Kurz nach der Machtübernahme richtete der Eutiner SA-Standartenführer Heinrich Böhmcker ein so genanntes wildes Konzentrationslager ein, zunächst im Eutiner Amtsgerichtsgefängnis und ab Oktober 1933 im Direktorenhaus einer ehemaligen Zuckerfabrik in Ahrensbök/Holstendorf. Im Dezember 1933 wurde das KZ in ein Privathaus verlegt und im Mai 1934 geschlossen. Etwa 300 Häftlinge aus der Region waren insgesamt – in wechselnder Besatzung von jeweils 50–60 Männern – im Direktorenhaus untergebracht.
Die Mehrheit waren Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschafter, aber auch prominente Geschäftsleute und nationalkonservative NS-Gegner, Beamte, denen „Amtsmissbrauch“ vorgeworfen wurde, „Arbeitsscheue“, „Asoziale“, Bettler und Landstreicher gehörten zu den Inhaftierten. Die Häftlinge mussten täglich acht Stunden im Wegebau arbeiten, Gräben ziehen, Land umgraben und planieren. Im KZ Ahrensbök kam niemand zu Tode, die Häftlinge wurden aber brutal geschlagen und misshandelt.
Im April 1945 erreichten zwei Häftlingskolonnen Ahrensbök, eine aus dem KZ Mittelbau-Dora, die andere aus dem Auschwitzer Nebenlager Fürstengrube. Ein Großteil dieser etwa 500 Häftlinge, die mitten durch
den Ort getrieben und in Scheunen eingesperrt wurden, kam während eines britischen Bombenangriffs auf die nicht als solche gekennzeichneten KZ-Schiffe am 3. Mai 1945 in der Lübecker Bucht ums Leben.
Im Juni 1998 gründete sich eine Bürgerinitiative, die sich „Gruppe 33“ – Arbeitsgemeinschaft zur Zeitgeschichte in Ahrensbök e.V. nannte. Sie machte es sich zur Aufgabe, die Erinnerung an die NS-Zeit in Ahrensbök und in den Nachbargemeinden lebendig zu halten und das Geschichtsbewusstsein insbesondere junger Menschen, aber auch ihre Zivilcourage und ihren Respekt vor der Würde des Menschen zu stärken.
Auf Initiative der „Gruppe 33“ konstituierte sich am 8. Mai 2000 der Trägerverein Gedenkstätte Ahrensbök, der Ende 2000 mit Mitteln des Landes, des Kreises Ostholstein und der Gemeinde Ahrensbök das ehemalige Direktorenhaus erwerben konnte. Es ist das einzige in Schleswig-Holstein erhalten gebliebene Gebäude, in dem Ende 1933 ein frühes, „wildes“ KZ untergebracht war. Am 8. Mai 2001 wurden die Gedenkstätte und eine Dauerausstellung über den Todesmarsch „Von Auschwitz nach Holstein“ eröffnet.
Die Gedenkstätte Ahrensbök ist eine Gedenkstätte im Aufbau. Auf Schautafeln im Foyer werden die vier regionalen Themen vorgestellt, mit denen sich die Gedenkstätte vorrangig beschäftigt: frühes Konzentrationslager in Ahrensbök/Holstendorf, NS-Bildungssystem am Beispiel von Ahrensbök, Zwangsarbeit in Ahrensbök und der Todesmarsch von Auschwitz nach Holstein.
Während der Todesmarsch als Dauerausstellung seit Eröffnung in den Räumen der Gedenkstätte gezeigt wird, erarbeiten die beiden Historiker Lawrence D. Stokes (Halifax, Kanada) und Jörg Wollenberg (Bremen/ Ahrensbök) derzeit eine zweite Ausstellung, die das frühe KZ thematisiert.
Eine Dokumentensammlung des kürzlich verstorbenen Regionalforschers Norbert Fick über Zwangsarbeit in Ahrensbök ist vorhanden.
