Im Mai 1945 hatten die Pinneberger andere Sorgen, als ihre Vergangenheit der letzten zwölf Jahre aufzuarbeiten. Es ging um den Kanten Brot, ein Dach über dem Kopf und eine – wenn auch noch so miese und schlecht bezahlte – Beschäftigung. Alles einschlägige Aktenmaterial über die NS-Zeit wurde vor dem Einmarsch der britischen Truppen am 4. Mai 1945 zu 90 Prozent im Standartenpark (heutiger Drosteipark) verbrannt.
Die Geschichtswerkstatt hatte es daher nicht leicht, als sie im Juni 1995 ihre Recherchen über diese Zeitspanne aufnahm. Unter dem organisatorischen Dach der VHS hatten sich neun Personen im Alter zwischen 50 und 75 Jahren zusammengefunden, um sich der Ortsgeschichte forschend und sammelnd anzunähern. Die enge Verbindung zur Presse – der Inhaber des Pinneberger Tageblattes arbeitet in der Gruppe mit – sicherte breite öffentliche Resonanz. Als Resultat ihrer Bemühungen brachte die Geschichtswerkstatt dann im Jahr 1996 das Buch Pinneberg 1945 heraus (vgl. Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte Heft 30, S. 75ff).
Johannes Seifert von unserem Team war extra nach London gefahren, um im Public Record Office über die britische Besatzungszeit zu recherchieren. Das Ergebnis war eine mehr als 30 Seiten lange Arbeit über die britische Militärregierung in Pinneberg 1945-1951. Während dieser Zeit nahmen britische Gerichte auch die Rechtsprechung in Pinneberg wahr. Die Public Safety Officers verfügten über Listen der zu entlassenden Personen; dazu gehörten Angehörige der Gestapo, Mitglieder des SD sowie NSDAP-Funktionäre, SA- bzw. SS-Führer von bestimmten Dienstgraden an aufwärts.
Zur Zeit befassen wir uns mit den zwölf Jahren der NS-Herrschaft in Pinneberg. "Wir planen keine neue Abrechnung mit den Größen jener Tage", zerstreute der ehrenamtliche Leiter der Geschichtswerkstatt der VHS, Wolfgang J. Domeyer, derartige Befürchtungen. Zudem lebten die federführenden NS-Funktionäre zum größten Teil nicht mehr. Auch ihre Familie seien von hier weggezogen.
Klaus May von unserem Team erklärte ergänzend: "Ich bin der Überzeugung, daß es jetzt endlich an der Zeit ist, über die Dinge zu reden, die damals in der Kleinstadt geschehen sind."
Die Geschichtswerkstatt der VHS Pinneberg und das Stadtmuseum entschlossen sich, vom 6. bis zum 15. November 1998 eine Ausstellung im Stadtmuseum unter dem Motto "Pinneberg zur Zeit des Nationalsozialismus" durchzuführen. Sie gehörte zu den erfolgreichsten Dokumentationen in unserer Stadt. Die Exponate waren zum Teil während jahrelanger Recherchen zusammengetragen worden. Fokussiert wurden unter anderem einzelne Episoden der NS-Zeit, Siedlungsbau, HJ und BDM, die Bedeutung der Kaserne, Widerstand und Verfolgung, Denunziation. Zu den Ausstellungsstücken gehörten
Fotos, Schriftstücke, Orden und Gebrauchsgegenstände aus dieser Zeit.
Durch die Ausstellung wurde deutlich, wie die Gleichschaltung von Staat und Gesellschaft in kurzer Zeit die Durchdringung fast aller Lebensbereiche ermöglichte: Öffentliches Leben, Jugend, Erziehung und Schule, Winterhilfswerk, Krieg, Widerstand und Verfolgung. Auch zwei alte Filmdokumente sind aufgetaucht: Eins zeigt die Aufmärsche zum 1. Mai 1933, das andere stammt aus dem Jahre 1943 und gibt einen Eindruck vom damaligen Stadtbild.
Wir waren überrascht vom Erfolg der Ausstellung: In kurzer Zeit wurde der Tausendste Besucher gezählt, und wegen der großen Nachfrage mußten wir die Ausstellung verlängern. Viele Besucher trugen sich auf einer fünf Seiten langen Liste ein und äußerten sich begeistert: "Tolle Ausstellung, ich werde sie nochmal ansehen." – "Eine Fundgrube, die man gar nicht mit einmaligem Besuch würdigen und aufnehmen kann – eine wichtige Arbeit. Danke!" – "Eine sehr interessante und informative Ausstellung. Danke, daß Sie das ermöglicht haben." – "Sehr informativ, vielseitig, ansprechend, teilweise schockierend."
Ursprünglich hatten wir geplant, bis zum Jahr 2000 ein Buch – Arbeitstitel: Pinneberg von 1933-1945 – herauszugeben. Inzwischen wurden wir jedoch von der Stadt gebeten, zum 125jährigen Stadtjubiläum im Jahr 2000 eine Chronik Pinnebergs zu erstellen. Dies mußte der Leiter der VHS jedoch ablehnen, da ein solches Projekt nicht "nebenbei" ehrenamtlich und nicht in so kurzer Zeit zu realisieren sei. Er machte daher den Kompromißvorschlag, eine Illustrierte Stadtgeschichte von der Geschichtswerkstatt erstellen zu lassen.
Veröffentlicht in den Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte (Kiel) Heft 35 (April 1999) S. 64-65.
Die Autorin: Hilde Kadach, geboren 1917 in Berlin, seit 1947 in Pinneberg. Beruflich als Kaufmännische Angestellte (Sachbearbeiterin und Sekretärin) tätig gewesen. Mitarbeit in der Geschichtswerkstatt der VHS Pinneberg. Veröffentlichte 1988 zus. m. Dieter Schlichting: Drei Leben gegen die Diktatur. Die Pinneberger Nazigegner Heinrich Geick, Heinrich Boschen und Wilhelm Schmitt (2. Aufl. Pinneberg 1990).
Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte Heft 35