König Wilhelm I. von Preußen ließ 1867 im Plöner Schloß als sechste Anstalt dieser Art ein Kadettenvorhaus einrichten. [2] Es sollte Kinder im Alter von 10 - 15 Jahren militärisch und schulisch ausbilden, um nach einer Prüfung einen Teil dieser Jugendlichen als angehende Offiziere in die Hauptkadettenanstalt nach Berlin-Lichterfelde zu entsenden. [3] Das waren jährlich etwa 35 Obertertianer bei einer etwa um 1910 erreichten vollen Auslastung der Anstalt durch 160 Kadetten. [4] Die Institution diente allein durch ihre Präsenz aber auch der Festigung preußischer Herrschaft in dem seit 1866 angeschlossenen Landesteil Holstein.
Die Kadetten stammten hauptsächlich aus adligen, teils auch aus bürgerlichen Beamten- und Offiziersfamilien. Ausschlaggebend für den Besuch einer Kadettenanstalt war meistens der Wunsch der Eltern. Häufig entsandten sie ihre Söhne aus Gründen der Familientradition und des gesellschaftlichen Prestiges des Offiziersberufs, mit dem häufig ein gesellschaftlicher Aufstieg verbunden war, auf die Anstalt. Auch die teils geringe finanzielle Belastung spielte eine Rolle. [5]
Die schulische Ausbildung entsprach ab 1877 der einer Realschule 1. Ordnung. Sie war aber durch die vielen Belastungen der Kadetten auf sportlichem und militärischem Gebiet eingeschränkt, so daß die wissenschaftliche Schulung oberflächlich bleiben mußte. Der Lehrplan "stellte überwiegend die Stoffgebiete heraus, die geeignet erschienen, die vaterländische Gesinnung zu pflegen und die Verpflichtung der Kadetten als Diener ihres Königs, als Verteidiger des Thrones und des Vaterlandes zu betonen." [6] Hierzu studierte man u.a. das Leben großer Gestalten der griechischen, römischen und deutschen Geschichte.
Der Religionsunterricht, die täglichen Morgenandachten und die Gottesdienste an der Anstalt zeugten von der "Verbindung von Thron und Altar", nach welcher der Monarch Stellvertreter Gottes auf Erden sei. Wie sehr selbst dieser religiöse Bereich von Pflichterfüllung geprägt war, zeigen folgende Ausführungen über die Kadetten: "Sie hatten mit Gott und der Welt of-
fenbar keine Schwierigkeiten. Sie standen unter festen Begriffen und Gewohnheiten, in denen alles sicher und geborgen war. Sie unterhielten zu Gott völlig korrekte gewissermaßen dienstliche Beziehungen. Die tägliche Morgenandacht gehörte zum Dienst wie jede andere Verrichtung des geordneten Tagesablaufs". [7]
Neben dem Schwimmen und Turnen wurden die Kadetten vor allem militärisch ausgebildet. Exerzieren sollte "zum unbedingten Gehorsam, zur Selbstbeherrschung und zur Aufmerksamkeit auf den Vorgesetzten" erziehen. Die militärische Ausbildung umfaßte weiterhin Entfernungsschätzen, Zurechtfinden im Gelände bei Tag und Nacht, eine oberflächliche Kenntnis des Sonnensystems, das Auffinden des Polarsterns und die Grundfertigkeiten im Umgang mit der Karte zum praktischen Gebrauch im Gelände bei den Gefechtsübungen. [8]
Das Anstaltsleben war geprägt von einer zeitweise unmenschlichen Unterdrückung der Kadetten untereinander, die durch einen selbstauferlegten "Ehrenkodex" umgesetzt wurde. Ältere Kadetten waren aufgrund ihrer Dienststellung mit einer Straf- und Befehlsgewalt ausgestattet, die sie gegenüber jüngeren häufig ausnutzten: "In die Hände dieser fünfzehn- bis sechzehnjährigen war eine Macht gelegt, welche ihren jüngeren Kameraden das Leben zur Qual machen konnte. Sie waren die Herren dieser Knabenwelt, ließen sich von einem jüngeren Kadetten bedienen, ihrem 'Jean', und besaßen auch jene amtliche Strafgewalt, welche ihnen erlaubte, zum Antreten und Nachexerzieren zu bestellen, zusätzliche Arbeiten auf der Stube und in den freien Stunden zu verhängen. Die meisten aber glaubten, damit nicht auskommen zu können und ihre Autorität noch durch körperliche Züchtigungen festigen zu müssen. Die mildeste Strafe war die schlichte Backpfeife, unangenehmer schon das Katzenpfötchen, der Schlag mit dem Stock auf die zusammengeschlossenen Fingerspitzen, sehr schmerzhaft die Tangente, ein mit langem Lineal den vorgebeugten Oberkörper treffender Hieb." [9] Die "Klassenrutsche", bei der die gesamte Klasse einen Einzelnen blutig schlug, und der "Kompagnieverschiß" gehörten ebenso zu diesen Quälereien.
