Am 13. Mai dieses Jahres überreichte die Ministerin für Forschung, Wissenschaft und Kultur, Marianne Tidick, dem Zeithistoriker Gerhard Hoch vor zahlreichen Gästen im Bürgerhaus in Kaltenkirchen die Ehrennadel des Landes Schleswig-Holstein. Diese Auszeichnung der Ministerpräsidentin erhielt der pensionierte Bibliothekar für zahlreiche Veröffentlichungen über die Geschichte des Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein. Gerhard Hoch habe, so die Ministerin, "als Historiker schleswig-holsteinische Zeitgeschichte geschrieben, die nachhaltig und richtungsweisend ist."
Gerhard Hoch wurde 1923 in Alveslohe geboren und verlebte Kindheit und Jugend in der Zeit des deutschen Faschismus. Er war Mitglied der Hitler-Jugend und, wie er selbst betont, überzeugter Nationalsozialist. Nach der Lehrerausbildung in Lunden im Kreis Norderdithmarschen - vgl. seine Darstellung dieser NS-spezifischen Einrichtung in diesem Heft - wurde er zur Wehrmacht eingezogen und geriet in alliierte Kriegsgefangenschaft. Dort begann die grundlegende Neuorientierung, die sich über das Studium der Theologie und eine Teilnahme an der Bewegung gegen die Wiederbewaffnung und die Notstandsgesetze fortentwickelte. Gerhard Hoch ist Mitglied einer lokalen Initiative der Friedensbewegung.
Als Gründungsmitglied des Akens im Jahre 1983 verkörpert Gerhard Hoch geradezu beispielhaft Intention und Interesse dieses Arbeitskreises von Lokalhistorikern: Die vergessene und ver-
drängte Geschichte des Nationalsozialismus bekannt zu machen, Defizite der an der Kieler Universität angesiedelten "offiziellen" Geschichtsforschung aufzuarbeiten und mit den neuen Methoden der "Oral History" und "Geschichte von unten" weitere Erkenntnisse über die NS-Zeit zu gewinnen. Wozu dies aus seiner Sicht auch gesellschaftspolitisch dient, machte er in einem jüngst veröffentlichten Interview einer Lokalzeitung deutlich: "Es hilft vielmehr, daß die Kenntnis der Verbrechen und Fehler früherer Generationen, aber auch die Beispiele des Widerstandes, den jungen Menschen den Weg in eine menschliche, das heißt in eine demokratische Gesellschaft weist."
Der Laienhistoriker aus Alveslohe forscht hauptsächlich über die nationalsozialistische Herrschaft in seiner Region. Seine Arbeit mit dem Titel Zwölf wiedergefundene Jahre über Kaltenkirchen unter dem Hakenkreuz aus dem Jahre 1980 wurde einerseits in der Fachwelt bekannt und als exemplarische Regionalstudie hoch gelobt, andererseits vor Ort mit Mißachtung und Ablehnung beantwortet (siehe hierzu Gerhard Hochs Bericht im Heft 28 dieser Zeitschrift). Der Autor galt damals in seinem Wohnort als "Nestbeschmutzer".
Das hat sich inzwischen geändert. Immer wieder laden Geschichtslehrer ihn als Sachverständigen und Zeitzeugen zum Vortrag über den Nationalsozialismus in den Unterricht ein. Die Verleihung der Ehrennadel im Bürgerhaus in Kaltenkirchen unterstreicht die Bedeutung seines Engagements. Die von Gerhard Hoch geleistete Aufklärungsarbeit über das Aufkommen und die Herrschaft des Nationalsozialismus - u.a. in seiner Studie Das Scheitern der Demokratie im ländlichen Raum (1988) - findet heute zunehmend Anerkennung. Trotzdem ist die in seinem Buch Von Auschwitz nach Holstein (1990) beschriebene Verweigerung der Mithilfe von Repräsentanten bei der Erforschung der Geschichte des eigenen Ortes am Beispiel des Kreises Segeberg, ja geradezu die Wiederbelebung einer "Volksgemeinschaft" zum "Schutz" des Dorfes, aber deshalb noch längst nicht überwunden. Außer seinen so zahlreich erschienenen kleineren Veröffentlichungen sollen abschließend noch seine Forschungen über Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter in Schleswig-Holstein erwähnt werden. Mit Verschleppt zur Sklavenarbeit (1985) hat Gerhard Hoch als Mitherausgeber eine Aufsatzsammlung publiziert, die noch immer die einzige Darstellung dieses Kapitels der schleswig-holsteinischen Geschichte ist.
Ein paar kritische Nachgedanken: Mag man auch heutzutage nicht viel oder weniger von Ehrennadeln, Orden und ähnlichen leichtmetallenen Auszeichnungen halten - eine Anerkennung für herausragende Leistungen bedeutet soetwas allemal. Gesellschaftswissenschaftler haben herausgefunden, daß in einer zunehmend von isolierten Individuen geprägten Nicht-Gemeinschaft das Bedürfnis nach symbolischen Handlungen wächst. Ich vermag keine statistischen Zahlen über die Häufigkeit der Verleihung der Ehrennadel des Landes Schleswig-Holstein in den letzten Jahren oder über den Grad der Zustimmung zu einer solchen Auszeichnung eines seiner Mitglieder unter allen Akens-Mitgliedern zu nenne. Ich denke, letzteres wird als individuelle Angelegenheit begriffen.
Vielleicht gibt es ja auch Mitglieder im Akens, die der Ansicht sind, daß es sich die Verantwortlichen in der Kulturpolitik des Landes mit einer solch "billigen" Auszeichnung zu einfach gemacht hätten. Wichtiger seien ausreichende Druckkostenzuschüsse für Veröffentlichungen regionalhistorischer Arbeiten und keine Kürzung des Förderbeitrages für den Akens. Ja, die Landesregierung hat sich dem Zeitgeist angepaßt: Beim Sparen und Umverteilen sowie bei den symbolischen Handlungen in der Kulturpolitik; gründliche Forschung wird in den kostenfreien Raum hineinprivatisiert. Man ehrt den Mitbegründer des Vereins und reduziert gleichzeitig den Zuschuß. Gerhard Hochs Aktivitäten, daran gibt es keinen Zweifel, werden zu Recht anerkannt, doch bleibt der Eindruck einer Halbherzigkeit der Ministerinnen.
Veröffentlicht in den Informationen zur Schleswig-Holsteinschen Zeitgeschichte (Kiel) Heft 29 (Juni 1996) S. 55-57.
Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte Heft 29