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Thomas Pusch:
Die Erfahrungen der politischen Exils und der Remigration. Schleswig-Holsteiner EmigrantInnen und das skandinavische Exil (1933 - 1960)

Dieses von Prof. Dr. Gerhard Paul betreute Promotionsprojekt am IZRG erforscht die "Erfahrungen des politischen Exils und der Remigration" am Beispiel der 150 Schleswig-Holsteiner EmigrantInnen in den skandinavischen Exilländern. Erstmals wird dabei durch spezifisch ausgewählte Quellen aus dem Zeitraum von 1932 bis 1960 ein genaueres Bild von den Bedingungen der politischen EmigrantInnen aus einem Landesteil gezeichnet.

Ein in der Exilforschung im Hinblick auf das Exil der "kleinen Leute" bisher vernachlässigter zentraler Aspekt ist dabei die Frage, welcher wirkungs- und erfahrungsgeschichtliche Zusammenhang zwischen (E)-Migration, Exil und gegebenenfalls Remigration besteht. Das Forschungsprojekt will diesen Kontext exemplarisch anhand des dichten empischen Materials eines regional dominierenden Exilwegs (von Schleswig-Holstein nach Skandinavien und zurück) erhellen und deuten. Dabei geht es nicht nur um die Betrachtung einer Fragestellung zur NS-Geschichte, sondern auch - und das ist eine zentrale Intention des hier beschriebenen Projekts - um das Verstehen von Migrationsbewegungen der Zeitgeschichte und Gegenwart.

Im Mittelpunkt dieses alltags- und migrationsgeschichtliche Fallstudie steht daher die Fragestellung: Wer ging aus welchem Grund und Anlaß und unter welchen Bedingungen in die Emigration und hat dort welche Erfahrungen gemacht. Wer remigrierte später und hat seine Exilerfahrung wie um- und eingesetzt und gewirkt bzw. eine Wirkung erzielt.

Diese in der Exil- und Migrationsforschung allgemein relevanten Fragestellungen werden in regionalgeschichtlicher, empirischer und erfahrungsgeschichtlichen Perspektive des Konzeptes "Eigen-Sinn" einer Antwort zugeführt. Die Zuspitzung der Fragestellung auf einen Migrationsweg ist dabei nicht nur forschungstechnisch begründet - nur so lassen sich annähernd alle EmigrantInnen erfassen - , sondern auch durch die Beschreibung von Skandinavien als Exilland der "kleinen Leute" inhaltlich und methodisch sinnvoll legitimiert.

Das Ziel der Untersuchung ist dabei nicht, die allgemeinen, in der Sekundärliteratur zum Exil in Skandinavien von


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Lorenz, Müssener, Deppe u.v.a. beschriebenen Bedingungen nochmals anhand einer spezifischen EmigrantInnengruppe gesondert zu erarbeiten, sondern die konkreten lebensweltlichen Erfahrung in die Lebensabschnitte vor und nach der Emigration einzubetten.

Auch wenn die Erforschung von zahlreichen Biografien einen großen Teil der Arbeit ausmacht, soll doch nicht in erster Linie eine Kollektiv- oder Sammelbiographie Schleswig-Holsteiner EmigrantInnen erstellt, sondern es sollen vielmehr die exil-relevanten Prozesse - insbesondere der Remigration - in Längs- und Querschnitten dargestellt werden. Die Biografien liefern dabei die Vorgänge, zu denen keine eigenen Quellenbestände vorliegen. Neben den genannten Untersuchungskomplexen werden die Umstände und Bedingungen von Flucht, Migration, Wiedereinbürgerung und Wiedergutmachung im Kontext der Regional- bzw. späteren Landesgeschichte Schleswig-Holsteins dargestellt.

Die Forschungsperspektive: Erfahrung

Eine bisher in keiner Exilstudie geübte Herangehensweise ist die Anwendung der alltagsgeschichtlichen Perspektive des Konzeptes des "Eigen-Sinns" (vgl. die Arbeiten von Alf Lüdtke), welches "Erfahrung" als historische Kategorie anwendet. Im Zentrum dieser alltagsgeschichtlicher Forschung und Darstellung steht hier jene historische Praxis, in der die Menschen sich die Bedingungen ihres Handelns aneignen, sie verfestigen und verändern. Bedürfnisse, Interessen(lagen) und Handlungen der AkteurInnen vergangener Wirklichkeiten werden in ihrem jeweils "eigenen Sinn" zu entziffern versucht. Viele als "Brüche" in den politischen Biographien erscheinende Haltungen können so aus der Wahrnehmung der Alltagswirklichkeit entschlüsselt werden.

