Kay Dohnke:
Heinrich Hornig – Streit um einen Straßennamen in Itzehoe

Harmloser Heimatdichter oder verblendeter Nazi-Propagandist? Der plattdeutsche Schriftsteller Heinrich Hornig (1876-1958) ist in die Diskussion gekommen, seit bekannt geworden ist, dass er sich gleich nach dem Regierungsantritt der Nationalsozialisten immer wieder literarisch für die Politik Hitlers eingesetzt hat. Im Sommer 1999 hat der Akens die lange überfällige öffentliche Diskussion um dieses problematische und bislang weitgehend unbeachtete "Kultureerbe" angeregt.

Eigentlich war man von ihm nur Harmlosigkeiten gewohnt: Seit etwa 1903 publizierte der Schriftsteller Heinrich Hornig in den Itzehoer Nachrichten kleine Gedichte und Geschichten auf Hoch- oder Plattdeutsch. Naturlyrik, amüsante Anekdoten, Lieder, Märchen und Rätsel für die Kinder gehörten zum literarischen Repertoire des Grundschullehrers, und er erwarb sich damit bald den Ruf eines Heimatdichters. 1876 in Schlotfeld geboren, verbrachte Hornig fast sein gesamtes Leben in Itzehoe. Kleine Regionalverlage stellten zwischen 1906 und 1953 seine Texte – obwohl qualitativ allenfalls Dutzendware – in immerhin 18 meist nur schmalen Bändchen zusammen. Heinrich Hornig: ein Autor wie viele andere, der im Bereich der regionalen Literatur seinen Markt, sein Betätigungsfeld gefunden hatte.

Schrieb er wirklich nur Harmlosigkeiten? Wer heute in einigen Büchern Hornigs blättert, muss stutzig werden – und ein Blick in verschiedene Tageszeitungen und plattdeutsche Monatsblätter enthüllt ganz andere Positionen:

"... so treckt gans Dütschland as een Trupp.
Un Adolf Hitler geiht vörup,
de echte dütsche Arbeidsmann,
un wiest den Wegg ut Not un Schann"
dichtete Hornig am 8. Mai 1933.

Spontan zusammengereimter Freudenruf über die Machtergreifung der Nazis, vorschnell und im Affekt geschrieben? Ersteres gewiss, zweiteres wohl kaum: Immer wieder ließ sich der Autor in den folgenden Jahren mit Lobliedern auf das braune Regime hören, verlieh er dem "neuen Deutschland" dichterische Weihe. Im April 1935 war es ein Hymnus auf die Nordmark-SA ("Wir folgen dem Führer auf Leben und Tod / ... / Im Gleichschritt erzittern die Fenster der Stadt / Sieg-Heil-Ruf erbrauset vom Wald bis zum Watt"), im Folgemonat ein Gedicht über den Arbeitsdienst. Noch im gleichen Jahr nahm Hornig einige dieser Pro-


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pagandatexte in sein Buch Op de Lebensbrügg auf, arbeitete später Manches um, veröffentlichte es erneut.

Ein Schiff namens Deutschland, und sein Kapitän heißt Hitler – Maritimes gehört zur traditionellen Bildwelt der Regionalliteratur, und Hornig dichtete es im Oktober 1935 auf die Nazis um. Töne, die zu einem Heimatdichter nicht passen wollen? Sie passen durchaus, denn Hornigs kultureller Einsatz für den Nationalsozialismus war keine Ausnahme; viele sogenannte "Heimatdichter" schmiedeten ab 1933 Propagandaverse. Der Itzehoer Schulmeister im Ruhestand – 1935 hatte Hornig sich aus dem Berufsleben zurückgezogen – zeigte sich darin aber als besonders eifrig. Kaum ein politisches Ereignis jener Jahre blieb ohne seine lyrische Aufwertung, sei es 1935 der Anschluss des Saarlandes an das Deutsche Reich oder 1938 jener der Sudetenregion.

Wären es ein oder zwei Gedichte, von Hornig im Gefühlsüberschwang nach der Machtergreifung geschrieben – man könnte sie getrost ignorieren. Doch der Autor produzierte jahrelang systematisch Propagandatexte, die er oft in der plattdeutschen Monatsschrift Moderspraak drucken ließ. Sie wurden in den dreißiger und frühen vierziger Jahren zum integralen Bestandteil seines Schaffens. Und in einem ging Hornig sogar noch weiter als andere Autoren: Er agitierte auch unter seinen jugendlichen Lesern. Die Rubrik "För de Göörn" der Zeitschrift Moderspraak brachte im April 1936 das Gedicht Jungvolk marscheert, in dem die Hitlerjugend bejubelt wird, im Juni 1936 verherrlichte er in dem Text Suldaten die Reichswehr aus Kindersicht. Erwachsene, so darf unterstellt werden, konnten sich von Hornigs Texten ein eigenes Bild machen – Kinder jedoch waren einer solchen Indoktrination hilflos ausgeliefert.

Die vergleichsweise große Dichte einschlägiger Texte zeigt, dass politische Gedichte für Hornig ein wichtiger Bestandteil seines Werkes war; seine Produktion kriegstreiberischer Lyrik endete erst, als den kleinen Zeitschriften das Papier gesperrt wurde. Aber offenbar wollte und will man bis heute davon in Itzehoe nichts wissen...

