Im Dezember 1997 lud die Geschichtswerkstatt (GW) Rostock sehr kurzfristig zum "Erfahrungsaustausch norddeutscher Geschichtswerkstätten und -initiativen" ein. Diese Einladung ging an unterschiedlichste Institutionen und Projekte: Neben Menschen aus Rostock und Schwerin waren VertreterInnen aus Hamburg (Ottensen, Eppendorf und Barmbek) genauso vor Ort wie jemand von stattreisen Berlin, den GWen Lüneburg und Lübeck-Herrenwyk sowie dem Akens.
Das Seminar war als offener Erfahrungsaustausch angelegt, d. h. jede Gruppe konnte ihre Aktivitäten und Schwerpunkte präsentieren und sich selbst darstellen. Eine gemeinsame Klammer bildeten dabei verschiedene Oberthemen wie Stadtteilarbeit, Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und last but not least Stadtrundgänge.
Schon die erste Vorstellung fiel dabei etwas aus dem Rahmen dessen, was GWen normalerweise so tun: Die Rostocker GW und ihr Projekt Bürgerhaus Kröpeliner Torvorstadt. Die GW ist nämlich der Träger eines aus EU-, Stadt- und Landmitteln gespeisten Projektes (URBAN), welches die Wiederbelebung eines sozial schwachen Stadtteils in Rostock zum Ziel hat. Dabei spielen Themen der sozialen Arbeit und insb. der Gemeinwesenarbeit natürlich eine größere Rolle als geschichtliche. Die Kolleginnen und Kollegen haben deshalb z.T. an ihren Vorstellungen Abstriche machen müssen, und ihre Praxis wird von Bürger-
haus-/Jugendtreffarbeit, Gemeinwesenarbeit, Kultursozialarbeit und einem hohen Verwaltungsaufwand geprägt. Der Aufbau eines Stadtteilarchivs und eines Fotoarchivs ist dabei schon eher eine typische Aufgabe einer GW, und ein Zeitungsprojekt in der Seniorenarbeit ermöglicht auch immer wieder geschichtliche/lebensgeschichtliche Themen aufzugreifen.
Ein solches Mammutprojekt mit sieben Hauptamtlichen sprengt den Rahmen dessen, was GWen üblicherweise tun, und ist deshalb nicht nur inhaltlich eher die große Ausnahme.
Im Anschluß referierten eine Kollegin des Stadtteilarchivs Ottensen und ein Kollege aus Eppendorf zur Situation der Hamburger GWen allgemein und zu ihren im besonderen. Da die Kulturbehörde der Hansestadt seit 1990 einen Haushaltstitel für diese Projekte führt, werden 14 GWen gefördert und sind z.T. mit hauptamtlichen Kräften ausgestattet. Ob eine solche Förderung und der Einsatz von Hauptamtlichen immer bereichernd ist, war in der anschließenden Diskussion umstritten: Die einen hätten gerne die Möglichkeit, Aufgaben an solche Kräfte zu delegieren, die anderen machten auf die Schwächen einer solchen zur Selbstverständlichkeit werdenden Arbeit aufmerksam und deuteten auf Probleme in der Zusammenarbeit von entlohnten und unbezahlten Kräften hin.
Sowohl in Eppendorf als auch in Ottensen wird die Arbeit von 10 - 30 aktiven Mitgliedern mitgetragen und neben Stadtteilrundgängen, Ausstellungsprojekten und Stadtteilkulturarbeit insbesondere mit Schulklassen gearbeitet. Dies war für fast alle eine Schnittmenge in der Arbeit.
Im zweiten Teil des Treffens standen mehrere Themen eher nebeneinander, als verknüpft werden zu können: Georg Herbstritt berichtete zum einen über die Behörde, die die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR in Mecklenburg-Vorpommern verwaltet, den Zugang regelt und auch für die Opfer (etwa in Rentenfragen) konkreter Ansprechpartner ist. Zum anderen stellte er mit "Das Justizgebäude am Demmlerplatz in Schwerin 1914 - 1997: Recht und Unrecht in sechs Epochen deutscher Geschichte" den Versuch einer Gruppe dar, dieses Gebäude zur Gedenkstätte zu machen und den Diskurs zur Herrschaftsgeschichte jenseits von vorgegebenen Epochengrenzen zu ermöglichen. Ein auch über Mecklenburg-Vorpommern hinausragendes Projekt, auf dessen Ausgang man gespannt sein kann (vgl. den entsprechenden Bericht in: Zeitgeschichte regional. Mitteilungen aus Mecklenburg-Vorpommern. Hrsg. von der GW Rostock, Heft 2, Dezember 1997).
