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Zum Widerstand, nicht nur in Wedel

Aspekte über den Widerstand der NS-Opposition in Schleswig-Holstein sind in den zurückliegenden Jahren vermehrt an die Öffentlichkeit gelangt. Lokalhistorische Monographien, wie z.B. die 1991 erschienene akribische Arbeit von Elke Imberger, sind selten, dennoch finden sich heute in zahlreichen Lokalstudien zum Nationalsozialismus Hinweise auf das Thema.

Wedel liegt am westlichen Ende der Hamburger S-Bahnlinie 1. Ob es zu Hamburg oder Schleswig-Holstein gehört, ist heute wahrscheinlich eher eine Frage des sozialen Status als der geographischen Zugehörigkeit. Die Ereignisse, die Christine Pieper untersucht hat, fanden aber zu einer Zeit statt, als Wedel noch nicht der Elbvorort der wohlhabenden Hamburger war und Altona noch zu Schleswig-Holstein gehörte. Sie beschreibt den Widerstand in einem damals als "rot" geltenden Örtchen, welches neben der traditionellen ländlichen Struktur einzelne große Industriebetriebe aufzuweisen und im Zuge der Industrialisierung auch die typischen Organisationen der Arbeiterbe-


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wegung hervorgebracht hatte.

Mit der Veröffentlichung von Piepers Magisterarbeit wurde der NS-Forschung in Schleswig-Holstein (und auch dem Hamburger Umland) ein anerkennenswerter Dienst erwiesen, zumal die Gesamtgestaltung gefallen mag. Lobenswert ist das Orts- und Personenregister, auf das andere meinen verzichten zu können. Im Format 22 x 22 cm und durch die Reservierung des üppigen Seitenrandes für Fotos und Abbildungen ist ein gefälliges Äußeres entstanden (immerhin 25 Illustrationen und acht Tabellen wurden untergebracht).

Was erwartet der Rezensent von einer Lokalstudie mit dieser Themenstellung? Sie sollte verschiedene inhaltliche und methodische Bereiche abdecken. Einerseits als empirische Grundeinheit der Forschung umfassenderen Überblicksdarstellungen vorarbeiten und einen Kontext zwischen dem konkreten Ort des Geschehens (Wedel) und den allgemeinen, überregionalen Prozessen der Geschichte herstellen. Andererseits kommt Lokalstudien die wichtige didaktische Funktion zu, Geschichte vor Ort erfahrbar zu machen und ihrer bewußten Aneignung zuzuarbeiten.

Kann die Autorin herausarbeiten, daß es in Wedel spezifische Bedingungen des Widerstands gab? Ohne Einschränkung kann ihr bescheinigt werden, daß sie dieses leistet und für die LeserInnen zukünftig eine fundierte Auseinandersetzung mit der lokalen Geschichte in Wedel ermöglicht. Nicht nur in dieser Hinsicht ist die zu Grunde liegende Magisterarbeit lesens- und auf alle Fälle auch sehenswert!

Die Autorin verortet ihren Beitrag als Widerstandsforschung "von unten" und bezieht sich in ihrer Interpretation auf erfahrungsgeschichtliche Ansätze, insbesondere auf die etwas älteren Darlegungen von Detlev Peukert (die Forschungsdiskussion "nach Peukert" wird von ihr recht knapp diskutiert).

Methodisch folgt sie Klaus-Michael Mallmanns Arbeitshypothese vom Konzept eines "parteiübergreifenden links-proletarischen Milieus". Dieses Konzept ist sehr kontrovers rezipiert worden. Mallmann konnte in seiner Arbeit Kommunisten in der Weimarer Republik nachzeichnen, daß die Bilder von einer scharfen Trennlinie zwischen KommunistInnen und SozialdemokratInnen trügen. Lokal schlugen sich die großen "Umschwünge" in der KPD ("Sozialfaschismus-These") nur sehr begrenzt nieder, und ein "links-proletarisches Milieu" war nicht auf die Ausdifferenzierung in KPD und SPD angewiesen. Ob sich dieses links-proletarische Milieu im Bezirk "Wasserkante" so nachzeichnen ließe, wagt der Rezensent jedoch auch vor der Lektüre von Widerstand in Wedel zu bezweifeln, denn die Bedingungen hier (Schiffahrt, Syndikalismus u.a.) weichen von denen in Mittel- und Süddeutschland deutlich ab, auf die Mallmann in seiner Darstellung ausgeprägter Bezug nimmt.