Das Erziehungsziel der Kadettenanstalt bestand darin, durch täglichen Drill aus Individuen Gemeinschaftsmitglieder zu machen. Darüber schreibt der ehemalige Plöner Kadett Fritz von Unruh: "Herausgeschreckt werden in frühester Morgenstunde, Hinunterstürzen in den Waschsaal, Hinunterrennen über die [...] Treppen, die man am besten im Sturmschritt nahm. Wir lernten das Antreten in der Abteilung, der Kompagnie, das Stillstehen, Ausrichten, Augen-rechts, Augen-links Nehmen, das Vorbeigehen in gerader Haltung, Grüßen, Frontmachen und den langsamen Schritt, den Gleichschritt, Paradeschritt und was immer uns half, ein Typ, eine Nummer unter Nummern zu werden." [10]
Zu diesem Zweck spielte sich das gesamte Kadettenleben in der Gemeinschaft ab; Möglichkeiten zum Rückzug und Zeit für sich hatten die Kadetten nur selten: "Nie war man allein oder in kleinerem Kreis als dem der Stubengefährten. Das Lernen, Exerzieren und Turnen, das Auf- und Abgehen in den Pausen, das Essen im Rittersaal erfolgte gemeinschaftlich. Auf Kommando setzt-
en wir uns, aßen, standen auf, rückten an, und noch das Persönlichste, das Gebet, geschah auf Befehl." [11]
Der Versailler Vertrag vom 28. Juli 1919 verbot die Fortführung des preußischen Kadettenkorps, so daß am 10. März 1920 auch die Plöner Kadettenvoranstalt aufgelöst werden mußte. [12]
Als im März 1920 die Plöner Kadettenvoranstalt zusammen mit fünf anderen Kadettenanstalten in eine Staatliche Bildungsanstalt umgewandelt wurde, geschah dies als soziale Notmaßnahme zur Linderung der Kriegsnot. In der Anfangszeit durften nach den Aufnahmebedingungen nämlich nur folgende Schüler die Anstalt besuchen: "1. mit Auswahl die Zöglinge der bisherigen Kadettenanstalten, 2. die Söhne von gefallenen und schwerbeschädigten Kriegsteilnehmern, 3. Auslandsdeutsche und Söhne von Familien deutschen Stammes in den abgetretenen Gebieten ohne Unterschied des Bekenntnisses." [13]
Die ersten 120 Schüler setzten sich folglich auch aus 61 ehemaligen Kadetten und 51 Schülern zusammen, deren Väter im Krieg gefallen waren. Die übrigen waren Auslandsdeutsche oder Jungen, deren Eltern als Heimatvertriebene noch keinen festen Wohnsitz gefunden hatten. [14]
Zu Beginn lag den Staatlichen Bildungsanstalten noch kein pädagogisches Konzept zugrunde, weil sie aus der Situation der Nachkriegszeit heraus schnell eingerichtet wurden. In Plön versuchte der Leiter der Anstalt, Studiendirektor Wienbeck, diesen Mangel durch großes persönliches Engagement bei Erziehern und vor allem Schülern auszugleichen. Seine Amtsführung war auf Harmonie und Ausgleich bedacht; mit Einsicht und Verständnis wollte er die Jungen erziehen. Schüler und Erzieher lehnten diesen Stil ab: "Die Jungen, überwiegend aus nationalen Kreisen stammend, waren an Zucht und Gehorsam durch Anwendung durchgreifender Erziehungsmittel gewöhnt. Die ersten Erzieher, in der gleichen oder ähnlichen Erziehungsauffassung groß geworden, dachten wie sie."