Christian Rathmer, ein Kollege von uns aus dem Akens, referierte seine Ergebnisse zum Thema "Zwangsarbeit" in Lübeck, stellte dabei die Möglichkeiten und Grenzen der "oral history" dar und wies auf die z.T. sehr beträchtlichen Informationen hin, die bei einer guten Zusammenarbeit mit Firmen aus deren Archiven herauszuholen sind. Zum selben Thema wurde deutlich, daß die KollegInnen in Mecklenburg-Vorpommern schon weiter sind als wir hier in Schleswig-Holstein: Im "AK Kriegswirtschaft und Zwangsarbeit zwischen Rostock und Stralsund", den Mathias Rautenberg vorstellte, können sich regelmäßig alle Interessierten austauschen und gegenseitig informieren, auf
Dokumente und Fundstellen hinweisen und auch sonst Anstöße für die Arbeit geben. Eine solche (institutionalisierte) Vernetzung und Informationsweitergabe gibt es in Schleswig-Holstein bisher nicht. Der Akens schiebt dies im Januar 1998 erstmals mit einem Tagesseminar in Lübeck an.
Bei der Vorstellung des Akens wurde im Vergleich zur GW Rostock deutlich, daß letztere es geschafft hat, in Mecklenburg-Vorpommern vernetzende/übergreifende Funktionen wahrzunehmen, die der Akens bei uns in dieser Form nicht hat. Dies ist mit Sicherheit auch dem großen Engagement der Einzelnen und dem Vorhandensein von Hauptamtlichen zu verdanken. Ein ebenso wichtiger anderer Aspekt ist aber, daß die GW Rostock ihre Mitglieder vor Ort hat und weniger in der Fläche, was kurze Wege und gute Kontakte ermöglicht. Eher unwichtiger erscheint mir, daß die KollegInnen eine etwas höhere staatliche Förderung erhalten als der Akens.
Eine weitergehende Zusammenarbeit mit der GW Rostock über den bislang schon praktizierten Austausch der eigenen Zeitschriften und informelle Gespräche hinaus wäre meines Erachtens erstrebenswert. Anregungen und Ideen dazu gab es genügend: etwa Tagesseminare zur Cap Arcona-Katastrophe, zum Vergleich von SH und M-V im NS oder einem Vergleich von Kiel und Rostock u.v.m.
Im letzten Teil des Treffens ging es um das Thema Stadtrundgänge, an dem praktisch alle interessiert mitdiskutierten, auch wenn die Unterschiede in der Arbeit nicht krasser hätten sein können: Von stattreisen Berlin e.V. mit 760 Gruppenrundgängen/-veranstaltungen im Jahr, davon ca. 40 zu unserem Thema, über die GW Lüneburg mit 10 Rundgängen bishin zum Stadtteilarchiv Ottensen, das gezielt zum 9. November einen Rundgang anbietet.
Doch unabhängig von der Anzahl und den Erfahrungen der einzelnen Gruppen wurde deutlich, daß alle mit ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben/hatten bzw. sich ähnliche Fragen für und in der Arbeit ergeben. Ohne wertende Reihenfolge sollen einige genannt werden:
Wie macht man gute Pressearbeit / Werbung?
Wer macht die Arbeit, (wenn es keine Hauptamtlichen gibt)?
Wie kann die Arbeit sinnvoll aufgeteilt werden?
Wie finanzieren wir unsere Arbeit? Welche Möglichkeiten gibt es ABM- bzw. hauptamtliche Kräfte einzuwerben?
Welche Rechtsform wählen wir (e.V., GbR, GmbH, oder...)?
Wie gewinnen wir neue interessierte Menschen für unsere Arbeit, wie halten wir sie in unseren Arbeitskreisen?
Welche Formen der inhaltlichen und methodischen Vermittlung gibt es, welche ist uns jeweils angemessen (Ideenbörse dazu)?
Wie können wir uns vernetzen und (regelmäßig) austauschen? Wer macht wo was?
Welche Fortbildungen oder Seminare wollen wir haben, was brennt uns unter den Nägeln?
Welche Resonanz haben unsere Angebote, was ist besonders gefragt und welche Erfahrungen haben andere da gemacht?
Der angeregte Austausch sowohl in den Pausen als auch während des Se-
minars hat gezeigt, daß alle Beteiligten neben einem großem Mitteilungsbedürfnis aufgrund der isolierten und personell sehr begrenzten Arbeit vor Ort einen Bedarf nach Klärung und Information zu bestimmten Themen haben. Hieran muß in der Folge unbedingt angeknüpft werden. Das vom Akens für den März 1998 terminierte Treffen entsprechender Initiativen in Schleswig-Holstein wurde deshalb mit großen Interesse aufgenommen und begrüßt.
Dafür, daß die RostockerInnen so kurzfristig eingeladen hatten und das Treffen "nur" im Großgruppenaustausch bestand, konnten alle ganz zufrieden nach Hause gehen. Der Anspruch der RostockerInnen, überregional vernetzend bzw. den Austausch fördernd aktiv zu werden, kann nur begrüßt werden. Dies bringt Leben in die doch leicht erstarrte Geschichtsvereinsarbeit und macht gerade für die Arbeit im und für den Akens Mut.
Veröffentlicht in den Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte (Kiel) Heft 32 (Dezember 1997) S. 84-87.
Frank Omland, geboren 1967, ist Sozialpädagoge und in Hamburg bzw. Kiel bei der Organisation und Durchführung antifaschistischer Stadtrundgänge aktiv. Er arbeitet im Themenbereich Nationalsozialismus vorrangig zu den Aspekten Jugend, soziale Arbeit und Wahlen sowie zum Neofaschismus der Gegenwart.
Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte Heft 32