Die Verwendung von überregional zu erschließenden Quellen – neben den Entschädigungsakten in Schleswig sind hier Bestände des vormaligen BDC und der Stiftung im Bundesarchiv angesprochen – geht deutlich über den zumutbaren Aufwand für eine Magisterarbeit hinaus. Pieper hat sich diesen aber dennoch zugewendet, weil ihr Anspruch, kollektiv-biographische Bilder als Teil einer Sozialgeschichte des Widerstandes auf Grundlage der lokalen Sozialstruktur zu erstellen, mit lokalem Mate-


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rial allein nicht einlösbar gewesen wäre. Wenn trotz der Verwendung von überregionalen Quellen dieses Ansinnen so nicht umgesetzt werden konnte, dann beschreibt dies lediglich den üblichen wissenschaftlichen Lernprozeß, daß – leider – nicht alle relevanten Fragen mit dem vorhandenen Quellenbestand zu lösen sind.

Dennoch vermittelt die Autorin eine Fülle von sozialstrukturellen Merkmalen, die sie durch die Darstellung von Einzelbiographien verdeutlicht. Die Nichteinlösung des eigenen Ansatzes soll aber keine allein negative Kritik sein, sondern kritisiert vielmehr diejenigen, die immer exakt die Hypothesen aufstellen, die sie dann im Text belegen – mithin genau das herausfinden, was sie herausfinden wollten und in einer allein narrativen Geschichte verhaftet bleiben.

Die Gliederung des Bandes hält einen Kunstgriff bereit: Der Abschnitt "Forschungsstand" (S. 52-54) und "Quellenlage" (S. 54-56) ist der eigentlichen Darstellung hintangestellt. Ein mühsames Überblättern vermeintlich spröder Bestandteile zu Beginn des Lesens entfällt so und gewährleistet einen hindernisärmeren Einstieg in den Text; dennoch kann den darüber hinaus Interessierten die Sichtweise der Autorin zur Quellenlage und zum Forschungsstand nahegebracht werden. Genauso wie diese Umstellung noch sehr auf den Charakter der Arbeit als Magisterarbeit verweist, zeigt sich auch in der Übernahme der Kapitelüberschriften ("Vorgehensweise" u.a.) eine unnötig starr wirkende Vorsicht in der Diktion.

Positiv fällt aus, daß die Autorin den Widerstand in Wedel (bzw. die Organisierung der NS-GegnerInnen) im konkreten Kontext der lokalen Machterlangung aufzeigt und damit herausstellt, wie wenig anonym die Gesellschaft eines kleinen Ortes sein konnte und welches Risiko dies für die Opposition bedeutete.

Die zeitliche Begrenzung der Darstellung auf den Zeitraum von 1933 bis 1935 leitet sich aus dem im November 1935 geführten Prozeß gegen eine Widerstandsgruppe von Sozialdemokraten in Wedel ab. Mit diesem Prozeß war der organisierte, nach außen gerichtete Widerstand zum Erliegen gekommen.

Im zentralen Darstellungsteil (S. 30-48) dokumentiert Pieper akribisch die Widerstandsaktivitäten aus den Reihen der Arbeiterbewegung mit dem Schwerpunkt auf der stärkeren Exponierung der KPD. Für einen Moment möchte man innehalten und sich fragen, ob die Autorin die Geschichte des Widerstandes mit der Beschreibung eines jeden einzelnen Flugblatts verwechselt und damit die Kardinalfehler anderer Arbeiten macht. Da sie aber wieder auf ihre Analyseebene einer Sozialgeschichte des Widerstandes zurückkommt, macht sie deutlich, daß sie diesen Unterschied sehr wohl erkannt hat.

