Dieser Exkurs soll Stellung und Bedeutung der NPEA innerhalb des nationalsozialistischen Schulsystems veranschaulichen. Zunächst ist eine Betrachtung des allgemeinen Schulwesens notwendig, zum einen um Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu erkennen, zum anderen, da nahezu alle Schüler es durchliefen. Die beiden Ausleseschul-Formen waren von der Anzahl der Schüler her unbedeutend. Scholtz schätzt, daß 1944 im gesamten Reichsgebiet 9.000 Schüler die NPEA besucht haben;[50] von allen Abiturienten und Abiturientinnen, die zwischen 1935 und 1941 eine höhere Schule absolvierten, kamen nur ca. 1% von einer Nationalpolitischen Erziehungsanstalt. [51] Die Bedeutung des zweiten Ausleseschul-Typs - der Adolf-Hitler-Schule - ist hinsichtlich ihrer Schülerzahl ähnlich gering.
Grundlegend für die nationalsozialistische Vereinnahmung des Schulsystems war dessen Zentralisierung und Vereinheitlichung. Am 1. Mai 1934 wurde das preußische Kultusministerium in das "Reichs- und preußische Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung" umgewandelt und damit eine zentrale Schulbehörde eingerichtet. Die einzelnen Länder besaßen also keine Schulhoheit mehr. Trotz dieser Zentralisierung gab es in Erziehungsfragen ein auch ansonsten für das Dritte Reich charakteristisches Neben-, In- und Gegeneinander einzelner Personen und Institutionen.
Dazu schreibt Erdmann: "In den [...] Aufgabenbereich des Erziehungsministeriums regierten nämlich mehrere Parteidienststellen hinein, insbesondere der für die gesamte politische Schulung verantwortliche Reichsorganisationsleiter Robert Ley, der Führer der Hitlerjugend Baldur v. Schirach und der Leiter der Prüfungsstelle für das amtliche Schrifttum der NSDAP Philipp Bouhler, der u.a. die Schulbücher und Lehrmittel zensierte." [52] Der Einfluß der SS unter Himmler und Heißmeyer wird am Beispiel der NPEA besonders deutlich. Demgegenüber war die Einflußnahme des "Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung der NSDAP" Alfred Rosenberg relativ gering. [53]
Die Vereinheitlichung des weiterhin
[Abb. 4: Politisch-ideologische Wandgestaltung im Stadtheim der Napola Plön]
dreigliedrigen, auf der vierjährigen Grundschule aufbauenden Schulsystems wurde ab 1933 vorsichtig und ab 1937 ganz entschieden durch Erlasse betrieben. Konfessions- und Privatschulen wurden untersagt und die in annähernd 70 Typen differenzierte Oberschule auf drei Grundtypen reduziert: [54] die neusprachliche bzw. naturwissenschaftliche Oberschule - da der Koedukationsgedanke von den Nationalsozialisten abgelehnt wurde, jeweils für Jungen oder für Mädchen - und an bestimmten Orten aus Gründen der Tradition das humanistische Gymnasium. [55]
Die Mädchenoberschulen führten eine sprachliche und eine hauswirtschaftliche Form. Das alte Gymnasium (Latein von der ersten, Griechisch von der dritten und Englisch von der fünften Klasse an) blieb als Variante der höheren Jungenschule bestehen, für Mädchen hingegen gab es kein Gymnasium. [56] Im Mittelschulbereich wurde zeitweise die mit dem fünften Schuljahr beginnende sechsklassige Mittelschule zum Normtyp erhoben; jedoch wurde diese Entscheidung später zurückgenommen, so daß auch Reste des alten Mittelschulwesens bestehen konnten. [57] 1941/42 wurde die Hauptschule eingeführt, die vierklassig auf das vierte Volks- bzw. letzte Grundschuljahr aufbauen und die Mittelschule ersetzen sollte. [58]
Die Hilfsschulen, die am Schluß der Reihe der Sonderschulen standen, wurden zum "Sammelbecken der Erbkranken" erklärt. [59] Wegen des Auftrags an das Lehrpersonal, durch "Sippenforschung" und die Führung von "Sippenschaftsbögen" die erbliche "Belastung" der einzelnen Schüler zu klären, waren diese Schüler in ihrem Leben hochgradig bedroht. [60] Die 1938 reichseinheitlich verordnete Ausschulung "schwer-schwachsinniger" Kinder aus der Hilfsschule führte einen Teil der Betroffenen in die Vernichtungsmaschinerie der "Euthanasie". [61]
