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Gedenkort "Arbeitserziehungslager Nordmark", Kiel-Russee

1. Vorgeschichte in der NS-Zeit

Im Juni 1944 begann die Errichtung des „Arbeitserziehungslagers Nordmark“ (AEL) der schleswig-holsteinischen Geheimen Staatspolizei (Gestapo) am Kieler Russee. Das AEL war als Terrorinstrument gegenüber „Arbeitsvertragsbrüchigen“ gedacht, diente vor allem der exemplarischen Disziplinierung der ausländischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter und wurde durch die Gestapo auch als Haftstätte für „Schutzhäftlinge“ und politische Gefangene genutzt.

Mitte April 1945 waren etwa 900 Gefangene im Lager untergebracht, deren Anzahl sich durch „Evakuierungstransporte“ (Todesmärsche) aus anderen Haftstätten innerhalb von zwei Tagen verdoppelte. Angesichts der herannahenden Front ermordete die Gestapo in den letzten zwei Wochen vor Kriegsende etwa 300 Häftlinge. Die Wachmannschaften verbrannten fast alle Akten, entließen einige Häftlinge und flohen in Zivilkleidung Richtung Dänemark. Bis zur Befreiung durch britische Truppen am 4. Mai 1945 waren im „AEL Nordmark“ insgesamt 4.000–5.000 Menschen inhaftiert gewesen, von denen mindestens 578 ums Leben kamen.

 

2. Einrichtung der Gedenkstätte

In Kiel gab es nie eine Konzeption, wie mit den authentischen Orten der


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NS-Herrschaft umzugehen sei, geschweige denn den Willen, Ansätze dazu umzusetzen. Dementsprechend beliebig und der jeweiligen Hauptströmung der Erinnerungskultur verhaftet blieben die Formen und Inhalte des Gedenkens.

Die erste Initiative zur Erinnerung an das Geschehen im Lager übernahmen wahrscheinlich überlebende ehemalige polnische Zwangsarbeiter. Diese stellten 1946/47 mindestens zwei Gedenksteine zur Würdigung der Opfer des „Arbeitserziehungslagers“ auf, die noch auf Fotos aus der Nachkriegszeit zu sehen sind und im Laufe der Neubebauung des Geländes verschwanden.

Danach musste die sozialdemokratisch dominierte Landeshauptstadt Kiel immer wieder durch Anstöße von außen dazu gebracht werden, die eigene NS-Geschichte zu benennen, und nur sehr vereinzelt unterstützten Spitzenpolitikerinnen das Engagement der BürgerInnen. Abgesehen von einem Gedenkstein – einem Findling mit Inschrift aus dem Jahr 1971 – stammten die Ideen zum Umgang mit dem ehemaligen Lagergelände von kirchlichen Initiativen und antifaschistischen Geschichtsinteressierten (regelmäßige Stadtrundfahrten ab 1983, eine frühe Informationstafel 1982, ein Gedenkstein mit Karte 1985, eine Kunstinstallation 1992, ein Gedenktag mit Aktionen auf dem Weg vom Russee in die Innenstadt 1995, Dokumentationen und Veröffentlichungen).

Erst nachdem 2000 ein Überrest des oben genannten ersten Gedenksteins aus der Nachkriegszeit wiedergefunden worden war, machte sich der Kieler Kulturausschuss – angestoßen durch dessen sozialdemokratischen Vorsitzenden – daran, das Gedenken an das KZ-ähnliche Lager der Gestapo angemessener als bisher zu gestalten. Durch Kooperation mit dem für die inhaltliche und künstlerische Ausgestaltung verantwortlichen Akens e.V. und dem Kieler Arbeitskreis Asche-Prozeß (AKAP) konnte so der heutige Gedenkort entstehen.

 

3. Aufbau der Gedenkstätte / Ausstellung

Die Anlage umfasst den neuen Gedenkstein sowie drei Informationstafeln, sämtlich dort aufgestellt, wo noch letzte Spuren dieses Gestapo-Lagers zu sehen sind: bei den Grundmauern des ehemaligen Gästehauses der SS. Diese stellen die einzigen original erhaltenen Überreste des „AEL Nordmark“ dar, denn keines der Holzgebäude des Lagers, die bis in die 1960er Jahre weiter genutzt wurden, ist ansonsten bis heute erhalten geblieben.

Der neue Gedenkstein integriert einen Überrest eines historischen Vorläufers aus der unmittelbaren Nachkriegszeit und trägt auf zwei Seiten Inschriften: Zum einen einen kurzen Hinweis auf das Lager, zum anderen


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stellvertretend für die Opfer jeder Nation den Namen eines ums Leben gekommenen Häftlings. Die drei Informationstafeln stehen etwas abseits des Gedenksteins zwischen den Überresten des SS-Gebäudes und dem heutigen Wanderweg um den Kieler Russee. Intention war es, auch und gerade die Spaziergänger zu erreichen und diesen die Möglichkeit zu geben, sich über die Lagergeschichte zu informieren.