Das Thema NS-Bildungssystem am Beispiel von Ahrensbök wird von Mitgliedern des Trägervereins erforscht.
Trägerverein der Gedenkstätte Ahrensbök / Gruppe 33 e.V.
Beiträge der Vereinsmitglieder
Eintrittsgeld
Spenden
Zuschüsse der Landesregierung
Zuschüsse der Bürgerstiftung Schleswig-Holsteinischer Gedenkstätten
Zuschüsse der Europäischen Union
Der Betrieb der Gedenkstätte wird ehrenamtlich von Mitgliedern des Trägervereins gesichert.
Die Einrichtung will insbesondere Jugendliche ansprechen. Seit 1999 finden auf dem Gelände jährlich internationale Sommerlager in Zusammenarbeit mit der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste statt. So gestaltete z.B. der Berliner Grafiker und Plastiker Wolf Leo zusammen mit 15 Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen aus Lehm und Beton Stelen, die seit dem 1. September 1999 die Strecke des Todesmarsches von Lübeck nach Neustadt markieren (Wegzeichen-Projekt, siehe Titelfoto dieser Ausgabe). In den folgenden Jahren haben die Teilnehmenden der Sommerlager bei der Restaurierung des Hauses und der Herrichtung des Außengeländes – täglich sechs Stunden lang – geholfen.
Während der Sommerlager wird ein breites inhaltliches Programm geboten, das sich mit Verfolgung, Vernichtung und Widerstand während der nationalsozialistischen Terrorherrschaft befasst. Die jungen Leute werden mit nationalsozialistischer Geschichte, wie sie vor Ort in Ahrensbök geschah, vertraut gemacht: Sie erfahren die Geschichte des Hauses, dem einzigen authentischen Gebäude in Schleswig-Holstein, in dem ein frühes, „wildes“ KZ untergebracht war. Mit einer Führung durch die Dauerausstellung „Todesmarsch von Auschwitz nach Holstein“ lernen sie Verlauf, Folgen und Ende der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie kennen. Zeitzeugen werden in Vorträgen und anschließender Diskussion den jungen Menschen lebendige Geschichte vermitteln.
Ein besonderes Anliegen der internationalen Sommerlager ist, Erkenntnisse der Vergangenheit mit der Gegenwart zu verbinden. Deshalb lädt die Leiterin der Jugendsommerlager, Barbara Braß, regelmäßig junge Asylbewerber zur Teilnahme ein. Das Treffen von jungen Europäern mit Flüchtlingen aus häufig fernen Ländern soll dazu beitragen, Fremdes zu verstehen, Achtung vor anderen Kulturen und Religionen zu fördern, Toleranz mit Andersdenkenden zu üben. Dabei soll auch das Bewusstsein für politische Verantwortung geweckt, der Einsatz für Demokratie unterstützt werden.
Ein weiteres Anliegen ist die Begegnung mit den drei großen Weltreligionen:
Das Sommerlager beginnt mit einem Begrüßungsgottesdienst in der evangelischen
Kirche Ahrensbök. Während der Woche folgen Besuche der Lübecker Synagoge und
einer Moschee.
Es bestehen enge Kontakte zu Überlebenden des Todesmarsches, die der
Trägerverein mehrfach nach Ahrensbök eingeladen hat und die dort auch in
öffentlichen Veranstaltungen vor Schulklassen und Jugendgruppen sprechen. Zum
60. Jahrestag des Todesmarsches kamen der Belgier Albert van Hoey mit Tochter
und Schwiegersohn sowie der US-Amerikaner Henry Bawnik mit Frau, den drei
Töchtern und Schwiegersöhnen sowie sieben Enkelkindern auf Einladung des
Trägervereins nach Ahrensbök. Ein breites Besuchsprogramm schloss je eine
öffentliche Veranstaltung, Besuche in Schulen, Empfänge im Rathaus, Besuch der
Gedenkstätte, Besuch der Scheunen, in denen sie vor sechs Jahrzehnten
eingesperrt waren, ein. Die Bawniks wurden außerdem nach Neustadt begleitet, wo
der Vater am 3. Mai 1945 die Cap-Arcona-Katastrophe überlebt hatte.