Wienbecks Versuche, Gehorsam durch Einsicht und Verständnis zu erlangen, stießen daher auf den Widerstand der Erzieher und älteren Schüler, die in allen solchen Versuchen Tendenzen einer Demokratisierung des Heimlebens und der damit verbundenen Auflockerung der Schulzucht erblickten. Es gab unerfreuliche Auseinandersetzungen mit einigen Erziehern in den Alumnatsbesprechungen. Diese Lehrer wußten sich in ihrem Widerstand gegen die pädagogische Anschauung ihres Direktors durch die Masse des Kollegiums gestützt. [15] Diese innere Ablehnung der neuen Werte - und damit auch des neuen demokratischen Staates - wurde besonders deutlich, als ältere Schüler vor einem offiziellen Besuch die schwarz-rot-goldene Fahne verbrannten. Sie wurden von der Anstalt verwiesen bzw. versetzt. [16]
Für das humanistische Plöner Gymnasium bedeutete die Einrichtung eines Realgymnasiums an der Stabila (so nannte man die Staatliche Bildungsanstalt umgangssprachlich) nicht die von vielen Seiten befürchtete Auflösung, sondern in veränderter Form ihren Erhalt. Dieser war nämlich durch die Ab-
sicht des Ministeriums, die Zahl der kleineren Gymnasien einzuschränken, bei sinkenden Schülerzahlen an der Schule gefährdet. [17]
Ein Erlaß des Provinzial-Schulkollegiums vom 12. Oktober 1922 gliederte das Kaiserin-Auguste-Viktoria-Gymnasium in die Staatliche Bildungsanstalt ein. Die so geschaffene Doppelanstalt erhielt einen gemeinsamen Unterbau von Sexta bis Quarta, ab Untertertia teilte sie sich in einen gymnasialen Zweig in der Prinzenstraße und einen realgymnasialen Zweig im Schloß. [18] Während Heinrich Rieper die Schulleiterfunktion übernahm, widmete sich der Leiter der Gesamtanstalt Konrad Wienbeck dem Internat.
Dort begann das neue Erziehungskonzept Form anzunehmen. Zeitungs-, Spiel- und Vorleseabende wechselten sich mit Hausmusik ab. Das Alumnat verfügte über Turn-, Ruder-, Tennis- und Gartenbauvereine. Anfänge der Schülerselbstverwaltung wurden im Alumnatsausschuß gemacht, der aus je zwei Vertretern der Erziehungsabteilungen (in die alle Heimschüler bis auf die Primaner eingeteilt waren), der Primanerabteilung und den Vertretern der Vereine bestand. Später bereicherten der "Stabila-Sportverein", die Ringgemeinschaft Deutscher Pfadfinder, der Deutsche Pfadfinderbund, der Fotografenverein, der Radioverein sowie die Theaterspielgruppe das Alumnatsleben.
Die Anstalt hatte großes Glück, daß mit Prof. Edgar Rabsch ein begeisterter Musikerzieher an ihr wirkte. "Jeder gebildete Mitteleuropäer muß ein Musikinstrument spielen", lautete seine Einstellung, so daß allein 72 Schüler des Internats Privatunterricht hatten. Den Stellenwert der Musik verdeutlichen u.a. weiterhin der 250 Stimmen umfassende große Chor, der Madrigalchor für 40 ausgesuchte Schüler, drei Streichquartette und zwei Klaviertrios. Im "collegium musicum" pflegten Lehrer, Schüler und einige Eltern ältere Orchestermusik. [19]
Rabsch wurde dabei vom Anstaltsleiter in der Sache und finanziell unterstützt; tragischerweise verunglückte Wienbeck 1928 beim Schlittschuhlaufen auf dem Großen Plöner See. Er hatte die aus einer Notlösung entstandene Staatliche Bildungsanstalt zu einem pädagogischen Konzept geführt. Sechs Jahre nach Kriegsende hatte sie ihre eigentliche Aufgabe erfüllt, und so mußten 1925 die Aufnahmebedingungen erweitert werden. Fortan sollten auch solche Schüler aufgenommen werden, "deren ganze Persönlichkeit und Veranlagung die Aufwendung öffentlicher Mittel wirklich rechtfertigte." [20] Die innere Einheit von Gymnasium und Realgymnasium konnte Wienbeck allerdings nicht erreichen.
