Auf dem Hof von Dietrich Schink: Einfahren von Heu im Sommer1942 (links: Bauer Schink, rechs: Bernhard Adamski).
Foto: Sammlung Hoch.
Der Kalender weist für den Anfang des Jahres 2005 für die Gemeinde Alveslohe zwei Daten auf, die Anlass zum Nachdenken geben: Am 5. Januar 1945 wurde ein junger Mann aus Alveslohe frühmorgens von dem Ortspolizisten aus dem Kuhstall geholt und zur Gestapo nach Neumünster gebracht. Von dort schickte man Bernard Adamski weiter in das „Arbeitserziehungslager Nordmark“ in Kiel-Hassee, einer KZ-ähnlichen Einrichtung. Am 7. Februar 1945 fiel der kräftige, gesunde junge Mann den mörderischen Lagerbedingungen zum Opfer. Wer war dieser Bernard Adamski, und was geht uns in Alveslohe sein Schicksal an, das Schicksal eines Polen?
Bernard wurde am 30. Oktober 1924 in Pakosc geboren. Dieser kleine Wallfahrtsort mit einem Kloster, mehreren Kirchen und Kapellen und einem Krankenhaus liegt zwischen den früheren preußischen Städten Bromberg, heute Bydgoszcz, und Gnesen, heute Gniezno, in dem damals so genannten „Reichsgau Wartheland“, zuvor Provinz Posen. Ob er im Jahre 1940 – also im Alter von 16 Jahren – aus seiner Heimatgemeinde verschleppt wurde, ist nicht bekannt. Wahrscheinlich war die Familie Adamski damals noch in Pakosc ansässig, bevor sie mit dem größten Teil der polnischen Bevölkerung in das „Generalgouvernement für die besetzten polnischen Gebiete“ vertrieben wurde. Den polnischen Besitz übernahmen danach so genannte „Volksdeutsche“, die aufgrund eines Abkommens zwischen Hitler und Stalin ihre Heimat im Gebiet der Sowjetunion verlassen mussten. Die Bevölkerung bestand mehrheitlich aus Polen mit einer starken deutschen und einer kleinen jüdischen Minderheit – Deutsche waren also möglicherweise Zeugen der Aktion gegen die Familie Adamski. Unter Androhung schwerster Repressalien für die ganze Familie (Entzug der Lebensmittelkarten, Deportation oder Haft) musste Bernard sich der Gewalt der deutschen Behörden beugen.
Über das Arbeitsamt Neumünster wurde er der Familie des Landwirts Dietrich Schink in Alveslohe, Up de Höcht, zugeteilt. Der Bauer Schink war nicht – wie zahllose andere Landwirte im Dorf – zur Wehrmacht eingezogen oder anderweitig dienstverpflichtet worden. Er konnte persönlich den Betrieb seines Hofes weiter leiten. Ohne zusätzliche Arbeitskräfte war die Bewirtschaftung des großen Hofes jedoch schwierig. Darum hatte er, gleich zahlreichen anderen Bauern, beim Arbeitsamt schriftlich die Zuweisung einer ausländischen Arbeitskraft beantragt. Dafür standen bald nach der Besetzung Polens Zwangsarbeiter wie Bernard Adamski zur Verfügung.
Am 5. Januar 1945 erschien frühmorgens der Alvesloher Polizist Willi Lorenz auf dem Hof Schink, um Bernard zu verhaften. Er brachte den inzwischen 20 Jahre alten Bernard nach Neumünster zur Dienststelle der Gestapo und weiter in das örtliche Polizeigefängnis. Man behielt ihn nicht lange dort, sondern brachte ihn in das Gestapogefängnis und von dort am 10. Januar in das „Arbeitserziehungslager Nordmark“ in Kiel-Hassee, wo er bereits nach wenigen Wochen – am 7. Februar 1945 – starb. [1]
Sein Grab fand Bernard Adamski zunächst auf dem Kieler Friedhof Eichhof (Grab-Viertel 49, Grab Nr. 375). Später erfolgte eine Umbettung auf den „Cap-Arcona-Friedhof“ in Haffkrug-Neukoppel an der Neustädter Bucht.
