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Rundgänge zur NS-Geschichte Kiels

Nach dem ersten Begleitheft zur Antifaschistischen Stadtrundfahrt 1982/83 (vgl. Akens-Info 2/1983, S. 27f.) und dem umfangreichen, besonders lehrerfreundlichen Reader (vgl. Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte Heft 28/1995, S. 85f.) liegt seit Herbst 1998 eine neue Broschüre des Arbeitskreises Asche-Prozeß vor, die auf ca. 70 Seiten neben der Stadtrundfahrt drei vom Arbeitskreis ebenfalls angebotene Stadtführungen dokumentiert.

Mit dieser Publikation kann jede und jeder Interessierte sich anhand der aufgezeigten Routen nun selbst auf den Weg machen. Karten zu den einzelnen Routen helfen, die beschriebenen Örtlichkeiten zu finden. Aber auch den Bequemen unter uns, die lieber zu Hause bleiben, bieten die Texte zu den einzelnen Stationen, die zugleich bestimmte Themen abhandeln, eine Vielzahl von Informationen. Durch ca. 60 Abbildungen anschaulich gemacht und durch Quellenverweise in der Randspalte ergänzt, bietet das Heft einen ersten, aber doch schon sehr umfassenden Einblick in die Geschichte Kiels im Nationalsozialismus. Ein Inhaltsverzeichnis und Verweise, wenn zu dem betreffenden Themenaspekt innerhalb eines anderen Rundgangs schon Informationen gegeben wurden, erleichtern die Orientierung.

Hatte das erste Begleitheft zur Antifaschistischen Stadtrundfahrt noch den Charme des Selbstgemachten, so wirkt diese neue Broschüre schon sehr professionell. Anspruchsvoller Inhalt und ansprechende Form ergänzen sich jetzt.

Das Heft beginnt mit der – wie die Herausgeber selbst sagen – "schon fast klassisch zu bezeichnenden Stadtrundfahrt", die seit 15 Jahren durchgeführt wird. Themen sind u.a. die Bücherverbrennung, die Rolle des Arbeitsamtes und der Universität in der NS-Zeit, die Zerstörung der jüdischen Gemeinde, die Ausschaltung der demokratischen Parteien und der Gewerkschaften, die Aufrüstungspolitik am Beispiel der Kieler Werften, der Einsatz von Zwangsarbeitern sowie die Orte des Terrors (Polizeipräsidium und -gefängnis Blumenstraße, Gestapo-Hauptquartier, Sondergericht, Arbeitserziehungslager Nordmark).

Es folgen drei Stadtrundgänge zu speziellen Themenschwerpunkten. Der erste führt durch den Stadtteil Düsternbrook, der vor allem von der Kieler Oberschicht bewohnt wurde und wird. Hier lebten Opfer und Täter oft nahe beieinander. Als Beispiele seien das erste und inzwischen wohl bekannteste Kieler NS-Opfer, der jüdische Rechtsanwalt und SPD-Politiker Wilhelm Spiegel, und Gauleiter Hinrich Lohse genannt, dessen Dienstvilla hier lag. In diesem Stadtteil hatte auch die Gestapo ihren Sitz, ebenso viele NSDAP-Gliederungen. Eine Station beschreibt die Gründe der gescheiterten Entnazifizierung gerade in Schleswig-Holstein.

Die Stadtführung zum Thema "Widerstand, Verfolgung und Verweigerung" geht vor allem auf den Widerstand aus der Arbeiterbewegung ein. Daneben stehen Personen, die um ihrer religiösen oder ethischen Selbstbehauptung willen zu Gegnern der Nationalsozialisten wurden, wie die Zeugin Jehovas Minna H. oder der Jugendpastor Wolfgang Prehn. Sein Beispiel zeigt einen Menschen, der die Machtübernahme durch


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die Nationalsozialisten zunächst begrüßt hatte, aber ihnen schon bald ablehnend gegenüberstand. Es räumt auch mit der oft gehörten Schutzbehauptung auf, man habe erst spät erkennen können, wohin die Politik des Nationalsozialismus führen werde.

Die vierte Route beschreibt die Geschichte der Kieler jüdischen Gemeinde. In der Einführung erhält der Leser wichtige Informationen zur Entwicklung und Zusammensetzung der jüdischen Gemeinschaft in Kiel. Neben den Zentren des religiösen Gemeindelebens (Synagogen, orthodoxer Betsaal, Friedhof), die zum Teil auch in der Stadtrundfahrt beschrieben sind, werden dem Leser die Schicksale einzelner Personen nahegebracht. Da stehen die im Alter noch berühmt gewordene Lotti Huber und ihr Bruder Kurt Goldmann neben dem unbekannten Jacob Grubner, der Familie Schumm, deren Sohn das zweite jüdische Opfer in Kiel wurde, und dem Kaufmann Gustav Lask. Dieser Rundgang zeigt leider auch, wie wenig Spuren jüdischen Lebens in Kiel noch sichtbar sind.

Angesichts aktueller Diskussionen und Ereignisse "den politischen Blick auf die NS-Zeit zu schärfen", ist Ziel des Arbeitskreises Asche-Prozeß. Dieses Begleitheft könnte dabei helfen. Für 5 DM erhält der Leser einen kurzen, aber durch die Vielfalt der Informationen doch umfassenden Einblick in die NS-Zeit in Kiel.

Renate Dopheide

Arbeitskreis Asche-Prozeß: Antifaschistische Stadtführungen: Kiel 1933-1945. Kiel: Selbstverlag 1998. 72 S. m. zahl. Abb. u. Karten.


Veröffentlicht in den Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte (Kiel) Heft 35 (April 1999) S. 95-96.


Die Rezensentin: Renate Dopheide, Jahrgang 1960, M. A., studierte Geschichte und Deutsch an der Christian-Albrechts-Universität Kiel. Mitarbeit u.a. an einer Ausstellung zum 50. Jahrestag des Kriegsendes. Sie arbeitet derzeit an einer Dissertation über die NSDAP in Kiel.


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