Hinweis der Redaktion, September 2007:
Dieser kurze Text wurde 2000 / 2001 für einen Reader für Mitglieder des Arbeitskreises Alternative Stadtrundfahrten vom Landesjugendring Hamburg e.V. geschrieben. [1] Seitdem hat sich sowohl der Forschungsstand zu den SS-Tätern dieses Konzentrationslagers verbessert als auch die Konzeption der Gedenkstätte verändert. In letzterer befindet sich seit 2005 eine Dauerstellung mit dem Titel „Dienststelle KZ Neuengamme: Die Lager-SS“.

Max Pauly – letzter Kommandant des KZ Neuengamme

Der erste KZ-Kommandant des eigenständigen Hauptlagers Neuengamme war seit Februar / März 1940 SS-Sturmbannführer Walter Eisfeld. Eisfeld verstarb überraschend bei einem Aufenthalt in Dachau und wurde durch SS-Sturmbannführer Martin Weiß ersetzt, der bis August 1942 das Lager leitete. Nach dessen Versetzung folgte mit SS-Sturmbannführer Max Pauly der letzte Kommandant von Neuengamme.
Pauly wurde 1907 in Wesselburen (Dithmarschen) geboren, lernte Kaufmann und übernahm 1928 den elterlichen Gemischtwarenladen. Durch die Landvolkbewegung politisiert, trat er Ende 1928 der NSDAP und SA bei, wechselte am 1. Mai 1930 zur SS und beteiligte sich an den Straßenkämpfen am Ende der Weimarer Republik. Ab Frühjahr 1936 machte er hauptamtliche Karriere in der SS, führte zuerst den II SS-Sturmbann in Rendsburg, um anschließend 1937 in die unter Völkerbundsmandat stehende „Freie Stadt Danzig“ versetzt zu werden.[2] Dort leitete er die 71. SS-Standarte (Danzig-Land), organisierte noch vor dem II. Weltkrieg provisorische Lager für die zu inhaftierenden polnischen Zivilisten und wurde Kommandant des „Zivilgefangenenlager Stutthof“, welches ab Herbst 1941 „Arbeitserziehungslager“ und dann ab 7. Januar 1942 Konzentrationslager wurde.[3] Pauly wurde zum SS-Sturmbannführer befördert und blieb auch unter der „Inspektion der Konzentrationslager“ Lagerkommandant, weil er „das Lager Stutthof aus eigener Kraft und ohne jede Unterstützung aufgebaut“ hatte, so sein neuer Vorgesetzter, der Inspekteur der Konzentrationslager, Richard Glücks.[4] Stutthof war von Pauly als ökonomisch wirtschaftender Betrieb präsentiert worden, was in die neue kriegswirtschaftliche Ausrichtung der Konzentrationslager seitens der SS-Führung passte. Routinemäßig wurde Pauly im Herbst 1942 zum KZ Neuengamme versetzt, wobei er Frau und Kinder in Adlershorst bei Gotenhafen zurückließ.[5] Offiziell trat er ab 1. September 1942 seinen Posten an und wurde bis November 1942 vom bisherigen Adjutanten Weiß`, Richard Baer, vertreten.[6] Als KZ-Kommandanten unterstand ihm das gesamte SS-Personal, er durfte die Strafen im Lager anordnen und – nach Rücksprache und Genehmigung durch die Inspektion der Konzentrationslager – Todesurteile vollstrecken lassen.
Paulys „schlechter Ruf“ unter der SS in Neuengamme rührt nicht daher, dass er als brutal gegenüber KZ-Häftlingen galt – das behaupteten seine Untergegebenen zur Selbstentlastung in den Curiohaus - Prozessen – sondern lag daran, dass er nicht die übliche SS-Karriere der Konzentrationslager-SS durchlaufen hatte und damit ein „Außenseiter“ war.[7] Nichtsdestotrotz schrieb sein Vorgesetzter 1941 über ihn: „ruhiger, besonnener SS-Führer, der sich nie vordrängt, aber umso mehr überrascht durch seine außerordentlich guten Leistungen. Weit über seine Jahre gereift. Einer der fähigsten SS-Führer, die mir überhaupt bekannt sind. Menschlich hervorragende Persönlichkeit.“[8]
