Die NPEA Plön läßt sich nicht ausschließlich in einer Einzelfallstudie darstellen, sondern muß als Teil der nationalsozialistischen Erziehungspolitik betrachtet werden. Diese ist in geistigen Traditionen des ausgehenden 19. und des 20. Jahrhunderts entstanden, ohne dabei an sich neue Ideen zu entwickeln. Dabei setzte sie also längst vorhandene Gedanken in die Praxis um.
Daher ist es sinnvoll, auf einige solcher Erziehungsvorstellungen einzugehen. Sicherlich haben die Nationalsozialisten bestimmte Elemente der Jugendbewegung ("Wandervogel", "Bündische Jugend") übernommen: so zum Beispiel das Lagerfeuer, das Volkslied, das Wandern in der Natur, die Verachtung der Demokratie, Irrationalismus und Mystizismus und den nach 1918 auch in der Jugendbewegung vorhandenen Antisemitismus. Auch bei der Reformpädagogik nach dem Muster von de Lagarde und Langbehn lassen sich diese Ähnlichkeiten in Form von Antiliberalismus, Antisemitismus, dem einseitigen Betonen von Gefühlen und in der Wissenschaftsfeindlichkeit aufzeigen. [186]
Der Nationalsozialismus ist keine einheitliche und abgeschlossene Ideologie, sondern wurde durch viele Personen und Geistesströmungen zu einem Sammelsurium unterschiedlichster Gedanken. Inhaltliche und begriffliche Unschärfe sowie die Person Hitlers ließen dies nach außen aber wenig in Erscheinung treten. Daher können nationalsozialistische Erziehungsvorstellungen im Rahmen dieses Beitrages nur ausschnitthaft dargestellt werden, und zwar am Beispiel von Adolf Hitler, Ernst Krieck - nach dessen Buch Nationalpolitische Erziehung die NPEA ihren Namen erhielten - und Alfred Bäumler. Die beiden letztgenannten Personen waren einflußreiche Pädagogen des Nationalsozialismus.
Das Menschenbild und die Weltanschauung des Nationalsozialismus sind von Hitler wesentlich geprägt und bilden die Grundlage für seine erziehungspolitischen Vorstellungen. Er sah den Menschen vor allem als ein zur Handlung bestimmtes emotionales Wesen, das durch rassisch-biologische Anlagen definiert sei. [187] Theodor Wilhelm weist darauf hin, daß Gefühl, Handlung und Vererbung den Menschen sicherlich mitbestimmten, einseitiges Auslegen dieser Anschauungen allerdings gefährlich sei. [188]
Die folgenden Äußerungen zeigen, daß Hitler aus dieser Einseitigkeit heraus die intellektuelle Erziehung ablehnt und die Handlungsbereitschaft in Gewaltbereitschaft umwandelt:
"Meine Pädagogik ist hart. Das Schwache muß weggehämmert werden. [...] Eine gewalttätige, herrische, unerschrockene, grausame Jugend will ich. [...] Schmerzen muß sie ertragen. Es darf nichts Schwaches und Zärtliches an ihr sein [...] Ich werde sie in allen Leibesübungen ausbilden lassen. Ich will eine athletische Jugend. [...] Ich will keine intellektuelle Erziehung. Mit Wissen verderbe ich mir die Jugend.
Am liebsten ließe ich sie nur das lernen, was sie ihrem Spieltriebe folgend sich freiwillig aneignen. [...] Sie sollen mir in den schwierigsten Proben die Todesfurcht besiegen lernen." [189]
Ueberhorst hat die Grundzüge der nationalsozialistischen Weltanschauung in wenigen Sätzen zusammengefaßt:
"1. Das Leben ist Kampf! [...] Daher gilt es grundsätzlich, eine militante, kämpferische Haltung einzunehmen. Gefordert wird ein Volk in Waffen. 2. Dieser Kampf hat zum Ziel, den Lebensraum des 'Herrenvolkes' auszuweiten und eine neue Herrschaftsordnung zu schaffen. 3. Die nordische Rasse, als deren bedeutendster Träger das deutsche Volk angesehen wird, muß durch Auslese gefestigt werden. 4. Judentum und Bolschewismus sind die Rassenfeinde". [190]
Hitlers erziehungspolitische Vorstellungen leiten sich aus dieser Ideologie ab. Erziehung orientiert sich bei Hitler an Rassenideologie und Leistungsprinzip. Eliten seien zu fördern, angeblich minderwertige Rassen und Behinderte sollten wegen geringerer Leistungsfähigkeit aus der Erziehung ausgeschlossen bzw. vernichtet werden. [191] Demnach seien alle "fremdrassigen" und "irgendwie ersichtlich Kranken und erblich Belasteten aus dem Volkskörper auszuschließen." Der Erziehung falle die positive Aufgabe einer verstärkten staatlichen "Sorge" für die Kinder gesunder Eltern zu. [192] Der Staat habe die Verpflichtung, "aus der Gesamtzahl der Volksgenossen das von Natur aus befähigte Menschenmaterial herauszusieben und im Dienste der Allgemeinheit zu verwenden." [193]
Die Erziehung der Mädchen hatte gegenüber derjenigen der Jungen eine völlig untergeordnete Stellung. Die Mädchen seien einseitig auf ihre Aufgaben als Mütter und Hausfrauen vorzubereiten.