Der dokumentarische Teil über den Widerstand von KPD und SPD kann überzeugen. Ihn wiederzugeben hieße, das Buch nachzuerzählen. Piepers spezielle Annäherung an die Widerstandsaktivitäten und den ihn begrenzenden Rahmen der lokalen Bedingungen herauszuarbeiten glückt, und zwar nicht auf Grundlage des heutigen "Besserwissens" sondern darauf, daß sie eine Milieubeschreibung vornimmt, die letztendlich den damaligen Organisationen gut zu Gesicht gestanden hätte. Die Gründe des Scheiterns eines aktiven Widerstandes leitet sie aus den Binnen-


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probleme der Organisationen, der lokalen Sozialstruktur und der Wechselwirkung mit dem Verfolgungsapparat ab. Interessant ist, daß es nur in Ausnahmefällen zu gemeinsamen Aktivitäten von Sozialdemokraten und Kommunisten kam (ein Fall einer engen Nachbarschaftsbeziehung, ein in dieser Weise für Schleswig-Holstein neues Erklärungsmuster), mithin sich das "links-proletarische Milieu" im Moment der Illegalität nicht zeigte.

Einzig bei Interpretationen, wie bspw. zu einer Verpflichtungserklärung eines Verfolgten bei der Polizei (er wolle "am Aufbau des neuen Staates [...] mitarbeiten", S. 30), wäre zur Vorsicht zu mahnen. Solche Erklärungen hat man unterschrieben oder unterschreiben müssen; sie allein sind aber kein Beleg für irgendeine Haltung, bestenfalls ein Indiz. Treffend ist aber die Beschreibung, daß die Arbeiterbewegung sich nach einer gewissen Zeit mit dem "neuen Staat" durchaus einrichtete.

Ihre Schlußbetrachtung zeigt, daß die milieu-bezogene Forschung sehr wohl geeignet ist, lokalen Arbeiterwiderstand im NS zu erklären. Sie verdeutlicht uns, daß der Arbeiterwiderstand nicht von der Mehrheit der Bevölkerung getragen wurde und den NS-Staat auch in seiner Anfangsphase nicht im mindesten gefährdete.

Leider geht die Autorin nicht auf die Binnenstruktur des Bezirks "Wasserkante" der KPD ein. Inwieweit sich die hier abspielenden Konflikte in der Provinz widerspiegeln, bleibt eine offene, aber doch in jedem Fall zu stellende Frage. Dennoch: Man darf der Autorin nicht vorhalten, sie hätte keine Geschichte der Bezirksleitung (BL) geschrieben – das war auch nicht ihre Aufgabenstellung. Nur indirekt berührt sie dieses Thema, indem sie herausstellt, daß einzelne Aktivitäten der KPD-Genossen autonom von der BL entstanden und die Instrukteure der BL geradezu als Fremde an die Genossen vor Ort herantraten. Sie thematisiert aber die politische Blindheit der Instrukteure und die Realitätsferne der Politik (S. 47).

Mit einem Stirnrunzeln mag man sich dem Verhältnis von Textanteil (49 von 94 S.), Anmerkungsapparat (20 S. mit 541 Fußnoten) und Literaturanhang (7 S.) zuwenden. Daß die Autorin in ihrer Magisterarbeit Fleiß und Gründlichkeit dokumentieren muß, mag jedeR verstehen, der oder die selbst einmal diese Hürden genommen hat. Aber: Wie lange müssen ExamenskandidatInnen noch beweisen, daß sie in der Lage sind, die Fußnotenfunktion ihres Textverarbeitungsprogrammes mit einem Mausklick zur passenden (oder unpassenden) Situation aufzurufen? Diese Frage richtet sich nicht an Piepers Arbeit allein – nur hier fällt das Verhältnis von wirklich einladender äußerer Präsentation und lästigen Fußnotenstolpersteinen im Text auf. Wissenschaftlichkeit hat die Autorin bewiesen, Wissenschaftlichkeit zeichnet sich aber nicht durch 541 Fußnoten aus. Wieviele Fußnoten darf ein zweizeiliger Satz haben? Zwei, drei, vier, fünf oder mehr?