Pauly selbst beschrieb seine eigene Arbeit in einem Brief an seinen früheren Vorgesetzten Ende 1944 so: „Ich habe hier einen sehr großen Wirkungskreis. Mein Gebiet geht bis Magdeburg, Salzgitter, Minden, Osnabrück, Meppen, Aurich, Wilhelmshafen und dann bis zur dänischen Grenze. Der letzte Stützpunkt nach Osten ist Wittenberge. Die Aufgaben sind sehr viel größer als früher in Stutthof. Ich freue mich, daß ich durch diesen riesigen Arbeitsbereich voll ausgelastet bin. Ich könnte sonst keine innere Befriedigung finden.“[9]
Das von Pauly zu verantwortende brutale und willkürliche Regime im KZ Neuengamme beschrieb der Überlebende Ewald Gondzik so: „Das erste war, wie er nach Neuengamme kam, Einführung der Strafkompanie und Isolierung ... Er hat als hoher Offizier und Kommandant die Häftlinge persönlich geschlagen; ... Für die von der Flucht wieder ergriffenen Häftlinge hat er gleich Todesstrafe beantragt und mehrmals durchgesetzt. Er hat das Lager unter so einem Terror gehalten, daß man keinen Tag seines Lebens sicher war.“[10]
In seine Verantwortung fällt sowohl der Anstieg der Todesrate der Häftlinge als auch die Mehrzahl der ermordeten und ums Leben gekommenen Häftlinge des KZ Neuengamme. Im November 1944 wurde Pauly zum Obersturmbannführer befördert,[11] das entsprach dem Rang eines Oberstleutnants der Wehrmacht. Nach dem Tod seiner Frau am 19.8.1944 holte Pauly im Januar 1945 seine fünf Kinder nach Neuengamme, wo diese bis Kriegsende im Kommandantenhaus lebten.[12] Anfang April brachte Pauly seine Familie nach Wesselburen in Sicherheit vor den anrückenden britischen Truppen, und Mitte April erhielt er den Befehl das Hauptlager zu räumen, was - nachdem alle Außenlager schon geräumt waren - ab 20. April begann. Auf Befehl des Höheren SS- und Polizeiführers (HSSPF) Georg Henning von Bassewitz-Behr ließ Pauly „marschunfähige“ und „gefährliche politische“ Häftlinge ermorden. Am 30. April 1945 floh Pauly – nachdem er sich Proviant in Form von Rote-Kreuz-Paketen zusammen gestohlen hatte – Richtung Flensburg zur SS-Führung unter Himmler. Er wurde im Herbst 1945 verhaftet, im Curiohaus-Prozeß – 18. März bis 5. Mai 1946 - in Hamburg zum Tode verurteilt und in Hameln von den Briten erhängt.[13]
In einem Abschiedsbrief schrieb er an seinen ältesten Sohn u.a.: „Mein lieber guter Junge. Sei ewig stolz, daß Du ein Deutscher bist, und verachte mit ganzer Kraft die, die dieses glatte Fehlurteil für richtig befunden haben ...
Ich habe wirklich als Soldat bis zum letzten Tag meine Pflicht für mein Vaterland erfüllt ... Für mich ist es eine große Beruhigung, daß das deutsche Volk in seiner Masse diese verderbliche Lügenpropaganda in aller Eindeutigkeit ablehnt.
Denkt bitte an mein Lieblingsgericht, an Pfannkuchen und etwas Schokoladenpudding. Noch einmal richtig Sattessen können. Kopf hoch, alle ihr Lieben. Euer getreuer Vater.“
[14]


