie Rieder, Strauss, am 6.11.1937 an seine Angehörigen in den USA. Vgl. "Wo Wurzeln waren ...", a.a.O., S. 116.
55. Vgl. Nordischer Kurier v. 3.12.1938. Im Schleswiger Landesarchiv sind weder Steuerkarten noch Vermögenslisten archiviert.
56. Ebd.
57. Vgl. die "Politischen Lageberichte" der Kieler Staatspolizeistelle, die sich zwar auf den Regierungsbezirk Schleswig beziehen, aber Rückschlüsse auf andere Teile des Landes ermöglichen. Landesarchiv Schleswig, LAS 410, 290. Zit. n. Hausschildt, Dietrich: Juden in Kiel im Dritten Reich. Staatsexamensarbeit, Kiel 1980.
58. Abgedruckt in: Dohnke, a.a.O., S. 59.
59. Allgemeines hierzu in: Bästlein, a.a.O., S. 9 - 53. Siehe auch den folgenden Aufsatz in der Anthologie: Philipsen, Bernd: Der 9./10. November in Kappeln, S. 55 - 64.
60. Vgl. Krausnick, Helmut: Judenverfolgung, in: Buchheim, Hans: Anatomie des SS-Staates, Bd. 2, 2. Aufl. Freiburg 1979, S. 276f.
61. Gedenkbuch. Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 - 1945, bearbeitet vom Bundesarchiv Koblenz und dem Internationalen Suchdienst Arolsen,
Bd. 1 und 2, Koblenz 1986.
62. Siehe zur Familie Gortatowski weiter unten.
63. Max Thies (Brief v. 21.1.1995) und Ilse Meyer, geb. Frahm (Telefonat v. 12.1.1995).
64. Archiv der VVN - Bund der Antifaschisten/Landesvereinigung Hamburg. Kopien liegen der Autorin vor.
65. Vgl. die Verfahrensakte gegen W. Vogt im Bundesarchiv, Signatur Z 42 III/3760.
66. Information von Elga Voss i.e. Brief a.d. Autorin v. 15.3.1995.
67. Auch Christine Stettnisch stammt nach den Angaben der Volkzählung aus Glückstadt, wo sie 1887 geboren wurde. Die Geburtsdaten von Martin Hein und Chr. Stettnisch (geb. Hein) scheinen für ein Geschwisterpaar allerdings zu weit auseinander zu liegen.
68. Die Volkszählungsdaten stimmen mit dem "Juden-Vermerk" der Stadt Krempe in der Amtsverwaltung Krempermarsch überein. Vgl. das Schreiben von H. Bolten v. 8.2.1995.
69. Peter thor Straten (Enkel von Eugen Meyer II) in einem Brief a. d. Autorin v. 15.4.1995. Daraus stammen auch alle vorangehenden Angaben.
70. So hielt beispielsweise Eva Lensch aus Itzehoe den Untermieter ihrer Eltern in der Breitenburger Str. 36, Hans Adolf von Eynatten, für einen Juden. (Brief a.d. Autorin v. 18.1.1995.) Dr. Onno Buurmann aus Itzehoe hat die komplizierte Familiengeschichte recherchiert und kommt zu dem Schluß, daß von Eynatten kein Jude war (Schreiben a.d. Autorin v. 29.1.1995). - Hans Kolbe erwähnt in einem Brief (30.1.1995) die Frau des Generals v. Opitz, die Halbjüdin gewesen sein soll. Heinrich K. Kirchberg schreibt (am 1.2.1995) vom Hausarzt der Familie, Dr. Schauß, dessen Praxis Hinterm Klosterhof bestand und in der er laut Kirchberg bis nach dem II. Weltkrieg praktizierte. Laut Kirchbergs Mutter soll Dr. Schauß Jude gewesen sein. - Dr. med. H. Storjohann war mit Martin Kröger aus der Kaiserstraße befreundet, der nach Angaben Storjohanns aus einer jüdischen Familie gestammt haben soll. (Brief v. 9.2.1995.) - Alle genannten Angaben bedürfen einer genaueren Prüfung. Sie konnten im Rahmen dieser Aufsatzrecherche nicht verifiziert werden.
