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Frank Omland / Isgard Rhein:

"Wenn einer eine Reise tut ... "

Über eine Wochenendexkursion des Arbeitskreis Alternative Stadtrundfahrten im Landesjugendring Hamburg e.V. nach Prora auf Rügen, Oktober 1997

Rügen: Kreidefelsen, lange Sandstrände, Kap Arcona, alte restaurierte Seebäder, die Museumsbahn - Rügen ist eine Insel, die uns heute zum Urlauben anlockt, und das war auch schon vor 60 Jahren so:

Im Sommer 1935 gab die NS-Organisation Deutsche Arbeitsfront (DAF) bekannt, daß sie fünf Kraft durch Freude (KdF)-Seebäder mit Betten für jeweils 20.000 Urlauber errichten wolle. Das erste - und letztlich einzige - wurde auf Rügen, nördlich von Binz, in Prora gebaut.

Der Kölner Architekt Clemens Klotz, der sich schon mit anderen NS-Bauten einen Namen gemacht hatte, erhielt 1935/36 in einem Wettbewerb (u.a. gegen den Hamburger Konstanty Guttschow) den Zuschlag. Am 2. Mai 1936 erfolgte in Anwesenheit von Dr. Robert Ley, dem Leiter der DAF, die Grundsteinlegung, und acht Großbaufirmen (darunter Siemens, Hochtief, Philipp Holtzmann) begannen im April 1938 mit der Errichtung des ca. 1,3 km langen Bauwerks, das bis Kriegsbeginn rohbaufertig wurde. Danach wurden die meisten Arbeitskräfte zur Heeresversuchsanstalt nach Peenemünde (Raketenwaffen / Wernher v. Braun) und an den Westwall abgezogen. 1942/43 wurde die Bautätigkeit endgültig eingestellt, und nach dem II. Weltkrieg bezog kurzzeitig die Rote Armee den Baukomplex. Die deutschen Behörden ließen Teile der Bebauung wegen Einsturzgefahr sprengen, und ab Herbst 1950 erfolgte der Einzug der kasernierten Volkspolizei, der späteren Volksarmee.

Bis 1990 war das Gelände des ehemaligen KdF-Seebades Prora deshalb nicht für die Öffentlichkeit zugänglich. Seitdem kann die Anlage wieder als Ganzes betreten werden, und die Diskussionen um die heutige Nutzung haben begonnen. Die noch erhaltenen nördlichen Teile sollen für Museen, Kunst und Theater, Freizeitangebote und die Jugendherberge genutzt werden. Die südlichen Teile sollen Wohnraum werden. Aufgrund der Größe des Komplexes ist noch nicht absehbar, ob sich die Planung so umsetzen läßt, da die Behörden noch einen passenden Investor suchen.

Informationen dieser Art kann man an zwei Orten in Prora finden: Zum einen im "Prora-Museum / NVA-Museum", das zwar auf den ersten Blick durch ein 18 m langes rekonstruiertes Modell der Anlage besticht, dessen Informationen in der Ausstellung sich dafür aber auf wenige Texte und Exponate beschränken. Zum anderen gibt es aber zum Glück das um Längen bessere "Museum zum Anfassen", welches sich nur einen Block weiter gen Norden befindet. Dieses Museum überzeugt sowohl durch die historisch dichte Präsentation als auch mit museumspädagogisch gut durchdachten Medien und Modellen.

Die Ausstellung macht Aspekte davon deutlich, warum sich im Nationalsozialismus - trotz Gestapo, KZs und Terror - Massenkonsens und "Volksge-


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meinschaft" entwickeln konnte: Die "NS-Gemeinschaft Kraft durch Freude" war dabei eines der Mittel. Als Freizeitorganisation der DAF sollte sie Berufstätige an das Regime binden und durch Theater-, Tanz-, Konzert-, Opern- und anderen Veranstaltungen vom Alltag im Nationalsozialismus ablenken helfen. Eines der attraktivsten Angebote waren verbilligte Reisen für die Berufstätigen (deren Familien nicht (!) einbezogen waren). Mit Hilfe von "Kraft durch Freude" konnten sich erstmals viele Deutsche Ferien in Freizeitheimen oder auf Passagierdampfern fern der Heimat leisten, und dies war vielen von ihnen wichtiger geworden, als mit offenen Augen das dikatorische Regime zu betrachten oder gar dagegen anzugehen. Ohne KdF, Massenkonsens und "Volksgemeinschaft" hätte das NS-Regime nicht so lange bestehen können.

Das Seminar hat für die Teilnehmenden des AK Alternative Stadtrundfahrten gezeigt, daß es auch jenseits der eigenen lokalen Bezüge Themen und Orte gibt, wo sich Anregungen für die lokale Arbeit vor Ort ergeben können und Exkursionen, die auch über den eigenen Tellerrand hinausführen, immer wieder sinnvoll sind.

(Dieser Artikel ist in einer veränderten Form schon in der Dezemberausgabe 1998 der Zeitschrift punktum des Landesjugendring Hamburg e.V. erschienen.)


Veröffentlicht in den Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte (Kiel) Heft 32 (Dezember 1997) S. 83-84.


Frank Omland, geboren 1967, ist Sozialpädagoge und in Hamburg bzw. Kiel bei der Organisation und Durchführung antifaschistischer Stadtrundgänge aktiv. Er arbeitet im Themenbereich Nationalsozialismus vorrangig zu den Aspekten Jugend, soziale Arbeit und Wahlen sowie zum Neofaschismus der Gegenwart.

Isgard Rhein, geboren 1970, ist Jura-Studentin und ehrenamtliche Mitarbeiterin des Arbeitskreises Alternative Stadtrundfahrten des Landesjugendrings Hamburg. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind jüdisches Leben, Kirche und Swingjugend.


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