Nach Hitler müsse die Erziehungsarbeit in erster Linie "auf das Heranzüchten kerngesunder Körper" hinwirken, in zweiter Linie auf die Ausbildung der Willens- und Entschlußkraft und der Verantwortungsfreudigkeit. Als letztes nannte er dann die wissenschaftliche Schulung. [194] Eine starke Beschränkung des Wissensstoffes in allen Fächern, besonders in den Fremdsprachen, werde im Lehrplan den Raum freimachen für die körperliche Ertüchtigung. Denn die Schule solle "das jugendliche Gehirn im allgemeinen nicht mit Dingen belasten, die es zu 95% nicht braucht und daher wieder vergißt." [195]
Als oberstes Ziel der Erziehung müsse die Rassenideologie vermittelt
werden. In Mein Kampf schreibt Hitler: "Die gesamte Bildungs- und
Erziehungsarbeit des völkischen Staates muß
ihre Krönung darin finden, daß sie den Rassesinn und das Rasssegefühl
instinkt- und verstandesmäßig in Herz und Hirn der ihr anvertrauten
Jugend hineinbrennt. Es soll kein Knabe und kein Mädchen die Schule
verlassen, ohne zur letzten Erkenntnis über die Notwendigkeit und
das Wesen der Blutreinheit geführt worden zu sein." [196]
Der Geschichtsunterricht müsse sich auf die "großen, klaren
Linien" konzentrieren und dürfe niemals vergessen, daß er nur
Mittel zum Zweck sei, nämlich eine fanatische Nationalbegeisterung
zu erzeugen, die in der Einsicht gipfele, daß der völkische
Staat um sein Dasein kämpfen müsse. Dafür müsse den
Jugendlichen ein Überlegenheitsgefühl anerzogen werden: "Seine
gesamte Erziehung und Ausbildung muß darauf
angelegt werden, ihm
die Überzeugung zu geben, anderen unbedingt überlegen zu sein." [197]
Erziehung müsse schließlich der "Vorbereitung des jungen Geschlechts
auf die große Umwälzung, die letzten und großen Entscheidungen
auf diesem Erdball" dienen. Durch konsequente Kriegserziehung solle das
sogenannte "Menschenmaterial" geistig und vor allem ideologisch auf die
Eroberung neuen Lebensraums im Osten ausgerichtet werden.
Ernst Kriecks pädagogisch-philosophische Vorstellungen näherten
sich spätestens mit Beginn der dreißiger Jahre immer stärker
der nationalsozialistischen Weltanschauung an und müssen deshalb zeitlich
differenziert dargestellt werden. Grundlegend für seine Erziehungstheorien
deutet er die Stellung des Einzelnen in der Gesellschaft als "organisch-gliedhaftes
Einbezogensein in die völkische Lebensganzheit." [199] Dabei erziehen sich
Gemeinschaft und ihre einzelnen Glieder gegenseitig, ja "alle erziehen
alle jederzeit." Einzelne hervorragende "Führernaturen" erziehen ihrerseits
wiederum die Gemeinschaft. [200]
Zwei Begriffe sind für seine Erziehungstheorie besonders aussagekräftig:
"Zucht" und "Typus". "Zucht" bedeutet für Krieck die "Formung des
Menschen durch die Sitten und Normen der Gemeinschaft." Indem der Einzelne
mit diesen Sitten "verwachse", nehme er die für das "Bildungsgesetz"
der Gemeinschaft typischen Züge an. Damit setzt Krieck den Begriff
"Zucht" mit sozialer Assimilation gleich, die mit bewußter verantwortlicher
Erziehung nichts gemeinsam hat. [201] Der "Typus" ist nun zunächst das Ergebnis
des beschriebenen Zuchtprozesses. Die Bedeutung dieser Begriffe änderte
sich mit Kriecks Entwicklung hin zu einem der führenden nationalsozialistischen
Pädagogen.