Sein Nachfolger Dr. Teichert lehnte Wienbecks Erziehungsstil ab und vertrat die sog. "Richertschen Reformen". Ministerialrat Richert hatte 1925 durch Lehrplanrevision den vielen nebeneinander bestehenden Schultypen ein gemeinsames pädagogisches Ziel geben wollen, das sich inhaltlich aus dem Bildungsgut des eigenen Volkes, aus Antike, Christen- und Germanentum speiste. [21] Besonders in der Richertschen Nationalerziehung [22] und ihrer romantischen Sichtweise des Germanentums [23] zeigen sich Vorstellungen, die es später den Nationalsozialisten erleichterten, ihre viel radikaleren Ideen zu verkünden und umzusetzen.
Teicherts Einstellung verdeutlicht der
Jahresbericht 1929/30 der Stabila: "Es mußte mit der liberalistischen Auffassung, die Erziehungsfragen vom einzelnen her zu lösen, gebrochen werden. An ihre Stelle mußte klar und bewußt der Gemeinschaftsgedanke treten, der alle einzelnen Angehörigen des Alumnats in gemeinsamer Pflicht und Leistung und in gemeinsamer Freude verbindet." [24] Das Ziel dieser Erziehung gibt er in seiner Denkschrift Die staatlichen Bildungsanstalten in Preußen bekannt, nämlich "in unserem konfessionell, politisch und auch sonst weltanschaulich zerspaltenen deutschen Volk eine seelische Gemeinsamkeit" zu erreichen, um zum "gemeinsamen Einsatz aller Kräfte für das Volksganze zu kommen." [25] Ein Vergleich zwischen dem Wahlspruch der Plöner NPEA ("Unser Leben gilt nichts, wenn es nicht eingesetzt wird für die Nation und den Führer") und Teicherts Auffassung, nach der "in der Hingabe an das Ganze alle persönlichen Werte ihre höchste Steigerung erlangen",[26] zeigt die Parallelität bestimmter Anschauungen aus Weimarer Republik und Drittem Reich ebenso deutlich wie ihre Unterschiedlichkeit.
Der sich anbahnende Wechsel der politischen und geistigen Verhältnisse zeichnete sich auch an der Stabila ab. Im Religionsunterricht wurde das Problem "Deutschtum und Christentum" diskutiert und von einem dem Tannenbergbund [27] nahestehenden Oberst als Redner vorgetragen. Unter den Schülern machten sich nationalsozialistische Tendenzen bemerkbar, nach Riepers Einschätzung "ohne über das normale Maß politischer Meinungsverschiedenheiten hinauszugehen." [28] Wie sehr diese Tendenzen sich weiterentwickelten, zeigt die Tatsache, daß der nationalsozialistische Studienassessor Dr. Joachim Haupt nach seiner Entlassung wegen nazistischer Beeinflussung der Schüler im Februar 1931 von seiner Klasse demonstrativ zum Bahnhof begleitet wurde. [29]
Im Juni 1932 fand der bekannte "Plöner Musiktag" [30] mit Paul Hindemith statt, dem aus rechten Kreisen mangelnde Bindung an Volk und Heimat sowie großstädtische Entwurzelung vorgeworfen wurden. Der bekannte Komponist und einige seiner Schüler musizierten drei Tage zusammen mit Schülern und Lehrern der Stabila. Die Noten für die Musik hatte Hindemith selbst geschrieben, und zwar so, daß alle Schüler an dem Ereignis teilnehmen konnten und dabei die Anforderungen ständig stiegen.
Einem Schüler, der im Unterricht Xylophon spielte, übertrug er die Stimme auf sein Instrument, so daß er nicht abseits zu stehen brauchte. Am Veranstaltungstag selbst wurde dann mit einer Morgenmusik begonnen, mittags spielte ein kleines Orchester die Tafelmusik, und später gab es ein Abendkonzert. Dieses ungewöhnliche Ereignis verlief weitgehend ruhig, was sich wohl mit der spontanen Durchführung des Musiktages und seiner relativen Abgeschiedenheit von der Öffentlichkeit erklären läßt. Doch am Rande machten eine Gruppe aus Kiel angereister NSDAP-Angehöriger bemerkbar; es kam zu Provokationen von Störtrupps vor und nach der Abendveranstaltung. Ein Zwischenrufer aus dem Publikum ("Wo bleibt die deutsche Seele?") wurde aufgefordert, den Saal zu verlassen. [31]
Schon 1930 versuchte die preußische Unterrichtsverwaltung, den an vielen Schulen herrschenden politischen Unruhen dadurch zu begegnen, daß sie die Zu-
[Abb. 2: Paul Hindemith bei einer Probe mit dem Orchester der Staatlichen Bildungsanstalt im Juli 1932]
gehörigkeit zum Nationalsozialistischen Schülerbund untersagte. Auch das Tragen von politischen Abzeichen wurde generell verboten. [32] Doch die Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 sollte dann das baldige Ende der Staatlichen Bildungsanstalt bedeuten.
