//70//

Dietrich Stein: St. Peter-Ording und Gustav Frenssen - Streit um einen Straßennamen

1972 war in St. Peter-Ording eine Straße nach Gustav Frenssen benannt worden. Die Gemeinde hatte damals für ein Neubaugebiet Dichternamen der Westküste ausgesucht: Storm, Hebbel, Frenssen und Groth. Die Entscheidung läßt erkennen, daß es in jenen Jahren offenbar keine Schwierigkeiten bereitete, auch Frenssen zum Namensgeber für eine Straße zu machen. Er galt als der Dithmarscher Heimatschriftsteller schlechthin, war Beispiel für das erfolgreiche literarische Engagement an Schleswig-Holsteins Westküste.

Als sich 1995 die Gemeindevertretung von St. Peter-Ording zu einer Umbenennung des Gustav-Frenssen-Weges entschloß, hatte sich das Frenssen-Bild sehr geändert: Seit Jahren gibt es Umbenennungen von Frenssen-Straßen. Werk und Persönlichkeit des Schriftstellers werden mehr und mehr Thema sachlicher und wissenschaftlicher Auseinandersetzungen, die erkennen lassen, daß nicht harmlose Heimatdarstellung Frenssens Interesse und Anliegen war, sondern vor allem sein Einsatz für ganz bestimmte ethische Anschauungen, politische Ziele und ideologische Überzeugungen. Seit 1932 hatte Frenssen entschieden einen antibürgerlichen radikalen Nationalsozialismus propagiert.

Vor diesem inzwischen doch bekannter gewordenen Hintergrund wäre es nicht erstaunlich gewesen, wenn die Straßenumbenennung in St. Peter-Ording ohne weiteres gelaufen wäre wie in anderen Städten Schleswig-Holsteins und auch in Hamburg. Dem war und ist nicht so. Und das ist erstmal gut so, denn die Geschichte der Frenssen-Straßen nach 1945 macht ein Dilemma deutlich: Gremien entscheiden über Straßennamen, ohne sich hinreichend über Hintergründe zu informieren. Bürgerinnen und Bürger bleiben in der Regel vom Prozeß, der zur Straßenbenennung oder wie in diesem Falle zur Umbenennungen führt, ausgeschlossen. Das war zumindest einer der Gründe, warum Anwohnerinnen und Anwohner des Frenssen-Weges in St. Peter-Ording den Umbenennungsbeschluß nicht hinnahmen, sondern bei der Gemeinde protestierten.

Sie erreichten damit einen Aufschub des Beschlusses. Es sollte Gelegenheit gegeben werden, sich vor der Um-


//71//

benennung ausführlich mit Frenssen auseinanderzusetzen. Darum lud die Universitätsgesellschaft zum 10. Oktober 1996 ins Gemeindehaus der Kirche von St. Peter-Ording ein. Hauptreferent war Kay Dohnke, ich selbst sollte ein Statement dazu abgeben. Viele Besucher kamen, aber - und das war eine Enttäuschung - die Gruppe, die gegen eine Umbenennung des Gustav-Frenssen-Weges protestierte, trat an diesem Abend kaum in Erscheinung, soweit sie überhaupt anwesend war.

In seinem Vortrag legte Kay Dohnke das Schwergewicht auf Frenssens propagandistische und publizistische Tätigkeit: Im Ersten Weltkrieg gehörte Gustav Frenssen zu den Schriftstellern, die sich in die vor allem englandfeindliche Kriegspropaganda einspannen ließen. Er, der bis dahin zu den vehementen Kritikern des Kaiserreichs gezählt, sich für soziale Gerechtigkeit, für die Rechte der Arbeiterschaft eingesetzt und die revolutionären Entwicklungen in Rußland mit großer Sympathie verfolgt hatte, wurde nun zum Kriegspropagandisten und Feindbildförderer. Anders verhielt Frenssen sich in den zwanziger Jahren, wo er zeitweise zum guten Botschafter der Weimarer Republik und eines friedliebenden Deutschland im Europa der Vaterländer wurde.

