Zweifelsohne besaß Christian Weber ein ungewöhnliches Maß an Zivilcourage. In einer Zeit, in der andere sich anpaßten, einfügten und schwiegen, um ihre Familien und sich selbst nicht zu gefährden, ließ er sich nicht schrecken, sondern machte den Mund auf und prangerte Mißstände an. Der mutige Rechtsanwalt und Notar aus Rendsburg wurde zum Ärgernis der gerade etablierten nationalsozialistischen Führung in Schleswig-Holstein. In seinen Schriftstücken und Eingaben äußerte er scharfe Kritik an behördlichen Maßnahmen und deckte gravierende Fehler in Sache und Form auf. Außerdem hatte Weber dem seit Ende September 1933 verbotenen und aufgelösten "Tannenbergbund" angehört und übernahm nun die Verteidigung ehemaliger Mitglieder, die sich zumeist wegen abfälliger Äußerungen über das NS-Regime vor dem Sondergericht verantworten mußten. [1]
Schließlich verfügte er aufgrund seiner langjährigen beruflichen und politischen Tätigkeit über intime Kenntnisse, was für die Parteiprominenz seiner Umgebung zumindest ein Risiko bedeutete. Mit diesem gefährlichen Wissen, seinem couragierten Handeln und einer geradezu aufreizenden Respektlosigkeit vor den neuen Machthabern zog sich Christian Weber besonders die Feindschaft seines Berufskollegen Wilhelm Hamkens zu, Kreisleiter der NSDAP, und seit April 1933 Landrat des Kreises Rendsburg.
Beide kannten einander gut. Während sich Hamkens 1919 in Hohenwestedt als Rechtsanwalt und Notar niedergelassen hatte, war Weber 1921 nach Rendsburg gekommen. Er stammte aus Broacker in Nordschleswig, für das später sein neuer Heimatort die Patenschaft übernahm. Seine Herkunft war als Sohn eines Kaufmanns und Fabrikbesitzers gutbürgerlich. [2] Am 6. Oktober 1886 geboren, besuchte Christian Weber zuerst eine Privatschule und ab 1896 das Gymnasium in Flensburg. Er wechselte dann nach Eutin, wo er 1908 sein Abitur machte.
Nach fünf Semestern an der Universität Tübingen unterbrach Weber 1911 sein Jurastudium, um seinen Wehrdienst als Einjährig-Freiwilliger zu leisten. Dann kehrte er an die Universität zurück, dieses Mal nach Kiel, legte die erste Juristische Staatsprüfung ab und wurde im Dezember 1912 zum Referendar ernannt, im August 1920 zum Assessor. Im Februar 1921 erhielt er die Zulassung als Rechtsanwalt beim Amtsgericht Rendsburg, drei Monate später die Bestellung zum Notar. Viereinhalb Jahre war Christian Weber Soldat gewesen, Frontkämpfer, mit dem Verwundeten-Abzeichen und dem Eisernen Kreuz 2. Klasse ausgezeichnet, und als Leutnant der Reserve entlassen. Kurz nach Kriegsausbruch hatte er Luise Götze geheiratet. Die beiden Töchter aus der Ehe, Gisela und Roswinda, wurden 1918 und 1923 geboren.
Christian Weber war Deutscher von Geburt und stolz darauf. Um so schmerzlicher empfand er es, daß seine Heimat durch die nach dem Versailler Friedensvertrag verordnete Abstimmung am 10. Februar 1921 an Dänemark fiel. Während seine Geschwister dort blieben, entschied er sich für Deutschland, und das in einer radikalen Weise, die seinem Charakter entsprach. Anfang 1920 wurde Weber Mitglied der Deutschsozialistischen Partei, dann der Deutschvölkischen Freiheitspartei. [3]
Beide extrem rechtsgerichteten Organisationen, die erstgenannte eine frühe norddeutsche Variante der NSDAP [4], propagierten die deutsche Volksgemeinschaft von gleicher Kultur und von gleichem Blut. Juden konnten ihr nicht angehören, da sie nach der Diktion der völkischen Parteien eine Rasse mit international agierender Macht darstellten, die Politik und Wirtschaft beherrschte. [5] Die antisemitische Hetze diffamierte den neuen deutschen Staat als eine von außen gesteuerte "Judenrepublik".
Ein weiteres Anliegen der Völkischen war die "Wehrhaftmachung der Deutschen", der sich Christian Weber im besonderen verschrieb. "Der Wehrwolf sammelt alle deutschen wehrfähigen Männer", schrieb er in einer Zeitungsanzeige, in der er am 9. November 1923 zur Gründung einer Ortsgruppe in Rendsburg aufrief. [6] Der "Wehrwolf" war im Januar jenes Jahres von dem Studienrat und Hauptmann der Reserve Fritz Kloppe in Halle gegründet worden. Der Verband hatte sich die Verteidigung Deutschlands gegen den äußeren Feind zum Ziel gesetzt, den Kampf gegen die Kriegsschuldlüge und die Erziehung zu "Manneszucht und Verantwortung". [7] Die uniformierte "Bundeskleidung" sah feldgrauen Rock oder Windjacke vor und Kniehose mit Gamaschen oder hohen Stiefeln. Die beiden Kokarden an der Mütze zeigten den Totenkopf mit einem "W" darunter und die alten Reichsfarben schwarz-weiß-rot. Überhaupt war die wesentliche Basis des militanten Kampfverbandes das gemeinsame Erlebnis des Frontsoldatentums im 1. Weltkrieg. [8]
Aufmerksam gemacht durch die Anzeige, verfügten die Behörden eine Durchsuchung der Räume von Rechtsanwalt Weber in der Königstraße in Rendsburg, bei der am 1. Dezember 1923 Flugblätter und Schriften des "Wehrwolfs" sichergestellt wurden. Im Bericht der Polizeiverwaltung hieß es, daß Weber dabei wäre, die Ortsgruppe Rendsburg mit ihm als 1. Vorsitzenden zu gründen. Weitere Vorstandsmitglieder seien Arbeiter Boye Deertz, Regierungsbaumeister Bernhard Wendehorst und Ingenieur Petersen. Weber hätte die Bestrebungen des "Wehrwolf" als völlig unpolitisch dargestellt und versichert, daß ihm Politik überhaupt verboten sei. [9]
Anstandslos wurde der Rendsburger Ortsgruppe die Erlaubnis erteilt, am 29. März 1924 einen "Deutschen Abend" mit Fahnenweihe zu veranstalten. [10] Nur elf Tage später konnten die Polizeibeamten der Zeitung entnehmen, daß die angebliche politische Enthaltsamkeit Webers glatte Lüge war. Bei den Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung am 4. Mai kandidierte er auf Platz drei der Liste des Völkisch-sozialen Blocks (VSB). [11]
Der Boden erwies sich als äußerst fruchtbar. In kürzester Zeit entstanden im Laufe des April 1924 Ortsgruppen in Hohenwestedt, Nindorf, Osterstedt, Wapelfeld und Tappendorf mit bis zu vierzig Gründungsmitgliedern, "deutschvölkisch denkende Männer", wie es hieß. [13] In Hohenwestedt und der angrenzenden kleinen Gemeinde Vaasbüttel wurden im August 1924 und im April 1925 "Nordmarkthings" mit Tausenden von Uniformierten veranstaltet, die im Parademarsch an ehemaligen hohen Militärs vorbeizogen.
