Vom 6. bis 8. Oktober 2006 fand in Kiel unter dem Motto „Zum Beispiel Kiel.
Gedenkkulturen m Widerspruch“ die mittlerweile 5. Landesgedenkstättentagung
statt, veranstaltet von der Heinrich-Böll-Stiftung, der Bürgerstiftung
Schleswig-Holsteinische Gedenkstätten, der schleswig-holsteinischen
Landeszentrale für politische Bildung und dem Akens e.V. Das Treffen hatte zwei
Schwerpunkte: die Perspektiven der Gedenk- und Gedenkstättenarbeit im Land und
das besagte Beispiel Kiel.
Ausgangspunkt der Diskussion um die Perspektiven der weiteren Arbeit war die
Vorstellung
der konzeptionellen Überlegungen der Bürgerstiftung am Tagungsbeginn. Zunächst
stellte Vorstandsmitglied Michael Schwer den Aufbau der Bürgerstiftung vor (zum
Weiterlesen empfohlen sei die Internetseite www.gedenkstaetten-sh.de) und
betonte, dass seit dem Regierungswechsel der Stiftungsratsvorsitz durch
Ministerpräsident Harry-Peter Carstensen persönlich wahrgenommen und auch
gefüllt wird.
Die folgende Darstellung Schwers über die konzeptionellen Überlegungen der
Bürgerstiftung wurde überwiegend kritisch zur Kenntnis genommen. Dies bezog sich
insbesondere auf Überlegungen der Bürgerstiftung, der hauptamtlich betriebenen
Gedenkstätte Ladelund überregionale Aufgaben zuzuordnen. Hier wurde kritisch
angemerkt, dass die Diskussion innerhalb der Bürgerstiftung sich eher darauf
konzentriert, „den Mangel zu verwalten“, als die Aufstockung der Stiftungsmittel
ins Zentrum der weiteren Arbeit zu stellen.
Die Diskussion, die an den folgenden beiden Tagen fortgesetzt wurde,
konzentrierte sich dann auf die Überlegungen zum Aufbau einer tragfähigen
Struktur für die weitere Arbeit sowie eine gemeinsame Position der Gedenkstätten
gegenüber der Bürgerstiftung. Dabei wurde vor allem festgestellt, dass die
ursprünglichen Ziele für den Umfang des Stiftungskapitals weit verfehlt wurden
und darin der hauptsächliche Handlungsbedarf der Stiftung bestünde. Dadurch
liegt das weitere Interesse der Gedenkstätten an der Unterstützung bei der
Einwerbung überregionaler Fördermittel. Die derzeitige Situation schaffe
zwangsläufig eine Konkurrenzsituation der Gedenkstätten im Wettstreit um die
knappen Gelder.
Für die weitere Arbeit wurde vereinbart, die Probleme der praktischen
Gedenkstättenarbeit auf eigenen Treffen der Gedenkstätten zu erörtern. In der
Konsequenz soll die anderthalbjährlich stattfindende Landesgedenkstättentagung
einen stärkeren Informationsgehalt bekommen und damit eine Attraktivität für an
der Thematik Interessierte und Menschen gewinnen, die sich projektmäßig mit der
NS-Zeit und ihren Nachwirkungen beschäftigen.
Über der Perspektivendiskussion geriet der Themenschwerpunkt Gedenkkulturen im
Widerspruch und das „Beispiel Kiel“ deutlich kürzer als geplant. Die
„Gedenkkulturen im Widerspruch“ wurden vom Autor in einer Stadtrundfahrt mit
Stationen in Möltenort,
Russee, der Kieler Innenstadt und am Flandernbunker
dargestellt.
Eindrucksvoll war dabei der starke Kontrast der nacheinander angefahrenen
Gedenkorte Möltenort und Russee. Auf das an exponierter Stelle an der Förde
gelegene U-Boot-Ehrenmal in Heikendorf-Möltenort weisen bereits weit vor
Heikendorf Hinweisschilder hin – auf den abseits gelegenen Ort des einstigen
„Arbeitserziehungslagers Nordmark“ in Hassee hingegen stoßen Spaziergänger nur
zufällig. Ebenso auffällig ist die Konzentration des von einer riesigen
Adlerstatue beherrschten U-Boot-Ehrenmals auf die umgekommenen
U-Boot-Fahrer ohne eine einzige Erwähnung der von ihnen umgebrachten Seeleute.
Die Prioritäten der Gedenkkultur werden hier stark sichtbar.
Im Kieler Innenstadtbereich wurde an verschiedenen Orten deutlich gemacht, wie
ohne jedes Gesamtkonzept die jeweils erkannten Schwächen der Gedenkkultur durch
hinzufügen von Gedenksteinen und -tafeln „ausgeglichen“ wurden mit dem Ergebnis
einer weitgehenden Beliebigkeit, an deren Ende die militaristischen Ehrenmäler
von Möltenort und Laboe immer noch den Gesamteindruck der Gedenkkultur prägen.
Dieses Bild wird letztlich bestätigt durch den Flandernbunker, in dem der Verein
Mahnmal Kilian den abgerissenen U-Boot-Bunker Kilian mit viel ehrenamtlichem
Engagement zu kompensieren versucht. Erst nachdem der Verein mit dem Kauf des
Bunkers Fakten geschaffen und das Projekt durch Sponsoren und Unterstützer
finanzierte, fand es in?Kiel Akzeptanz.
Kritisch hinterfragt wurde hier die Zwangsläufigkeit, mit der der Bombenkrieg im
Zentrum der Präsentation stehe. Jens Rönnau wies aber auf das Bemühen des
Vereins hin, den Gesamtkomplex der nationalsozialistischen Verfolgung in die
Präsentation zu integrieren. Das Thema des Bombenkriegs war auch Schwerpunkt bei
den zeitgenössischen Filmen und Dokumentationen, die Eckhard Colmorgen am Abend
präsentierte.
Als herausragendes Referat trug Prof. Micha Brumlik aus Frankfurt am Sonntag
seine Gedanken zu Vergangenheitspolitik im Spiegel von Gedenkritualen vor. Dass
dieser Vortrag nicht im örtlichen Rahmen der Tagung, sondern im Kieler
Statt-Café gehalten wurde, wäre
angesichts der geringen Publikumsresonanz auch
überflüssig gewesen.
Die inhaltlich organisatorische Perspektivendiskussion hat sicherlich der Tagung
die Attraktivität für Außenstehende genommen und zu einer geringen Beteiligung
geführt. Gerade diese Schwerpunktsetzung wurde aber äußerst produktiv genutzt,
so dass für die Arbeit der nächsten Jahre viele Weichenstellungen vorgenommen
werden konnten.
In diesem Sinne wurden die Voraussetzungen geschaffen, dass sich künftige
Tagungen verstärkt der inhaltlichen Beschäftigung mit der NS-Zeit und ihren
Nachwirkungen in Schleswig-Holstein widmen können.
Stephan Linck
(Anmkerung: der Bericht enthält im Original fünf Fotos).
Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte Heft 48