Von Beginn des "Dritten Reiches" an wurden Juden aus dem Schulwesen ausgegrenzt. Schon 1933 wurde ihnen die Lehrerausbildung verwehrt, und sie durften auch keinen Privatunterricht mehr erteilen. [62] Das "Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen" vom 25. April 1933 legte fest, daß bei Neuaufnahme der Anteil nicht-arischer Reichsdeutscher einheitlich für das Reichsgebiet 1.5% nicht übersteigen sollte. [63] 1936 wurden die Kommunen aufgefordert, Sonderschuleinrichtungen für jüdische Kinder zu schaffen, sofern 20 oder mehr jüdische Kinder vorhanden waren. [64] Am 15. November 1938 verfügte Rust, [65] die Sorge für ihren Unterricht sei eine rein jüdische Angelegenheit. Daraufhin wurden zwei Tage später alle noch bestehenden gemeinsamen Volksschuleinrichtungen beseitigt. Die Ausgrenzung der Juden aus dem Schulsystem war vollzogen, als alle jüdischen Schulen am 30. Juni 1942 geschlossen wurden. [66]
Noch ehe die Nationalsozialisten die Lehrpläne änderten, begannen sie mit der Gleichschaltung der Lehrer im April 1933 mittels des "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums". Dadurch verloren 1933 rund 3.000 Pädagogen ihr Amt, unter ihnen hauptsächlich Juden, Kommunisten und Sozialdemokraten. [67] Der Nationalsozialistische Lehrerbund (NSLB) diente neben dem Leipziger "Zentralinstitut für Erziehung" dazu, jedem Lehrer "die unbedingte Pflicht" zu vermitteln, "alle einzelnen Gebiete und Fächer mit dem
nationalsozialistischen Geist [...] auszufüllen". [68] Bis zum Dezember 1933 traten 95% der Lehrer - teils unter starkem Druck - in den NSLB ein. [69]
Erst zwischen 1938 und 1942 wurden die Lehrpläne und Richtlinien geändert, nachdem vorher nur unsystematisch einige Erlasse und Anweisungen herausgekommen waren. [70] Dem Biologieunterricht wurde die Aufgabe zuteil, das "Naturgesetz von Auslese und Ausmerze" sowie die nationalsozialistische "Rassegesetzgebung und Erbgesundheitspflege" zu vermitteln. [71] Geschichte, Erdkunde und das neu eingeführte Fachgebiet Geopolitik sollten das deutsche Volk als wahren Repräsentanten der nordischen Rasse herausstellen, die im gesamten Geschichtsverlauf die höchsten politischen und kulturellen Werte hervorgebracht habe. [72] Die Veränderungen im Fach Deutsch lassen sich folgendemaßen zusammenfassen: "An die Stelle der nur betrachtenden kritisch-wissenschaftlichen, historischen und ästhetischen Einstellung tritt die wertende, schaffensbereite und kämpferische Haltung." [73] Die Schüler sollten in Aufsätzen hauptsächlich politische, historische und ideologische Themen behandeln und sich mit sogenannter volkhafter Dichtung befassen. [74] Musik- und Kunstunterricht konzentrierte sich einseitig auf Volkskunst. [75]
Der traditionelle Stundenplan wurde mit einigen Ausnahmen beibehalten. Sport erfuhr mit bis zu fünf Wochenstunden eine besondere Aufwertung. [76] Der Religionsunterricht wurde durch verschiedene Maßnahmen stark beschränkt, ohne ihn an sich abzuschaffen. [77] Während der Phase des Kirchenkampfes versuchte die NSDAP, den evangelischen Religionsunterricht im Sinne des Deutschen Christentums umzugestalten, so daß "Stoffe, die dem Sittenempfinden der germanischen Rasse widersprechen, im Unterricht nicht zu behandeln" waren. [78]
1934 wurde dann eine weitere Neuerung eingeführt: der Staatsjugendtag. Der Samstag war für die 10- bis 14jährigen schulfrei, sofern sie am Dienst in DJ (Deutsche Jugend) oder JM (Jungmädel) teilnahmen. Die Nichtorganisierten hatten "nationalpolitischen Unterricht" in der Schule. 1937 wurde der Staatsjugendtag wieder abgeschafft. [79]
Die Beschränkung der Bildungsmöglichkeiten für Mädchen und Frauen war ein weiteres Kennzeichen der nationalsozialistischen Schulpolitik. Sie folgte aus der Reduzierung des weiblichen Aufgabengebietes auf Hausfrauen- und Mutterrolle; nur aus politischen und wirtschaftlichen Gründen erweiterten die Nationalsozialisten diesen Bereich. So legte der Innenminister 1934 fest, daß die Zahl der Abiturientinnen, denen die Hochschulreife zuerkannt werden konnte, nicht höher als 10% der männlichen Abiturienten sein durfte. [80] An den Mädchenschulen sollten die Fächer des "Frauenschaffens" (Handarbeit, Hauswirtschaft, "Pflege") den Unterrichtsstoff dominieren. [81]
Die Idee zur Gründung der Nationalpolitischen Erziehungsanstalten (NPEA, im nichtoffiziellen Sprachgebrauch "Napolas") beanspruchten sowohl Hitler wie auch Reichserziehungsminister Rust für sich. Sie geht jedoch mit Ge-
wißheit auf Rust und seine beiden Mitarbeiter Haupt [82] und Sunkel zurück. [83] Folglich waren die NPEA auch zunächst dem preußischen Kultusministerium unterstellt, das 1934 eine eigene "Landesverwaltung der Nationalpolitischen Erziehungsanstalten" gründete, deren ersten Inspekteure Haupt und Sunkel waren.