Allerdings hatte es vor der letztgenannten Veranstaltung erheblichen Ärger gegeben. Der anfangs den "Wehrwolf" fördernde Hohenwestedter Kriegerverein, ein "vaterländischer Verband", dem alle wichtigen Honoratioren des Ortes angehörten, ging auf Distanz. Streitpunkt war eine im Chinakrieg von 1900 erbeutete Kanone, die im Garten des Offizierskasinos in Kiel-Wik gestanden hatte und bei den Revolutionswirren in die Obhut des Feldwebels Eugen Speer gegeben worden war. Der Gastwirt aus Vaasbüttel, der das "Café Vaterland" betrieb, stellte nun das Geschütz dem "Wehrwolf" für ein Denkmal zur Verfügung, das seinen Platz am Ehrenmal für die Gefallenen des Kirchspiels erhalten sollte. Der Sockel war schon gemauert, und als Termin für die Weihe stand die Reichsgründungsfeier am 18. Januar 1925 fest, als eine Anfrage des Standortältesten aus Kiel nach den Eigentumsrechten bei der Gemeindeverwaltung eintraf. Dem Vorstand des Kriegervereins wurde die Sache zu dubios. Kurzentschlossen sagte er am 15. Januar seine Teilnahme ab und ließ den Sockel entfernen. [14] Damit waren die Planungen zunichte gemacht.
Für die Verantwortlichen der Großveranstaltung, zu denen auch Gauführer Christian Weber gehörte, bedeuteten diese Maßnahmen einen Affront und zugleich eine Blamage ohnegleichen, denn die eingeladenen Gäste befanden sich bei den damaligen Verkehrsbedingungen überwiegend schon auf dem Weg und konnten nicht mehr rechtzeitig informiert werden. Schließlich wurde schon deshalb eine Feier abgehalten, natürlich aber mit verkürztem Programm. Auch für das "Wehrwolf"-Denkmal fand sich bald darauf eine Lösung, da der Vaasbütteler Gemeindevorsteher Wilhelm Thun einen sogar repräsentativen Platz an einer Kreuzung am Ortseingang zur Verfügung stellte. Die feierliche Weihe ging dann mit verhältnismäßig wenig Verzögerung am Ostersonnabend, in Anwesenheit von zwei Generälen a. D. und Bundesführer Fritz Kloppe sowie Abordnungen des Stahlhelms, des Frontkämpferbundes Westküste und des Jungdeutschen Ordens vonstatten. [15]
Diese Demonstration der Stärke wurde von den Hohenwestedtern als Gewaltakt empfunden, mit dem der "Wehrwolf" in diesem Umfeld erheblich an Freunden und Einfluß verlor. Zwar bestanden noch einige Zeit kleinere Ortsgruppen, die aber dann in der SA aufgingen. [16] Darüber hinaus erwuchs aus diesen Auseinandersetzungen die erbitterte Feindschaft zwischen Christian Weber und Wilhelm Hamkens. Der Hohenwestedter Berufskollege hatte nämlich die bewußte Information an den Kieler Standortältesten gegeben und die Entscheidung des Kriegervereins mit dem Argument veranlaßt, die in der Revolution ihrer Bestimmung entrissene Kanone sei Erinnerung an schmachvolle Tage deutscher Geschichte. [17] Seine Autorität in diesen Dingen stand außer Frage. Hamkens war Hauptmann der Reserve, Träger des Hohenzollern-Hausordens sowie von EK I und II.