Die erste Tafel verschafft einen kurzen inhaltlichen Gesamtüberblick, die zweite hat den Schwerpunkt „Häftlinge und Lageralltag“, und die dritte befasst sich mit der Nachkriegszeit des Geländes und dem Umgang der Stadt Kiel mit der Geschichte. Letztere ist auch heute noch sehr präsent: Das ehemalige Lagergelände wurde nach 1945 von Flüchtlingen und Vertriebenen als Wohnort genutzt und danach wieder bebaut, und neben vielfältigen Gewerbeansiedlungen kam es zur Anlage eines Fußballplatzes und von Tennisanlagen.

So ist der Gedenkort nur zehn Meter von diesen Sportplätzen entfernt und wirkt damit wie ein Fremdkörper, als ob nicht die Sportanlagen, sondern er fehl am Platze wäre.

 

4. Träger

Einen eigentlichen Träger gibt es nicht. Nach der Errichtung des Gedenkortes durch den Akens e.V. und den AKAP liegen die Pflege sowie der Unterhalt in den Händen der Stadt Kiel.

 

5. Finanzierung

Der Gedenkort wurde durch Mittel der Europäischen Union sowie der Stadt Kiel finanziert. Der Akens e.V. hat mit ehrenamtlichem Engagement, einem kleineren finanziellen Beitrag sowie mit Führungen und der Erstellung einer Broschüre mitgewirkt.

 

6. Personal

Es gibt keine personelle Ressource für den Gedenkort, die sporadischen Führungen übernehmen Ehrenamtliche.

 

7. Museumspädagogische Angebote (Zielgruppen)

Neben dem Rundgang um das Gelände (Schwerpunkt: Visualisierung der heute nicht mehr sichtbaren Lagerbebauung anhand von historischen Fotos) kann auch eine Stadtrundfahrt durch Kiel gebucht werden. Thema ist die Geschichte Kiels während der NS-Zeit, zu der auch die Lagergeschichte gehört. Tatsächlich werden Schülergruppen und interessierte Erwachsene angesprochen.


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8. Besucherzahlen

Die Anzahl der BesucherInnen lässt sich nur schwer ermessen, da das Gelände jederzeit zugänglich und direkt an einem Wanderweg gelegen ist. Öffentliche Führungen finden regelmäßig ein- bis zweimal im Jahr statt und werden von 10 bis 30 Personen besucht.

 

9. Ausbaupotenzial / -pläne

Ein weiterer Ausbau ist nicht geplant.

 

10. Publikationen (Auswahl)

Detlef Korte, „Erziehung“ ins Massengrab. Die Geschichte des „Arbeitserziehungslagers Nordmark“ Kiel Russee 1944–1945. Kiel 1991. (Vergriffen).

Dokumentation zum „Gedenkort ‚Arbeitserziehungslager Nordmark’“. Materialien, Fotos und Dokumente zu einer Haftstätte der schleswig-holsteinischen Gestapo in Kiel 1944–1945. Kiel 2003. Hg. vom Arbeitskreis Asche-Prozeß und dem Arbeitskreis zur Erforschung des Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein e.V. Redaktion: Frank Omland. (80 Seiten, zahlreiche Abbildungen, Grafiken und Fotos).

„Wiedersehen nach 42 Jahren – Die Geschichte des Arbeitserziehungslagers Nordmark“. Videofilm über das ‚AEL Nordmark‘ (1989) von Irene Dittrich, Kai Gerdes und Detlef Korte.

Arbeitskreis Asche-Prozeß, Antifaschistische Stadtführungen. Kiel 1933–1945. Stationen zur Geschichte des Nationalsozialismus in Kiel. Kiel 1998.

 

11. Anschrift / Kontakt

Gedenkort „Arbeitserziehungslager Nordmark“, c/o Eckhard Colmorgen, Preetzer Straße 56, 24143 Kiel, Tel. 0431/7394973,

Mail: post@akens.org Homepage: www.akens.org

 

12. Öffnungszeiten

Das Gelände ist jederzeit frei zugänglich.

 

13. Leitung

Führungen zu festen Terminen werden nicht angeboten. Gruppen können mit Eckhard Colmorgen (Tel. 0431/7394973) oder unter post@akens.org Termine abstimmen.


Veröffentlicht in den Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte Heft 47 (2006) S. 128 - 131. Im Original enthält der Beitrag 1 Abbildung.


Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte Heft 47

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