Während Krieck in den zwanziger Jahren noch eine voraussetzungslose,
wissenschaftliche Erforschung der Wirklichkeit unabhängig von weltanschaulichen
Wertesystemen befürwortet, fordert er später eine aktivistische
Wissenschaft auf der Grundlage des "völkischen Realismus", die sich
als Bestandteil politischen Handelns begriff. [202] Dieser Wandel in seiner Denkweise
bedeutet für den Begriff "Zucht" eine Vermischung mit rassisch-biologischen
Elementen. Im auffallenden Gegensatz zur ursprünglichen Bestimmung
bezeichnete der Begriff nun die "rassehygienischen Maßnahmen, die
der naturhaften Sicherung und Pflege des Rassebestandes im Wechsel der
Generationen" dienen. [203] Folgendes Zitat aus der Philosophie der Erziehung
verdeutlicht, wie sehr Krieck die Züchtung des Menschen ursprünglich
ablehnte: die Vorschläge "zur negativen Auslese durch Ausmerzung angeblich
Entarteter ruhen, da über Vererbung, zumal auf dem Gebiet des Seelischen
und Geistigen, so gut wie nichts feststeht, auf einem bodenlosen Dilettantismus." [204]
Über die "Typenprägung" schreibt er, daß sie in einer
"intakten Gemeinschaft" weitgehend unreflektiert, gleichsam "von selbst"
vor sich gehe. In einer Notsituation wie jener der Deutschen nach dem Ersten
Weltkrieg leiste die Pädagogik einen Beitrag zur nationalen Wiedergeburt,
indem sie klare Vorstel-
lungen über die Erziehungsaufgabe des Volkes
und deren Ergebnis, den Typus, entwickele. [205] So müsse es dem deutschen
Volk endlich gelingen, den "Typ des Deutschen als Sondergestalt des Humanen
schlechtweg" durch ein hartes, von der Volksgemeinschaft getragenes Zuchtsystem
herauszubilden. [206]
Dieser Krieck'sche Gedankengang zeigt, daß solche Erziehung letztlich
die Aufgabe hat, die in der Gesellschaft vorhandenen Vorstellungen auf
den Einzelnen zu übertragen. Anstatt die Möglichkeiten und Grenzen
einer bewußten Erziehung zu bestimmen und die Individualität
des Einzelnen zu wahren, führt diese Zielsetzung bei Krieck zur Forderung
nach einer autoritären Gesellschaftsordnung, deren Charakter er folgendermaßen
beschreibt: "Was aber immer den Grundgesetzen und Existenzbedingungen einer
solchen Gemeinschaft zuwiderläuft, wird erbarmungslos unterdrückt,
auch wenn es rein menschlich genommen noch so wertvoll wäre." [207] Dementsprechend
leitet Krieck auch alle Ethik und damit jede erzieherische Zielsetzung
ausschließlich aus dem Willen der Gemeinschaft ab. "Ein Handeln ist
immer dann sittlich gut, wenn es mit der Idee, mit dem Familien- und Bildungsgesetz
der Gemeinschaft übereinstimmt." [208] Über die Erziehung sagt er analog:
"Das Ziel der Erziehung ist stets gegeben mit den Werten und Zielen der
Gemeinschaft selbst."
Über die Erziehungsformen von Ausleseschichten schreibt Krieck
in seinem Buch Nationalpolitische Erziehung: "Die staatstragende
Ausleseschicht des völkischen Gesamtstaates [...] wird von allem Anfang
an in fester Form sein: in straffer Zucht gehalten, nach der gemeinsamen
und völkischen Weltanschauung ausgerichtet, auf Ehre, Wehr-
[Abb. 10: Plöner Fanfarenzug sammelt für das Winterhilfswerk in
Wyk auf Föhr]
haftigkeit,
Treubindung, Bereitschaft zum Dienst und zum Opfer, auf Hingebung an das
Ganze, auf den Stil strenger Lebensform und straffer Lebensführung,
auf die Werte des völkischen, wehrhaften und politischen Lebens gestellt:
soldatisch im öffentlichen Leben und seiner Führung. Einordnung
und Gehorsam gegen die Führung, Tapferkeit und Mut, Geradlinigkeit,
Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit, der Sinn für das Ganze, wehrhaft
in Wille und Arm: Das sind die zu züchtenden Eigenschaften und Werte,
die gemeinsame und verpflichtende Staatsordnung". [209]
Nach Krieck finde der Einzelne "den Sinn und die Sinnerfüllung
seines persönlichen Lebens", indem er seine Schaffenskraft rückhaltlos
der "Gesamtaufgabe" seines Volkes widme. Dem Staat komme dabei die Aufgabe
zu, "die Gegensätze der Individualität, der Konfessionen, der
sozialen Lage, der Berufe, der Herkunft und der Bildungshöhe auszugleichen." [210]