In der folgenden Zeit wirkte Weber weiterhin an führender Stelle des "Wehrwolf". Die Organisation eines "Landesthings" in Rendsburg am 6. April 1930 unterstrich noch die Bedeutung seiner Tätigkeit, doch der immer stärker aufkommende Nationalsozialismus führte zu einen zunehmenden Mitgliederschwund. [18] Immerhin gab es für den völkischen Rechtsanwalt einen ganz persönlichen Erfolg. Er zog durch die Wahl vom 17. November 1929 in die Rendsburger Stadtverordnetenversammlung ein und wurde aus ihrer Mitte am 20. Dezember in den sechsköpfigen Magistrat gewählt. [19] Christian Weber übte nun ein sehr angesehenes Ehrenamt aus und trug den Titel Senator. Allerdings hatte es auch Wilhelm Hamkens inzwischen in der Politik weit gebracht. Er war am 1. September 1929 der NSDAP beigetreten, wurde sofort Spitzenkandidat für die Kreistagswahl, bei der die Partei vier Abgeordnetenmandate errang, und zog in den Kreisausschuß ein. [20] Mit Wirkung vom 1. April 1930 erhielt Hamkens das Amt des NSDAP-Kreisleiters übertragen. Am 9. und 10. August war er dann Gastgeber von Adolf Hitler, der zwischen zwei Versammlungen in Rendsburg und Kiel in Hamkens Hohenwestedter Villa übernachtete. Gauleiter Hinrich Lohse hatte Hitler während seines kurzen Aufenthalts in Schleswig-Holstein sicher und angemessen unterbringen wollen. [21]
Schirmherr der als Dachverband völkischer Gruppen im September 1925 gegründeten Organisation war General a. D. Erich Ludendorff, neben Hindenburg Held der Siege von Tannenberg und den Masurischen Seen. Nach Kriegsende befeindete er die Republik, nahm 1923 am erfolglosen Hitler-Putsch in München teil und kandidierte vergeblich für die Reichspräsidentenwahl 1925. [23] Das Ziel des "Tannenbergbundes", die "wehrwillige und wehrhafte Volkseinheit der Deutschen, beruhend auf der Einheit von Blut, Glaube, Kultur und Wirtschaft", war seit jeher Anliegen der Völkischen gewesen. Für Ludendorff selbst jedoch hatte der Kampf gegen die "überstaatlichen Mächte" Vorrang. Juden, Jesuiten und Freimaurern unterstellte er eine "Weltverschwörung", um Deutschland absichtlich ins Verderben zu führen. [24]
Eng verbunden mit dieser Weltanschauung war der "Deutsche Gottglaube" der Mathilde Ludendorff, der zweiten Frau des Generals. Die Nervenärztin und Leiterin eines privaten Kurheims hatte eine Lehre von der "Gotterkenntnis" entwickelt, die den Menschen als Höhepunkt der naturgeschichtlichen Entwicklung sah, als "Bewußtsein Gottes". Um sein Daseinsziel zu erreichen, müsse der Mensch alles "Knechtisch-Jüdische" abstreifen, alle traditionellen Wertvorstellungen christlicher Moral und Ethik. Nach der Vorstellung Mathilde Ludendorffs erwuchs die Möglichkeit, zur "Gotterkenntnis" zu gelangen, aus dem deutschen "Rasseerbgut" und der überlieferten altgermanischen Religiosität. [25] Sie und ihr Mann verbreiteten ihre Ideologie durch eine eigene Wochenzeitschrift und eine rege Vortragstätigkeit, mit der sie auch in Schleswig-Holstein zahlreiche Anhänger gewannen.
Doch nicht nur das prominente Ehepaar war werbend unterwegs. Landesweit gab es fast in jedem kleinsten Dorf Informationsabende, bei denen bekannte Redner des "Tannenbergbundes" wie Friedrich von Bodungen oder Markus Wulf aus Eisendorf sprachen, der gleichzeitig führendes Mitglied der "Landvolkbewegung" war und Bürgermeister seiner Gemeinde. Dort im Raum um Nortorf mit dem Zentrum Krogaspe befand sich die Hochburg der Ludendorff-Anhänger. Zur Abwehr weiterer Kirchenaustritte in den umliegenden Dörfern empfahl die Rendsburger Propsteisynode dem zuständigen Pastor Reinhardt, mehr Gemeindeabende abzuhalten. [26] Tatsächlich handelte es sich zunehmend um eine Art Glaubensbewegung, der zwar nie viele Menschen angehörten, die sich jedoch bis in die Gegenwart als haltbares Netz erwies, von der christlichen Umgebung stillschweigend geduldet. Auch Christian Weber war mit seiner Familie aus der Kirche ausgetreten und bezeichnete sich nun im formellen Umgang mit Behörden als "deutschgottgläubig". [27]
Der Reichstagsbrand lieferte den Vorwand für die "Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat" vom 28. Februar 1933, die nicht nur zentrale Grundrechte der Weimarer Verfassung außer Kraft setzte, sondern auch als Instrument zur Ausschaltung politischer Gegner durch die sogenannte "Schutzhaft" diente. [28] Als erste davon betroffen waren die Kommunisten. In Rendsburg kam es Anfang März zu Durchsuchungen, Beschlagnahmungen und Verhaftungen, bei denen SA, SS und Stahlhelm als Hilfspolizei mitwirkten. [29]
Bei den Reichstagswahlen am 5. März erreichte die NSDAP in ganz Deutschland zwar nur 43,9 Prozent der Stimmen, besaß aber mit den acht Prozent ihres deutschnationalen Partners die absolute Mehrheit und konnte ihre Macht weiter ausbauen. In Schleswig-Holstein war das Votum für Hitler und die NSDAP mit 53,3 Prozent noch eindeutiger ausgefallen. [30] Die Resultate vom 12. März gaben der Partei im Land dann endgültig den Weg frei, was von Berlin aus noch forciert wurde, um schnellstens klare Verhältnisse im Interesse des Nationalsozialismus zu schaffen.
Am 25. März 1933 erfolgte die Berufung von Gauleiter Hinrich Lohse zum Oberpräsidenten der Provinz. Am 5. April erhielt der Regierungspräsident in Schleswig ein Telegramm des Preußischen Innenministeriums mit dem Auftrag, sofort sechs Landräte zu beurlauben, darunter auch Theodor Steltzer in Rendsburg. [31] Als Nachfolger wurde Rechtsanwalt Wilhelm Hamkens aus Hohenwestedt eingesetzt, der nun zusammen mit seiner Funktion als Kreisleiter im wörtlichen Sinn die Gewalt über diesen Verwaltungsbezirk innehatte.
