In einer Traueranzeige, die zum Volkstrauertag 1998 im Möllner Markt erschien, erinnerte der Möllner Pastor Dr. Holger Roggelin an das Schicksal von 27 Kindern osteuropäischer Zwangsarbeiterinnen. Die Kinder waren zwischen 1943 und 1945 in Mölln gestorben, die meisten von ihnen im Säuglingsalter.
Die Anzeige löste Betroffenheit, Zustimmung, vereinzelt auch Protest aus. Bei der Klasse 10 b der A.-Paul-Weber-Realschule weckte sie das Interesse, die Hintergründe der damaligen Ereignisse zu erfahren.
Die Schülerinnen und Schüler setzten sich mit Pastor Dr. Roggelin in Verbindung und recherchierten im Möllner Stadtarchiv. Auch die Befragung von Zeitzeugen im Möllner Seniorenheim "Uhlenspeegel" war Teil des Projekts. Über die Hintergründe des Todes der Kinder erfuhr die Klasse Folgendes:
In Mölln befand sich zwischen 1934 und 1945 ein großer Rüstungsbetrieb, die Heeresmunitionsanstalt Mölln (Muna). Neben dienstverpflichteten Frauen und Kriegsgefangenen waren hier viele Zwangsarbeiterinnen tätig. Die Akten des Stadtarchivs geben zu diesem Themenkomplex nur wenig Auskunft. Bekannt sind lediglich die Zahl und die Lage der Baracken, in denen die Arbeiterinnen untergebracht wurden. Recherchen in den Unterlagen des Standesamtes und der Kirchengemeinde Mölln ergaben aber, dass mindestens 27 Kinder von Zwangsarbeiterinnen im Lager der Heeresmunitionsanstalt an den Folgen von Vernachlässigung, schlechter Ernährung und unzureichender Versorgung gestorben sind. Die Kinder waren auf dem Alten Friedhof der Stadt Mölln beigesetzt worden. 1960 wurde diese Grabstätte abgeräumt und neu belegt.
Aus ihrer Beschäftigung mit Kriegs- und Nachkriegszeit in Mölln entwickel-
[Möllner Markt vom 14. November 1998]
ten die Schülerinnen und Schüler eine Ausstellung mit dem Titel Mölln 45, die Dokumente und Berichte über die verstorbenen osteuropäischen Zwangsarbeiterkinder ebenso enthielt wie die Ergebnisse der Zeitzeugenbefragung und Informationen über das Leben in Mölln in den Jahren nach 1945.
Die Ausstellung, die erstmals auf dem Weihnachtsbasar der A.-Paul-Weber-Realschule zu besichtigen war, fand großes Interesse. Die positiven Rückmeldungen ermutigten die Klasse, an dem Thema weiterzuarbeiten. Möllns Bürgervorsteher Lothar Obst traf sich mit den Schülern und Bewohnern des Seniorenheims "Uhlenspeegel", um einen Weg zu finden, die Ausstellung möglichst vielen Interessierten zugänglich zu machen. Der Pressebericht, der über dieses Treffen erschien, machte die Lauenburgische Gelehrtenschule in Ratzeburg auf das Projekt aufmerksam. Hier wurde die Ausstellung anschließend ebenso gezeigt wie in der Möllner Stadtbücherei.
Das Engagement der Klasse 10 b führte zur Einrichtung einer Arbeitsgruppe, in der neben den Schülerinnen und Schülern die Rektorin der Schule, Vertreter der ev.-luth. Kirchengemeinde Mölln und der Stadt Mölln mitarbeiteten.
Die Arbeitsgruppe setzte sich die Herrichtung der Grabstätte der Kinder und ihre Umgestaltung zu einer Gedenkstätte zum Ziel. Über die Gestaltung der Anlage wurde lebhaft und engagiert beraten. Die geplante Gedenkstätte wird jetzt an der Stelle eingerichtet, an der die Kinder begraben liegen.
Der Bildhauer Roland Kahlke legte für die Neugestaltung einen Entwurf vor, der in der Arbeitsgruppe große Zustimmung fand. Der Gedenkstein wird die Form eines aufgeschnittenen Findlings haben und auf Bronzeplatten die Namen, Vornamen, Geburts- und Sterbedaten der Kinder tragen. Daneben wird ein Zitat aus dem Matthäus-Evangelium zu lesen sein:
"Seht zu, dass ihr nicht einen von diesen Kleinen verachtet,
Denn ich sage euch: Ihre Engel im Himmel sehen
allezeit das Angesicht meines Vaters im Himmel.
So ist's auch nicht der Wille bei eurem Vater im Himmel,
dass auch nur eins von diesen Kleinen verloren werde." (Matth. 18, 10 + 14)
Zusätzlich soll eine Erläuterungstafel über die geschichtlichen Hintergründe der Gedenkstätte informieren. Der Text wurde im Unterricht erarbeitet und lautet:
"Diese Gedenkstätte erinnert an Kinder von osteuropäischen Zwangsarbeiterinnen, die in der heutigen Waldstadt in einer Munitionsfabrik arbeiten mussten. Die schlechten Lebensbedingungen, die von der Lagerleitung bewusst herbeigeführt wurden, führten zu Unterernährung, an deren Folgeerscheinungen die Kinder in sehr jungen Jahren den Tod fanden. Die Kinder wurden hier beerdigt. Die Gräber wurden 1960 neu belegt, obwohl sie wie die Gräber anderer Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft hätten geschützt werden müssen. Dieser Fehler wird heute (1999), nachdem die Klasse 10 b (Schuljahr 1998/1999) der A.-Paul-Weber-Realschule sich damit befasst hat und das Interesse und den Zuspruch der Öffentlichkeit gewonnen hat, behoben."
Mit der Umsetzung des Projektes ist inzwischen begonnen worden. Die Schülerinnen und Schüler der Projektgruppe halfen bei den gärtnerischen Arbeiten zur Neuanlage der Grabstätte.
Die Fertigstellung der Anlage ist zum Volkstrauertag im November 1999 geplant.
Veröffentlicht in den Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte Heft 36 (1999) S. 91-93.
Die Verfasser:
Christian Lopau, geboren 1962 in Hamburg. M.A. der Literaturwissenschaft und Geschichte. Seit 1990 Stadtarchivar in Mölln und Ratzeburg. Verschiedene Veröffentlichungen zur Verfolgung von Juden im Kreis Herzogtum Lauenburg.
Benjamin Polzin, geboren 1981, wohnt in Mölln. Er hat als Schüler der Abschlussklasse 10 b der A.-Paul-Weber-Realschule in Mölln in der Projektgruppe mitgearbeitet, die sich mit der Geschichte der Zwangsarbeiterkinder beschäftigt hat. Er besucht z. Zt. eine weiterführende Schule.
Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte Heft 36