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Von der Uni-Formierung des Geistes in Kiel

Seit einiger Zeit liegen vereinzelte Publikationen und Magisterarbeiten über einzelne Aspekte der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel im Nationalsozialismus vor. Vor zwei Jahren erschien der erste Sammelband zur Geschichte dieser Hochschule im "Dritten Reich". In der Konzeption des Bandes "Uniformierung des Geistes" soll der Blick gezielt auf einzelne Fächer und Abteilungen der CAU gerichtet werden.

Bei den Arbeiten hierzu erwies sich, daß die Quellenlage nicht immer rosig bzw. die Motivation zur Aufarbeitung der eigenen Geschichte an der Universität nach wie vor nicht allzu hoch ist. Auffällig ist, daß die Kieler Alma mater sich bei der Aufarbeitung ihrer Vergangenheit schwerer tut als vergleichbare Hochschulen. Wie bundesweit zu beobachten ist, spielt auch in Kiel sicherlich die Frage nach personellen Kontinuitäten eine Rolle. Die Frage nach dem Verhältnis der Schüler zu ihren braunen Hochschullehrern bleibt weiterhin offen.

Der vorliegende Band erhebt nicht den Anspruch, eine Universitätsgeschichte zu schreiben. Diese Unabhängigkeit kommt auch der Darstellung zugute. Eingeleitet wird das Buch durch den Soziologen Hans-Werner Prahl mit einem gelungenen Überblick des Feldes Hochschule und Nationalsozialismus. Er legt die Selbstgleichschaltung der Hochschule offen und benennt, daß eher abwartende und anti-demokratische Haltungen einen fruchtbaren Nährboden für die neuen Machthaber bildeten. Hans-Werner Prahl sieht ein ambivalentes Verhalten in der Professorenschaft. Die Perspektive der Restauration zur Wiederherstellung der obrigkeitsstaatlichen Ordnung, die vermeintliche unpolitische Haltung der Hochschule und die Nutzung der NS-Ideologie für das eigene Karrierestreben


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werden von ihm als leitende Motive aufgezeigt.

Die Kieler Universität hatte den ersten nationalsozialistischen Vorsitzenden einer deutschen Studentenschaft. Die Rolle und Bedeutung der nationalsozialistischen Schulungs- und Ertüchtigungslager war jedoch keinesfalls auf Studierende beschränkt. Jörn Eckert beschreibt in seinem Beitrag über die Juristische Fakultät das "Lager für junge Rechtslehrer" in Kitzeberg bei Kiel in seiner Funktion als Auswahl- und Schulungsinstrument. Bei der Vertreibung und Verfolgung jüdischer, demokratischer und politisch andersdenkender Wissenschaftler nahm die juristische Fakultät eine reichsweite Vorreiterstellung ein. Die Entwicklung zur "Stoßtruppfakultät" mit der Herausbildung der "Kieler Schule" wurde durch die Berufung junger, ideologisch angepaßter Juristen auf Lehrstühle gefördert. Aus Kiel kam der reichsweite Studienplan mit den Inhalten des juristischen Grundlagenstudiums von Rasse und Sippe, Volk und Staat in ihren historisch-politischen Kontext. Auch wenn die Kieler Schule lediglich wenige Jahre bestand, ist ihre Bedeutung und Kontinuität nicht zu leugnen. Jörn Eckert führt an, daß die Lehrstuhlinhaber der "Kieler Schule" fast ausnahmslos bei Neuberufungen nach Kriegsende relativ wenig Schwierigkeiten hatten.

Jendrich Alwast stellt die individuellen Handlungen an der Theologischen Fakultät in einen mentalitätskonstitutiven Zusammenhang. So waren die ersten Jahre im Nationalsozialismus an der Fakultät durch Legitimationsprobleme gekennzeichnet. Hierbei unterläßt er es aber nicht, eine Strategie des weitverbreiteten vorauseilenden Gehorsams unerwähnt zu lassen. Durch zahlreiche Zitate belegt er die hier produzierte NS-Theologie. Der Übernahme zum Wissenschaftsgehäuse wird angenehmerweise mehr Bedeutung beigemessen, als der ebenfalls skizzierten Politik rivalisierender Apparate. Der Verfasser des Kapitels zeichnet in dem letzten Abschnitt ungewöhnlich klare Kontinuitäten der Vergangenheitsbewältigung bis in die Lehre der 90er-Jahre der Fakultät.

Ordentliche Lehrstühle für Pädagogik gab es an der CAU erst nach 1945. Edgar Weiß hat trotzdem den Bereich Pädagogik betrachtet und muß von einem Fehlen ergiebiger Vorarbeiten ausgehen. Aus dem Umfeld von Theologie, Philosophie, Soziologie und Psychologie beschränkt er sich auf pädagogisch thematisierte Veranstaltungen und Äußerungen von Hochschullehrern. Kontinuitäten im Verhalten von Wissenschaftlern vor 1933 werden klar mit dem Nachweis der Übernahme von NS-Vokabular durch sie belegt. Er zeigt auf, daß Grundpositionen vor der Machtergreifung nach 1945 wieder aufgegriffen wurden. Eine selbstkritische Vergangenheitsbewältigung der Pädagogik fand jedoch nicht stand. Auch hier stand die Berufungspolitik - wie bundesweit zu beobachten war - unter dem Stern der Nichtthematisierung der akademischen Vergangenheit. Das von Edgar Weiß beschriebene Kapitel verweist auf den weiteren starken Forschungsbedarf hin.

