Überleben ungewiss -
Das Schicksal der Kinder von Zwangsarbeiterinnen in Schleswig-Holstein
Ein Forschungsprojekt des Arbeitskreises zur Erforschung des Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein e.V.
Von 1943 bis Kriegsende kamen in Schleswig-Holstein mehrere Hundert Kinder von Zwangsarbeiterinnen ums Leben. Bis heute wissen wir fast nichts über diese weitgehend unbeachtete Opfergruppe. Um die Arbeitskraft schwangerer Zwangsarbeiterinnen optimal ausbeuten zu können, wurden ab 1943 die Geburt und Betreuung ihrer Kinder staatlich geregelt. Unter dem irreführenden Begriff „Ausländerkinder-Pflegestätten“ waren in jedem Landkreis und/oder in größeren Lagern Einrichtungen zu schaffen, in denen die Kinder zur Welt kommen und betreut werden sollten, während die Mütter bereits wieder arbeiten mussten. In vielen dieser „Pflegestätten“ ließ man die Kinder vermutlich ohne ausreichende Pflege und Versorgung sterben; viele überlebten nur wenige Tage, die Todesraten waren hoch.
Der Akens hat nun ein Forschungsprojekt gestartet, um das Schicksal dieser Kinder für Schleswig-Holstein endlich aufzuklären – ein Desiderat, das erst beschämende 75 Jahre nach dem Tod der Kinder aufgearbeitet wird. In Kooperation von derzeit 15 Historikerinnen und Historikern aus Norddeutschland wollen wir zum einen den Kindernihre Namen zurückgeben, sie auf diese Weise aus dem Vergessen holen und würdigen. Zum anderen untersuchen wir auch die generellen Bedingungen ihrer Geburt, ihres oft nur sehr kurzen Lebens und ihres Sterbens.
Ausgangslage und Kenntnisstand
Der Forschungsstand zu diesem Komplex ist für Schleswig-Holstein sehr unbefriedigend, es gibt nur wenig Literatur. Daher basiert das Forschungsprojekt auf sehr umfangreichen Aktenbeständen, aus denen heraus die Kinder mit den Orten ihrer Geburt und ihres Todes identifiziert werden können. Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass die organisatorischen Vorschriften vermutlich nicht in der damals vorgegebenen Form umgesetzt wurden – nur wenige der identifizierten Einrichtungen dürftendenVorgaben der angeordneten „Ausländerkinder-Pflegestätten“ entsprochen haben. Daneben scheinen vielfältige Sonderformen existiert zu haben: Betreuungseinrichtungen entstanden in bereits bestehenden Lagern, etwa in Pinneberg, Geesthacht, Lübeck oder Kiel; lokal kam es zu pragmatischen Lösungen. Aber es tauchen auch Hinweise und Belege zu bislang unbekannten Einrichtungen an neuen Orten auf, die nun der Nachrecherche in regionalen und lokalen Archiven bedürfen.
Das Forschungsprojekt hat nicht nur den Anspruch, alle damals in Schleswig-Holstein ums Leben gekommenen Kinder soweit möglich namhaft zu machen und auf diese Weise zu würdigen. Es soll auch die bisher oft pauschal als Tötungseinrichtungen kategorisierten „Ausländerkinder-Pflegestätten“ näher analysieren. Das Ziel ist, die Handlungsspielräume zwischen institutionalisierter Vernachlässigung, bewusstem Sterbenlassen, organisiertem Mord,aber auch aktiver Hilfe differenzierter auszuleuchten und konkretzu beschreiben.
Ablauf und Realisierung
Derzeit befindet sich das Projekt im ersten umfassenden Recherche-Stadium, um die Kindersowie die Orte ihrer Geburt und ihres Todes zu ermitteln. Daran werden sich vertiefende Archivrecherchen anschließen, um die Vorgänge und Verantwortlichkeiten in den identifizierten Einrichtungen aufzuklären und nachzuzeichnen.
Die Ergebnisse des Forschungsvorhabens sollen in jeweils geeigneten Medienformaten auf Landes-, Regional- und Lokalebene präsentiert werden – von Ausstellungen über Schulprojekte und Workshops bis zu Vorträgen. Da der Lehrstuhl für Regionalgeschichte mit Schwerpunkt zur Geschichte Schleswig-Holsteins am Historischen Seminar der Universität Kiel als assoziierter Partner mit dem Akens kooperiert, könnten die Ergebnisse auch im Rahmen eines Symposiumsder wissenschaftlichen Öffentlichkeit präsentiert und diskutiert werden. Außerdem beteiligen sich Studierende aus Kiel an den Forschungen.
Bei weiterhin gutem Fortgang der Arbeiten könnten die Grundrecherchen bis Jahresende 2020 abgeschlossen sein. Erste öffentliche Umsetzungen dürften ab Herbst 2021 möglich sein. Sämtliche Ergebnisse werden abschließend in einem Forschungsband publiziert.Für dieses Projekt kehrt der Akens zu seinem ursprünglichen und namensgebenden Charakter als Arbeitskreis zurück. Wir freuen uns, dass neben langjährigen Mitstreitern auch viele neue engagierte Autorinnen und Autoren für das Vorhaben gewonnen werden konnten.
Koordination des Projektes: Rolf Schwarz und Kay Dohnke (AKENS e.V.). Weitere Mitarbeiter*innen, Unterstützung und Hinweise jeglicher Art sind jederzeit willkommen.
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