Aus der Quellenkenntnis des Rezensenten kann der Autorin nicht vorgehalten werden, daß sie relevante Bestände im historischen Archiv der KPD übersehen hat – wahrscheinlich waren ihre Erwartungen hier etwas zu groß. Aus den Instrukteurs- und Lageberichten der illegalen Abschnittsleitung-Nord (ALN) gehen allerdings häufiger Wedel betreffende Hinweise hervor. Eine Aus-


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wertung dieser Berichte ist bisher nicht geschehen (mindestens 40 Monatsberichte von 1936 bis 1939 sind überliefert) und hätte eine eigene, lohnenswerte Magisterarbeit hervorgebracht.

Mutig und konsequent ist es, wenn die Autorin im Abschluß der Arbeit selbstkritisch festhält, daß die Forschungshypothese des "links-proletarischen Milieus" (Mallmann) sich nicht unbedingt hat einlösen bzw. auf Grund der Quellenlage umsetzen lassen. Gelegentlich möchte man ihr zurufen, daß sie ihre Betrachtungen selbstbewußter vortragen dürfte. Lobenswert ist auch, daß Pieper die RezipientInnen stets über die Grenzen des Forschungsprozesses informiert. Es wäre zu hoffen, daß dies bei der Bewertung ihrer Magisterarbeit positiv anerkannt wurde.

Für eine Magisterarbeit hat Christine Pieper hier aber einen Standard vorgelegt, der anderen Arbeiten – und gewiß nicht nur Magister- und Staatsexamensarbeiten – gut anstünde. Man mag darüber uneinig sein, ob die Darstellung des Forschungskontextes gründlicher hätte ausfallen dürfen, sollte aber respektieren, daß eine Magisterarbeit ein Produkt ist, welches sich in einem Zeitraum von max. einem Jahr erstellen lassen sollte (vorgesehen sind ohnehin nur sechs Monate).

Es kann kein Zweifel daran bestehen, das sechs bis acht weitere Lokalstudien zum politisch motivierten Widerstand in Schleswig-Holstein und einzelne speziell zum Widerstand in der Seeschiffahrt eine flächendeckende Grundforschung bereitstellen würden. Von einer Zusammenfassung dieser Einzelarbeiten könnten neue Erkenntnisse erwartet werden, welche die vorschnellen und unkritischen "Draufsichten" auf das Thema in Frage stellte. Denn diese "Draufsichten" aus der Vogelperspektive desjenigen, der weiß, welchen Verlauf die Geschichte genommen hat, ist in der Regel mehr Reflex aktueller Befindlichkeiten der Forschenden und ihrer Gesellschaft – das hat das Thema Widerstandsforschung in seinen Konjunkturen im besonderen Maße bewiesen (und die Autorin auch klargestellt).

Thomas Pusch

Christine Pieper: Widerstand in Wedel. Sozialdemokraten und Kommunisten gegen den Nationalsozialismus 1933-1935. Hrg. von der Stiftung zur Förderung von Kunst und Kultur der Stadt Wedel. Hamburg: Dölling und Galitz Verlag 1998. 95 S. (= Beiträge zur Wedeler Stadtgeschichte; Bd. 2)


Veröffentlicht in den Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte (Kiel) Heft 35 (April 1999) S. 81-85.


Der Rezensent: Thomas Pusch, Jg. 1963, 1992 Magisterexamen in Göttingen (Thema: Methodische und theoretische Aspekte der zeithistorischen Lokal- und Regionalgeschichte, 1993 – 1995 Mitarbeiter der Geschichtswerkstatt Göttingen e.V., 1996 bis März 1999 wissenschaftlicher Angestellter des IZRG. Arbeitet z.Zt. an seiner Promotion Die Erfahrungen des politischen Exils, darüber hinaus umfangreiche Recherchen zur Zerschlagung der KPD im Bezirk "Wasserkante", speziell in Kiel. Weitere Interessen- und Arbeitsschwerpunkt: Migrationsgeschichte/Staatsangehörigkeitsrecht, Umweltgeschichte/Historische Umweltforschung. Lebt in Hamburg-Neuengamme.


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