Die Leiter der ersten NPEA führten die Anstalten in der frühesten Phase relativ selbständig, so daß die Erziehungsstile der einzelnen Napolas voneinander abwichen. Das lag zum einen daran, daß anfangs zu einigen Erziehungsfragen noch keine genauen Bestimmungen des Ministerium existierten. Brunk schreibt, daß Minister Rust ihm bei der Übernahme der Anstalt ohne nähere Anweisungen lediglich die Aufgabe gegeben hatte, deutsche Jungen zu Nationalsozialisten zu erziehen. Hierzu verfügte er nach eigenen Angaben über kein Fachwissen. [116] Die NPEA waren insofern ein Experimentierfeld [117] für neue Erziehungsformen (nach Vorgabe des Ministeriums - besonders durch Ministerialrat Haupt - oder der einzelnen Anstaltsleiter), um politische Ziele zu verwirklichen. Zum anderen konnten die Anstaltsleiter nach dem Führerprinzip den Erziehungsstil von oben herab dirigieren, wobei natürlich auch sie an Weisungen und Sachzwänge gebunden waren.
So war auch der Erziehungsstil der NPEA Plön stark vom Anstaltsleiter abhängig. Diese Position übte die meiste Zeit Hermann Brunk aus. Folgende Abschnitte aus seiner "Autobiographie" verdeutlichen wesentliche Aspekte seiner Person wie auch seiner Erziehungsvorstellungen: "Ich selbst war ein schlechter Schüler gewesen. Meine Erinnerungen an die Schulzeit waren unerfreulich. Es gab kaum einen Lehrer an den fünf von mir besuchten Schulen, dessen ich mit Dankbarkeit gedachte. Ich konnte weder den Professor in Rogassen (ehem. Provinz Posen), der aus seiner polnischen Einstellung keinen Hehl machte, achten, noch auch jenen in Kiel, der, fast völlig gelähmt, bei mir körperlichen Ekel erregte. So streifte ich lieber durch Feld und Flur [...] Mit 15 Jahren trat ich in den Wandervogel in Kiel ein. Das war ein anderes Leben als in der verhaßten Schule. Fast jeden Sonntag machten wir Fahrten [...] Im Zeltlager, auf langen Fahrten durch deutsche Lande lernte ich Deutschland lieben [...] Am Lagerfeuer auf einsamer Heide im Bergwald, am Hünengrab, wurden Gestalten aus der Vergangenheit unseres Volkes lebendig. [...] In meinem Elternhaus war ich politisch, antisemitisch erzogen. Meine gesunden Sinne lehnten sich auf gegen Hohlheiten städtischen Bürgertums, Überspitzungen des Gesellschaftslebens, gegen überalterte Lehrerschaft, gegen manches Morsche, das ich im Leben des Volkes und Staates ahnend spürte [...] Siegfried und Hagen, Hermann der Cherusker, der Große Kurfürst, Friedrich der Große, Bismarck und Moltke waren die Männer unseres Volkes, die ich am tiefsten verehrte und bewunderte.
Von der Kieler Gelehrtenschule ging ich mit ungenügendem Zeugnis ab. [...] Ich wurde Berufsoffizier. Als ich während des Krieges nach einer Verwundung in der Garnison war, wurde ich zur Jugendwehr abkommandiert. Die Soldatenspielerei gefiel mir nicht. Die einzig schöne Erinnerung habe ich an ein Geländespiel im Moor, von dem ich die begeisterten Jungen müde und aus-
gehungert erst gegen Mitternacht wieder nach Hause brachte. Beschwerden der Eltern beendeten meine Tätigkeit. Geblieben ist mir aus dieser Zeit und aus der Zeit der Rekrutenausbildung ein tiefer Abscheu gegen jugendliche Soldatenspielerei. Nach dem Kriege sammelte ich in Hamburg deutsche Jugend und zog oft hinaus ins Land, mehrere Jahre war ich im Wehrwolf. 1929 wurde ich als Polizeioffizier vom Dienst enthoben, wegen politischer Betätigung bestraft und 1932 strafweise in den Ruhestand versetzt. Ich trat - zunächst unter falschem Namen - in die SA ein, war 1932 als Polizeiführer Stabsführer der SA-Gruppe Nordmark. Im März 1933 wurde ich wieder in die Polizei Hamburg berufen." [118]
Hermann Brunk stand als Anstaltsleiter an der Spitze der nach dem Führerprinzip hierarchisch gegliederten NPEA. Er gab die Anstaltsbefehle heraus und entschied z.B. über die Neuaufnahme von Jungmannen. Seine Aufgabe sah er vor allem in der Alumnatsleitung; die schulischen Belange überließ er dem Unterrichtsleiter. Dieses Amt übten die Oberstudienräte Guirr und Ruge aus, die Brunk auch zeitweise als Anstaltsleiter vertraten. Als Person muß Brunk auf seine Jungmannen eine starke Ausstrahlung gehabt haben. Ein ehemaliger Schüler beschreibt den mit Staf. (Standartenführer) angesprochenen Anstaltsleiter als "sehr, sehr eindrucksvollen Mann, dem es gelang, ein ganz starkes Vertrauensverhältnis zu den Schülern zu entwickeln." Heinrich Rieper nennt ihn "anima naturaliter paedagogica", ein pädagogisches Naturtalent. Das Verhältnis Brunks zu seinen Jungen schätzt er folgendermaßen ein: "Vielmehr lag es dem Anstaltsleiter am Herzen, seine Jungmannen für die Schönheit der Natur zu begeistern, sie stimmungsmäßig zu beeinflussen, sie für seelische Werte empfänglich zu machen, sie zu einer Gemeinschaft desselben Willens, derselben Empfindung, desselben Einsatzes für alles Gute und Hohe zusammenzuschweißen. [...] Obwohl er gewaltige körperliche Anstrengungen und persönliche Opfer ihres Wohlbefindens und Behagens von ihnen verlangte, folgten sie ihm doch willig und gern [...]." [119]
Ferner schreibt Rieper, daß Brunk die Schüler nicht durch äußere Machtmittel zu lenken suchte, sondern daß sie ihm in Anerkennung seiner "seelischen Überlegenheit" und der "selbstlosen Hingabe im Dienste seiner Ideale und seiner Jungen" folgen würden. Bei einem vierwöchigen Austausch der Hundertschaften zwischen Plön und Köslin zeigten sich die unterschiedlichen Erziehungsstile der beiden NPEA, die auch auf die verschiedenen Anstaltsleiter zurückgingen: Nach Riepers Auffassung hätten die Kösliner nichts mit der Plöner Freiheit anfangen können, und die Plöner hätten über den Kösliner Gamaschendienst gespottet. [120] Ein ehemaliger Erzieher, der an beiden Anstalten tätig war, führt die Unterschiede im wesentlichen auf die voneinander differierende vormilitärische Ausbildung zurück. Auf diesem Gebiet fühlten sich die Kösliner "männlicher" als die im jungenhaften Kriegsspiel ausgebildeten Plöner. Diese belächelten wiederum die Soldatenspielerei der Kösliner. [121]
Riepers Auffassung zufolge hätten sich die Nachfolger Brunks im Amt des Anstaltsleiters [122] nicht durchsetzen können, da die Plöner Jungen eine "weniger militärische, weniger auf autoritären
[Abb. 6: Anstaltsleiter Hermann Brunk]
Anordnungen als auf gegenseitigem Vertrauen beruhende Führung" gewohnt waren.