Das Ost-Holsteinische Tageblatt veröffentlichte am 21. April 1933 eine Verfügung des Reichskommissars Rust: "Die drei ehemaligen Kadettenanstalten in Plön, Köslin und Potsdam sind gemäß ihrer Tradition in nationalpolitische Erziehungsanstalten im Sinne der nationalen Revolution umzubilden. Die Lehrkörper sind dementsprechend neu zusammenzusetzen. Bei Neuaufnahmen ist eine entsprechende Auslese zu treffen. Der Unterrichtsplan ist völlig neu zu gestalten. Die Schülerkleidung ist die Hitleruniform. Die Durchführungsbestimmungen folgen." (Hervorhebungen im Original)
Schon aus den vorläufigen und ungenauen Beschreibungen dieses Erlasses wird deutlich, wie unvorbereitet die ersten NPEA eingerichtet wurden. Die Auskünfte, die Oberstudiendirektor Teichert und Heinrich Rieper in den ersten Tagen nach der Verfügung im Ministerium erhielten, waren ebenso unvollständig wie vorläufig: "Eine einheitliche Schulkleidung sei einzuführen, vorläufig die HJ-Uniform, Wehrsport sei sofort zu betreiben und besondere Natio-
nalpolitische Stunden seien in den Lehrplan einzuarbeiten." [33]
Rieper übernahm zunächst vorübergehend die Leitung der Anstalt, weil hierfür noch keine geeignete Person gefunden war, und mußte mit sehr unbestimmten und sich häufig widersprechenden Anordnungen aus dem Ministerium zurechtkommen. [34] Wenn er schreibt, "daß niemand wußte, was eigentlich zu tun sei", ist das kennzeichnend für die Umwandlungsphase. [35]
Währenddessen suchte Ministerialrat Dr. Haupt nach einem geeigneten Leiter für die NPEA. Am 1. Mai traf er in Hamburg mit dem ehemaligen Polizeimajor und SA-Standartenführer Hermann Brunk zusammen und bot ihm die Stellung an. Brunk sagte sofort zu und erhielt später von Minister Rust offiziell den Auftrag, die NPEA Plön zu übernehmen. Er wurde zunächst kommissarischer Anstaltsleiter und begann am 27. Mai mit der nationalsozialistischen Ausrichtung der Anstalt. [36]
Die nach Klassen verschiedenfarbigen Schülermützen der Stabila wurden abgeschafft. [37] So sollte das "Klassendenken aufhören" und die Anstalt zu einer Gemeinschaft werden. Aus diesem Grund erhielten die künftig "Jungmannen" [38] genannten Schüler auch Uniformen. Sie trugen seit dem 3. August 1933 die Hitlerjugend-Uniform ohne die HJ-Armbinde, ab August 1934 dann eine den NPEA eigene olivfarbene Uniform, welche in Plön mit dunkelblauen Schulterklappen versehen war. Als die NPEA im Herbst 1936 zu Sondereinheiten der HJ gemacht wurden, kam die Ausgangsuniform der HJ hinzu. [39]
Die Zusammensetzung von Schülern, Lehrern und Erziehern wurden durch Auslese nach rassischen, ideologischen und körperlichen Gesichtspunkten mittelfristig von Grund auf verändert - Juden bzw. Schüler und Lehrer, deren Eltern "jüdischer" Abstammung waren, wurden von der Anstalt verwiesen. [40] Im ersten Schuljahr mußten weitere 50 Schüler der Staatlichen Bildungsanstalt die NPEA verlassen, [41] vermutlich weil sie den körperlichen Anforderungen nicht genügten oder sich dem nationalsozialistischen Geist der Anstalt nicht anschließen konnten. Ebenso wurden fast alle Stabila-Lehrer von der Schule entfernt. Von den 25 Pädagogen und Pädagoginnen, die 1932/33 dem Kollegium angehörten, waren nach zwei Jahren nur noch sieben - darunter die Studienräte Dannemann, Jacobsen, Jürgensen und Guirr - an der NPEA Plön tätig. [42] 1938 war einzig der Studienrat Guirr [43] übrig geblieben.