Ebenfalls wie die Pädagogik ist die Volkskunde erst in der Nachkriegszeit eindeutig zu lokalisieren. Harm-Peer Zimmermann spricht in dem umfangreichsten Beitrag des Buches über sie von "einem Schlaf der Vernunft". Er verweist darauf, daß bereits die Weimarer Republik den Volkskundlern fremd


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gewesen war. Die Übernahme durch die Nationalsozialisten eines verklärenden und romantischem Weltbildes fiel auf fruchtbaren Boden. Auch wenn die Begriffe von z. B. "Germanentum", "Blut und Boden", und "Volksgemeinschaft" nicht immer konsequent übernommen wurden, so fehlte auch hier "demokratisches Opponieren". Der Glaube an etwas "Wahres", "Ewiges" oder "Absolutes" ging in der völkisch orientierten Volkskunde einher mit dem nicht-rationalen Verächtlichmachen von Logik und Verstand. Erkenntnisvorgänge wurden verdunkelt und das germanisch-rassische Gefühl einer technischen Arroganz gegenübergestellt. Anhand von sechs porträtieren Wissenschaftlern zeigt Harm-Peer Zimmermann diese Verstrikkungen auf. Wie unreflektiert der Umgang mit Kieler Volkskundlern nach wie vor noch ist, belegt stellvertretend das Porträt Gustav Friedrich Meyers, der seit 1949 bis zum heutigen Tag Namensgeber einer Kieler Schule ist.

Klaus R. Schröter sieht in seinen Anmerkungen die Kieler Soziologie zwischen Anpassung und Widerstand. In seinem Beitrag werden sechs unterschiedliche Soziologen - wenn auch differenziert - in ihrem Schaffen dargestellt. Lediglich der Beitrag über Hans Freyer fällt knapp aus. Klaus R. Schröter verweist allerdings darauf, daß er lediglich einen Diskussionsbeitrag leisten möchte. Hierzu stellt er klar, daß das Ende der Soziologie im Nationalsozialismus ein Mythos ist. Ende der 30er Jahre wurden im Reich vielmehr neue Soziologie-Lehrstühle eingerichtet. Sie sollten allerdings zur Umsetzung eine geistigen Bollwerkes für das "Deutschtum" genutzt werden. Neuere Betrachtungen wehren sich gegen eine als unwissenschaftlich abqualifizierende Betrachtung der Soziologie. Es wird auf eine herrschaftswissenschaftlichen und politisch orientierten Aspekt der Soziologie verwiesen. Diese Betrachtungen sind auch in notwendigen weiteren Forschungen über die Kieler Soziologie anzuwenden. Klaus R. Schröters Anmerkungen zu systemstabilisierende Faktoren sind Ansätze hierzu.

Die Anmerkungen zur Musikwissenschaft am Ende des Buches sind sehr kurz ausgefallen. Ralf Noltensmeier bezieht sich lediglich auf zwei Arbeiten des Institutsdirektors Friedrich Blume, die er in einen Rahmengerüst zur Institutsgeschichte einbettet. Der Verfasser sieht die Kieler Musik in der Tradition der reichsweiten Musikwissenschaft, die weitestgehend auf die Übernahme eines expliziten nationalsozialistischen Weltbildes verzichten konnte. Quellen über auskunftgebende und lediglich als Titel erhaltene durchgeführte Vorträge ("Nordische Musik?", "Germanische Tonalität", "Das nordische Volksmusikgut" etc.) beim NS-Dozentenbund sind bisher nicht gefunden worden.

Beachtenswert ist, daß Friedrich Blume nicht Mitglied im Dozentenbund und der NSDAP wurde. Auch wenn er versuchte, eine biologisch-rassische zugunsten einer musikhistorischen Betrachtungsweise zu fördern, ließ sich seine Argumentation in ein NS-Ideologiekonzept einbauen. Das Fehlen antisemitischer Äußerungen geht mit der Betonung von "Deutscher Musik" einher. Der Rückgriff zu einer in der Romantik beginnenden Diskussion um "Deutsche Kultur" diente ihm als nicht unproblematischer Rettungsanker. Über Rolle und Tätigkeiten des Musikwissenschaftlichen Instituts bleiben mehr


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Fragen denn zuvor offen.

Der mit Fotos und Quellen versehene Band benennt nicht nur die Opfer einer NS-Politik an der Hochschule. Die Stärke des Buches ist die Benennung der Täter. Damit macht sich das Buch nicht populär, verweist aber auf eine deutliche Schwäche in der Aufarbeitung der Kieler Universitätsgeschichte. Das die notwendige Aufarbeitung von der Kieler Universität nicht selbst erfolgt ist, zeigt die "Uni-Formierung des Geistes" nicht nur zwischen den Zeilen.

Für den Jahresanfang 1998 ist das Erscheinen des zweiten Bandes angekündigt. Beiträge zur Medizin, Geschichte, Philosophie, Ur- und Frühgeschichte, zu den Bereichen Frauen an der Hochschule, Studierendenschaft und der Universitätsgesellschaft werden enthalten sein.

Axel Jochen Pioch

Hans-Werner Prahl (Hg.): Uni-Formierung des Geistes. Universität Kiel im Nationalsozialismus. Bd 1. Kiel: Malik Regional Verlag 1995. 351 S. (Veröffentlichungen des Beirats für Geschichte der Arbeiterbewegung und Demokratie in Schleswig-Holstein, Bd. 16)


Veröffentlicht in den Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte (Kiel) Heft 31 (Juni 1997) S. 94-97.


Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte Heft 31

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