Die Anmerkungen Riepers zur Person Brunks sollen aus der damaligen Sichtweise verständlich machen, wie der Anstaltsleiter auf seine Jungmannen wirkte und wie diese sich im Vergleich zu anderen NPEA fühlten. Dennoch müssen Riepers Einschätzungen der NPEA Plön aus heutiger Sicht distanziert und kritisch betrachtet werden. Wenn er von der "Plöner Freiheit" spricht, so ist dies allenfalls eine - im Vergleich zu anderen Anstalten - relative Freiheit. Wie der Erziehungsalltag konkret aussah und wie Jungmannen mit zeitlicher Distanz zur Anstalt ihre Erziehung später einschätzen, wird im folgenden noch deutlich.
Am Anfang einer Betrachtung der Erzieher stellt sich die Frage nach ihrer Herkunft bzw. der eventuellen Zugehörigkeit zur NSDAP und deren Gliederungen, besonders der SS. Denn die NPEA waren zunächst staatliche Internatsschulen, die immer mehr unter den Einfluß der SS gerieten. Für die NPEA Plön kann diese Frage allerdings nicht hinreichend beantwortet werden; lediglich ein ehemaliger Erzieher der NPEA Schulpforta, der 1934/35 seine Referendarszeit an der Plöner Napola verbracht hat, äußerte sich zu seinem eigenen Werdegang: "Wir kamen als 12 Referendare hier aus Kiel für ein halbes Jahr Internatsausbildung [an die NPEA Plön]. Das war allgemein üblich. [...] Und nach welchen Gesichtspunkten wir ausgewählt wurden, weiß ich nicht. Da waren einige Parteigenossen, andere nicht. Ich war es nicht [...]. Und von meinen Kameraden, mit denen ich zusammen war, Kollegen, sind die meisten nachher an Napolas gegangen. Warum? Weil sie begeistert waren." [123]
Demzufolge bestand ein Weg zur Rekrutierung von NPEA-Erziehern darin, Referendare aus der normalen staatlichen Lehrerausbildung an die NPEA zu versetzen - Parteizugehörigkeit war dabei offensichtlich noch keine Bedingung. Von diesen Referendaren sind dann einige NPEA-Erzieher geworden. Für Plön ist zumindest ein Fall bekannt, in dem der Anstaltsleiter sich seinen künftigen Mitarbeiter selbst aussuchte: Brunk hatte, sofort nachdem ihm die Anstaltsleitung übertragen wurde, den Hamburger Unterwachtmeister Willy Hegmann als Erzieher und Wehrsportlehrer ausgewählt. [124] Ob soetwas häufiger vorkam, ist ungeklärt. Die Auskünfte ehemaliger Erzieher sind hierzu besonders wertvoll; leider erklärte sich ein weiterer von ihnen nicht zu einem Gespräch bereit. [125]
An der NPEA Plön wurden die Erzieher dann "nationalpolitisch" weitergebildet. [126] Der Schulbericht 1933/34 nennt Schulungsvorträge zu folgenden Themen: "Die Ziele der nationalsozialistischen Partei" (Standartenführer Brunk), "Die Geschichte des Nationalsozialismus" (Standartenführer Brunk), "Das Programm des Nationalsozialismus" (Studienassessor Lübbert), "Der Begriff positives Christentum in Punkt 24 des Parteiprogramms" (Oberstudienrat Rieper), "Germanische Religiosität" (Studienassessor Dr. Prinz), "Bedeutung der Rasse im Nationalsozialismus" (Studienrat Rad-
datz), "Faschismus und Nationalsozialismus" (Studienassessor Wiebach). [127] Während des Krieges wurde in Plön zur Weiterbildung der Erzieher die "Führerschule für Erzieher der NPEA und Deutschen Heimschulen" geschaffen, wo regelmäßig mehrwöchige Schulungslehrgänge stattfanden. [128]
Ein besonderer Einfluß der SS auf die Erzieher der NPEA Plön konnte nicht festgestellt werden. Die SS hatte allerdings versucht, die Erzieher stärker an ihre Vorstellungen zu binden, indem Himmler 1942 Bedingungen für die Beförderung von Erziehern nannte. Darin hieß es u.a., der Erzieher müsse Reserveführer der Waffen-SS oder Reserveoffizier sein. [129] An der Plöner Napola richtete sich die Erzieherbeurteilung aber nach eigenen Kriterien; weder Partei- noch SS-Zugehörigkeit oder Kirchenaustritt gaben bei den internen Empfehlungen für die Beförderung den Ausschlag. [130]
Innerhalb der Erzieherschaft gab es ein hierarchisches Rangordnungsverhältnis. Die in Züge umbenannten Klassen erhielten einen Erzieher als Zugführer zugeordnet. Drei oder vier Züge wiederum bildeten eine Hundertschaft, der ein Hundertschaftsführer vorangestellt war. Entsprechende Abzeichen verdeutlichten diese Unter- bzw. Überordnung äußerlich. Außerhalb dieser dauerhaften Ordnung stand der Erzieher vom Dienst. Er mußte für eine gewisse Zeit ständig Dienst tun und dabei im Erzieherzimmer im Schloß Tag und Nacht ansprechbar sein. Nach Auskunft eines ehemaligen Plöner Jungmanns wohnten die Erzieher im Schloß und im Prinzenhaus, die Fachlehrer hingegen in der Stadt. [131] Die Fachlehrer trugen aber ebenfalls die Anstaltsuniform und sprangen zeitweise auch in den Erzieherdienst ein. [132]
Die Zugführer wohnten im Schloß neben den Stuben des Zuges. Jeweils drei Stuben waren mit ungefähr zehn Jungmannen belegt. 1933 betreuten acht Erzieher die Jungmannen, so daß für einen Zugführer bei einer ungefähren Zugstärke von 30 Jungmannen auf jeden Erzieher eine umfassende Aufgabe zukam. Deshalb war auch die Belastung eines NPEA-Erziehers sehr groß, nicht nur die eines Jungmanns. Der Alltag und die Aufgabenbereiche eines Erziehers werden aus der vielfältigen Ausbildung der Jungmannen deutlich, die in den folgenden Kapiteln dargestellt wird.