"Erfahrung" hat dabei mehr als eine Bedeutung. "Erfahrung" ist Er-fahrenes, also das Erleben, Erleiden und Erdulden von Einflüssen, Handlungen äußerer Subjekte, Verwaltungshandeln und Ereignissen. "Erfahrung" ist aber auch die quasi geronnene Struktur des Erlebten, die Umsetzung all des Er-fahrenen in eigene, verhaltensleitende Reaktions- und Handlungsmuster, der Aneignung in einem spezifischen eigenen Sinn als historische Subjekte.

Erfahrung kann damit aufrückten in Status einer historischen Kategorie, welche geeignet scheint, auf das Er-leben im Exils angewendet zu werden. Denn das Exil ist - bekanntermaßen - keine lineare Fortführung im Leben der EmigrantInnen, sondern in der Regel ein massiver, aufgezwungener Bruch. Die Summe der gemachten Erfahrungen - in beiderlei Sinn - bleibt eine letztlich nur tiefenpsychologisch zu entschlüsselnde "Black-Box"; eine Annäherung erscheint aber dennoch einen Versuch wert.

Quellen

Wie die meisten Exilforschungen, so ist auch dieses Projekt auf umfangreiche Recherchen in ausländischen wie bundesdeutschen Archiven angewiesen. Le-


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diglich die Wiedergutmachungsverfahren (Abt. 761 im LAS) - diese sind mit Abstand der wichtigste geschlossene Quellenbestand - , einzelne Strafverfahren und Verfahren zur Wiedererlangung der Staatsbürgerschaft von EmigrantInnen und die Bestände der Kreissonderhilfsauschüsse sind in den Archiven vor Ort vorhanden.

Anders als bei den beachtenswerten Pionierarbeiten von Marion und Karl-Werner Schunck zur Emigration aus der Umgebung von Eckernförde (Anfang der 80er Jahre) kann heute auf nur noch sehr wenige ZeitzeugInnen zurückgegriffen werden. Der heute mögliche Zugang zu den Entschädigungsverfahren und zu den Beständen der ehemaligen DDR-Archive stellt aber eine andere große Herausforderung dar.

Außerhalb Schleswig-Holsteins wird daher in folgenden Archiven gearbeitet: Im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes (PAAA/Bonn) werden Ausbürgerungsverfahren und die Quellen zur EmigrantInnenüberwachung der deutschen Botschaften in Skandinavien ausgewertet. Die Standorte des Bundesarchivs in Berlin bieten die Ermittlungs- und Strafverfahren gegen die Personen der Untersuchungsgruppe vor dem Hanseatischen OLG und dem Volksgerichtshof sowie das ehemalige Zentrale Parteiarchiv der KPD (heute in der "Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR (SAPMO)" im Bundesarchiv / Berlin-Lichterfelde. Das "Archiv der sozialen Demokratie" der Friedrich-Ebert-Stiftung stellt für die Seite der sozialdemokratischen EmigrantInnen die wichtigste Fundstelle dar.

In den skandinavischen Archiven konzentriert sich die Recherche auf die Flüchtlingshilfsorganisationen und die Akten der EmigrantInnen-Kontrolle durch Paß- und Ausländerbehörden sowie die Organisationen des Exil.

Die Untersuchungsgruppe

Für eine erste inhaltliche Auswertung der Migrationsprozesse ist hier nicht der Ort. Jedoch können einige Zahlen und Größenverhältnisse das Projekt näher skizzieren. Aus der Überprüfung von ca. 1.100 Emigrantenschicksalen konnte eine Gruppe von 225 politischen EmigrantInnen festgestellt werden, mindestens 151 davon waren in einem skandinavischem Exilland (96 männliche und 38 weibliche Erwachsene und 17 Kinder und Jugendliche). [1] Vier dieser 38 Emigrantinnen verließen das Land, ohne daß zuvor ihr (Ehe-)Partner oder ein anderes männliches Familienmitglied emigriert war.

