En plattdütsch Heil!"
Allgemeiner Plattdeutscher Verband 1933
Die NSDAP hatte in Schleswig-Holstein schon lange vor 1933 große Wahlerfolge erzielt. In Dithmarschen entschieden sich 18 Prozent der Stimmberechtigten bei der Reichstagswahl vom Mai 1928 für Hitlers Partei. Ein genauerer Blick auf dieses überraschende Ergebnis zeigt jedoch, daß solche Phänomene - auch in anderen Gegenden des Landes waren die Sympathien beachtlich - allein mit Hinweisen auf konservative politische Traditionen oder besondere wirtschaftliche Verhältnisse kaum ausreichend zu erklären sind. Das nationalsozialistische Politikkonzept, die nationalsozialistische Ideologie mußte den Menschen auch vermittelt werden - und je gezielter das geschah, um so wirkungsvoller fielen die Wahlresultate aus.
Zweifellos hing der wachsende Rückhalt der NSDAP bei der Bevölkerung maßgeblich von der Propaganda ab, die ab 1929 deutlich intensiviert wurde. Im gesamten norddeutschen Raum, vor allem aber in Schleswig-Holstein läßt sich dabei eine besondere Form nationalsozialistischer "Öffentlichkeitsarbeit" nachweisen. Erst vereinzelt und wohl eher zufällig, bald aber sehr gezielt setzten Agitationsredner der NSDAP das Plattdeutsche im Rahmen ihrer Propagandaauftritte ein - die positive Resonanz bei den Zuhörern bestärkte sie in ihrer Sprachwahl. Platt, das war noch nicht durch politischen Gebrauch abgenutzt, war ein vergleichsweise neues Medium, schloß nicht nur Köpfe, sondern vor allem die Herzen auf. "He snackt platt, he is ja een von uns" - so mögen viele Zuhörer empfunden haben, wenn der Schmied Hans Kummerfeldt aus Nordhastedt, der Apotheker Hermann Oeser aus Eddelak, der Maschinenbauer Willy Bruhn aus Heide oder - selten - der Gauleiter Hinrich Lohse in der Mundart agitierten.
Im Tarnmäntelchen kam die Ideologie nun daher, und das in zweifacher Weise: auf Platt ließ sich schon immer etwas deftiger und sehr bildhaft vom Leder ziehen, konnten die politischen Gegner angegriffen werden, ohne daß es so brutal klang, wie es in Wahrheit gemeint war. Die regional vertrauten Klänge weckten Sympathie für die ansonsten nicht unumstrittene "Hitler-Bewegung" aus München. Wer Platt sprach, war Insider, gehörte mehr zum Publikum als zu den Politikern, war eben keiner von "denen da". Aber auch die Inhalte waren bedeutsam, nicht hinsichtlich politischer Theorie oder zukünftiger Konzepte: geschickt verstanden es die heimischen Agitatoren, auf Elemente der schleswig-holsteinischen Identität anzuspielen, sie - aus dem Zusammenhang gerissen - auf den Nationalsozialismus umzumünzen. "De nich will dieken, mutt wieken", hieß einer ihrer Slogans, "Wo wi tosom hebbt stohn, hett uns noch nüms wat dohn" oder "Hier ward nich bidreiht, ward nich reft, bit wi dat Ziel tofoten hefft". Besonders beliebt war auch "Lewer dood as Slaav": mit derlei Versatzstücken aus der Geschichte oder Lebensrealität wurden einschneidende Maßnahmen gerechtfertigt, wurde Zusammenhalt gefordert, die Abkehr vom demokratischen Weimarer System propagiert, ohne daß noch lange differenziert, erklärt, begründet werden mußte. Diese Pseudo-Bekenntnisse brachten den Agitatoren einen zusätzlichen Vertrauensbonus, ließen glaubhaft erscheinen, was sonst von Inhalt und Darbietung her weniger wirkungsvoll gewesen wäre. Einige der plattdeutschen Nazi-Redner absolvierten mehrere Hundert solcher Auftritte - der Erfolg bestätigte sie in ihrem Tun, auf ganz persönliche Weise, denn ihre Sprachfähigkeiten ließen sich plötzlich auch als politisches Kapital einsetzen.