Besonders interessant ist allerdings das Verhältnis der Erzieher zu den Jungmannen, zumal die Erzieher nur wenige Jahre älter waren als die Schüler der oberen Klassen. Ein früherer Jungmann schätzt das Durchschnittsalter der Erzieher auf 24 bis 25 Jahre, ein ehemaliger Plöner Erzieher auf 33 bis 34 Jahre. [133] Wenn damalige Jungmannen immer wieder von der Lebensgemeinschaft auf dem Schloß und einem starken Gemeinschaftsgefühl sprechen, so liegt das zum einen an diesem geringen Altersunterschied. Die Gemeinschaftserziehung wurde aber auch dadurch betont, daß den Erziehern keine Sonderstellung eingeräumt wurde. Auf Manövern und Fahrten schliefen sie mit den Jungmannen im gleichen Quartier, häufig in Scheunen im Stroh, und aßen zusammen aus ihrem Kochgeschirr. [134]
Eine undatierte Schrift der NPEA Plön aus dem Bundesarchiv Koblenz gibt Auskunft darüber, welches Verhältnis zwischen Erzieher und Jungmann angestrebt wurde. Gemäß dem Erziehungsgrundsatz der HJ und dem Gedankengang Bäumlers [135] solle der Erzieher das Vorbild der Jungmannen sein
und durch sein Vorleben erziehen. Dabei dürfe er allerdings keine Schwächen zeigen: "Das Geheimnis der Erziehung liegt also weniger im Unterrichten als im Vorleben. In allem, wo der Erzieher Vorbild ist, soll er als erster Kamerad mitten unter seinen Jungen stehen - wo er' s nicht sein kann, soll er Abstand wahren." [136]
Es galt also, einseitig den "reinen Kämpfer" für den Nationalsozialismus darzustellen, um im politischen Bereich ein Idol vor den Jungmannen aufzubauen. Diese Bewunderung für den Erzieher ist wiederum nur Mittel zum Zweck, nämlich um über eine Person die Ideologie zu vermitteln. Ein vertrautes Verhältnis um seiner selbst Willen wird abgelehnt: "Erzieher und Jgm. dürfen sich nicht lieben um der Person willen. Das war der individualistische Persönlichkeitskult eines großen Teils der sog. 'bündischen' Jugend [...] Der Jungmann soll den Erzieher verehren wegen der sachlichen Ideen, die dieser in sich verkörpert und ihm dadurch vermittelt, und der Zugführer soll nur auf die innere Haltung und Leistung seiner Jungmannen stolz sein dürfen. Diese überpersönlichen Erlebnisse, die durch die Person des Zugführers nur vermittelt werden (weil alles Geistige nur im Körperlichen realisierbar ist), müssen dem Jgm. für sein ganzes Leben verpflichtend sein, auch wenn der Erzieher schon längst nicht mehr da ist." [137]
Wie wenig der Mensch im Mittelpunkt der Erziehung stand, sondern die Ideologie des Nationalsozialismus, zeigt die Absicht, Erzieher und Jungmannen nach einer bestimmten Zeit zu trennen. Damit sollte der Vorrang der Ideologie vor dem Persönlichen ausgedrückt werden: "Es ist notwendig, nach einer längeren Zeit Jungmannen und auch Erzieher auf die Probe zu stellen, ob ihnen, wenn es ernst wird, wirklich die Idee über der Person steht - der Zugführer wird von seinen Jgm., ev. auch von der Anstalt entfernt." [138]
Die Erzieher wurden tatsächlich häufig zwischen den NPEA ausgetauscht. Die Plöner Erzieher Lübbert und Dr. Prinz übernahmen z.B. die Leitung der Anstalt Stuhm. Wesentlich häufiger waren solche Wechsel dann während des Krieges. Alle wehrfähigen Erzieher wurden nämlich zur Armee einberufen. Eine Liste aller NPEA nach dem Stand vom 1. Juli 1942 nennt für Plön bei 260 Jungmannen 29 Erzieher, wovon 18 bei der Wehrmacht seien. [139] Ein so großer Ausfall von Lehrern und Erziehern beeinträchtigte natürlich den Unterricht und den Anstaltsdienst. Um die Anstalt auch während des Krieges weiterführen zu können, wurde ein ständiger Austausch der Erzieher zwischen Front und Heimat eingerichtet. Alle sechs Monate sollten die Erzieher ausgetauscht werden. [140] Von anderen höheren Schulen entsandte Lehrer übernahmen Teile des verkürzten Unterrichts, und ein holländischer Wehrsportlehrer wurde eingestellt. 1942 konnten die verbliebenen Erzieher gerade noch den Unterricht bestreiten, so daß acht ältere Jungmannen als Erzieherstellvertreter eingesetzt werden mußten und den gesamten übrigen Anstaltsdienst leiteten. [141]
Was bewegt einen zehnjährigen Jungen dazu, eine NPEA zu besuchen, bzw. seine Eltern, ihn auf die Anstalt zu schicken? Wie sah die soziale Herkunft der Schüler aus? Nach welchen Verfahren wurden die Schüler ausgesucht? Diese Fragen sollen am Beispiel des ehemaligen Plöner Jungmannen Harald Richter näher erläutert werden. Er war Sohn eines Pastors und besuchte ab 1937 die NPEA Plön: "In der 4. Volksschulklasse in Wilster [... erscheint] eines Tages während des Unterrichts ein erwachsener Mann in einer Uniform, die ich bis dahin nicht gesehen hatte. Er verfolgt eine Unterrichtsstunde, ich werde nach der Stunde von meinem Klassenlehrer angesprochen. Und soweit ich das als Neunjähriger verstehe, ging es darum, ob ich auf die Schule in Plön wollte, wovon ich keine Ahnung hatte. So daß dann ein Gespräch mit meinem Vater stattgefunden hat, an dem ich nicht teilgenommen habe." Einige Jungmannen wurden also gezielt für die NPEA ausgesucht und geworben, indem Erzieher der Plöner Anstalt den Unterricht der regionalen Volksschulklassen beobachteten. Es ist offensichtlich, daß ein neun- oder zehnjähriger Junge nicht wissen konnte, was ihn auf einer NPEA erwartete.