Bernard war zwar im Einwohnerregister der Gemeinde Alveslohe eingetragen. Im Vergleich zu entsprechenden Eintragungen in anderen Gemeinden (z.B. Bilsen und Barmstedt) verfuhr man in Alveslohe jedoch nachlässig und achtlos. Die Frage nach den meisten Daten blieben hier unbeantwortet. Auf der Rückseite des Blattes findet sich als Arbeitgeber eingetragen „D. Schink.“
Offensichtlich suchten Bernards Eltern Informationen über sein Schicksal. Verständlicherweise richteten sie zunächst ein Suchbegehren an die polnischen diplomatischen Instanzen. Dort scheint man über den Sterbeort Bernards in etwa informiert gewesen zu sein, denn das polnische Konsulat in Berlin fragte unter dem 23. Januar 1948 direkt bei der Gemeinde Alveslohe nach dem Schicksal von Bernard Adamski an. Bürgermeister
[Seite 35 enthält das Dokument: Sterbeurkunde für Bernhard Adamski]
[Abbildung: Dokument: Auszug aus dem Alvesloher Melderegister]
Wilhelm Lescow antwortete am 16. Februar 1948, Bauer Schink habe dem Konsulat bereits Einzelheiten zu Adamski mitgeteilt. (Wann das geschehen war und was dessen Mitteilung beinhaltete, bleibt unbekannt.) Darüber hinaus seien nähere Einzelheiten über dessen Verbleib „nicht bekannt.“ „Über eine angebliche (Hervorhebung G. Hoch) Verhaftung und Verbringung des A. in ein Konzentrationslager konnten ebenfalls keine Feststellungen getroffen werden. Lescow“.
Am 30. Juli 1948 fragte das polnische Konsulat in Hamburg bei der britischen Militärregierung in Bad Segeberg nach Adamskis Schicksal. Diese teilte am 23. August 1948 dem Konsulat mit, Adamski sei am 5. Januar 1945 in Alveslohe, Kreis Segeberg, durch Polizeimeister Lorenz auf Befehl der Gestapo Neumünster in das Polizeigefängnis „Am Hart“ in Neumünster verbracht worden. Am 10. Januar sei er frühmorgens durch die Gestapo ins Gefängnis Kiel transportiert worden. (Der Wohnsitz von Lorenz wird in dem Schreiben irrtümlich mit Bad Oldesloe angegeben.) Im Jahre 1988 war aus der Familie Adamski zu erfahren, dass sie während der inzwischen verflossenen vierzig Jahre keine weiteren Informationen über Bernards Schicksal erhalten habe.
[Abbildung: Dokument Schreiben von Bürgermeister Lescow an das polnische Konsulat]
Da die früheren Auskünfte des Bauern Schink gegenüber dem polnischen Konsulat unbekannt sind, wird die Beteuerung Bürgermeister Lescows umso bedeutsamer, wonach ihm „nähere Einzelheiten“ nicht bekannt seien. Verhaftung und Verbringung in ein Konzentrationslager gelten ihm lediglich als Gerüchte. Darauf deutet die Wahl des Wortes „angeblich“ hin. Bei der Bewertung dieser Aussage, knapp drei Jahre nach den Ereignissen, ist Folgendes zu bedenken:
Die Gemeinde Alveslohe zählte zur Zeit der Verhaftung Bernards, also Anfang 1945, höchstens 1200 Einwohner. Nach allen Erfahrungen in einer so kleinen Gemeinde bleibt die Wegnahme einer unverzichtbaren Arbeitskraft vom Hof eines besonders angesehenen Bauern nicht unbemerkt. Bernard wurde, wie es damals üblich war, zu Fuß ins Dorf geführt, während der Polizist ihn auf dem Fahrrad begleitete. (Der Polizist Lorenz hatte als Organ der Gestapo in Neumünster bereits 1933 eine gleichartige Maßnahme gegen den Arbeiter Otto Gösch aus Kaltenkirchen durchgeführt.[2]) Ihr Weg führte durch mehrere bebaute Straßen in die Dorfmitte, wohl zunächst in die dort liegende Arrestzelle. Das blieb nicht nur den Augen-
zeugen bekannt und erinnerlich. Eine solch aufregende Szene wie die Verhaftung eines ortsbekannten Menschen wie Bernard sprach sich ganz ohne Zweifel sofort im gesamten Dorf herum. Zu unterstellen ist also, dass der Bürgermeister die Unwahrheit sagte, als er seine Kenntnis der Verhaftung leugnete.