Rückhalt bei den Schreibern
Die Politisierung des Plattdeutschen war aber keineswegs auf diese Redeverwendung beschränkt. Nicht erst nach 1933 und nicht erzwungen, sondern frühzeitig und freiwillig schwenkte auch die plattdeutsche Literatur auf Nazi-Kurs. "Die" plattdeutsche Literatur - selbstverständlich muß hier genauer hingesehen werden, aber der nähere Blick zeigt ein erstaunliches Ergebnis: in Gelegenheitstexten, in literarischen Zeitschriften, in Buchreihen und umfangreichen Werken wurde positiv über Ziele und Weltanschauung des Nationalsozialismus geschrieben.
Anfangs waren es zumeist jene kleinen Dichtungen, die sich traditionell in den Spalten der Zeitung fanden: ungeübte Verfasser veröffentlichten hier ihre Schöpfungen, mochte es auch mit der literarischen Qualität oft nicht weit her sein. Schon im Januar 1929 prangte in der Schleswig-Holsteinischen Tageszeitung in einem plattdeutschen Gedicht folgender Aufruf:
"Nu möt wi uns umstellen, rut ut den Mist,
und wie ward sofort Nationalsozialist"
Natürlich ging es hier nicht um Literatur; das politische Anliegen reichte als Schreibanlaß, machte die Texte druckfähig, und wenn sie auch noch so dürftig zusammengeriemelt waren: der neue "Markt" wurde bedient. Wenig später besang jemand - gezeichnet war der Text mit "SA" - das besondere Verhältnis zwischen den Dithmarscher Burn und der NSDAP:
"So staht ji dor, ji wackern Lüd,
Een Ecksteen mit vört Hitlergebüd.
Blieft tru ju ole Eegenort
As brave Kerls in Tat un Wort,
Ji Dithmarscher Burn!"
Man könnte glauben, daß solches Dichten auf die Spalten dieser ersten NS-Tageszeitung Schleswig-Holsteins beschränkt geblieben ist, die ab Anfang 1929 in Itzehoe erschien. Gewiß, dort fanden sich die frühesten Beispiele derartiger Reimakrobatik, aber so gering das formale und sprachliche Niveau auch war: politisches Dichten auf Platt fand bald Nachahmer. Und es war ja auch so leicht, ideologische Inhalte mit der traditionellen Bildsprache niederdeutscher Lyrik zu kombinieren; egal, ob ländlich-idyllisch oder maritim - alles reimte sich nun, im übertragenen Sinn, problemlos auf "Hitler", aufbrechende Knosen kündeten vom "Führer", die Bauern bestellten das Land für die neue Zeit. Heinrich Hornig etwa schrieb:
"Dor stammt en Schipp dör Storm un Floot,
keen Wind, keen Well kriggt dat in Noot, [...]
Dütschland!
De Schippskoptein op hoge Brügg
kiekt stur liek ut un nümmer trügg. [...]
Hitler!"
Und fast alle machten mit, Gelegenheitspoeten, erfahrene Autoren, angesehene Schriftsteller, egal ob jung oder alt. Die Bereitschaft, in plattdeutschen Gedichten und - seltener - auch Erzählungen den Nationalsozialismus zu feiern, war auch unter geübteren Autoren verbreitet. Hatten sie sich früher um eine Weiterentwicklung der plattdeutschen Literatur gemüht, war nun die Propaganda ihr Anliegen. Und so bliesen sie unter Ausklammerung qualitativer Fragen ins Horn der NSDAP - nur wenige Schriftsteller zogen sich auf die traditionellen Bereiche niederdeutschen Schreibens zurück, in denen man durchaus auch hätte publizieren können - Dorfgeschichten oder Naturlyrik, nostalgische Erzählungen, Döntjes, Schwänke, alles das nur äußerlich an den ns-politischen Forderungen nach Blut-und-Boden-Literatur orientiert. Kaum jemand erkannt diese Nischenfunktion der Mundart, und weit zahlreicher finden sich bereitwillige poetische Zustimmungen zum Nationalsozialismus, die eine Art kultureller Weihe für die so menschenfeindliche Weltanschauung bedeuteten.
Die Politik - also ab 1933: staatlichen Stellen - ließen die plattdeutsche Szene im großen und ganzen gewähren. Wie alle anderen Bereiche des öffentlichen Lebens der Gleichschaltung unterworfen, mußte man sich um diesen Sektor am wenigsten kümmern, aus dem schon so früh und bereitwillig Rückhalt signalisiert worden war. Gern band man plattdeutsche Darbietungen in politische Veranstaltungen ein; auf "Deutschen Abenden" wurde Platt vorgetragen, Mundartschriftsteller lasen in Zeltlagern der HJ oder vor der Frauenschaft aus ihren Werken Mundarttexte. Und wenn sich einmal Funktionäre auf Autorentreffen einfanden, wirkten solche "Streicheleinheiten" wieder für längere Zeit motivierend - der Nachschub an Propagandatexten war gesichert.