Die Volksschulen des Umlandes wurden offenbar systematisch von Plöner Erziehern besucht. Ein Protokoll der vierten Klassen von mindestens fünf Kieler Volksschulen [142] enthält Namen und häufig Adressen von Schülern, die für die NPEA geeignet erschienen. Manchmal wurden dabei einige Schüler vom Lehrer oder Rektor besonders vorgeschlagen. [143] Besonders in der Anfangszeit meldeten "alte Kämpfer" ihre Söhne für die NPEA an. [144] Nach den vorläufigen Aufnahmebedingungen von 1933/34 wurden die Söhne "alter und bewährter Kämpfer" der nationalsozialistischen Bewegung neben den Söhnen von Gefallenen oder schwerbeschädigten Kriegsteilnehmern auch bevorzugt aufgenommen, sofern sie allen Anforderungen entsprachen.
Über die Gründe für seine Aufnahme berichtet Harald Richter: "Tatsache ist, daß ich Fahrschüler geworden wäre, 10 Kilometer mit der Bahn von Wilster nach Itzehoe. Daß Schulwechsel ja ohnehin anstand für mich. Dann, daß das Schulgeld relativ niedrig war, [...] 40 Mark im Monat. 1937 hatte Plön aus der Sicht meines Vaters auch schon einen Namen, so daß es eine Auszeichnung bedeutete, [von der Anstalt ausgesucht zu werden]."
Es wäre also falsch, anzunehmen, daß alle Jungmannen aus rein ideologischen Gründen angemeldet wurden. Was heutzutage ein Internat attraktiv macht, mag in einigen Fällen auch damals mitentscheidend gewesen sein. Ein anderer ehemaliger Jungmann erzählt, daß er von seinem Vetter - einem NPEA-Jungmannen - so Begeisterndes über die Napolas gehört hatte, daß er ohne das Zutun seiner Eltern selbst diese Anstalt besuchen wollte. [145]
Über die soziale Herkunft der Plöner Jungmannen sind bisher keine statistischen Erhebungen bekannt. Lediglich eine Angabe über die Belegschaft der NPEA Plön aus dem Jahre 1936 zeigt, daß von 315 Jungmannen 18 aus dem Adel stammten. Als ehemalige Kadettenanstalt wurde Plön von adligen Familien besonders bevorzugt. Weiterhin
[Abb. 7: Jungmannen eines neuaufgenommenen Zuges und Zugführer]
fällt auf, daß sechs Jungmannen aus dem Ausland (Argentinien, Griechenland, Bolivien, Dodoma/Tanzania, Türkei) kommen, was auf eine Herkunft aus Diplomaten- oder Handelsfamilien schließen läßt. Die Jungmannen stammen aus allen Teilen des Reichsgebietes, wobei noch 1936 15 Stadtschüler und ungefähr ebensoviele Jungmannen aus der Umgebung die Anstalt besuchen. [146]
Zur sozialen Herkunft der NPEA-Schüler im allgemeinen präsentierte der Hessische Rundfunk in einer Reportage über die Napolas allerdings die nachstehende Statistik aus dem Jahre 1940. [147] Die Annahme, die NPEA hätten insbesondere Jungen aus unteren Schichten eine gute Schulbildung und somit Aufstiegschancen ermöglicht, erweist sich hiernach auf den ersten Blick als falsch. Im Gegenteil, Angestellten- und Arbeiterkinder waren an den NPEA - gemessen an ihrem Anteil in der Bevölkerung - unterrepräsentiert, Söhne von Beamten und Selbständigen hingegen überdurchschnittlich stark vertreten. Die angegebenen 13% Arbeiterkinder lagen allerdings erheblich über dem Anteil dieser Gruppe an öffentlichen höheren Schulen.
Von ehemaligen Erziehern wird häufig auf den sozialen Charakter der NPEA wegen der nach dem Einkommen der Eltern gestaffelten Erziehungsbeiträge hingewiesen. Im Jahre 1934 strebte die Landesverwaltung der NPEA an, 12.5% aller Heimschülerplätze als Freistellen ohne Erziehungsbeiträge zu vergeben. Im weiteren lagen die aufzubringenden Kosten zwischen zehn und 150 RM monatlich. Auch wenn man beachtet, daß auf die Eltern zu einem durchschnittlichen Erziehungs-
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beitrag von 60 RM noch weitere 25 RM an zusätzlichen Ausgaben [148] hinzukamen, hatten die NPEA in gewissem Maße einen sozialen Charakter. Zu beachten ist nur, daß dies keine Neuerung gegenüber den Staatlichen Bildungsanstalten war.