So bleibt dem jungen Menschen nur noch die Alternative, sich entweder der
bestehenden politisch ideologischen Ordnung bedingungslos einzufügen
oder aber zu scheitern. "Eine andere Art von Wahlfreiheit und freier Sinnsetzung
gibt es nicht: Jeder steht notwendig unter dem Schicksal zwischen Erfüllung
durch Selbstzucht und schuldhaftem Versagen." [211]
Bei Alfred Bäumlers erzieherischen Vorstellungen, die im wesentlichen
aus einer eigenwilligen Nietzsche-Interpretation hervorgehen, wird das
Irrationale und Mystische im Menschen besonders betont. [213] Sein vorrangiges
erzieherisches Anliegen ist die "Formung des deutschen Menschen" aus seinem
"innersten Wesen" heraus, nämlich seinen Trieben und Instinkten. [214]
Die "Urbilder" des soldatischen deutschen Menschen findet Bäumler
in den noch halb-barbarischen Anfängen griechischer und deutscher
Geschichte: im germanischen "Krieger" und in dem ihm verwandten "heroisch-aktiven"
Griechen. Die diesem Menschenbild entsprechende Staatsform konnte nur ein
"kriegerischer Machtstaat" sein. [215] Entsprechend dieser Verherrlichung des
Krieges fordert er, der Deutsche müsse sich zu seinem Wesen offen
bekennen, zu trotzig kriegerischer, völlig irrationaler Tatbereitschaft. [216]
Nach Bäumler führe die Mythologie in die Urgründe der
Menschenseele zu einer der Logik entzogenen Wirklichkeit. Er fordert eine
Erziehung zu konkreten Zielen, "die vom Herzen ergriffen werden, innerhalb
einer konkreten Ordnung, die vom Willen bejaht wird." [217] Bäumlers Erziehungsvorstellung,
die den Vorrang intellektueller Bildungsgehalte ablehnt und stattdessen
das unmittelbare Erlebnis der Gemeinschaftsverbundenheit durch emotionale
Beeinflussung fordert, zeigt sich deutlich in folgenden Zitaten: "Leben
in der Gemeinschaft ist Tatleben, Tatleben aber ist von emotionalem Erleben
unabtrennbar [...] Die Aufgabe der emotionalen Erziehung besteht darin,
die Einbildungskraft der jugendlichen Seele in bestimmte Richtungen anzuregen
und den Horizont des Gemüts mit großen Vorbildern zu umstellen." [218]
Die Schule ist für Bäumler nicht in der Lage, diese Ziele zu
verwirklichen: "Während die
Schule mittelbar durch die Form der Arbeitsgemeinschaft
erzieht (bei der doch das eigentlich Erzieherische die Arbeit bleibt),
erzieht die Hitler-Jugend unmittelbar zur Gemeinschaft durch die Form des
'Vorangehens'. Erziehung zur Gemeinschaft bedeutet hier: Der Führer
einer Formation erzieht die Kameraden durch sein Vorangehen innerhalb der
Gemeinschaft unmittelbar. Der Lehrer hingegen erzieht mittelbar, indem
er den Schüler zum Vollzug bestimmter Leistungen instand setzt." [219]
Der Schwerpunkt der Erziehung liegt bei Bäumler also nicht auf
intellektueller Bildung, sondern auf unmittelbarem Erlebnis der Gemeinschaft
durch emotionale Beeinflussung und auf der Erziehung zur Tat. Der Typ des
Gebildeten wird durch den Typ des soldatischen Kämpfers ersetzt, dem
es nicht um seine Karriere geht, sondern um den Schicksalskampf des eigenen
Volkes. [220]
Hans-Günter Assel kommt hinsichtlich Bäumlers Erziehungstheorien
zu folgendem Fazit: "Alfred Bäumler - wie so viele politische Pädagogen
der NS-Zeit - vermied in seinen theoretischen Erwägungen jene begriffliche
Klarheit, die Pädagogik als Wissenschaft auszeichnen sollte. An die
Stelle der Begriffsschärfe traten Gefühl und Erlebnis, [...]
die Gemeinschaft und das Lager, die zum Ausdruck der neuen Pädagogik
wurden. [...] Diese Gefühlspädagogik konnte leicht zu einer "Opferethik"
gesteigert werden, die dann im Namen des stets beschworenen Volksstaates
die unbedingte Tat verlangte, die in Wahrheit jedoch nur Hitler als politischem
Hasardeur zum ewigen Ruhm verhelfen sollte." [221]
Veröffentlicht in den Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte (Kiel) Heft 26 (November 1994) S. 3-100
Informationen zur Schleswig-Holsteinischen
Zeitgeschichte Heft 26
//38//5.2. Ernst Krieck [198]
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//40//5.3. Alfred Bäumler [212]
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