71. Gedenkbuch S. 298 und 441, sowie ein Schreiben des Bundesarchivs/Abt. Potsdam a. d. Autorin v. 5.1.1995.
72. Informationen von Eva Hoffmann/Wiesbaden, die für das ZDF über die Rendsburger Juden einen Dokumentarfilm drehte, der am 5.3.1990 in einer 60-Minuten-Fassung im ZDF und am 24.5.1990 in einer 90-Minuten-Fassung in 3sat erstausgestrahlt wurde. Vgl. Dokumentarfilmprotokoll "Cäsar, Cäsar! - Erinnerungsversuche in Rendsburg", ZDF-Schriftenreihe, Materialien zum Progamm, Heft 39 (Mainz 1990). Hoffmann berichtete außerdem, daß - laut Zeitzeugen aus Rendsburg - Johanna Gortatowski gelegentlich mit einer wie sie selbst stets besonders elegant gekleideten Dame in Rendsburgs Straßen gesehen wurde. Dabei müßte es sich um Johanna Gortatowskis Schwester Erna aus Itzehoe gehandelt haben. Beide Schwestern (geb. Neumann) hatten zwei Brüder Gortatowski (Heiman und Bernhard geheiratet).
73. Alle nicht näher gekennzeichneten Informationen stammen aus Briefen von Diane Kendy. Sie wurde von den Abrahams 1945 in Shanghai offiziell adoptiert. Das Ehepaar hatte das Kind mit 1 1/2 Jahren aus einem Berliner Waisenhaus geholt. (Näheres dazu weiter unten.) Diane Kendy befragte auch ihre Tante Ann Abrams (San Mateo/Kalifornien).
74. Vorher hatte sich dort ein Engros-Lager befunden. Vgl. Adreßbuch der Stadt Itzehoe von 1925.
75. Vgl. Itzehoe. Geschichte einer Stadt. Von 1814 bis zur Gegenwart, Bd. 2, Itzehoe 1991.
76. Nordischer Kurier, 14.8.1935.
77. Weiterführende Informationen in: Kranzler, David: Japanese, Nazis & Jews. The Jewish Refugee Community of Shanghai 1938 - 1945, New York 1976.
78. Diane Kendy i. e. Brief an die Autorin v. 22.9.1995.
79. Landesarchiv Schleswig, LAS 309/35095. Eine Kopie des Schreibens liegt der Autorin vor.
80. Alle Angaben und Zitate von Annemarie Grundler stammen aus einem Interview m. d. Autorin v. 9.1.1995.
81. Gertrud Speer-Sommerfeld berichtet von ihrer Schwiegermutter, Helene Sommerfeld, geb. Marcus. Und die sei eine Schwester von Sophie Eichwald gewesen (Brief v. 23.5.1995).
82. Itzehoer Nachrichten, 27.4.1910.
83. Stadtarchiv Itzehoe. Kopie des "vertraulichen" Schreibens v. 1.11.1938 "an die Herren Bürgermeister des Kreises, Gesamtschulverbände, öffentlich rechtlichen Sparkassen, Herren Amtsvorsteher", liegt vor.
84. Kopie aus dem Stadtarchiv Itzehoe liegt vor.
85. Brief a.d. Autorin v. 2.2.1995.
86. Heinrich K. Kirchberg i.e. Brief a.d. Autorin v. 1.2.1995.
87. Telefongespräch m.d. Autorin v. 10.2.1995. Auch Annemarie Grundler bestätigt, daß Benno Eichwald in Itzehoe gewesen sei; sie habe ihn damals angesprochen.
88. In einem Brief a.d. Autorin v. 20.2.1995. - Beim Itzehoer Bürgermeister Rohde gingen die Scheiben bereits 1933 zu Bruch. Vgl. dazu u.a. Engel-Baseler, Ute: Itzehoe zur Zeit des Nationalsozialismus, in: Itzehoe. Geschichte einer Stadt in Schleswig-Holstein, Bd. 2, Itzehoe 1991, S. 304f.
89. Alices Schwester, die Frau von Dr. Wolfsohn, sei kurz zuvor verstorben (Brief v. 10.6.1995).
90. Sophie Eichwald war eine Tante von Herrn Sommerfeld. (Brief von Gertrud Speer-Sommerfeld a.d. Autorin v. 30.3.1995.)
91. Brief a.d. Autorin v. 20.8.1995.
92. Hans Kolbe erinnert sich an den Abriß (Brief v. 30.1.1995).
Veröffentlicht in den Informationen zur Schleswig-Holsteinschen Zeitgeschichte (Kiel) Heft 29 (Juni 1996) S. 3-33.
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Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte Heft 29