Zumindest in den ersten Jahren gab es einen großen Andrang um die Plätze an der NPEA Plön. 1934 meldeten sich 2.000 Schüler an, wovon nur 120 zum Aufnahmetest zugelassen wurden; davon bestanden lediglich 70 Schüler die zweitägige Prüfung. [149] Daß später Erzieher an den Volksschulen geeignete Schüler sichteten, spricht eher für eine gezielte Auslese als für einen drastischen Rückgang der Schülerzahlen. 1941 absolvierten dann 140 Schüler die Aufnahmeprüfung, die zu einem großen Teil von den Schulen besonders empfohlen worden waren. Nachdem zu Beginn der einjährigen Probezeit einige aufgenommene Schüler die Anstalt bereits wieder verließen, bestand in jenem Jahr der erste Zug aus 39 Schülern. [150] Wenn die Klassen auch mit einer so hohen Schülerzahl anfingen, erreichte nur ungefähr ein Drittel das Abitur oder den Reifevermerk an der Anstalt, denn "die anderen sind vorher gegangen oder gegangen worden." [151] In einem Zug sank nach einem Vierteljahr - also vor Ende des Probejahres - die Schülerzahl bereits von 48 auf 32. [152] Der Zug eines anderen Schülers begann in der Sexta mit 42 Schülern, bei der Reifeprüfung bestand er allerdings nur noch aus ungefähr 13 Schülern. [153] Nur in Ausnahmen gab es das Sitzenbleiben. Wer in Gefahr stand, zweimal sitzenzubleiben, mußte die Anstalt sofort verlassen.
Neben mangelnder schulischer Leistung waren unzureichende körperliche Leistungen ein weiterer Grund, von der NPEA verwiesen zu werden. Brunk verkündete einmal beim Mittagessen, wer im Reichsjugendwettkampf - eine den Bundesjugendspielen bzw. Spartakiaden ähnliche leichtathletische Prüfung - keine 180 Punkte erreiche, sei kein rechter Jungmann und müsse somit auf die "Absterbeliste" kommen. [154] Dadurch wurden die Schüler natürlich unter starken Druck gesetzt: "Wer diese 180 Punkte nicht erreichte, hatte keine Chance, zu bleiben. Das war auch in einigen Fällen in unserer Klasse so und hat mich auch sehr stark belastet, weil ich körperlich klein und unterentwickelt war." [155] Die NPEA wollte nur Schüler ausbilden, die geistig und körperlich überdurchschnittlich veranlagt waren; die Schwächen eines Schülers durch besondere Förderung auszugleichen oder zu tolerieren, lehnte die Anstalt ab.
Schon in der Aufnahmeprüfung der NPEA zeichnete sich der Charakter des
[Abb. 8: "Rassisch" ausgewählte Napola-Jungmannen]
Anstaltslebens für die Jungmannen ab. Die Prüfung bestand aus einem rassischen, wehrsportlichen, musischen [156] und wissenschaftlichen Teil. Die rassische Prüfung wurde ab 1936 durch einen Rassereferenten des SS-Oberabschnitts Nord vorgenommen. [157] Darüber berichtet Harald Richter: "Unter anderem gab es eine Prüfung im Lazarett, wo SS in schwarzer Uniform [...] unsere Köpfe und Statur vermessen haben, festgestellt [haben], ob dinarisch, ostisch oder westisch. [...] In der Bewerbung hatte ich schon ein Ganzfoto miteinreichen müssen." [158] Wer die rassische Auslese nicht bestand, hatte keine Chance zur Aufnahme. Der Anstaltsleiter lehnte darüber hinaus einmal einen Jungen ab, der die wissenschaftliche Prüfung mit Auszeichnung und die sportliche mit gut bestanden hatte, nur weil er einen Wasserkopf und stark ausgeprägte O-Beine hatte. [159]
Die wehrsportliche Prüfung bestand aus Schwimmen, einem Sprung ins Wasser, Seh-, Hör- und Tarnübungen im Schloßpark, Erklettern eines Baumes und dem Abfassen einer einfachen Meldung mit Skizze (ab Untertertia). [160]
Harald Richter erinnert sich: Teil der Prüfung "war ein Hindernislauf durch den Park [...] da war die Hindernisbahn. [...] Jedenfalls endete der Lauf - mit unterm Draht durchklettern und über Palisadenwände [klettern] - bei dieser Sandkuhle. So daß man dort aus vollem Lauf ankam und nicht wußte, daß dort diese Sandkuhle war und unten stand nun der bewertende Erzieher, der das Verhalten beobachtete. Was für mich rückblickend bedeutete, daß Charakterschulung, wie wir damals sagten, also Willensschulung, ganz entscheidend angesprochen wurde. Hart gegen
sich selbst." Diese Mutprobe diente dazu, die Schüler auszusondern, die hier zögerten und somit zunächst die Gefahren dieses Sprungs abwägten. Gesucht war derjenige Schüler, der mutig und intuitiv die durchaus vorhandene Gefahr in Kauf nahm. Ein anderer ehemaliger Schüler sprang ebenfalls nach schnellem Anlauf blind vom Abgrund in die Kiesgrube und brach sich dabei zwei Knochen seiner Hand. Vom Boxen, das ebenfalls Teil der Prüfung war, wurde er dann befreit. Weiterhin mußten auch die Nichtschwimmer als Mutprobe vom Fünf-Meter-Turm ins Wasser springen, von wo sie dann durch Rettungsschwimmer an Land geholt wurden. Wer diesen Sprung scheute, wurde nicht zugelassen. [161]
Auch der Erziehungsalltag war strikt durchorganisiert: Die Jungmannen waren ungefähr zu zehnt in einer Stube untergebracht. Ihnen war ein "Gruppenführer" vorangestellt, der für die Stube verantwortlich war. Drei oder vier "Gruppen" bildeten eine in "Zug" umbenannte Klasse; ihr stand wiederum ein "Zugführer" vor. Die größte Einheit innerhalb dieser Hierarchie bildeten die "Hundertschaften" aus drei oder vier Zügen, an dessen Spitze der "Hundertschaftsführer" stand. In den unteren Zügen waren ältere Jungmannen als Jungmann-Gruppen- oder Zugführer eingesetzt. Nach Angaben eines ehemaligen Jungmanns sollten sie die Gruppe oder den Zug führen, kontrollieren und in ihrer Stellung zwischen Jungmannen und Erziehern die Erzieher entlasten. Weiterhin sollten sie die "Jungmann[-Gruppenführer] vom Dienst" und "[Jungmann Zug-]Führer vom Dienst" überwachen. Darüber hinaus war es ihre Aufgabe, während der Arbeitsstunde für Ruhe zu sorgen. Bei größeren Veranstaltungen wie Geländespielen, Ausmärschen und Zeltlagern wurden sie ebenfalls eingesetzt. [162]
Neben diesen dauerhaften Stellungen gab es noch täglich wechselnde Ämter: den "Jungmann vom Dienst" und den "Führer vom Dienst". Der Jungmann vom Dienst wurde täglich in der Reihenfolge des Alphabets wechselnd neu benannt. Zweimal pro Tag wurde die Leistung des Jungmanns vom Dienst in einer Besprechung von dem gesamten Zug und dem Erzieher bewertet. Dabei wurden Zensuren von "gut", "gut ausreichend", "ausreichend" bis "nicht ausreichend" vergeben. Wer sich als Jungmann vom Dienst mit mindestens "ausreichend" bewährt hatte, konnte zum "Führer vom Dienst" aufsteigen. Diese Ämter sollten auf der Ebene der Gruppe oder des Zuges für den planmäßigen Ablauf der täglich wiederkehrenden Termine wie Frühstück, Abmarsch zum Unterricht, Mittagessen usw. sorgen.