Obwohl der neue Landrat bei seiner offiziellen Amtseinführung am 21. April als Leitspruch die Anfangszeile des Glockenspiels der Potsdamer Garnisonskirche gewählt hatte: "Üb' immer Treu und Redlichkeit...", galt diese Maxime nur innerhalb des von der NSDAP bestimmten Rahmens. Hamkens gab knapp zwei Monate später vor dem Kreistag die Erklärung ab, er habe vom Recht der "Schutzhaft" für politische Gegner, die eventuell gegen den neuen Staat arbeiten würden, keinen übertrieben großen Gebrauch gemacht. [32] Immerhin ließ das Schlüsse auf entsprechende Maßnahmen zu, ebenso wie seine Kampfansage gegen die abzulösenden Gemeinde- und Amtsvorsteher, die dem neuen Deutschland den Platz räumen müßten. [33]
Bald darauf hatten die Nationalsozialisten in der Tat das politische Feld für sich. Gewerkschaften und SPD wurden verboten, die bürgerlichen Parteien zur Selbstauflösung gezwungen, Verbände und Organisationen "überführt". Durch das neue Gemeindeverfassungsgesetz vom 15. Dezember 1933, das die Kommunalverwaltung nach dem Führerprinzip regelte, erhielt Landrat Hamkens noch mehr Macht. [34] Als persönlichen Erfolg konnte er die Berufung des Rendsburger Ortsgruppenleiters Franz Krabbes zum Bürgermeister der Stadt verbuchen. [35]
Die Herrschaft von Hamkens wurde von der Bevölkerung des Kreises Rendsburg weitgehend akzeptiert. Er selbst galt schon vor seinem Eintritt in die Partei als natürliche Führungspersönlichkeit, mit dem Hintergrund einer großbürgerlichen Herkunft von einem Gut in Eiderstedt, einer Frau aus Hannoveraner Uradel, als hochdekorierter Kriegsheld und als angesehener Rechtsanwalt und Notar. [36] Zwischen ihm und Gauleiter Lohse bestand zu dieser Zeit eine freundschaftliche Beziehung. Beide hatten gemeinsam das begehrte Jagdrevier von Königshügel gepachtet und pflegten privaten Kontakt. [37] Hamkens verdankte seine Ernennung zum Gaujägermeister im Jahr 1934 mit Sicherheit auch der Unterstützung dieses Jagdfreundes. Daneben umgab ihn die besondere Gloriole vom Besuch Adolf Hitlers, die ihn als "Betreuer des Führers" in eine Ausnahmestellung hob. [38]
Wilhelm Hamkens hielt seine Hand schützend über den jüdischen Arzt Dr. Ernst Bamberger, der in Rendsburg eine äußerst angesehene chirurgische Privatklinik betrieb, und dem er seit langem menschlich verbunden war. Bis zur staatlich verordneten Entziehung der Approbation zum 30. September 1938 blieb Dr. Bamberger weitgehend unbehelligt und konnte sogar der Jagd weiter nachgehen, was der ausdrücklichen Genehmigung des Gaujägermeisters bedurfte. [39]
Andere ehemalige "Tannenbergbündler" mußten sich nach der "Schutzhaft" vor dem Schleswig-Holsteinischen Sondergericht in Altona wegen Äußerungen und Verhaltensweisen verantworten, die nun Straftatbestand waren. So wurde Alfred B. aus Hohenwestedt zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt, weil er in einer Gaststätte die Frau von Propagandaminister Goebbels als Jüdin bezeichnet hatte. Er wollte diese Information einer "Ludendorff-Zeitung" entnommen haben. [41] Das stellte ein Vergehen dar laut der Verordnung des Reichspräsidenten zur Abwehr gegen heimtückische Angriffe gegen die Regierung der nationalen Erhebung vom 21. März 1933.
Hans-Heinrich S. aus Heinkenborstel, ebenfalls "Tannenbergbündler", erhielt aufgrund dieser Verordnung eine Gefängnisstrafe von vier Monaten. Er hatte Hitler Wortbruch vorgeworfen. [42] Emil P. aus Westerrönfeld, als Heilkundiger tätig, machte ausgerechnet vor der Schwester des Ortspropagandaleiters von Büdelsdorf abfällige Äußerungen über Adolf Hitler. Marga H., die im Bücherschrank auch noch Ludendorff-Literatur entdeckte, informierte ihren Bruder. Das Urteil lautete auf zwei Monate Gefängnis. [43]
Dagegen legte Christian Weber, den P. um die Übernahme seiner Verteidigung gebeten hatte, Beschwerde ein, der aber nicht stattgegeben wurde. In einer Eingabe an das Rendsburger Landratsamt in dieser Sache gebrauchte Weber dann so scharfe Formulierungen, daß sie bei einem Disziplinarverfahren gegen ihn verwendet werden konnten. [44]
Zu diesem Zeitpunkt, Mitte des Jahres 1934, war die Auseinandersetzung zwischen ihm und seinem alten Feind Wilhelm Hamkens schon voll entfacht. Den Anlaß hatte vor allem die einwöchige Haft des Frisörs Willy N. aus Innien gegeben. Er war, wie Weber schrieb, nach schweren Mißhandlungen festgenommen worden. N. hatte den Amtsvorsteher und Ortsgruppenleiter Hinrich B. aus Bünzen der Hehlerei beschuldigt. [45] Die Beschwerde des Rendsburger Rechtsanwalts gegen die Schutzhaftanordnung des Landrats beim Regierungspräsidenten wurde zwar zurückgewiesen, wegen B. aber nachgefragt. Hamkens, der für die Ernennung B.s verantwortlich war, wies auf die Verjährung hin und bekräftigte den einwandfreien Ruf des "bewährten Kämpfers der nationalen Revolution". [46] Daß die Angelegenheit Kreise bis zum Oberpräsidenten und Gauleiter gezogen hatte, verstärkte naturgemäß die vorhandene Abneigung gegenüber Weber, wobei dieser jedoch ihm in nichts nachstand.
Zur Eskalation zwischen den Kontrahenten kam es am 21. Februar 1936 auf der Treppe des Kreishauses in der Königinstraße. Landrat Hamkens rief Christian Weber zu, daß er den "Deutschen Gruß" zu erweisen habe. Der reagierte jedoch nicht, sondern betrat ein Bürozimmer der Steuerabteilung, wo er wiederum nicht vorschriftsmäßig grüßte. Nach dem Erlaß vom 18. Dezember 1933 war in allen staatlichen Dienstgebäuden Preußens mit Erheben des rechten Arms zu grüßen. Dabei konnte, aber mußte nicht "Heil" oder "Heil Hitler" gesagt werden. [47] Jedenfalls nahm Hamkens die Verweigerung Webers zum Anlaß, ihn aus dem Hause zu weisen, und untersagte ihm noch am gleichen Tag per Einschreiben, jemals wieder das Landratsamt zu betreten. [48]
Regierungspräsident Anton Wallroth wies die Beschwerde Christian Webers am 5. März 1936 als unbegründet und unangemessen im Ton zurück und riet ihm, sein Verhalten gegenüber Behörden zu ändern, da er sich andernfalls zu Maßnahmen genötigt sehen würde.