Die Gruppe setzt sich zu annähernd gleichen Teilen aus Angehörigen der SPD und KPD (bzw. der Milieuorganisationen) zusammen. Angehörige der bürgerlichen Parteien der WR sind faktisch nicht vertreten, die Zugehörigkeit zur dänischen Minderheit hingegen ist mehrfach ein Exilgrund. Das Exil der oppositionellen NSDAP und anderer rechtsextremer Orientierungen (z.B. "Tannenbergbündler") wird aus der Untersuchung ausgeschlossen.

Bei 72 Menschen konnte eine Remigration - hierunter wird aber nicht nur eine Rückkehr nach dem 8. Mai 1945 verstanden, sondern auch z.B. Zwangsrückführung nach der Besetzung Dänemarks und Norwegens - festgestellt wer-


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den. Die Anzahl der RemigrantInnen, die aus SH emigriert sind und dorthin zurückgekehrt sind, ist weitaus kleiner.

Mit einer Übersicht über das Wirken von Schleswig-Holsteiner politischen EmigrantInnen - nicht nur aus der skandinavischen Emigration - im Spanischen Bürgerkrieg [2] und einem Beitrag in der Reihe der Werkstattberichte der BU-Flensburg "Hitlerflüchtlinge aus Flensburg. Von Emigration und Remigration. Soziokulturelle und geografische Besonderheiten einer Grenzstadt" werden Aspekte des Gesamtprojektes der Öffentlichkeit vorgestellt. Als weitere Teilaspekte werden die Beiträge "Staatsbürgerschaft als Strafe. Die Aberkennung und Wiedererlangung der Staatsbürgerschaft von EmigrantInnen" und die Darstellung des vergessenen KPD-Seeleute-Funktionär "Jan" bearbeitet. [3]

Durch die umfangreiche Auswertung von Straf- und Ermittlungsakten der NS-Zeit erfährt der Bereich der Widerstandsarbeit der illegalen KPD, aber auch eine Reihe von illegalen SPD-Gruppen eine teilweise Neubewertung. Das politische Exil war ja nicht nur die Fortführung einer Widerstandsarbeit gegen den NS, sondern die Emigration ist zunächst einmal eine Reaktion auf die Verfolgung; faktisch sind fast alle erwachsenen Emigranten nach Verhaftung, Strafhaft oder Illegalität geflohen. Gerade bei der KPD, die sich am stärksten exponierte, ist der Anteil der Leitungskader, die emigrierten, recht groß. Um so erstaunlicher (aber begründbarer) ist die Tatsache, daß die KPD-Führung nach 1945 mit wenigen Ausnahmen emigrantInnenfrei war. Das Exil stellt den Rahmen für einen vielschichtigen Ablösungsprozeß von der KPD dar.

1. Alle Zahlen geben den Stand vom Februar 1997 wieder. Engt man die Definition von "Schleswig-HolsteinerIn" ein auf die Personen, die unmittelbar aus SH geflohen sind wird die Gruppe deutlich kleiner und die Gewichtung der Exilregionen nochmals deutlicher (144 insg, davon 110 nach Skandinavien). Die weitergefaßte Definition beschreibt Schleswig-HolsteinerInnen als die Personen, die in der Spätphase der WR ihren Lebensmittelpunkt in SH in den Grenzen des heutigen Bundeslandes hatten, bzw. die Personen, die aus anderen Gebieten nach SH remigriert sind. Allein die hohe Zahl von Seeleuten verzerrt eine regionale Zuordnung.

2. Der Vortragstitel war "Antifas aus der Region im Spanischen Bürgerkrieg", der vorbereitete Aufsatz wird den Titel tragen "Lebenswege in einem Drama. Die Schleswig-Holsteiner Antifaschisten im Spanischen Bürgerkrieg".

3. "Ich bereue nichts ...". Gerhard Johann Kratzat ("Jan") und die Zelle Schiffahrt der KPD."


Veröffentlicht in den Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte (Kiel) Heft 31 (Juni 1997) S. 66-69.


Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte Heft 31

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