Ein ehemaliger Jungmann nennt die damit verbundene erzieherische Zielsetzung "das Erlernen von Führungsaufgaben im 'Nahbereich' betrefflich Sauberkeit (Schuhappell, Fingernagelappell), Pünktlichkeit und Ordnung." [163] Ein weiterer Aspekt dieser Erziehungsmethode wird deutlich, wenn ein anderer Napolaner sich an den Spruch Wer befehlen will, muß gehorchen gelernt haben erinnert: Die Jungmannen sollten lernen, anderen zu befehlen und gleichzeitig sich selbst unterzuordnen. Dieser Jungmann fügte dann hinzu: "Wobei der Schwerpunkt eigentlich darauf lag, ihr sollt ja mal befehlen." [164] Das Bewußtsein, einer Ausleseschicht von zukünftigen Führern zugedacht worden zu sein, ließ den Jungmannen das Gehorchen
zur Selbstverständlichkeit werden; in den Vordergrund trat das Befehlen.
Die hierarchische Rangordnung unter den Jungmannen verdeutlicht somit, wie auf der NPEA durch ständige Selektion eine "qualifizierte Führungsschicht" gebildet werden sollte, die sich innerhalb der vom Nationalsozialismus gesetzten Grenzen in der "Menschenführung" bewährt hatte. Wie diese Grenzen auf der NPEA Plön für die Jungmann-Gruppen-, Zug- und Hundertschaftsführer gesetzt wurden, beschreibt ein ehemaliger Schüler: "Sie leisteten 'Zubringedienste', sorgten für den planmäßigen äußeren Ablauf des täglichen Geschehens. [Ein] möglichst reibungsloser Tagesablauf, ein störungsfreies Zusammenleben [sollte ermöglicht werden]. Die eigentlichen Aufgaben der Erzieher wurden von [... ihnen] wenig berührt." Es ist unbestritten, daß die Einteilung dieser Führungsaufgaben bei den Jungmannen Verantwortungsbewußtsein herausbildete. Dies zeigt sich schon darin, daß sie im Krieg bei Erziehermangel den gesamten Anstaltsdienst selbst leiten konnten. Innerhalb des Nationalsozialismus bekommt Verantwortungsbewußtsein allerdings eine andere Qualität: Verantwortung wird allzuleicht in Pflichterfüllung umgedeutet. Ein Jungmann war dafür "verantwortlich", daß alle Schränke tadellos aufgeräumt waren. Ob das sinnvoll war, stand nicht zur Debatte. Wer verantwortungsbewußt handelt, wägt Ziel und Art und Weise seines Handelns frei vor sich ab. Innerhalb der Ideologie war dies nicht möglich.
Ein weiterer Aspekt dieser Hierarchie muß kritisch gesehen werden. Die einzelnen Jungmannen wurden insbesondere von den Jungmann-Gruppen- und Zugführern unter einen permanenten Leistungsdruck gesetzt. Hieraus resultierten häufig Erniedrigungen und Quälereien gegenüber den Schwächsten der Gruppe: "Die Jungmann-Zugführer hatten auch für den sogenannten 'Heiligen Geist' zu sorgen gehabt, bei dem Erzieher überhaupt nicht in Erscheinung traten. [Ein Jungmann] wurde nachts aus dem Bett geholt, hinten mit Schuhcreme eingeschwärzt und blankgepuzt. Das war eine Methode der Zurechtweisung obstinater Mitschüler, um sie 'auf Trab' zu bringen". [165] Die Strafen unter den Schülern gingen allerdings über dieses Maß hinaus: "Es gab Strafen, die wir [...] untereinander uns zugedacht haben. Wenn wir also glaubten, daß einer von uns die ganze Gruppe [...] in Verruf gebracht hatte. Das war die sogenannte Koppelstrophe [...] Da zog die ganze Truppe an dem einen vorbei, der mußte sich bücken, und wir hatten ja die Koppel von der Uniform [...] das war 'nen breiter Lederriemen, jeder zog dem armen Kerl eins über. Und je nachdem, wie stark das Vergehen unserer Meinung nach war, war die Strophe eben 'nen bißchen länger oder weniger lang. Ach so, ja, es wurde dazu gesungen. Eins von den üblichen Liedern, und dann wurde also das Lied bestimmt, und das setzte gleichzeitig [...] die Länge der Strafe." [166]
Wie stark das Anstaltsleben die Jungmannen unter ständigen Leistungsdruck setzte, wird schon aus den ersten Minuten eines durchschnittlichen Tagesablaufs [167] deutlich: "Der Jungmann-Hundertschaftsführer vom Dienst weckt dann: 'Aufstehen', laut in den Saal hereingerufen. Jetzt aber sofort aus dem Bett springen, weil du wenig Zeit hast. Du kannst dir also nicht gönnen, noch
[Abb. 9: Marsch zum Unterricht, zugweise häufig mit Gesang]
eine halbe Minute zu liegen. Nicht, weil jemand hinter dir steht, sondern jetzt [mußt du] so schnell wie möglich [aufstehen]. [...] Schlafanzug aus, Trainingsanzug an. Und wenn du jetzt noch ein Bettnässer bist, kommen diese Peinlichkeiten dazu. Und das hat es doch noch gegeben. Ich habe auch darunter leiden müssen in diesen ersten Jahren." [168] Natorp erwähnt ebenfalls das Bettnässen als Folge der körperlichen Strapazen und des Schlafmangels.