"Uns Sleswig-Holstein steiht bi Hitler!"
Sie hatte bereits Tradition, die plattdeutsche Klönschnack-Kolumne in den Tageszeitungen zwischen Hamburg und Flensburg und noch darüber hinaus. "Ut'n Utkiek" von Jakob Kiekut, "Korl Klafferkatt vertellt", der "Holsteener Breef" von Hein Wiesnäs: in vielen Zeitungen des Landes meldeten sich unter solchen Überschriften Autoren zu Wort, äußerten sich mehr oder weniger originell, aber immer regelmäßig zum Tagesgeschehen. Sie klönten und kommentierten, philosophierten und - meckerten, ganz so, wie die Zeitläufe es erforderten und ihre Leser erwarteten. Harmlos ließ es sich zumeist an: Wetter und Kartoffelpreise waren beliebte Themen, Redensarten und Erinnerungen an die gute alte Zeit füllten die Spalten, hin und wieder angereichert durch spitze Bemerkungen über die Politik. Oft fand sich auch provinzielle Kritik an der höheren Kultur; die Diffamierung unverstandener urbaner Entwicklungen hatte in solchen Kolumnen stets Konjunktur.
Mit dem Erstarken der Nationalsozialisten fanden immer häufiger politische Themen Einzug in die Plauderspalten. Jakob Kiekut - schon im Ersten Weltkrieg mit plattdeutschen Soldatenbriefen im Rendsburger Tageblatt vertreten - ließ in seinem "Ut'n Utkiek" schon im April 1929 den Ruf nach dem starken Mann lautwerden: "Wi brukt bitter notwenni en Mann ut tag Ekenholt, de ni von Parteigunst, sonnern von en hilli Volksleev dragen ward un den Mot hett, gans gehöri dörchtogriepen. Dat segg'n kümmt alleen wirkliche Föhrers to, de sik ni en Partei, sonnern er Vaderland verantwortli föhlt!" Im April 1933 - nach Verkündigung des Mottos "frie Bahn för dütsche Art!" - zog Kiekut sich ins vermeintlich Unpolitische zurück: "mi fehlt de Insicht un de Dörchsicht, as dat ik in 't Enkelte en Verscheel geben kunn öwer dat Nazi-Parteiprogramm." Was ihn aber nicht daran hinderte, für Hitler und seine Ziele Stimmung zu machen: "Ik för mien Deel glöw an 'e Tokunft von 'n Nationalsozialismus." Es gehe ihm hier jedoch keineswegs um Propaganda - "Ik will di ni scholmeistern, lewe Leser; du muß sülm weten, wat du doon heß. Ik vertell bloß, dat ik baben in 'n Utkiek en ernsten Mann in 'n brun Hemd wiesworrn bün, de banni dorna anlett, dat he de dütsch Hoffnung wesen kunn." Als "Utkieksmann" aber nahm Kiekut für sich natürlich doch eine Sonderrolle in Anspruch, als Seher auf dem Ausguck, als Sprecher für die Leser, der eben regelmäßig die Welt erklären durfte.
Andere Plauder-Kommentatoren schlugen sofort rauhere Töne an: "Holt Muul! Nu snackt Fietje!" polterte das Hamburger Tageblatt schon im Kolumnentitel, und hämisch feierte Jochen Puttenkieker in der Kieler Zeitung Anfang April 1933 den Mord an dem Kieler Rechtsanwalt Friedrich Schumm und erging sich in antisemitischer Hetze, problemlos in Platt. Nach dem Überfall der deutschen Armee auf Polen lieferte ein gewisser Korl Klafferkatt in der Schleswig-Holsteinischen Tageszeitung unter dem Titel "Humor - ok an de Front!" seine mundartlich-humorvolle Sicht auf die dortigen Verhältnisse: menschenverachtend, aggressiv, ganz eingestimmt auf die gewünschte Propaganda - und bereitwilligst geliefert. Durchweg verbargen sich die Autoren solcher Propagandatexte hinter Pseudonymen, die zumeist bis heute unaufgedeckt sind.