Zudem ist anzunehmen, dass dieser amtliche Vorgang aktenmäßig beim Bürgermeister als Ortspolizeibehörde vermerkt worden war. Sollten die kommunalen Unterlagen im Mai 1945 vor dem Einrücken der britischen Streitkräfte, wie vielerorts üblich, und noch um 1970 der Aktenverbrennung zum Opfer gefallen sein, hätten Erkundigungen bei dem bis Mai 1945 amtierenden Bürgermeister Karl Hensel eingeholt werden können und müssen. Nach dem damals geltenden Recht lag die Zuständigkeit für die in den örtlichen Betrieben eingesetzten Zwangsarbeiter ausdrücklich auch beim Ortsgruppenleiter der NSDAP und bei dem Ortsbauernführer. [3]
Beim Bürgermeister lag die ganz normale amtliche Fürsorgepflicht für die Angehörigen seiner Gemeinde. Bürgermeister und Ortsbauernführer in einer Person war bis zum Ende des „Dritten Reiches“ Karl Hensel, ein konsequenter Repräsentant des Nationalsozialismus. Letzteres gilt auch für den Ortsgruppenleiter und Schulleiter Theodor Jacobsen. Beide dürften kaum auskunftswillig gewesen sein.
Das öffentliche Verschweigen bezog sich nicht nur auf das Verschwinden Bernards aus dem kleinen Dorf, sondern auch auf seine Einlieferung in das Lager in Kiel-Hassee. Die Existenz und Funktion der Konzentrationslager im Deutschen Reich war der Bevölkerung damals vertraut. Vielleicht war auch das Lager Kiel-Hassee nicht ganz unbekannt. Selbst wenn der Bürgermeister keine vollständige Klarheit über den letzten Aufenthalt
Bernards gehabt haben sollte, wäre es seine Pflicht gewesen, sich danach zu erkundigen – und das nicht nur aufgrund seiner amtlichen Fürsorgepflicht, sondern, mehr noch, wegen seiner bekannten praktizierenden Mitgliedschaft in der evangelischen Kirchengemeinde. Gerade darin hob er sich von der Mehrheit der Dorfbevölkerung ab.
Wenn der Bürgermeister gegenüber dem polnischen Konsulat beteuert, es könnten bezüglich Bernards Schicksal „keine Feststellungen getroffen werden“, so will er damit andeuten, dass er sich um solche Feststellungen sehr wohl bemüht habe. Auf dem Amtswege hätte er bei der Kreisverwaltung und/oder der Militärregierung in Bad Segeberg die gewünschten „Feststellungen“ ohne Zweifel erhalten.
Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass der Bürgermeister sehr wohl wusste, was man Bernard angetan hatte. Warum aber verschwieg er sein Wissen? Lescow war kein Nationalsozialist gewesen. Örtliche Parteimitglieder und SA-Leute hatten ihn bald nach der Märzwahl 1933 im Wege der Amtsanmaßung gewaltsam seiner Ämter als Bürgermeister und Amtsvorsteher beraubt. Dieses Vorgehen, das im Kreis Segeberg vielfach praktiziert wurde und danach die amtliche Absegnung durch den Landrat Waldemar von Mohl [4] fand, traf den als republikloyal bekannten Bauern Lescow sehr empfindlich. Während der Jahre des „Dritten Reichs“ lebte er zurückgezogen.
1946 fand die erste Kommunalwahl nach der Befreiung vom Nationalsozialismus statt. Als Bürgermeister wurde – wie schon seitens der Besatzungsmacht 1945 mit dem kirchlich stark engagierten Bauern Wilhelm Storjohann – wiederum ein „Mann der Kirche“ favorisiert: Wilhelm Lescow. Eine in Verwaltungsdingen kompetente, durch keine Bindung
an den Nationalsozialismus belastete anderweitige Person stand nicht zur Verfügung, und Sozialdemokraten oder Frauen hatten keine Chance. Die evangelische Landeskirche, mit ihr auch die Gemeinde Kaltenkirchen,
galt damals noch unbegründeterweise als Hort des Widerstands. In ihren Anhängern sahen daher große Teile der deutschen Öffentlichkeit und der Besatzungsmächte ein Reservoir künftiger Amtsträger. Für Lescow sprach zudem seine Erfahrungen als langjähriger Bürgermeister für eine abermalige Kandidatur.