Während des ganzen Jahres versucht der Trägerverein junge Menschen in seine
Arbeit einzubinden. Beispiele: Zum 60. Jahrestag des Todesmarsches beschäftigte
sich der Leistungskurs „Aspects of History“ der Realschule Ahrensbök monatelang
mit dem Konzentrationslager Fürstengrube, sowohl inhaltlich als auch
handwerklich: Die Schülerinnen und Schüler bauten ein Modell des KZ, in dem eine
Gruppe jener Häftlinge eingesperrt war, die auf den Todesmarsch nach Holstein
geschickt wurde. Schülerinnen der Hauptschule Ahrensbök konnten überzeugt
werden, ihre Schulabschlussarbeiten den Themen Todesmarsch und
Cap-Arcona-Katastrophe zu widmen.
An besonderen Gedenktagen werden vor allem Schulklassen eingeladen: am 27.
Januar zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus in die Gedenkstätte, am
9. November zum Gedenken an die Pogromnacht 1938 in die Ahrensböker
Marienkirche, wo die Teilnehmenden dann den Gottesdienst mitgestalten.
Enge Kontakte bestehen zu einem Ausbildungszentrum für beeinträchtigte
Jugendliche: Sie helfen beim Erhalt der Gedenkstätte, nehmen am Sommerlager
teil.
Insbesondere vor Ferienbeginn besuchen ganze Schulklassen aus der Region die
Gedenkstätte; sie erfahren von den regionalen Ereignissen während der
nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, werden durch die Ausstellung geführt,
und es werden Diskussionen über Toleranz und Zivilcourage damals und heute
angeregt. Ebenso kommen Konfirmandengruppen, die häufig im Außengelände in
Zelten übernachten.
Es wird keine Statistik geführt. Die Besucherzahl dürfte bei 600 bis 1.000 Personen jährlich liegen.
Das als Denkmal geschützte Gebäude muss restauriert, insbesondere eine Heizung eingebaut werden. Schülergruppen sollen verstärkt im Haus eingebunden werden, beispielsweise zur Projektwoche, wenn Abschlussklassen der Hauptschule ihre Abschlussarbeiten erarbeiten. Der Nachbau einer Schulklasse im Stil der 30er-Jahre ist geplant, um Jugendliche hautnah über das NS-Bildungssystem zu informieren.
Gerhard Hoch, Von Auschwitz nach Holstein. Hamburg 1998.
Jörg Wollenberg, Ahrensbök. Kleinstadt im Nationalsozialismus. Bremen 2000.
Jörg Wollenberg, Unsere Schule war ein KZ. Bremen 2001.
Gedenkstätte Ahrensbök, Flachsröste 16, 23623 Ahrensbök, Tel. 04525/ 493060 (Anrufbeantworter), Fax 04525/493090
E-Mail: gedenkstaetteahrensboek@t-online.de
Homepage: www.gedenkstaetteahrensboek.de
Jeden 1. Sonntag im Monat 13–17 Uhr, Juli und August jeden Sonntag 13–17 Uhr und jederzeit nach Vereinbarung. Eintritt 3 Euro, ermäßigt 1,50 Euro.
Vorstand des Trägervereins: Monika M. Metzner-Zinßmeister (Vorsitzende), Prof. Dr. Jörg Wollenberg (stellv. Vorsitzender), Hans Eberhard Gaus, (Kassenführer), Jens Peter Kraushaar (Beisitzer), Barbara Braß (Beisitzerin).
Veröffentlicht in den Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte Heft 47 (2006) S. 123 - 127. Im Original enthält der Beitrag 1 Abbildung.