Am 6. Mai 1936 wurde gegen Christian Weber vor der Dienststrafkammer Anklage wegen Verletzung seiner Dienstpflichten erhoben. Am 29. August entzog ihm der Oberlandesgerichtspräsident in Kiel vorläufig das Notariat. Der aufsichtsführende Richter Lehment beim Amtsgericht Rendsburg schickte daraufhin Justizwachtmeister Plähn in Webers Kanzlei in der Nienstadtstraße, um ihm die Siegel abnehmen zu lassen. [49] Christian Weber vermutete, daß Wilhelm Hamkens als Drahtzieher hinter dieser Maßnahme stand, und er hatte damit auch recht.
Schon im Juni 1935 war der Rendsburger Landrat auf dem offiziellen Dienstweg an den Oberpräsidenten herangetreten, um sich über Webers "unerhörte Ausfälle gegenüber der NSDAP" zu beschweren. Seine Tätigkeit sei eine fortgesetzte Agitation gegen Staat und Volk, dabei bekleide er das öffentliche Amt eines Notars. [50] Hamkens stellte auch die Unterlagen zusammen, die Lohse Anfang 1936 an den Oberlandesgerichtspräsidenten weiterleitete, der aufgrund dieses Materials die vorläufige Enthebung vom Notariat anordnete. [51]
Auch sonst hatte sich Hamkens häufig über die sogenannten guten Sitten hinweggesetzt. Über die Exzesse in Volltrunkenheit war sogar in den "Deutschland-Berichten" der Exil-SPD in Prag zu lesen gewesen. [54] Seine Ablösung als Kreisleiter zum 31. Dezember 1935, angeblich wegen Arbeitsüberlastung, hing damit sicherlich zusammen.
Doch angesichts des unveränderten Wohlwollens, das Freund Hinrich Lohse weiterhin gegenüber Wilhelm Hamkens zeigte, hielt es Christian Weber für klüger, ein anderes Angriffsziel zu wählen, das ihm nicht derart gefährlich erschien. Auch in diesem Fall handelte es sich um moralische Verfehlungen, die bei Publikwerden dem Ansehen der NSDAP schaden konnten, und damit indirekt seinem Intimfeind. Ins Visier nahm er den neuen Kreisleiter Heinrich Carl, bis dahin Geschäftsführer im "Adolf-Hitler-Haus" in der Bahnhofstraße und seit langen Jahren die rechte Hand von Hamkens. [55] Beide hatten sich im 1. Weltkrieg bei den Garde-Schützen kennengelernt. Durch Carls Empfehlung, sich dort als Rechtsanwalt und Notar niederzulassen, war Wilhelm Hamkens nach Hohenwestedt gekommen. Dieser setzte seinen Bürovorsteher im April 1933 gewissermaßen als Statthalter in der Kreisleitung ein, was den Übergang dann reibungslos machte. Allerdings geriet Carl durch die führende Stellung mehr in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Weber kam auf diese Weise an Informationen, die er sich für seine Zwecke zunutze machen wollte.
Heinrich Carl hatte 1920 eine Hohenwestedterin geheiratet und mit ihr eine Tochter bekommen. Die Ehe verlief jedoch unglücklich. Seit 1927 betrieb Carl die Scheidung, doch seine Frau weigerte sich. In zwei Prozessen, die durch die Instanzen bis zum Oberlandesgericht führten, war er jeweils als schuldiger Teil zur Herstellung der Gemeinschaft verurteilt worden. Stattdessen lebte er in Rendsburg mit Paula G. in "wilder Ehe"; seine Frau wohnte inzwischen in Uetersen.
Auf Anraten von Wilhelm Hamkens ließ Carl sie durch einen Ermittlungslungsbeamten der Kieler Gauleitung beobachten und erhielt so die Beweise, die schließlich beim dritten Verfahren zur Scheidung im Mai 1935 führten. [56] Mitte Oktober 1936 bekam die ehemalige Frau des Kreisleiters Carl einen Brief von Rechtsanwalt Weber, der um ein Treffen und um die Überlassung ihres Scheidungsurteils bat. Im Wartesaal des Elmshorner Bahnhofs gab sie ihm tatsächlich die Akte. Sie unterstützte nur zu gern sein Vorhaben, den jahrelangen unmoralischen Lebenswandel ihres geschiedenen Mannes offen anzuprangern. [57]
Am 31. Oktober 1936 erfuhr der Rendsburger Bürgermeister Franz Krabbes durch eine vertrauliche Mitteilung aus dem Postamt, daß dort ein an Christian Weber adressiertes Päckchen eingetroffen war. [58] Am nächsten Morgen informierte er Landrat Hamkens darüber, der sofort Oberpräsident Lohse anrief und mit ihm die polizeiliche Beschlagnahme und Öffnung der Sendung absprach. In ihr befanden sich zehn Abschriften des Scheidungsurteils des Ehepaares Carl, angefertigt von einer Kaufmännischen Privatschule in Kiel.