Es bleibt die Frage: Warum verschwieg er als früherer Demokrat und als allseits bekannter „Mann der Kirche“ eine in seiner Gemeinde und gewissermaßen unter auch seinen Augen begangene Unrechtstat des gerade vergangenen Regimes? Darüber kann nur eine intimere Kenntnis der Mentalität jener Jahre unmittelbar nach Kriegsende Aufschluss geben.
Die ersten Nachkriegsjahre hatten auch in Alveslohe durchaus nicht zu einer allgemeinen inneren Abkehr vom Nationalsozialismus geführt. Ähnlich den Vorgängen nach dem Ersten Weltkrieg sahen sehr breite Teile der Bevölkerung in Alveslohe die Ursache und die Schuldigen für die als Unglück begriffene totale Niederlage des „Dritten Reichs“ nicht bei sich selber, nicht in der Tatsache, dass beispielsweise die Wähler in Alveslohe sich schon bei der Reichstagswahl am 31. Juli 1932 mit über 71 Prozent für Hitler entschieden, dass 1938 nach dem Anschluss Österreichs und
kurz vor Entfesselung des Krieges bei der Volksabstimmung unter den 759 abgebebenen Stimmen sich nur ganze sechs gegen die Politik Hitlers entschieden hatten. Der Hass auf die Alliierten und das internationale Judentum als Zerstörer Deutschlands durfte sich immer noch öffentlich artikulieren.
Wer 1946 den Bürgermeister zu wählen hatte, waren also Menschen, die noch wenige Jahre zuvor in absoluter Mehrheit Wähler, Mitglieder und Anhänger der NSDAP gewesen waren. Wen sie sich als Kandidaten erkoren, der musste ihren Vorstellungen in etwa entsprechen, durfte sich zumindest ihrer Tendenz nicht querlegen. Er durfte insbesondere dem auch in Alveslohe wohlbekannten Unwesen der „Persil-Scheine“ – den wahrheitswidrigen Entlastungszeugnissen für die Spruchkammern zugunsten früherer Parteifunktionäre – nicht im Wege stehen. [5] Die Gewähr dafür schien Wilhelm Lescow zu bieten.
Wie war das möglich? Welche Loyalität veranlasste ihn zu solch einer Wendung? In diesem Zusammenhang können Vorgänge in der evangelischen Landeskirche eine Erklärung anbieten.
Die „Vorläufige Leitung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Schleswig-Holstein“ hatte in öffentlichen Erklärungen schon 1945 viel zur Abwehr von Einsicht und Umkehr in der Bevölkerung beigetragen. Begierig fand „Ein Wort zum Bußtag 1945“ auch unter den vielen nichtkirchlichen Menschen Aufnahme. Unter dem Titel „Sind wir schuldig?“ richtete die damalige Kirchenleitung unter dem späteren Landesbischof Halfmann allzu billigen Trost spendende Worte wie dies: „Wir fangen an, Zeugen menschlichen Elends zu werden, das beinahe alles übersteigt, was die Nazis getan haben.“ Dies Wort wurde den Menschen zugesprochen, nachdem das Ausmaß der nationalsozialistischen Gräuel längst allgemein bekannt geworden war.