Humor - ok an de Front
Humor ok an de Front - dafür war das Plattdeutsche nicht nur per Plauderkolumne, sondern auch in einem ganz anderen Zusammenhang ideal geeignet, nun jedoch weniger zur direkten Verbreitung von Ideologie, sondern in seiner traditionellen Rolle als Unterhaltungs-, als Ablenkungsmedium. Hatten sich im Ersten Weltkrieg niederdeutsche Schriftsteller noch selbst auf Lesereisen an die vordersten Kampfeslinien begeben, um den Soldaten durch Rezitationen im Schützengraben Zerstreuung zu bereiten, kam nun moderne Technik zum Einsatz: der Reichssender Hamburg strahlte zwischen Hitlerreden und Frontberichten gern mundartliche Truppenbetreuung aus: Wat ik denn noch seggen wull... Hannes schreibt ins Feld (8. Juni 1940). Mitunter war die niederdeutsche Sprache auf eine Rahmenfunktion reduziert (De grote Trummel. Eine fröhliche Stunde mit Tschingbumm und Trarara für unsere plattdeutschen Soldaten, 8. Juni 1940) oder erging sich auf simpelstem Klamaukniveau (Kettel mi mal - ik mutt lachen! Gegen Griesgrämigkeit und Kopfhängerei, 18. März 1940). Lange Zeit gehörten solche Sendungen zum Standardprogramm.
Es kann nicht überraschen, daß der Zweite Weltkrieg erneut die plattdeutsche Gedichtproduktion ankurbelte. Der Westwall, die ersten raschen Siege der deutschen Armee, dann die fragwürdige Idylle von Bunkernächten voller Heimweh oder die Entbehrungen der Daheimgebliebenen - Stoffe und Themen, aus der hochdeutschen Literatur jener Jahre bekannt, also nicht originär niederdeutsch. Aber eben auch auf Platt realisiert, zahlreich zu finden in den niederdeutschen Vereins- und norddeutschen Tageszeitungen des "Dritten Reiches".
Einmal sollte dann das Niederdeutsche noch eine ungewöhnliche Rolle spielen, wie sie zuvor und auch später nicht möglich war - und in der diese Sprache wiederum aufgrund der ungeahnten Möglichkeit verwendet wurde, vermeintlich unpolitische und unter der Oberfläche doch eminent politische Funktionen zu erfüllen: viele Ortsgruppen der NSDAP schickten regelmäßige "Frontbriefe" an Soldaten aus der jeweiligen Stadt, dem jeweiligen Dorf, schnell zusammengetippte Heftchen oder Blätter, auf denen von Zuhaus berichtet wurde. Im Rahmen dieser ideologisch-heimatlichen Truppenbetreuung tauchte auch das Plattdeutsche immer wieder gern auf, ganz nach dem Motto: Nun lassen wir mal den Ernst der Zeit beiseite - wüllt mal 'n beten snacken, wie im Frieden.
Plattdeutsch im Nationalsozialismus: das ist ein lange Zeit vermutlich gern übersehener Aspekt der norddeutschen Zeit- und Kulturgeschichte. Die Zusammenhänge zwischen Mundart und Ideologie, zwischen Platt und Propaganda waren so wohl auch nur in einer ganz besonderen Phase möglich: ansonsten von der Politik nie recht beachtet, fühlten sich "die Plattdeutschen" aufgewertet, als ihre Sprache, ihre Literatur und Kultur nun plötzlich eine Rolle spielen konnte. Und seitens der nationalsozialistischen Funktionäre war es naheliegend, Elemente der Regionalkultur effektiv einzusetzen, wenn man auf diese Weise Stimmen gewinnen, Rückhalt ausbauen konnte. Viele Schriftsteller verkannten die Situation, meinten, nun endlich würde ihr Tun anerkannt - daß man sie allenfalls als nützliche Idioten ansah, sie gewähren ließ, werden sie kaum begriffen haben. Und daß viele von ihnen tatsächlich mit der Ideologie Hitlers konform gingen - davon findet sich in der Literatur über diese Autoren kein Wort...
Veröffentlicht in "Ende und Anfang im Mai 1945. Das Journal zur Ausstellung". Kiel: Neuer Malik Verlag 1995. S. 147 - 151. Ausführlicher sind die hier angerissenen Zusammenhänge untersucht und dargestellt bei K. Dohnke/N. Hopster/J. Wirrer (Hrg.), Niederdeutsch im Nationalsozialismus. Studien zur Rolle regionaler Kultur im Faschismus. Hildesheim: Olms Verlag 1994. 554 S.