Der telefonisch davon unterrichtete Lohse ordnete am Apparat mündlich die "Schutzhaft" an. Am Mittag dieses 1. November, einem Sonntag, erschien um 14 Uhr die Polizei bei Christian Weber, um ihn festzunehmen. Bevor er ins Rendsburger Gerichtsgefängnis gebracht wurde, konnte er noch seinen Rechtsanwaltskollegen Ernst N. informieren und ihn bitten, sich um Frau und Kinder zu kümmern. [59] Immerhin wurde 1936 noch der Schein des Rechts gewahrt. Hamkens drängte den Oberpräsidenten, ihm unverzüglich die schriftliche Ausfertigung des Schutzhaftbefehls zukommen zu lassen, da er am selben Tag zugestellt werden müsse. [60]
Noch bevor der angeforderte Schnellbrief aus Kiel in Rendsburg eintraf, wurde Christian Weber vernommen. Er habe in Wahrnehmung berechtigter Interessen gehandelt, um sich gegen die Stillegung seines Notariats zu wehren, erklärte der inhaftierte Rechtsanwalt. Deshalb wollte er bei verschiedenen Amtsstellen wie Anwaltskammer und Oberlandesgerichtspräsident ausführlich darstellen, warum er diesen kritischen Standpunkt gegen einige Träger des neuen Staatswesens einnähme. So würde das Scheidungsurteil den Lebenswandel von Kreisleiter Carl kennzeichnen. Da er nur über eine Schreibkraft verfüge, habe er die Verfielfältigungen in Kiel in Auftrag gegeben und dort um strengstes Stillschweigen gebeten. [61] Nach dieser Aussage erhielt Christian Weber den Schutzhaftbefehl ausgehändigt, gegen den er noch vor Ort Beschwerde einlegte. Tags darauf wurde er nach Kiel in das Gefängnis des Polizeipräsidiums in der Gartenstraße verlegt und in Einzelhaft gehalten. [62]
Es gab für ihn keine Sprecherlaubnis. Doch das bedeutete keine spezielle Schikane, sondern galt für alle. Der stellvertretende Kieler Gestapo-Leiter Dr. Heinz Gräfe vertrat in einem Bericht an das Preußische Geheime Staatspolizeiamt in Berlin die Ansicht, daß gerade Weber keine bessere Behandlung als andere "Schutzhäftlinge" erhalten dürfe, geschweige denn besondere Vergünstigungen. Er sei nicht nur ein "unheilsamer Querulant", sondern ein Staatsgegner, der immer wieder versuche, Behörden und Stellen der Bewegung Knüppel zwischen die Beine zu werfen und angebliche Mißstände hervorzuzerren. Das stehe ihm in keiner Weise zu. Ob Kreisleiter Carl wirklich so unmoralisch gehandelt habe, daß er auf seinem Posten nicht mehr tragbar sei, entscheide allein die Partei. Das sei auch die Auffassung des Oberpräsidenten, der gleichzeitig bitte, die Überführung Webers in ein KZ anzuordnen. Er schließe sich dem an. [63]
Gräfe bezog sich in seinem Schreiben auf die Beschwerden, die der inhaftierte Rendsburger Rechtsanwalt an den Reichsminister des Innern und an den Inspekteur der Geheimen Staatspolizei in Berlin gerichtet hatte, also an die Adresse des Reichsführers-SS Heinrich Himmler. [64] Natürlich waren die Briefe durch die Kieler Gestapo-Kontrolle gegangen und an Lohse weitergereicht worden. Doch es gab noch einen anderen Weg nach Berlin. Wie Weber später berichtete, fuhr seine Frau in die Reichshauptstadt und konnte dort den Sachverhalt Dr. Werner Best vortragen, dem Personalchef des Geheimen Staatspolizeiamtes. [65]
Ihre mutige Mission hatte Erfolg. Als der dänische Schwager Christian Webers Anfang Dezember 1936 bei Lohse vorsprach, war diesem kurz vorher vom Kieler Gestapo-Leiter Dr. Hans-Ulrich Geschke ein Telegramm aus Berlin vorgelegt worden. Christian Weber sei wegen Haftunfähigkeit zu entlassen. Ungläubig fragte Hinrich Lohse noch einmal nach, bevor er diese Entscheidung akzeptieren mußte. Schließlich hatte ihm doch der Leiter des Geheimen Staatspolizeiamtes, SS-Gruppenführer Reinhard Heydrich, persönlich zugesagt, den renitenten Rendsburger Rechtsanwalt in ein KZ zu bringen. [66]
Einen Tag vor Weihnachten war Christian Weber wieder auf freiem Fuß und wurde weitgehend in Ruhe gelassen. Allerdings begann nun eine "wirtschaftliche Durststrecke" für ihn, in deren Verlauf er sich genötigt sah, zwei Grundstücke zu verkaufen, um den Unterhalt seiner Familie zu sichern. Die NSDAP tat alles, um Klienten abzuhalten. Doch einige standen auch zu ihm. Vor allem durch die Zeugenaussage des oben erwähnten Rechtsanwaltskollegen N. wurde Weber im Disziplinarverfahren von allen Dienstpflichtverletzungen freigesprochen und am 15. Juni 1938 wieder in sein Amt als Notar eingesetzt. [67]
Die 300 RM Geldstrafe, zu der er am 5. September 1938 vom Ehrengericht der Rechtsanwaltskammer in Kiel verurteilt wurde, konnte er verschmerzen. Er hatte Wilhelm Hamkens beleidigt, der mittlerweile zum Regierungspräsidenten in Schleswig avanciert war. [68] Heinrich Carl, der inzwischen seine Lebenspartnerin geheiratet hatte, wurde im August 1939 in die Gauamtsleitung in Kiel berufen. Im September 1941 forderte ihn Hinrich Lohse an, der neuernannte "Reichskommissar für das Ostland". Bis zum Juni 1944 verwaltete Carl dann das Gebiet von Sluzk in Weißruthenien. [69]
Gesundheitlich ging es ihm nicht gut, und er hatte in seinem Alter in der schwierigen Nachkriegszeit große Probleme, in seinem Beruf wieder Fuß zu fassen. Um so mehr empörte es Christian Weber, als der Entnazifizierungs-Hauptausschuß Schleswig Wilhelm Hamkens am 5. August 1948 nur in die Kategorie IV (Mitläufer) einstufte und ihm 25 Prozent seines Ruhegehaltes als Regierungspräsident zusprach. [71]
In altgewohnt kämpferischer Manier wandte sich Weber an Karl Feldmann, den Sonderbeauftragten der Landesregierung für Entnazifizierung, und stellte ihm reichhaltiges Belastungsmaterial aus seiner Verfolgungszeit zu, der es an den Öffentlichen Kläger beim Entnazifizierungsausschuß in Schleswig mit der Aufforderung weitergab, die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen Hamkens einzuleiten. [72] Nach den üblichen Aufrufen in verschiedenen Zeitungen und Amtsblättern gingen etliche Zeugenaussagen ein, wobei sich Be- und Entlastung in etwa die Waage hielten.