Nach dem Aufstehen betrieben die Jungmannen gemeinsam Frühsport, frühstückten und marschierten dann zugweise mit Gesang zum Unterrichtsgebäude in die Prinzenstraße. [169] Das Fertigmachen für das Mittagessen ging - wie es der Umgangsform des ganzen Tagesablaufs entsprach - militärisch mit schrillen Pfiffen und An- und Abtreten vor sich: "Wir kommen gerade vom Unterrichtsgebäude zurück, da ertönt ein schriller Pfiff durch unsere Stuben, und der Jungmann vom Dienst ruft: 'Fertigmachen zum Mittagessen!' Wir packen schnell die Schulmappe und das Käppi in den Spind, [...] waschen und kämmen uns. Da ertönt auch schon der nächste Pfiff, und der JvD ruft: 'Auf den Stuben antreten!' Da läßt der Stubenälteste schnell die Stuben antreten, und beim nächsten Pfiff rücken die einzelnen Stuben raus auf den Flur [...] Der JvD meldet dem Führer vom Dienst, und schon läßt der FvD zum Appellflur der III. Hundertschaft rücken, da treten nämlich die 2., 3., und 4. Klasse [...] an. Einer von der 3. Klasse nimmt die Meldungen von den einzelnen Klassen entgegen und meldet einem der 4. Klasse. Der führt die Hundertschaften auf den Rittersaal." [170]
Zum Mittagessen wurde täglich am
Flügel gespielt, zum Teil auch in Begleitung anderer Instrumente. Vor dem Essen ertönte dann ein Fanfarenstoß, und der Tagesspruch wurde aufgesagt. Diesen konnten sich die Jungmannen vom Dienst nach Angaben eines ehemaligen Schülers selbst aussuchen. Die Tagessprüche hatten ausnahmslos solche Inhalte: Gelobt sei was hart macht; Männer sind vergänglich, das Volk ist ewig; Seine Pflicht erkennen und tun ist die Hauptsache; Der ewige Friede ist ein Traum und nicht einmal ein schöner oder Das Deutsche Reich kommt nie wieder in die Höhe, wenn in ihm nicht das gute deutsche Blut wieder in die Höhe kommt. [171] Auf diese Weise wurden den Schülern unreflektiert und einfach ausgedrückt die wesentlichen ideologischen Kernaussagen vermittelt.
Nach dem Essen fanden die Zugbesprechungen statt. Im Krieg gab es aus Nahrungsmittelmangel anschließend eine Mittagspause. Für eine halbe Stunde mußte dann totale Ruhe herrschen. In der Arbeitsstunde, die mindestens eineinhalb Stunden dauerte, hatten die Jungmannen dann Gelegenheit, ihre Hausaufgaben zu erledigen. Darüber, ob die Zeit ausreichte, gab es schon damals Diskussionen. Anschließend war Zeit für die vielfältige Ausbildung der Jungmannen im Reiten, Fechten, Segeln, Boxen, Geländesport, Wehrsport, Kleinkaliber-Schießen usw. Nach dem Abendessen wurden einmal in der Woche die politischen Abende und an einigen Tagen die politischen Arbeitsgemeinschaften abgehalten. Außerhalb dieses normalen Tagesablaufs gab es Nachtübungen, Geländemärsche, Gasalarm, Feiern und Ansprachen.
Die Ordnung in den Stuben der Jungmannen verrät, daß ihnen "preußische" Tugenden wie Sauberkeit und Ordnung anerzogen wurden: "Dreizehn Spinde stehen in der Stube. [...] Machen wir die Tür einmal auf, so sehen wir tadellose Ordnung. Wäsche liegt genau aufeinander. Die Stücke schneiden genau mit der Bordkante ab." Die Stuben trugen die Namen schleswig-holsteinischer SA-Führer, der "Helden des ersten Weltkrieges" wie Weddingen, Boelke oder Richthofen und der "ersten Gefallenen des Gaues, der Blutnacht von Wöhrden". [172] In den Stuben hingen Bilder von Hitler, Hindenburg und Anstaltsleiter Brunk. Auch auf die Tischmanieren wurde bei den Jüngeren penibel geachtet: "beim Essen kommen einige Kleckse vor, hierfür müssen wir natürlich büßen. Es geht nach dem Taschengeld des Monats, wenn einer viel Geld hat, bezahlt er etwas mehr." [173]
Analog dazu wurden die Jungmannen zur absoluten Einhaltung bestimmter Prinzipien erzogen. Das ritterliche Ideal - über Mädchen erzählte ein Jungmann keine Zoten - mag dabei Vorbild gewesen sein, aber ebenso christliche Grundsätze wie Du sollst nicht stehlen oder Du sollst nicht lügen. Heinrich Rieper beschreibt diese Haltung wie folgt: "Die Jungmannen hielten unter sich streng auf Sauberkeit in Wort und Tat, wer dagegen verstieß, wurde von ihnen vermahnt, wenn das nicht half, baten sie den Erzieher, für seine Entfernung zu sorgen, da sie mit solch einem 'Schwein' nicht zusammen sein wollen." [174] So wurde bei Klassenarbeiten angeblich prinzipiell nicht gemogelt. Andererseits entwickelte sich ein "übertriebener, gezüchteter Ehrenkodex". [175] Als die persönliche Ehre eines Schülers - durch den gesteigerten Ehrbegriff anfällig gemacht - einmal elementar verletzt wur-
de, sah er nur den Selbstmord als Ausweg. Darüber schreibt Brunk: "In dieser Nacht [24. Januar 1935] irrte Hellmuth Rautmann im Schloßpark umher, weil er sich in seinem Ehrgefühl zutiefst gekränkt glaubte, er fand aus seiner ihm hoffnungslos erscheinenden Lage keinen anderen Ausweg mehr, als sich sein Seitengewehr ins Herz zu stoßen." [176]
Es ist nicht mehr zu rekonstruieren, worin genau die Verletzung der persönlichen Ehre bestanden hatte, doch ein ehemaliger Jungmann fügte hinzu, daß an diesen Selbstmord auch später immer wieder vor versammelter Anstalt erinnert wurde. Mögliche Ursachen von Ehrverletzungen schildert er so: "Wenn du beispielsweise als ein Dieb dargestellt wirst, und das ist nicht der Fall. Du kannst es nicht beweisen, und alle sagen, du bist ein Dieb, und du wirst in deiner Klasse auch noch weiter so gehänselt. Du hast aber keine Möglichkeit, den Gegenbeweis anzutreten. Das kann dich schon in so eine Verzweiflung treiben, daß du nicht weiterleben möchtest." [177] Obwohl die genauen Umstände des Todesfalls unbekannt sind, erscheinen sowohl ein System, das den Ehrbegriff über den Wert des Lebens stellt, wie auch eine Klasse, die auf den Einzelnen so großen Druck ausüben kann, verwerflich.
