Franz Steinfaß, Architekt.
„Am 1.5.1944 bekam ich den Auftrag, in Kiel, Rendsburger Landstraße, ein Arbeitserziehungslager für die Kieler Gestapo zu errichten. Das Lager bestand aus ca. 22 Baracken. Während der Bauzeit mussten die Häftlinge die Arbeit mit ausführen und wohnten in den eben fertig gestellten Baracken. Die Ausführungen dieser Arbeiten waren der Firma Nord-Süd-Bau K.G., Kiel und der Firma G. Schlüter, Preetz übertragen. Die Facharbeiter wurden von den Firmen gestellt, wogegen die Hilfsarbeiter von der Gestapo gestellt wurden.“
Aussage vor der Polizei, 30. Mai 1947.
Willy Stender, ehem. Chef der Wachmannschaft.
„Die Wachen waren Deutsche, Volksdeutsche, Holländer, Dänen und Letten. ... Einige waren Freiwillig, einige waren eingezogen worden und andere wiederum waren frühere Gefangene, für deren Beschäftigung als Wachen [der Lagerkommandant] Post sich beim Arbeitsamt eingesetzt hatte.“
Aussage vor dem brit. Militärgericht, 24.11.1947
Hubert van Roy, ehem. Häftling.
„Ungefähr um dieselbe Zeit sah ich eines Tages, wie Post beim Appell einen Häftling aus der Reihe rief. Mit einem SS-Mann zusammen führte er diesen Häftling zum See. Der Häftling musste dann ein paar Schritte voran gehen und wurde dann von Post erschossen.“
Eidesstattliche Erklärung 14.4.1947.
Wilhelm R., Anwohner.
„Auf meiner Rückfahrt von der Arbeit nach Hause fuhr ich die gleiche Strecke zurück und sah dann die Häftlingskolonnen wieder zurückmarschieren. Hierbei sah ich wiederholt, wie Häftlinge auf ca. 3m langen Brettern tote Häftlinge aus der Stadt mit ins Lager zurückbrachten. Andere Häftlinge schleiften zusammengebrochene Mitgefangene mit.“
Aussage vor der Kieler Polizei, 11.12.1964
Im Juni 1944 begannen auf diesem Gelände am Ostufer des Russees die Bauarbeiten für das „Arbeitserziehungslager Nordmark“ der Geheimen Staatspolizei (Gestapo). Bis zur Befreiung am 4. Mai 1945 durch britische Truppen wurden im „AEL Nordmark“ 4.000 – 5.000 Menschen inhaftiert, von denen mindestens 578 ums Leben kamen.
Das AEL war als Terrorinstrument gegenüber „Arbeitsvertragsbrüchigen“ gedacht und diente vor allem der Unterdrückung der ausländischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Zwei Drittel aller Häftlinge kamen aus der Sowjetunion und Polen, Deutsche und Österreicher stellten lediglich eine Minderheit unter den Lagerinsassen dar.
Die Einweisung erfolgte ohne gerichtliche Untersuchung auf Anweisung der Gestapo, die auf Anzeigen und Denunziationen von Arbeitgebern und Behörden reagierte. Die Anlässe waren meist nichtig: „Arbeitsbummelei“, Fernbleiben von der Arbeitsstelle, Streit mit einem Vorgesetzten, versuchte Flucht in das Heimatland oder auch kleinere Diebstähle. Die meisten Taten stellten eine Reaktion auf die menschenunwürdigen Arbeits- und Lebensbedingungen der Zwangsarbeiter. Im NS-Staat galten „Arbeitsvertragsbrüchige“ als Saboteure an der „Heimatfront“.
Da das Regime aber jede Arbeitskraft brauchte, sollte die Haftzeit auf maximal 56 Tage begrenzt werden, der Häftling danach dem Betrieb wieder zur Verfügung stehen und gleichzeitig den anderen Belegschaftsmitgliedern als abschreckendes Beispiel dienen.
Das Lager wurde unter Aufsicht von zivilen Facharbeitern durch Gestapogefangene der nahe gelegenen Polizeibaracke „Drachensee“ errichtet. Insgesamt bestand es aus über 20 Gebäuden: Unterkünfte für Häftlinge und Wachmannschaften, Verwaltungsbaracken und Lagerschuppen, eine Küche, zwei Wachtürme und ein Gästehaus für Besucher aus der SS-Prominenz. Das gefürchtetste Gebäude im Lager war ein halb unterirdischer Arrestbunker aus Beton mit 48 völlig dunklen Einzelzellen.
Verantwortlich für die Errichtung des Lagers war der ab Februar 1944 eingesetzte Leiter der schleswig-holsteinischen Gestapo, Regierungsrat und SS-Sturmbannführer Fritz Schmidt. Als Kommandanten für das Lager setzte Schmidt einen Untergebenen ein: den Kriminalkommissar und SS-Sturmbannführer Johannes Post.
Außer für die große Anzahl von „arbeitsvertragsbrüchigen“ Häftlingen diente das Lager der schleswig-holsteinischen Gestapo auch als Haftstätte für „Schutzhäftlinge“ und politische Gefangene: unter ihnen beispielsweise der 67-jährige Pastor Ewald Dittmann aus Dithmarschen und der Kieler Kommunist Bernhard Scoor der mit osteuropäischen Zwangsarbeitern zu einer Widerstandsgruppe gehörte.
Mitte April 1945 waren etwa 900 Gefangene im Lager. Durch „Evakuierungstransporte“ (Todesmärsche) aus anderen Haftstätten verdoppelte sich die Zahl der Häftlinge innerhalb von zwei Tagen. Unter den Neuzugängen waren ein Transport deutscher Juden aus dem Rigaer Ghetto und einige Hundert Gefangene des Zuchthauses und Gestapogefängnisses Hamburg-Fuhlsbüttel.
Angesichts der herannahenden Front ermordete die Gestapo in den letzten zwei Wochen vor Kriegsende etwa 300 Häftlinge, unter ihnen mehr als 30 Schwerkranke aus der Krankenbaracke. Vor dem Eintreffen der britischen Truppen verbrannten die Wachmannschaften fast alle Akten, entließen einige Häftlinge und flohen in Zivilkleidung in Richtung Dänemark.
Am 4. Mai 1945 befreiten britische Soldaten die letzten im Lager überlebenden Häftlinge des „Arbeitserziehungslager Nordmark“.
Geboren 1908 in Bochum, Jurist. Ab 1931 NSDAP-, ab 1933 SA-Mitglied. Seit 1936 Mitarbeiter der Gestapo. 1942/43 (Stellv.) Leiter Sonderkommando der Einsatzgruppe C (Massenmorde in der Sowjetunion). 1944 Gestapochef in Kiel. April / Mai 1945 Flucht. 1963 Festnahme, 1965 Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord an britischen Luftwaffenoffizieren (2 Jahre Zuchthaus), keine Verurteilung wegen „AEL Nordmark“, 1965 Einstellung eines Verfahrens wegen der Einsatzgruppenmorde. (Mehr zur Biografie)