Am 19. Oktober 1945 sahen sich die evangelischen Landesbischöfe gezwungen, vor Vertretern der Kirchen wichtiger anderer Länder in Stuttgart eine Art Schuldbekenntnis abzulegen, dessen Tenor auf der Betonung lag, während des „Dritten Reichs“ nicht genug geglaubt, geliebt, gebetet, kurz: nicht genug widerstanden zu haben. Schon diese eher verharmlosende Einsicht rief am 10. Dezember 1945 den Widerspruch des Landeskirchenamtes hervor. Er gipfelte in dem Satz: „Von hier aus (Timmendorferstrand) stellen wir klar, daß hier nicht eine politische Schuld festgestellt wird [...] Sondern es handelt sich hier um ein streng religiöses Schuldbekenntnis vor Gott“. Darum: „Es wäre besser nicht der Weg der Abgabe
einer Erklärung an Menschen gewählt worden, sondern ein Bekenntnis in der gottesdienstlichen Gemeinde.“ [6]
Auf Anordnung der Militärregierung wurden auf örtlicher Ebene Entnazifizierungsausschüsse gebildet, in die unbelastete Gemeindemitglieder berufen wurden, um auf dieser untersten Ebene erste Schritte einer Reinigung vom Nationalsozialismus zu beginnen. Hier sollten Funktionäre der NSDAP auf ihre Schuld und Verantwortung geprüft werden. Die Ergebnisse dieser Prüfung sollten dann an die Spruchkammern abgegeben werden. In Alveslohe verliefen diese Untersuchungen sachlich, gerecht und maßvoll.
Aber auch dieses Verfahren einer Selbstreinigung wurde von der Landeskirche diskreditiert. In einer gottesdienstlichen „Kanzelabkündigung betr. Denunziation“ vom Herbst 1945 wurde suggeriert, dass diese Ausschüsse ein großangelegtes Werk des „Unwesens der Denunziation“ werden könne. Es hieß darin: „Wir machen [weisen?] heute von den Kanzeln unseres Landes auf einen Schaden hin [aufmerksam?], der uns zu begraben droht.“ Durch eine derartige Pauschalierung wurde die höchst undankbare Arbeit der dörflichen Ausschussmitglieder und ihr Ruf in ihrer Gemeinde schwer beschädigt. Mit dem Zuspruch der Kirche konnte die lange Zeit des Verschweigens beginnen bzw. sich fortsetzen. Und auf diese Weise gedeckt, konnte der Fall Adamski von „Männern der Kirche“ behandelt werden.
Was gab es zu verschweigen, oder – anders gefragt – weswegen wurde Bernard verhaftet? Wichtig für die Suche nach den Gründen ist zunächst die Person Bernards. Erkundigungen während der 70er Jahre bei Zeitzeugen ergaben: Der junge Mann hatte sich als fleißige Arbeitskraft so sehr bewährt, dass er zur Belohnung einmal seine Eltern in Polen besuchen durfte, eine außerordentliche Vergünstigung. Oft wurde er mit einem Fuhrwerk im Dorf gesehen. Er galt als sehr freundlicher junger Mann. Keiner der Zeitzeugen wusste Nachteiliges über ihn zu berichten.
Einer Mitteilung des Internationalen Suchdienstes in Arolsen vom 30. Oktober 1986 an den Bruder Stanislaw Adamski ist zu entnehmen, dass Bernard „zu einem nicht genannten Zeitpunkt vom Amtsgericht Rantzau wegen Entziehung zur Feststellung der Personalien zu 50 Reichsmark eventuell zwei Wochen Straflager verurteilt“ worden war. Am 26. August 1943 habe er die Strafe bezahlt. Die Formulierungen scheinen darauf hinzudeuten, dass Bernard gegen die für polnische Zwangsarbeiter geltenden strengen Auflagen verstoßen haben könnte: Überschreiten der Ortsgrenze – Hof Schink lag unmittelbar an der Grenze zur Nachbargemeinde
Langeln, Kreis Pinneberg – , Benutzen eines öffentlichen Verkehrsmittels – die Eisenbahnstation der EBOE (Elmshorn–Bad Oldesloe) „Hoffnung“ in Richtung Barmstedt war nur wenige hundert Meter vom Hof Schink entfernt –, das Benutzen eines Fahrrades oder das Nichttragen des einen Polen kennzeichnenden großen „P“ auf dem äußeren Kleidungsstück, Tatbestände, die im zivilen Recht keine strafrechtliche Relevanz hatten und haben, aber gegen Ende des Krieges immer brutaler geahndet wurden. [7]
Möglicherweise hat Bernard sich einem deutschen Mädchen oder einer deutschen Frau unstatthaft genähert. Oder vielleicht hat er auf irgendeine Weise jugendlich-unvorsichtig zu erkennen gegeben, dass er die militärische Niederlage Deutschlands und damit seine Freiheit und Rückkehr zur Familie voraussehe oder gar wünsche, war doch die Luftüberlegenheit der Alliierten zur Zeit seiner Festnahme deutlich erkennbar. Bei Vorliegen eigentlicher Straftaten hätte man in Alveslohe sicher nicht gezögert, auf diese als Haftgründe hinzuweisen und somit etwaige Schuldige zu entlasten.