Am 4. Januar 1949 beschloß der Entnazifizierungs-Hauptausschuß des Kreises Schleswig, es bestehe keine Veranlassung, eine Wiederaufnahme des Verfahrens vorzunehmen. Dann gelang es Wilhelm Hamkens noch, 1952 unter Berufung auf § 8 Abs. 3 des Gesetzes zur Beendigung der Entnazifizierung vor dem Dienststrafhof in Schleswig die volle Pension als Landrat einzuklagen. [73] In der Urteilsbegründung hieß es, er habe die fachliche Eignung für dieses Amt gehabt, die Beförderung zum Regierungspräsidenten sei allerdings aufgrund seiner Verbindung zum Nationalsozialismus erwachsen.
Christian Weber hatte weniger Erfolg. Nach einer Bearbeitungsdauer von fast drei Jahren war ihm vom Sonderhilfsausschuß des Kreises Rendsburg 1950 eine Haftentschädigung von 150 DM zuerkannt worden. [74] Anträge an das Land Schleswig-Holstein nach dem Haftentschädigungsgesetz vom 4. Juli 1949 und nach dem Bundesergänzungsgesetz für Opfer nationalsozialistischer Verfolgung vom 18. September 1953 wurden vom Entschädigungsamt abgewiesen, ebenso wie Webers Klage vor der 2. Entschädigungskammer des Landgerichts in Kiel. Er sei nicht aus Gründen politischer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus verfolgt worden. Die Ludendorff-Bewegung habe im Kern die gleiche Ideologie, daher könne von einem erkennbaren Gegensatz nicht gesprochen werden. Besonderer Einklang bestehe in der Rassenfrage mit der gemeinsamen Unrechtshaltung gegenüber dem Judentum. In den "Kampfzielen" Ludendorffs sei der Ausschluß der deutschen Staatsbürgerrechte für die Juden ausdrücklich gefordert worden mit den Begründung ihres "minderwertigen Blutes". [75] Weber gab dennoch nicht auf, sondern legte gegen das Urteil Berufung ein, was am 24. Februar 1960 zu einem Vergleich über 2000 DM führte.
Christian Weber stand damals im 74. Lebensjahr. Seine Frau Luise war 1953 gestorben, und seine beiden Töchter hatten schon lange Rendsburg verlassen. Vielleicht machten ihm noch einmal heftige Gefühle zu schaffen, als er vom Tod Wilhelm Hamkens' im Oktober 1962 erfuhr, der die letzte Zeit seines Lebens krank und fast blind in Husum verbracht hatte. [76]
Weber selbst wurde zu seinem 80. Geburtstag durch Glückwünsche des Schleswig-Holsteinischen Justizministers noch eine letzte Ehrung zuteil, in Anerkennung seiner jahrzehntelangen pflichtbewußten Tätigkeit als Notar. Christian Weber starb am 14. Juni 1967. Wie es seinem Charakter entsprach, war er bis zum Ende der "Gotterkenntnis" der Mathilde Ludendorff treu geblieben.
1. Verordnung des Preußischen Innenministeriums zur Auflösung des Tannenbergbundes v. 23.9.1933; Landesarchiv Schleswig (LAS) 301, 4552.
2. Personalakte Christian Weber des Schleswig-Holsteinischen Justizministeriums, LAS 786, 1660, auch für die folgenden Ausführungen.
3. Vernehmungsprotokoll Webers durch die Rendsburger Polizei v. 2.11.1936, LAS 301, 4512.
4. Rudolf Rietzler, "Kampf in der Nordmark". Das Aufkommen des Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein (1919 - 1928). Neumünster 1982, S. 158 (= Studien zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Schleswig-Holsteins Bd. 4).
5. Wolfgang Benz/Hermann Graml/Hermann Weiß (Hrsg.), Enzyklopädie des Nationalsozialismus, München 1997, S. 532.
6. Rendsburger Tageblatt Nr. 262 v. 9.11.1923.
7. Information des Oberpräsidenten in Kiel an die Landräte v. 3.3.1923, LAS 309, 22786.
8. Claus Heinrich Bill, "Unser Hauptziel: Das Dritte Reich!" Der Wehrwolf in Schleswig-Holstein 1923-1933. In: Informationen zur Schleswig - Holsteinischen Zeitgeschichte, Heft 31, Kiel 1997, S. 44ff.
9. Bericht der Polizeiverwaltung Rendsburg v. 3.12.1923, LAS 309, 22786.
10. Polizeiverwaltung Rendsburg an den Regierungspräsidenten in Schleswig v. 22.3.1924, LAS 309, 22786.
11. Rendsburger Tageblatt Nr. 85 v. 9.4.1924.
12. Rendsburger Tageblatt Nr. 106 v. 5.5.1924.
13. Rendsburger Tageblatt Nr. 83 v. 6.4.1924; Rendsburger Tageblatt Nr. 102 v. 1.5.1924.
14. Vorstandssitzung v. 15.1.1925, Protokollbuch des Hohenwestedter Kriegervereins 1915-1930, Hohenwestedter Museumsarchiv.
15. Schleswig-Holsteinische Landeszeitung Nr. 87 v. 15.4.1925.
16. Schleswig-Holsteinische Landeszeitung Nr. 230 v. 2.10.1933.
17. Leserbrief in der Schleswig-Holsteinischen Landeszeitung Nr. 19 v. 23.1.1925.
18. Bill, S. 52.
19. Edward Hoop, Geschichte der Stadt Rendsburg, Rendsburg 1989, S. 529.
20. Schleswig-Holsteinische Landeszeitung Nr. 271 v. 18.11.1933.
21. Bericht v. 13.8.1930, LAS 301, 4558.
22. Claus-Heinrich Bill, Der Tannenbergbund in Schleswig-Holstein 1925-1933. In: Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte, Heft 28, Kiel 1995, S. 8ff.