Seit dem Frühjahr 1932 aber schlug Frenssen sich mehr und mehr auf die Seite des Nationalsozialismus und begrüßte 1933 als das Jahr der großen Revolution für Deutschland. Von ihm schon um 1900 gehegte biologistische Ideen setzten sich endgültig durch. Aus dem liberalen, sozial engagierten Pastor und Prediger eines realisierbaren Gottesreiches auf Erden, aus dem im Kaiserreich meistgelesenen Schriftsteller, der bürgerliche Moral als verlogen und widernatürlich angriff, wurde ein Propagandist radikaler NS-Ideologien von Menschenzüchtung bis hin zur Ausrottung "unwerten" Lebens. In einer Flut von publizistischen Beiträgen hämmerte Frenssen seiner Leserschaft all das ein. Besonders in diesem zweiten Werk hinter dem ersten der Romane und Erzählungen legt Frenssen seine Überzeugungen offen dar.

In meinem anschließenden Statement wies ich auf Frenssens Vorliebe zu radikalen und vorurteilsvollen Positionen hin. Er war alles andere, nur kein harmloser Heimatschriftsteller.

In der Diskussion wurde auch Frenssens Antisemitismus zum Thema gemacht, der sich erst ab Mitte der zwanziger Jahre abzeichnete, während der Autor vorher rege und auch freundschaftliche Kontakte zu Juden unterhalten hatte - etwa zu dem Reichstagsabgeordneten Georg Davidsohn und dem späteren Reichsaußenminister Walther Rathenau. Noch 1932 war Ludwig Holländer, Direktor des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, der Meinung, der Schriftsteller werde sich für Deutschlands Juden engagieren und gegen den Nationalsozialismus stellen. Frenssen selbst tat sich damals sehr schwer, seinen jüdischen Freunden den Gesinnungswandel zu erklären. In der Öffentlichkeit agitierte er nach 1933 bedenkenlos gegen die Juden.

Etliche von denen, die im Gemeindehaus von St. Peter-Ording mit dabei waren, sagten, daß die ausführlichen Sachinformationen über Frenssen unbedingt notwenig seien. Aber zu einer Entscheidung für die Straßenumbenennung half der Abend nur bedingt weiter.


//72//

Die Chance eines gemeinsamen Weges derjenigen, die sich an der Straßenumbenennung geärgert hatten, weil sie ohne Diskussion mit den Bürgerinnen und Bürgern entschieden worden war, zusammen mit Gemeindevertretung und denjenigen, die sich aufgrund ihrer Kenntnis von Frenssen für eine Straßenumbenennung aussprachen, wurde nicht genutzt. Seitdem haben sich Positionen verhärtet.

Wer in St. Peter-Ording die Beibehaltung des Namens "Gustav-Frenssen-Weg" öffentlich befürwortet, lehnt trotzdem Nationalsozialismus, rechstradikale Ideen und Antisemitismus durchaus ab, findet Worte der Anteilnahme für das Schicksal des jüdischen Mitbürgers, dessen Eltern im KZ ermordet wurden und der selbst nur knapp dem gewaltvollen Tod entkam. Aber das Wissen über Frenssen ist immer noch ziemlich gering. Der Schriftsteller wird kaum gelesen. Es fällt schwer, sich von falschen Bildern zu trennen und sachlich der deutschen Vergangenheit jener Zeit nachzuspüren. Und bisweilen scheinen es vorwiegend ökonomische Argumente zu sein, die am vertrauten Namen festhalten lassen. Schade. Frenssen wäre eine gute Gelegenheit, sich auch einmal in St. Peter-Ording mit unserer Geschichte auseinanderzusetzen, Schritte des Verstehens zu gehen. Immerhin: Frenssen wird auch in St. Peter-Ording inzwischen nicht mehr für einen harmlosen Heimatschrifteller gehalten. Die Geschichte geht weiter.


Veröffentlicht in den Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte (Kiel) Heft 30 (Dezember 1996) S. 70-72.


Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte Heft 30

Übersicht Informationen

Verfügbare Texte

Titelseite AKENS