Im Jahre 1988 besuchte Bernards Bruder Stanislaw den Verfasser dieser Zeilen in der Hoffnung, doch noch weitere Informationen über Bernard zu erhalten. Mit ihm zusammen wurden mehre Hausbesuche gemacht und Befragungen von Personen durchgeführt, die damals in direkter Beziehung zur Familie Schink gestanden oder in Sichtweite des Hofes gewohnt hatten. Sie erinnerten sich alle zwar lebhaft an Bernard, äußerten sich zu seiner Verhaftung jedoch nicht. Deutlich war bei den Gesprächen zu beobachten, wie sich eine betretene Miene auf den Gesichtern ausbreitete. Es wurde überdeutlich die Scheu spürbar, sich in dieser Sache näher einzulassen.
Als Hauptinformant wäre der Amtsvorgänger von Lescow, Willi Storjohann, in Frage gekommen. Der einzige Weg vom Hof Schink führte unmittelbar an dessen Hof vorbei, beide Anwesen lagen in Sichtweite voneinander. Storjohann galt als der Hauptrepräsentant des evangelikalen „Gemeinschaftsvereins in der Landeskirche“. Auf seinem Hof fanden regelmäßig die traditionellen regionalen Missionsfeste statt, die den persönlichen Glauben und die christliche Bekenntnisbereitschaft der Mitglieder stärken sollten. Storjohann selber – neben vielen anderen – fasste einmal in einem Interview die Grundeinstellung seiner Gemeinschaft und ihre Position in Politik und Gesellschaft so zusammen: „Wir verstehen uns als die Stillen im Lande“, anders ausgedrückt: als die Unpolitischen.
Umso mehr ist zu fragen: War diese Stille so dicht, dass der biblische Ruf „Kain, wo ist dein Bruder Abel?“ nicht mehr vernommen wurde? Man zögert, von den maßgeblichen Amtsträgern in Alveslohe die dreiste Antwort Kains zu hören: „Soll ich meines Bruders (Bernards) Aufpasser sein?“ (Genesis, 4,9).
Alle Indizien – das Verhalten des Bürgermeisters und der Zeugen – scheinen nur die eine Vermutung zuzulassen, dass Bernard aus einem nicht mehr zu ermittelnden Grund denunziert wurde, wahrscheinlich von jemandem aus dem Dorf. Ganz unwahrscheinlich ist die Annahme, der Polizist Lorenz selber habe Bernard auf frischer Tat ertappt und ihn der Gestapo gemeldet. Noch viel weniger entsprach es der Praxis der Gestapo, ihre Beamten über die Dörfer zu schicken, um Straftäter aufzuspüren. Sie konnte sich auf ein dichtes Netz zur Denunziation bereiter Volksgenossen stützen. Eben das wird hier geschehen sein. Dabei war jedem Volksgenossen klar, dass man mit Denunzianten lebte und dass es als lebensgefährlich galt, der Gestapo in die Hände zu fallen.
Es galt dann, nachdem der Unrechtsstaat zusammengebrochen war und sich auf dessen Trümmern die Herausbildung eines Rechtsstaates so ungeheuer schwer tat, die an der Denunziation und an dem Verschweigen Schuldigen zu schützen.
Noch einmal, im Jahre 1995, reiste Stanislaw Adamski nach Deutschland. Er begab sich zum Friedhof Haffkrug, wohin sein Bruder einst umgebettet worden war. Er schrieb danach: „Dort liegt Bernard unter grünem Rasen. Sein Grab ist nicht zu finden. Dort weinte ich.“
Am 4. Oktober 1995 wurde im Gemeinderat Alveslohe der Antrag eingebracht, die Gemeinde möge eine kleine Gedenktafel oder einen Gedenkstein zum Andenken an Bernard Adamski errichten oder errichten lassen. Ein passender Stein war bereits gestiftet, und 1000 DM für die Beschriftung waren privat zur Verfügung gestellt worden. Der Antrag der Fraktion Die Grünen wurde mehrheitlich abgelehnt mit der Begründung „Unser Ehrenmal reicht aus“ und eine besondere Ehre für den Polen Adamski würde zu einem „Riss durch die Gemeinde“ führen.