23. Friedemann Bedürftig, Lexikon Drittes Reich, München 1997, S. 217.
24. Deutsche Wochenschau/Völkische Feldpost Nr. 22 v. 27.5.1928; Benz/Graml/Weiß, S. 756.
25. Neue Deutsche Biographie, Bd. 15, Berlin 1987, S. 290; Hans Gasper/Joachim Müller/Friederike Valentin, Lexikon der Sondergruppen und Weltanschauungen. Fakten, Hintergründe, Klärungen, Freiburg 1990, S. 726.
26. Schleswig-Holsteinische Landeszeitung Nr. 32 v. 7.2.1933.
27. Meldekarte Chistian Weber, Auskunft durch H. Hartwig vom Ordnungs- und Meldeamt der Stadt Rendsburg v. 21.4.1998.
28. Gerhard Paul, Staatlicher Terror und gesellschaftliche Verrohung. Die Gestapo in Schleswig-Holstein, Hamburg 1996, S. 201 (= IZRG-Schriftenreihe Bd. 1).
29. Schleswig-Holsteinische Landeszeitung Nr. 53 v. 3.3.1933 und Nr. 54 4.3.1933; LAS 309, 22930.
30. Alexander Scharff/Manfred Jessen-Klingenberg, Geschichte Schleswig-Holsteins, 5. Aufl., Freiburg/ Würzburg 1991, S. 94.
31. Geheimes Staatsarchiv(GStA) Rep 90, 1053; Rep 77, 5469.
32. Schleswig-Holsteinische Landeszeitung Nr. 138 v. 16.6.1933.
33. Schleswig-Holsteinische Landeszeitung Nr. 118 v. 22.5.1933.
34. Ministerial-Blatt für die Preußische innere Verwaltung v. 27.12.1933, S. 1493f.
35. Preußischer Minister des Innern an Oberpräsidenten und Regierungspräsidenten v. 5.7.1934, LAS 301, 5014.
36. LAS 309, 37280; LAS 615, 1170.
37. LAS 320 Rendsburg, Bd. 12, 59.
38. Adele Steltzer v. 10.1.1949, LAS 460.1, 83.
39. Rundschreiben des Reichsjägermeisters v. 5.10.1936, LAS 320 Rendsburg, Bd. 15, 5.
40. Kostenrechnung v. 16.5.1933, Vereins- und Versammlungsrecht Stadtarchiv Nortorf 127.1; auch für die folgenden Ausführungen.
41. LAS 358, 8259.
42. LAS 358, 7819.
43. LAS 358, 7972.
44. Weber an den Öffentlichen Kläger beim Entnazifizierungsausschuß Schleswig v. 3.11.1948, LAS 460.1, 83.
45. wie Anm. 42.
46. Regierungspräsident an Oberpräsident v. 16.1.1934 und 28.5.1934, LAS 301, 4508 und LAS 301, 4509.
47. Oberpräsident v. 4.1.1934, LAS 301, 4407.
48. LAS 309, 37820, auch f. d. folgenden Ausführungen.
49. Vorgang v. 7.9.1936, LAS 761, 14522.
50. Landrat Hamkens an Oberpräsident Lohse v. 18.6.1935, LAS 301, 4512.
51. Oberlandesgerichtspräsident an Oberpräsident v. 1.9.1936, LAS 302, 4512.
52. Gespräch mit Frau Wahlberg v. 8.9.1997.
53. Meldeprotokoll für die Gemeinde Remmels 1923-1954, Archiv des Amtes Hohenwestedt-Land.
54. Deutschland-Berichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (Sopade) 1934-1940, 2. Jg. 1935, 3. Aufl. 1980, S. 502; Bestätigung durch Oswald Krabbes v. 2.6.1997.
55. Schleswig-Holsteinische Landeszeitung Nr. 2 v. 3.1.1936.
56. Scheidungsurteil des Oberlandesgerichts Kiel v. 7.5.1935, LAS 301, 4512.
57. Vernehmung durch die Ortspolizeibehörde Uetersen v. 3.11.1936, LAS 301, 4512.
58. Bericht des Bürgermeisters Franz Krabbes v. 2.11.1936, LAS 301, 4512.
59. Schreiben v. 14.6.1947, LAS 761, 15422.
60. Landrat Hamkens an Oberpräsident Lohse v. 2.11.1936, LAS 301, 4512.
61. Protokoll von Kriminalsekretär Johannes Christiansen v. 2.11.1936, LAS 301, 4512.
62. Angabe im Fragebogen v. 14.2.1946, LAS 786, 1660.
63. Geheime Staatspolizei, Staatspolizeistelle Kiel, an Preußisches Geheimes Staatspolizeiamt Berlin v. 10.11.1936, LAS 301, 4512.
64. Paul, S. 32.
65. Christian Weber v. 3.11.1948, LAS 460.1, 83.
66. Vermerk von Oberpräsident Lohse v. 26.12.1936, LAS 301, 4512.
67. Erklärung v. 14.6.1947, LAS 761, 15422.
68. Urteil der 2. Entschädigungskammer des Landgerichts Kiel v. 20.3.1959, LAS 761, 15422.
69. Spruchgerichtsakte Heinrich Carl, Bundesarchiv Koblenz Z 42 III, 3339.; Kreisleiterdokumentation IZRG, Schleswig
70. Anordnung v. 31.12.1945, LAS 786, 1660.
71. LAS 611, 1905.
72. Feldmann v. 30.9.1948, LAS 460.1, 83.
73. Urteil v. 12.8.1952, LAS 611, 5371.
74. Bescheid v. 28.1.1950, LAS 761, 15422.
75. Aus der Urteilsbegründung v. 20.3.1959, LAS 761, 15422.
76. Tod von Wilhelm Hamkens am 4.10.1962, LAS 611, 1905.
Der Originalbeitrag enthält vier Abbildungen.
Die Autorin: Felicitas Glade, Jahrgang 1944, ist gelernte Redakteurin. Nach mehreren historischen Veröffentlichungen (u.a. Ortsgeschichte Hohenwestedt, 1994) arbeitet sie im Auftrag des Rendsburger Kulturkreises an der Doppelbiographie "Dr. med. Ernst Bamberger - Wilhelm Hamkens. Zwei Freunde unter dem Nationalsozialismus"
Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte Heft 33/34