Zwischen den NPEA-Schülern und der HJ entwickelte sich in den ersten Jahren ein Konkurrenzverhältnis, das zu Spannungen zwischen den Institutionen führte. Ministerialrat Dr. Haupt wollte verhindern, daß die HJ einen zu großen Einfluß auf die NPEA ausübte. Deshalb sorgte er nach der Darstellung Brunks dafür, daß zeitweise "aus taktischen Gründen für die Jungmannen der Eintritt in die örtliche HJ [...] verboten wurde." [178] Brunk selbst legte hingegen Wert darauf, daß die Jungmannen möglichst alle der HJ angehörten. Haupt versuchte den Konflikt zu lösen, indem zwar alle Jungmannen der HJ angegliedert wurden, aber nicht der örtlichen HJ unterstanden, sondern selbständige Einheiten der Reichsjugendführung bildeten. Im Juli 1936 fand dann die Übernahme der NPEA-Schüler in die HJ statt. [179] Die Jungmannen fühlten sich allerdings in ihrer Ausbildung der örtlichen HJ überlegen, so daß für sie der HJ-Dienst überflüssig erschien. Über das Verhältnis zur HJ berichtet ein ehemaliger Plöner Jungmann: "Wir gehörten also nirgends [d.h. zu keiner Einheit der HJ] dazu. Da war 'ne gewisse Rivalität. [...] Das ging bei uns ja 'nen bißchen organisierter zu, auch disziplinierter, wahrscheinlich auch härter." [180] Was das Verhältnis der Jungmannen zur Stadt angeht, bemerkt ein Schüler, daß die NPEA der Stadt beispielhaft "etwas vorgelebt" hätte: "Wenn hier in Plön 'ne Sonnenwendfeier war, haben wir die doch veranstaltet, und die anderen sind hinterhergetrottet!" Bei ihrer Erziehung und Ausbildung war es nur verständlich, daß die Jungmannen sich in diesem kleinen Städtchen als Vorkämpfer des Nationalsozialismus fühten. Es ist Ausdruck der Auffassung, vorbildlich für ihre Werte einzutreten, wenn Jungmannen der Napola abends bis 23.00 Uhr in der Stadt Streifendienst leisteten. Gleichzeitig zeigt sich darin aber auch ein Überlegenheitsgefühl. Vor allem achteten sie dabei auf Minderjährige, insbesondere Mädchen in Begleitung von Matrosen, die sich nach der Verdunkelungszeit auf den Straßen aufhielten. [181]
Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges
richtete sich an der NPEA Plön die Erziehung immer stärker auf diesen Krieg aus. So erhielten die Stuben am "Heldengedenktag", dem 16. März 1941, die Namen gefallener Plöner Schüler. Die Schüler der Abschlußklasse wurden schon vorzeitig mit dem sog. Notabitur zum Reichsarbeitsdienst und dann zur Wehrmacht entlassen. Durch Briefkontakt sollten die Jungmannen in Plön (die "Binnenplöner") mit den Mitschülern an der Front (den "Butenplönern") Nachrichten und Neuigkeiten austauschen und sich in ihrer "Hingabe für Volk und Vaterland" gegenseitig motivieren. Täglich wurden beim Mittagessen an Lagekarten die Fronten abgesteckt. Weihnachten 1942 gab Brunk bekannt, daß "zur Überleitung auf den totalen Krieg, die älteren Jungmannen bei der Heimatflak eingesetzt würden". [182]
Die Einberufung hat viele Schüler dazu veranlaßt, Berufsoffizier
zu werden. Ein ehemaliger Schüler, der die Anstalt nur während
der Jahre von 1940 - 1945 besucht hat, berichtet, daß nahezu alle
Schüler Berufsoffizier werden wollten: "Unsere Berufsziele sind gewesen,
in die Wehrmacht hineinzugehen, dort aber in die Elitedivision, bei uns
war sehr 'Großdeutschland' in [...], weil wir die für noch mehr
Elite hielten als die SS, und ich möchte wirklich sagen, 98% wären
Offiziere geworden oder Wehrbauern im Osten, [...] was ja eine Führungsaufgabe
[war]." [183] Vor dem Krieg haben die Schüler stärker andere Berufe
gewählt. Allerdings war der Offiziersberuf schon damals die Wahl von
fast der Hälfte aller NPEA-Schüler.
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Offizier |
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Offizier |
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SS-Führer |
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Jurist |
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Rechtswissenschaftler |
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SS-Führer |
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Reichsarbeitsdienstführer |
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Reichsarbeitsdienstführer |
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Philologe |
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Ingenieur |
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Diplomlandwirt |
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Bauer |
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Theologe |
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Arzt |
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Kaufmann |
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Kaufmann |
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Staatswissenschaftler |
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Philologe |
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Verwaltungsbeamter |
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unbekannt |
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insgesamt |
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insgesamt |
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Die Statistik zeigt, daß die Jungmannen sich nach der Reifeprüfung durchaus unterschiedlich orientierten. [184] Besonders unter Berücksichtigung der Statistik für 1938 und 1939 im Anhang (vgl. S. 91) wird deutlich, daß die SS in Plön relativ selten gewählt wurde. Das mag vor allem auf den Einfluß des SA-Standartenführers Brunk zurückzuführen sein. Ein zur SS abgegangener Plöner Schüler, der die SS über die Wehrmacht stellte, löste damit einige Diskussionen aus; andere Schüler verteidigten die Wehrmacht vehement als "größte Schule der Nation". [185]
Veröffentlicht in den Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte (Kiel) Heft 26 (November 1994) S. 3-100
Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte Heft 26