Kurz vor Weihnachten 1996 lud der Pastor der evangelischen Kirchengemeinde Alveslohe zu einer öffentlichen Zusammenkunft im Gemeindehaus ein mit dem Thema: Soll die Gemeinde das Andenken an Bernard pflegen? Hier trat jener „Riss“ peinlich hervor. Peinlich dabei war es auch, dass besonders zahlreich solche Einwohner gekommen waren, die der Kirche sonst nicht besonders verbunden waren, sich aber in der Ablehnung einer Gedenktafel für Bernard einig wussten. Es war, als melde sich jene Komplizenschaft der vielen „Christen“ mit dem Nationalsozialismus verhalten, aber spürbar zurück.
Als im Jahre 1999 auf Anregung der Stadt Kaltenkirchen der „Trägerverein KZ-Gedenkstätte Kaltenkirchen in Springhirsch“ gegründet wurde,
[Abbildung: Foto Kriegerdenkmal in Alveslohe – unter den Opfern der Jahre 1939-1945 fehlt Bernhard Adamski]
trat auch die Gemeinde Alveslohe dem Verein bei – freilich war der Beschluss dazu im Gemeinderat nicht einstimmig gefallen. Mit ihrem Beitritt bekannte sich auch die Gemeinde Alveslohe zu der Aufgabe, das Andenken an die vielen hundert Opfer in jenem nahe gelegenen Konzentrationslager zu pflegen und zu fördern. Darauf gestützt wurde zum Volkstrauertag, am 6. November 2001, der Antrag auf Anbringung einer Gedenktafel erneut in den Gemeinderat eingebracht. Und abermals wurde er, bei drei Stimmen der antragstellenden Fraktion der Grünen, ohne fundierte Aussprache niedergestimmt.
So versammeln sich weiterhin die Vertreter der Gemeinde alljährlich am Volkstrauertag beim „Kriegerdenkmal“, wo sich alle Namen jener Einwohner sorgfältig aufgelistet finden, die von den beiden Weltkriegen verschlungen wurden – der Name des Polen Bernard Adamski fehlt, weil die Mehrheit der Gemeindevertreter ihn dort nicht haben wollen.
Der Familie Adamski und den heutigen Bewohnern der Gemeinde Alveslohe bleibt das Schicksal des dort verschleppten jungen Mannes im Dunklen, dem Vergessen anheim gegeben.
1. Detlef Korte, „Erziehung ins Massengrab“. Die Geschichte des „Arbeitserziehungslagers Nordmark“ Kiel Russee 1944–1945. Kiel 1991.
2. Gerhard Hoch, Otto Gösch. Das Schicksal eines Kaltenkirchener Arbeiters. In: Demokratische Geschichte 12 (1999), S. 123-132.
3. Philipp Hertel, Arbeitseinsatz ausländischer Zivilarbeiter. Stuttgart 1942, S. 62ff.
4. Gerhard Hoch, Die Amtszeit des Segeberger Landrats Waldemar von Mohl 1932–1945. Hamburg 2001, S. 33ff.
5. Gerhard Hoch, Die Zeit der „Persil-Scheine”. In: Demokratische Geschichte 4 (1989), S. 355-371.
6. Nordelbisches Kirchenarchiv (NEK) 20.01, Nr. 241, I.
7. Ein Beispiel aus Ulzburg siehe: Gerhard Hoch, Zwölf wiedergefundene Jahre. Kaltenkirchen unter dem Hakenkreuz (1981), S. 269.
Gerhard Hoch, Dr. phil. h.c. Jg. 1923, Absolvent einer nationalsozialistischen Lehrerbildungsanstalt (1942). Kriegsgefangenschaft bis 1948. Abgeschlossenes Studium der katholischen Theologie (1956). Berufliche Tätigkeit als Bibliothekar in Hamburg (bis 1984). Zahlreiche Veröffentlichungen zur NS-Geschichte des südöstlichen Schleswig-Holstein sowie zum Themenkomplex Kriegsgefangene, Fremd- und Zwangsarbeiter.
Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte Heft 45