Am 20. April 1933, zum Geburtstag Hitlers, wurden in Köslin, Plön und Potsdam aus den Staatlichen Bildungsanstalten (diese waren vorher Kadettenanstalten) die ersten Nationalpolitischen Erziehungsanstalten gebildet. Die NPEA waren staatliche Internatsschulen, deren "Jungmannen" (so nannte man die 10- bis 18jährigen Schüler) meist nach dem Lehrplan der deutschen Oberschule unterrichtet wurden und mit dem Abschlußzeugnis die Hochschulreife erlangen konnten. Die ersten Anstaltsleiter waren "alte Kämpfer" aus SA oder SS ohne Unterrichtserfahrung, unter ihnen Unterrichtsleiter im Range eines Oberstudienrates, die eine normale Lehrerlaufbahn absolviert hatten. Die Erzieher der Anfangszeit waren Staatsbeamte, die ohne Mitwirkung der Partei und vielfach ohne eigenes Zutun von der zuständigen staatlichen Behörde, dem Oberpräsidium, an die Anstalten versetzt wurden. [84] Den Leitern der Hochschulen für Lehrerbildung wurde es 1938 zur Pflicht gemacht, besonders befähigte Studenten zu melden, die für den Dienst an einer NPEA in Frage kämen. [85]
Ueberhorst sieht an den NPEA Parallelen zu drei anderen Erziehungseinrichtungen: In ihrer wehrsportlichen Ausbildung und dem Prinzip der Unter- und Überordnung wiesen sie Ähnlichkeiten zu den Kadettenanstalten auf. Dennoch versuchte man auch, an die Erziehungsform der englischen "Public Schools" anzuknüpfen, was sich in dem Versuch einer Selbstverwaltung des Inernatslebens, der großen Bedeutung des Sports und der Gemeinschaft sowie der den "Headmasters" ähnelnden starken Stellung der Anstaltsleiter ausdrückte. Die Selbstverwaltung der Jungmannen blieb allerdings durch das Führerprinzip meist auf organisatorische Aufgaben der Jungmann-Zugführer beschränkt. Eine dritte Parallele ergibt sich zu den Landerziehungsheimen: An den NPEA gehörten Garten- und Landarbeit zur allgemeinen Erziehung; mehrwöchige Einsätze im Landdienst waren ebenfalls üblich. [86]
Die Entwicklung der NPEA verlief in vielen Punkten parallel zu der des Hitler-Staates. Nach ihrer Gründung erhofften sich zunächst verschiedene Kreise, die Anstalten für ihre Zwecke benutzen zu können. Die Wehrmacht sah in ihnen als Nachfolgeeinrichtungen der Kadettenanstalten Ausbildungsstätten für den Offiziersnachwuchs. HJ, SA und SS versuchten, Einfluß auf die NPEA zu erlangen, um wiederum ihren Führernachwuchs zu bilden. In der Anfangszeit hatte die SA den größten Einfluß, was sich darin zeigte, daß SA-Führer sowohl in der Leitung der Inspektion der NPEA als auch in den einzelnen Anstalten überwogen. [87] Nach der Ermordung Röhms am 30. Juni 1934 schied die SA als Konkurrent um die NPEA aus. Die Absetzung Haupts als Inspekteur der Landesverwaltung der Nationalpolitischen Erziehungsanstalten im November 1935 muß in diesem Zusammenhang als ein Vorgang verspäteter Gleichschaltung gesehen werden; Haupt wollte die Unabhängigkeit der Anstalten wahren. Die SS hatte auch tatsäch-
lichen Anteil an der Beseitigung Haupts und versuchte, verstärkt Einfluß auf die NPEA zu gewinnen. [88]
