Seit Juli 1997 bietet stattreisen e.V. einen Stadtrundgang an, der sich mit dem Nationalsozialismus in Hamburg beschäftigt. Anhand von 13 Stationen werden in zwei Stunden Einblicke in die "braune" Stadtgeschichte gegeben. Die jeweiligen Vorträge an den Stationen werden durch eine große Zahl von Fotos und einigen Zitaten unterstützt.
Ausgangspunkt ist das Universitätshauptgebäude (Edmund-Siemers-Allee), wo es merkwürdigerweise fast nicht um die Geschichte dieser Institution geht; sondern vielmehr die Anfänge der kleinbürgerlich völkisch-sektiererischen NSDAP thematisiert werden, die in der Nähe ihr Stammlokal hatte (heute: Gorki-Park; Grindelallee/Verbindungsbahn) und welches zu Beginn der Machtergreifung der SA als "wildes" KZ diente.
Nach kurzem Fußmarsch treffen wir auf den "Kriegsklotz", das 76er Denkmal am Stephansplatz. 1936 von den Nazis in einem Hamburger "Tag von Potsdam" propagandamäßig enthüllt, soll es an die "Helden"taten des 76er Infanterieregiments erinnern und ist in der Nachkriegszeit Objekt vieler Diskussionen und Aktionen geworden. Auf das naheliegende Gegendenkmal von Hridlitschka wurde leider nicht näher eingegangen.
Weiter ging es zum Kalkhof, einem Straßenzug, der zum Gänsemarkt führt und ähnlich wie in der Herbert-Straße durch Tore zu einem verriegelten Bezirk für Prostituierte wurde. Die Nazis zwangen Prostituierte, hierher zu ziehen, und die ehemaligen Mieter mußten zwangsweise umsiedeln. Ziel war es, die Straßenprostitution einzudämmen und soziale Kontrolle durch die zuständigen Fürsorgerinnen auszuüben. Obwohl an dieser Station nichts mehr an ihren früheren Zweck erinnnerte, gehört sie inhaltlich zu den Höhepunkten der Tour (u.a. Thematisierung der NS-Fürsorgepolitik).
Über die Buchhandlung Tuchel (Hamburger "Zweig" der Weißen Rose) und den neuen Alsterpavillon (Swing-Jugend; leider wurde hier nur auf die bürgerlichen Jugendlichen abgehoben; in Hamburg gab es aber auch viele Arbeiter-Jugendliche, die zur Swing-Jugend gehörten), hielten wir wiederum an der Alster an und blickten auf Hapag-Lloyd. Da die Firma selbst ihre Archive noch nicht zugänglich machen will, mußten wir uns mit einem eher allgemein gehaltenen Vortrag zur Rolle der Wirtschaft zufrieden geben.
Nach einem längeren Spaziergang machten wir halt in einer der wenigen von den Nazis gebauten Wohnsiedlungen Hamburgs (Rademachergang): einem ehemaligen Teil des Gängeviertels, wo vor 1933 hauptsächlich Kommunisten und andere politisierte Arbeiterfamilien gewohnt hatten. Der Abriß der Siedlung ermöglichte den Nazis, gewachsene oppositionelle Strukturen zu zerschlagen und die soziale und polizeiliche Kontrolle in ihrem Sinne zu verbessern.
Über die ehemalige Gestapozentrale (Stadthausbrücke) ging es zu den in der Nähe des Rathausmarktes gelegenen Modehäusern Hirschfeld und Robinsohn. Hier wurden die "Arisierungen" thematisiert und damit das einzige Mal auf diesem Rundgang etwas zur jüdischen Verfolgungsgeschichte gesagt.
(Obwohl der Stadtführer anfangs auf einen Rundgang hinwies, der sich explizit mit dem "Jüdischen Leben am Grindel" befasse, halte ich es für einen Schwachpunkt des Rundganges, nicht noch mehr auf dieses Thema eingegangen zu sein.)