Zwischen den Schülern der NPEA auf dem Schloß und den Stadtschülern ergaben sich zunehmend Spannungen, weil sie gemeinsam unterrichtet wurden, aber unterschiedliche Stellungen innerhalb der Anstalt einnahmen. Die Stadtschüler durften keine Uniform tragen; sie fühlten sich als Schüler zweiter Klasse. Die Anstaltsleitung versuchte diesen Spannungen zu begegnen, indem sie keine neuen Stadtschüler mehr aufnahm und die Zahl der vorhandenen zu reduzieren versuchte. 1935 kam ein Erlaß heraus, der mit wenigen Ausnahmen sämtliche Stadtschüler zwang, eine andere Schule zu besuchen: Das Elternhaus eines NPEA-Schülers mußte nun mindestens 15 Kilometer von der Anstalt entfernt liegen. [44]
Die NPEA waren reine Jungenschulen, deshalb hatten alle Mädchen die Anstalt zu verlassen. Die letzten Mädchen verließen die Schule zu Ostern 1934.
[Abb. 3: Das Schloß unter nationalsozialistischer Ausrichtung. "Deine Ehre: Treue dem Führer" - so betrieb die NPEA Propaganda im "Wahlkampf" 1936]
Auch zwei der drei Hausdamen wurden entlassen. [45] Bewußt verzichtete man auf weibliche Bezugspersonen für die 10- bis 18jährigen Schüler, die ja zur Härte gegen sich selbst erzogen werden sollten.
Alle demokratischen Elemente der Staatlichen Bildungsanstalt wurden abgeschafft, nämlich die Schülerselbstverwaltung, die Vereine, der Lehrerausschuß und der Elternbeirat. Wenn im Schulbericht der NPEA Plön 1933/34 unter Schülerselbstverwaltung die Beteiligung der Schüler an der Pausenaufsicht, die Ausgabe der Landkarten und die Verwaltung der Schülerbücherei genannt wird, so wird damit die tatsächliche inhaltliche Mitwirkung der Schüler nur vorgetäuscht. Im Vergleich zur Schülerselbstverwaltung der Stabila war dies ein Rückschritt, da nun Schüler nur noch organisatorische Aufgaben übernehmen konnten; Erziehungsziele und -methoden jedoch gab der Nationalsozialismus vor. Dieser Gedanke beinhaltet aber auch ein Erziehungsprinzip der NPEA. Die Jungmannen sollten ständig an den Aufgaben der Anstalt beteiligt werden, bis sie sich selbst völlig mit der NPEA identifizierten. Der Jahresbericht nennt diesen Vorgang das "völlige Eingliedern in die Hundertschaften und einzelnen Abteilungen", [46] wodurch jegliches Sonderleben aufhöre. Für ein besonderes Vereinsleben sei kein Platz mehr. Die Auflösung des Elternbeirats begründet der Schulbericht unter einem Vorwand: "Da Anstalten, deren Schülerschaft überwiegend aus Alumnatsschülern besteht, von der Bildung eines Elternbeirates absehen können, wurde mit Genehmigung des Provin-
zialschulkollegiums in Schleswig für die Wahlperiode 1933/34 auf die Wahl eines Elternbeirates verzichtet. So existiert an unserer Anstalt kein Elternbeirat." [47]
Aus einer Passage über die Abschaffung des Lehrerausschusses hingegen wird deutlich, daß an der NPEA das Führerprinzip verwirklicht werden sollte, um dem Anstaltsleiter die absolute Befehlsgewalt zu ermöglichen: "Von den fünf Mitgliedern des Lehrerausschusses wurden zu Beginn des Schuljahres drei versetzt. Eine Nachwahl fand nicht statt. Seine Tätigkeit erlosch von selbst infolge Durchführung des Führerprinzips." [48] Im Unterrichtswesen wurde der Lehrplan im Laufe der Jahre der Deutschen Oberschule angeglichen. [49] Hoffnungen, den gymnasialen Zweig erhalten zu können, erfüllten sich jedoch nicht.
Veröffentlicht in den Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte (Kiel) Heft 26 (November 1994) S. 3-100
Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte Heft 26