Haupts Nachfolger als "kommissarischer Inspekteur" wurde bezeichnenderweise ein SS-Obergruppenführer, August Heißmeyer. Er wurde im März 1936 mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Inspekteurs in der Landesverwaltung beauftragt, wollte aber kein Beamter im Landesdienst werden, sondern die Funktion "ehrenamtlich" übernehmen. [89] Durch diese Ablehnung der behördlichen Festlegung wurde dem Reichsführer-SS Himmler - als Heißmeyers eigentlichem Vorgesetzten - Einflußnahme möglich, ohne die direkte "Schirmherrschaft" übernehmen zu müssen. [90] Damit gerieten die ehemals rein staatlichen NPEA immer mehr unter den Einfluß der SS. Bezeichnend für diesen Einfluß Himmlers ist seine folgende Äußerung aus der Kriegszeit: "Ich bitte, bei den nächsten Verhandlungen [...] klar zu machen, daß ich die Erziehungsrichtlinien in den Nationalpolitischen Erziehungsanstalten bestimme". [91]
1943 wurde sogar erwogen, die Leitung der NPEA völlig dem Reichserziehungsministerium zu entziehen und Himmler zum Chef ihrer Verwaltung zu machen. [92] Diese Pläne scheiterten aber unter anderem, weil andere konkurrierende Kräfte (in der Hauptsache die Wehrmacht) um die NPEA warben. So wurden 1942 fünf NPEA zu Marineanstalten erklärt. Außerdem verfügte der Reichskriegsminister über eine Anzahl von Freistellen an den Anstalten, die den Söhnen aktiver Offiziere vorbehalten waren. Es war der erklärte Wunsch des "Führers", daß der Offiziersnachwuchs mehr und mehr aus den NPEA komme. [93]
Bis 1938 stieg die Zahl der NPEA stetig auf 21 an. In die Zeit der nationalsozialistischen Expansion im Zweiten Weltkrieg fiel auch die Absicht zur Ausweitung der NPEA. Ende 1940 bestand der Plan, sie innerhalb der nächsten fünf Jahre auf 100 zu erhöhen. Es wurden dann allerdings 1941 und 1942 insgesamt nur 18 neue Anstalten eingerichtet. [94] Neugründungen erfolgten vorwiegend in Grenz- oder besetzten Gebieten, so in Mokritz und St. Paul (Österreich), Annaberg (Oberschlesien), in Rudnitz/Kuttenberg im sogenannten Protektorat sowie in Holland. [95] Bis zum Kriegsende belief sich die Gesamtzahl der NPEA auf 43, darunter drei für Mädchen. Nicht zu den NPEA zählt die "NS-Deutsche Oberschule Starnberger See", die sich allerdings aus dem Vorbild der NPEA Plön heraus entwickelte. [96]
Das Hauptgewicht der Anstalten lag auf der körperlichen Ausbildung. Neben dem Schulsport gab es Geländesport, Boxen, Rudern, Segeln, Segelflug, Motorsport, Fechten, Reiten und Schießen. Das Niveau der intellektuellen Bildung der Schüler ist schwer einzuschätzen. Nach Eilers' Auffassung lag es nicht über dem Durchschnitt, wahrscheinlich sogar weit darunter. [97]
Der Lehrplan orientierte sich an zwei Anstalten - Schulpforta und Ihlfeld - aus Gründen der dortigen Tradition am Lehrplan des humanistischen Gymnasiums, in den übrigen an der Deutschen Oberschule oder dem Realgymnasium, allerdings unter besonderer Betonung der nationalpolitisch wichtigen Fächer Deutsch, Geschichte und Biologie. Abweichend vom Lehrplan der Oberschule wurden an fast allen NPEA zwei Wochenstunden nationalpolitischer Unter-
[Abb. 5: Ausbildung im "Kutterpullen" auf dem Plöner See]
richt erteilt [98] und ab 1938 der Religionsunterricht abgeschafft. [99]
Geprägt waren die Anstalten durch ständige Beanspruchung der Jungmannen und Erzieher aufgrund der vielseitigen Ausbildung, des Unterrichts, der Feiern, Appelle, Geländemärsche und Nachtübungen. Ergänzt wurde dieses Programm durch Grenz- und Auslandsfahrten, Schüleraustausch mit anderen Ländern, Bergwerkseinsätze sowie Erntehilfen. Die Jungmannen sollten so zu "politischen Soldaten" Hitlers erzogen werden, die später dann Führungsaufgaben in allen Bereichen von Staat und Gesellschaft übernehmen konnten.