Als nächstes wurde vor dem Rathaus auf die Geschichte von Karl Kaufmann (u.a. Reichsstatthalter und Gauleiter) und Carl Vincent Krogmann (Erster Bürgermeister) eingegangen. Leider wurde dabei nicht deutlich, worin die tatsächliche Machtfülle von Kaufmann und die Machtlosigkeit von Krogmann bestanden hat, so daß bei dieser Station mehr Fragen offen blieben als beantwortet wurden.
Das Heine-Denkmal (Anlaß für das Thema Bücherverbrennung, die nicht hier, sondern am Kaiser-Friedrich-Ufer stattgefunden hatte) und die Mönckebergstraße (Thema Hitler in Hamburg; Aufhänger ein entsprechendes Foto, das ihn in dieser Straße zeigte) schlossen die Zwei-Stunden-Tour ab.
Am Ende des "Rund"ganges waren die Teilnehmenden zufrieden, und meines Erachtens wurden einige interessante Einblicke in die nationalsozialistische Herrschaft in Hamburg gegeben. Was bleibt, ist die Frage nach dem Konzept, dem roten Faden der Tour. Wenn sich der Veranstalter nicht nur als jemand versteht, der historische Rundgänge anbietet, sondern den Anspruch hat, politische Bildungsarbeit zu leisten, gibt es auch kritische Anmerkungen zu machen: So scheint der Rundgang einerseits unter praktischen Gesichtspunkten (Wo gibt es Orte?) zusammengestellt zu sein, andererseits auch unter thematischen (Was wollen wir inhaltlich abdecken?).
Diese Beliebigkeit, die einzig durch die Klammer "Das braune Hamburg" zusammengehalten wird, führt in der Praxis zu folgenden Problemen: Die Stationen bleiben unvermittelt nebeneinander stehen, verbindende Elemente und Überleitungen fehlen bzw. die Herstellung von Sinnzusammenhängen bleibt den Teilnehmenden überlassen.
Fragen danach, was für die NS-Herrschaft in Hamburg konstituierend war, ob und worin sie sich von anderen vergleichbaren Regionen unterschied und wie die "normale" Bevölkerung dies erlebte, wurden nur wenig aufgeworfen. (So wurde beispielsweise zwar auf die große Machtfülle des Reichsstatthalters und Gauleiters Karl Kaufmann abgehoben, aber eben nicht beschrieben, worauf sich eben diese Macht gründete).
Das zumeist unvermittelte Nebeneinanderstehen einzelner Aspekte der "braunen" Geschichte der Stadt, ohne diese in Bezug zueinander zu stellen, ist deshalb auch für mich der Wermutstropfen des Rundganges. Aus meiner Erfahrung heraus ist das Vorgehen der Veranstalter zwar typisch/normal für viele Anbieter von historischen Rundgängen, weist damit aber auf ein übergreifendes Problem hin:
Die Konzeption von Rundgängen/ fahrten wird zuwenig (gar nicht?) von methodischen und didaktischen Überlegungen und zu sehr von pragmatischen Gesichtspunkten bestimmt (Wo sind Orte, was können wir dort sagen?). Und damit sind Rundgänge nur für ein Publikum von Interesse, welches das Gesagte selbst einordnen kann, "Schiefes" selbst ins rechte Licht rückt und somit quasi aktiv konsumiert. Einen über die bloße Themenstellung hinausreichenden roten Faden braucht ein solches Publi-
kum nicht - und andere können m. E. nicht gut angesprochen werden.
Dringend notwendig ist es deshalb, mehr über die Art und Weise von historischen Rundgängen nachzudenken, als über die Orte und Inhalte zu sprechen.
Die braune Hansestadt - Hamburg im Nationalsozialismus. Veranstalter: stattreisen e.V., Tel. 040 / 430 74 29
Veröffentlicht in den Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte (Kiel) Heft 31 (Juni 1997) S. 64-66.
Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte Heft 31