Grund genug für den Akens, sich an die Stadt Itzehoe zu wenden und nachzufragen. Im Dezember 1997 erbat der Vorstand von Bürgermeister Harald Brommer Auskunft, inwieweit die Existenz der Propagandatexte bei der 1964 erfolgten Straßenbenennung nach Hornig bekannt war bzw. heute überhaupt offiziell bekannt ist. Sollte das nicht der Fall sein, wollte der Akens gern wissen, ob die Stadt aus den neuen Erkenntnissen Konsequenzen zu ziehen gedenke. Ein vom Akens zusammengestelltes Dossier der einschlägigen Texte wurde der Stadt zur Verfügung gestellt.

Der Itzehoer Bürgermeister sah sowohl Aufklärungs- als auch Handlungsbedarf und lud den Akens zu einem Gespräch ein, wie in dieser Sache sinnvollerweise verfahren werden solle. Der Vorschlag des Akens, die politischen Texte allen Anliegern der Heinrich-Hornig-Straße zur Kenntnis zu bringen und dann die Diskussion um den Namen öffentlich zu führen, ließ sich nicht umsetzen – die Erben Hornigs würden, das war klar, nicht die Erlaubnis zur Vervielfältigung der Texte geben.

So fand dann am 22. Juni 1999 in einem Itzehoer Gymnasium ein Gesprächsabend statt, der in vorausseh-


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baren Peinlichkeiten endete. Einem bereits von ungehaltenen Zwischenrufen gestörten Einführungsreferat durch Akens-Sprecher Kay Dohnke schlossen sich Statements der im Itzehoer Stadtrat vertretenen Parteien und politischen Gruppen an, die anfangs noch alle eine mögliche Umbenennung für sinnvoll hielten. In der dann folgenden chaotischen Diskussion, in der es nicht um die politischen Inhalte der Texte, sondern nur um die Verteidigung des vermeintlich zu Unrecht angegriffenen Lokaldichters ging und in der man es weder mit konkreten Sachverhalten noch der Textinterpretation irgendwie genau nahm, wurde bald deutlich, dass ein Umbenennungsbegehren aus den Reihen der Betroffenen nicht zustande kommen würde – im Gegenteil: In einer spontan durchgeführten, aber die politischen Stadtvertreter nicht bindenden Meinungserhebung wurde per Abstimmung festgestellt, dass Hornigs politische Aktivitäten nicht ausreichend nachgewiesen seien und man ihn lieber doch für einen Heimatdichter halten wolle. Auch jetzt widersetzte sich ein anwesender Enkel der Bitte, die Texte zugänglich zu machen – aber die Mehrheit der Anwesenden wollte sie ja ohnehin nicht zur Kenntnis nehmen.

Erst harmlos-besinnlicher Dichter, dann Verfasser von Propagandatexten? Die wichtige Frage, ob Hornig seine Polit-Reimerei freiwillig betrieben hat, muss eindeutig mit Ja beantwortet werden. Zum einen war der Autor so unbedeutend, dass es für das braune Regime keinen Sinn gemacht hätte, gerade ihn möglicherweise unter Zwang als kulturelle Symbolfigur zu instrumentalisieren – da gab es andere, viel prominentere Kollegen wie etwa Rudolf Kinau, die eine solche Rolle sogar freiwillig spielten. Und selbst wenn Hornig einen Druck empfunden hätte, nach 1933 für NS-Blätter zu schreiben: Gerade die plattdeutsche Literatur in ihrer "heimatlichen" Ausrichtung bot vielfältige traditionelle Stoffe und Bilder, die ins Kulturkonzept der Nazis gepasst hätten, ohne einen politischen Kotau vor den Machthabern zu vollziehen: Pflügende Bauern, Fischer und Seefahrer oder das einfache Leben in den Dörfern. Andere Regionalautoren haben während der NS-Zeit publiziert, ohne sich dabei ideologisch und literarisch selbst zu verraten. Hornig hat jedoch bewusst mit literarischen Mitteln Politik gemacht.

Die Itzehoer politischen Parteien bilden inzwischen gespaltene Lager. Die SPD will offiziell einen Umbenennungsantrag einbringen, den die Grünen wohl befürworten werden. Auch die Unabhängige Wählergemeinschaft Itzehoe hat eine kritische Haltung; nur die CDU findet mittlerweile, Hornigs politisches Dichten sei doch nicht überzeugend nachgewiesen und wiege im Vergleich zu mehreren Hundert harmlosen Texten nicht schwer genug...

Hornig-Straße hin oder her: Selbst ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende scheint es in der Provinz für viele Menschen nicht leicht zu sein, den eigenen Nahraum und die vermeintlich politikferne Dichtung kritisch zu sehen. Ein zentrales Denkmal in Berlin hilft da wenig – der differenzierte Diskurs vor Ort bleibt unverzichtbar, ist aber nach wie vor nicht leicht zu führen.


Veröffentlicht in den Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte Heft 36 (1999) S. 104-106.


Der Verfasser: Kay Dohnke, Jahrgang 1957, studierter Literaturwissenschaftler. Tätig als freier Journalist und Sachbuchautor. Arbeitsschwerpunkt u.a. norddeutsche Literatur-, Presse- und Kulturgeschichte. Zahlreiche Publikationen zur Rolle regionaler Kultur im Nationalsozialismus sowie zur Ideologisierung der Literatur im 20. Jahrhundert.


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