Die Gründung der Adolf-Hitler-Schulen (abgekürzt AHS) erfolgte 1937 durch Reichsjugendführer Baldur v. Schirach und den Leiter der Deutschen Arbeitsfront Robert Ley als reine Parteischulen unter Umgehung des Zuständigkeitsbereiches von Reichserziehungsminister Rust. [100] Dieser wehrte sich gegen diese Nichtbeachtung, wurde aber von Ley, der sich des Rückhalts bei Hitler sicher war, lapidar zurückgewiesen: "Deine Aufgabe als Reichserziehungsminister erstreckt sich niemals auf die Parteischulen, deshalb gehen dich die Adolf-Hitler-Schulen genau wie die nationalsozialistischen Ordensburgen gar nichts an. Daher ist auch Dein Vorwurf der Illoyalität völlig unbegründet [...]. Dem Führer hat die Denkschrift über die Adolf-Hitler-Schulen vorgelegen. Erst nach deren Durchsicht hat der Führer die Verfügung erlassen und sie damit
gebilligt." [101] Durch diese Zustimmung zur illegalen Gründung der AHS erwies sich Hitler wieder einmal als oberster Gesetzgeber des Reiches. [102]
Nach Weiß hatte Ley vergeblich versucht, die NPEA als Vorstufe der NS-Ordensburgen [103] unter seine Aufsicht zu bekommen. [104] Die AHS waren also das Ergebnis eines gescheiterten Versuchs, aus den NPEA heraus neben dem staatlichen ein von der Partei zu kontrollierendes Schulsystem zu entwickeln. [105]
Die Lehrpläne der AHS wurden von Ley und Schirach in Zusammenarbeit mit HJ und NSDAP erstellt, die allgemein üblichen Schulbücher durch von der Lehrerschaft selbst erarbeitete Texte ersetzt. [106] Zunächst wurden die AHS von der DAF (Deutsche Arbeitsfront) finanziert; ab 1941 übernahm dann die NSDAP die Finanzierung. [107] Der Besuch der AHS war kostenlos. Trotz dieses finanziellen Anreizes kamen aus den einzelnen Gauen in manchen Fällen weniger Schüler an die AHS als geplant, zumal vielfach die von der HJ vorgeschlagenen Jungen als ungeeignet zurückgewiesen werden mußten. [108] Die Berufung der Schüler - welcher der Jungbannführer zustimmen mußte - und der Lehrer war an das Einverständnis des Gauleiters gebunden. Die Schulaufsicht hatte ein "Kommandeur" aus der Reichsjugendführung. [109] Zur Sicherung des Erziehernachwuchses wurde 1938 in Sonthofen eine Erzieherakademie gegründet. Damit lösten sich die AHS völlig vom staatlichen Schulsystem ab. Am selben Ort befanden sich bis 1941 auch zehn AHS, die dann allmählich in die einzelnen Gaue umzogen. [110]
Die bei der Aufnahme meist 12jährigen Schüler erhielten in den sechsklassigen AHS keine Zeugnisse oder Noten, sondern mußten in einer "Leistungswoche" ihre Klassen- und Schulleistungen in Wettkampfform darlegen. [111] Absolventen der AHS erhielten allerdings ein "Diplom", das zum Hochschulstudium berechtigte. Neu in der Erziehungsform war der Gedanke der Selbstgestaltung des Unterrichts durch die Schüler. Als Ausdruck dieses neuen Lehrer-Schüler-Verhältnisses gruppierten sich die Arbeitstische im offenen Viereck um den Platz des Lehrers. [112]
Körperliche Ausbildung und "Charaktererziehung" dominierten auch an den AHS, deren Schüler zu vielen Diensten in Parteidienststellen, bei der Erntehilfe, in der Kinderlandverschikkung und im Bergwerk eingesetzt wurden. Nach Weiß sei die geistige Ausbildung schlecht gewesen, die Schulen insgesamt seien selbst in Parteikreisen berüchtigt. [113] Die Adolf-Hitler-Schulen sollten durch permanente Auslese ein Funktionärskorps schaffen, dem sich dann automatisch gute Karrieremöglichkeiten in Partei und Staat eröffneten. Die erfolgreichsten Schüler sollten nach Ableistung von Arbeits- und Wehrdienst in die NS-Ordensburgen aufgenommen und danach in die geplante "Hohe Schule der NSDAP" [114] berufen werden. [115]
Veröffentlicht in den Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte (Kiel) Heft 26 (November 1994) S. 3-100
Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte Heft 26