Frank Omland


[1] Alternative Stadtrundfahrt zu der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und zu der Gedenkstätte für die Kinder vom Bullenhuser Damm. Endbearbeitung: Beate Arlt und Frank Omland. Hamburg 2001.
[2] Karin Orth: Die Konzentrationslager-SS. Sozialstrukturelle Analysen und biographische Studien. Göttingen 2000, S.217f.
[3] Laut Orth war Pauly „... einen Monat lang mit der Führung der 36. SS-Standarte beauftragt und wurde am 1.2.1937 mit dem bisherigen Führer der 71. SS-Standarte ausgewechselt.“ Orth: Die KZ-SS, S.218, FN 59.
Zu Stutthof vgl.: Enzyklopädie des Holocaust, S.1381f. Orth gibt an, das der Lagerkomplex in den Akten ganz unterschiedliche Namen hatte (Zivilgefangenenlager, Polizeihaftlager, SS-Sonderlager, Durchgangslager) Karin Orth: Das System der nationalsozialistischen Konzentrationslager, S.70, S.153ff.
[4] Orth, Die KZ-SS, S.218.
[5] Orth, Die KZ-SS, S.225, FN85.
[6] Karin Orth belegt, dass der Nachfolger von Pauly bereits im Herbst 1942 vor Ort war und behauptete am 1.10.42 seinen Dienst in Stutthof angetreten zu haben. Pauly selbst wollte erst ab November 1942 den Posten in Neuengamme angetreten sein. Das ist wichtig, weil damit in Baer´s Anwesenheit die Vergasung von sowjetischen Kriegsgefangenen fiel und Pauly dafür nicht verantwortlich gewesen wäre. Orth, Das System, S.229, FN27.
[7] Orth, Die KZ-SS, S.225 und S.225, FN86.
[8] Ausstellung in der KZ Gedenkstätte Neuengamme, Ordner Max Pauly
[9] Orth, Die KZ-SS, S.260.
[10] Ulrich Bauche u.a. (Hrsg.): Arbeit und Vernichtung. Das Konzentrationslager Neuengamme 1938-1945. Katalog der ständigen Ausstellung im Dokumentenhaus. Hamburg 1991, S.201.
[11] Hermann Kaienburg: Funktionswandel des KZ-Kosmos? Das Konzentrationslager Neuengamme 1938-1945. In: Herbert u.a.: Die nationalsozialistischen der Konzentrationslager, S.263, FN13.
[12] Orth, Die KZ-SS, S.260, FN26.
[13] Vgl. dazu: Hermann Kaienburg: Die britischen Militärgerichtsprozesse zu den Verbrechen im Konzentrationslager Neuengamme. In: Die frühen Nachkriegsprozesse. (Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland, Heft 3) S. 56-64.
[14] Ausstellung in der KZ Gedenkstätte Neuengamme, Ordner Max Pauly
 

Die KZ Gedenkstätte Neuengamme gibt zusammen mit anderen Gedenkstätten im norddeutschen Raum die Reihe: "Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland" heraus. Darin sind unter thematischen Schwerpunkten jeweils Aufsätze, Berichte und Rezensionen zur Geschichte dieser Lager zu finden (siehe auch unter www.kz-gedenkstaette-neuengamme).

 

Literaturhinweise

Ulrich Bauche u.a. (Hrsg.):
Arbeit und Vernichtung. Das Konzentrationslager Neuengamme 1938-1945. Katalog der ständigen Ausstellung im Dokumentenhaus. Hamburg 1991.

Ein KZ wird geräumt.
Häftlinge zwischen Vernichtung und Befreiung. Die Auflösung des KZ Neuengamme und seiner Außenlager durch die SS im Frühjahr 1945. Katalog zur Wanderausstellung. Band 1: Texte und Dokumente. Herausgegeben von Katharina Hertz-Eichenrode im Auftrag des Freundeskreis KZ-Gedenkstätte Neuengamme e.V. Mit Beiträgen von Detlef Garbe und Nina Holsten. Bremen 2000.

Enzyklopädie des Holocaust.
Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden. Deutsche Ausgabe. Herausgegeben von Jäckel/Longerich/Schoeps. (Originalausgabe 1989), München, Zürich 1993.

Hermann Kaienburg:
Die britischen Militärgerichtsprozesse zu den Verbrechen im Konzentrationslager Neuengamme. In: Die frühen Nachkriegsprozesse. (Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland, Heft 3) S. 56-64.

Hermann Kaienburg:
Funktionswandel des KZ-Kosmos? Das Konzentrationslager Neuengamme 1938-1945. In: Ulrich Herbert/Christoph Dieckmann/Karin Orth (Hrg.): Die nationalsozialistischen Konzentrationslager. Entwicklung und Struktur (Zwei Bände), Göttingen 1998.

Hermann Kaienburg:
Das Konzentrationslager Neuengamme 1938-1945. Herausgegeben von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Bonn 1997.

Karin Orth:
Die Kommandanten der nationalsozialistischen Konzentrationslager. In: Ulrich Herbert/Christoph Dieckmann/Karin Orth (Hrg.): Die nationalsozialistischen Konzentrationslager. Entwicklung und Struktur (Zwei Bände), Göttingen 1998. (Keine Hinweise auf Pauly).

Karin Orth:
Die Konzentrationslager-SS. Sozialstrukturelle Analysen und biographische Studien. Göttingen 2000.

Karin Orth:
Das System der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Eine politische Organisationsgeschichte. (Hamburger Edition des HIS), Hamburg 1999.

Zeitspuren.
KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Hg.): Die Ausstellungen. Bremen 2005.

 


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